FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:



[Seite der Druck-Ausg.: 22]

Forderungen des Europäischen Parlaments
zur Bekämpfung des Frauenhandels


Seit 1989 beschäftigt sich vor allem das Europäische Parlament verstärkt mit dem Thema Menschenhandel und Prostitution. Zahlreiche Untersuchungen wurden vorgenommen und es gibt inzwischen eine Reihe von Hilfsangeboten. Vor allem aber wird versucht, Polizei und Justiz länderübergreifend zu sensibilisieren. In einem Bericht des Europäischen Parlaments in Straßburg von Ende 1997 heißt es:

„Das Bewußtsein und die Sensibilisierung für die Tatsache, daß es im Europa des späten 20. Jahrhunderts noch Sklaverei gibt, wächst. Die meisten Opfer dieser Form der Sklaverei sind Frauen. Sie werden gewöhnlich von Netzwerken der organisierten Kriminalität verschleppt, die über nationale Grenzen hinweg tätig sind. (...) Zu den Gründen für diesen zunehmenden Handel gehören die Verletzlichkeit, Armut und Ausgrenzung von Frauen in ihren Herkunftsländern, die hohen Profite und die geringen Risiken der Schlepper und die in Europa bestehende Nachfrage nach Frauen für die Prostitution und andere Formen der sexuellen Ausbeutung. Die Bekämpfung des Frauenhandels mit dem Ziel der sexuellen Ausbeutung erfordert eine koordinierte europäische Strategie, die die Vorbeugung, Aufdeckung und erfolgreiche strafrechtliche Verfolgung der Schlepper, Unterstützung für die Opfer und Rehabilitation der Überlebenden umfaßt." (Sitzungsdokument des Europäischen Parlaments vom 27.11.1997)

Das Europäische Parlament hat Ende 1997 einen Entschließungsantrag des Ausschusses für die Rechte der Frauen zum Thema „Frauenhandel mit dem Ziel der sexuellen Ausbeutung" einstimmig verabschiedet. Die Forderungen werden vom Ausschuß für Grundfreiheiten und innere Angelegenheiten und vom Ausschuß für Entwicklung und Zusammenarbeit geteilt.

Page Top

[Seite der Druck-Ausg.: 23]

[Bild der Druck-Ausg. fehlt in Online-Version]

Die Kernpunkte des Entschließungsantrags

  • Nichtregierungsorganisationen müssen eine entscheidende Rolle bei der Forschung, der Vorbeugung und vor allem beim Opferschutz spielen, denn sie können sehr viel leichter als staatliche Behörden das Vertrauen der betroffenen Frauen gewinnen.
  • Eine zwischen der Europäischen Union und den betroffenen Drittstaaten koordinierte Informationskampagne ist notwendig, die sich an die gefährdeten Frauen richtet und beschreibt, wie der Frauenhandel funktioniert und welche Mittel eingesetzt werden, um die Frauen gefügig zu machen.
  • Frauenhandel ist in erster Linie aus der Perspektive des Opfers zu sehen. Die nationalen Gesetze in den EU-Ländern führen jedoch dazu, daß es vor allem um die Bekämpfung des organisierten Verbre-

    [Seite der Druck-Ausg.: 24]

    chens und der illegalen Einwanderung geht. Das hat zur Folge, daß die betroffenen Frauen in den Untergrund gedrängt werden und keinerlei Schutz und Hilfe durch die Polizei und andere staatliche Stellen zu erwarten haben.

  • Um den Opferschutz angemessen zu gewährleisten, fordern die europäische ParlamentarerInnen, daß Frauen, die als Prostituierte in die Länder der Europäischen Union verschleppt worden sind, Zugang bekommen zu:
    • Psychosozialer und medizinischer Betreuung,
    • Nottelefonen,
    • kostenlosem Rechtsbeistand und Verfügbarkeit von Übersetzern für die Einreichung von formellen Beschwerden,
    • sicheren Häusern und befristeter Aufenthaltserlaubnis mindestens bis zum Abschluß des Strafverfahrens gegen die Verbrecher,
    • Beratung über ihr Recht auf Asyl und darüber, wie sie eine einstweilige oder ständige Aufenthaltserlaubnis beantragen können und über die Rückführung ins Herkunftsland;
    • Informationen über die rechtlichen Möglichkeiten der Schadenswiedergutmachung;
    • Arbeitserlaubnis und Möglichkeit einer Ausbildung für die Aufenthaltszeit des Opfers im Ausland,
    • Rückkehrhilfen

Das Europäische Parlament sieht die verschleppten Frauen als Verbrechensopfer und nicht als Täterinnen an. Es fordert drakonische Strafen für die Mitglieder von Händlerringen und für Zuhälter. Die Haftstrafe darf nicht niedriger sein als die Höchststrafe bei Vergewaltigungen, wird von den EuropapolitikerInnen angemahnt. Weiterhin fordern sie hohe Geldstrafen, die Aberkennung von Bürgerrechten einschließlich des Einzugs von Paß und anderen Reisedokumenten, Einschränkung bei der Ausübung spezifischer Berufstätigkeiten und Ausweisung nach Vollstreckung der Strafe. Außerdem sollen die Lokale geschlossen werden, in denen die Opfer des Menschenhandels gegen ihren Willen arbeiten

[Seite der Druck-Ausg.: 25]

mußten; die Gewinne aus der Straftat und die damit erworbenen Güter und Immobilien sollen konfisziert werden, um eine Art finanziellen Ausgleich für die Opfer zu schaffen.

Vergleicht man diese Forderungen der Europaabgeordneten mit der Realität, dann können alle haupt- und ehrenamtlichen Beraterinnen, die sich für die Opfer des Frauenhandels einsetzen, dem nur bittere Beispiele aus ihrer täglichen Arbeit gegenüberstellen: Die Abschiebegefängnisse sind voll mit Frauen, die von der Polizei als illegale Prostituierte aufgegriffen worden sind. Oft ist nach Razzien das Interesse der Behörden an einer raschen Abschiebung größer, als das Interesse an einer Zeugenaussage. Häufig, so die Erfahrung in den Beratungsstellen, werden die Frauen nach der Abschiebung schon von einem Zuhälter am Bahnhof oder Flughafen erwartet und am nächsten Tag wieder illegal über die Grenzen zurück nach Westeuropa transportiert.

Von Sicherheit für die Frauen, wenigstens bis zum Ende von Gerichtsverfahren, kann trotz einzelner Zeugenschutzprogramme keine Rede sein. Die unter anderem für Betrugsbekämpfung zuständige EU-Kommissarin Anita Gradin beklagt, daß Drogenkriminalität mit Gefängnisstrafen bis zu zwölf Jahren bestraft wird, die Täter der organisierten Frauenhändlerringe und die einzelnen Zuhälter aber häufig mit anderthalb Jahren Haft davonkommen, weil sie nur wegen Förderung der Prostitution, nicht aber wegen Menschenhandels verurteilt werden.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 1999

Previous Page TOC Next Page