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Zur Definition von Frauenhandel

Über die Definition von Menschenhandel beziehungsweise Frauenhandel besteht innerhalb der Staatengemeinschaft keine Einigkeit. Während in Deutschland - wie in einer großen Zahl anderer Staaten - von Frauenhandel nur im Zusammenhang mit sexueller Ausbeutung gesprochen wird, hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen den Begriff 1994 Frauenhandel definiert als

„unerlaubte und heimliche Verbringung von Personen meist aus Entwicklungsländern und einigen Übergangsstaaten über nationale und internationale Grenzen mit dem Endziel, Frauen und Mädchen in sexuell und wirtschaftlich unterdrückende und ausbeuterische, für Anwerber, Händler und Verbrechersyndikate jedoch gewinnbringende Situationen sowie in andere illegale Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Frauenhandel, wie erzwungene Beschäftigung als Hausangestellte, Scheinehen, heimliche Beschäftigungsverhältnisse und Scheinadoptionen zu drängen."
(3. Bericht der VN-Sonderberichterstatterin zu „Gewalt gegen Frauen" im Februar 1997).

Nach der Definition in einer Mitteilung der Europäischen Kommission wird Frauenhandel definiert als

„das Verschleppen von Frauen aus Drittländern in die Europäische Union zum Zwecke sexueller Ausbeutung (eventuell mit weiteren Transporten innerhalb der Mitgliedstaaten). Unter Frauenhandel mit dem Ziel sexueller Ausbeutung fallen Frauen, die durch Einschüchterung oder mit Gewalt zur Prostitution gezwungen werden. Dabei ist eine etwaige ursprüngliche Einwilligung der Frauen insofern unbedeutend, als einige Frauen zwar wissen, daß sie als Prostituierte arbeiten werden, dann aber anerkennen müssen, daß sie ihrer menschlichen Grundrechte beraubt und unter sklavenmäßigen Bedingungen ‘gehalten’ werden."

Innerhalb der Europäischen Union wird von Frauenhandel nur im Zusammenhang mit Zwangsprostitution oder anderen erzwungenen Jobs im Sex-business gesprochen. Illegale Arbeit bei niedrigsten Löhnen, Heiratshandel, erzwungene Ehen mit Zuhältern, durch die Prostituierte auch bei Razzien in Bordellen vor Ausweisung „geschützt" sind - das alles sind im strafrechtlichen Sinne keine Menschenhandelsdelikte. Osteuro-

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päische Frauen werden fast nur zum Zwecke der Prostitution angeworben, denn in keinem anderen Bereich lassen sich mit der Arbeit der Frauen so hohe Gewinne erzielen.

Mit Vorsicht sind Zahlen zu bewerten, die Auskunft geben sollen über das Wissen der Frauen über ihre künftigen Einsatzorte. Selbst wenn über den Job in Bordellen oder Erotikbars offen gesprochen worden ist, geben die Frauen das nur ungern zu. Glaubwürdiger ist dagegen immer die Versicherung, nicht im entferntesten hätten sie vorausgesehen, unter welchen Bedingungen sie ihre sexuellen Dienstleistungen erbringen mußten, ganz zu schweigen von den Erniedrigungen und Quälereien, die sie durch ihre Peiniger erleben mußten.

Eine Befragung der Opfer brachte, je nach Herkunftsland, höchst unterschiedliche Ergebnisse: Polnische Frauenverbände beispielsweise schätzen, daß 60 Prozent der angeworbenen Frauen mit ihrem Einsatz als Stripteasetänzerinnen in sogenannten Erotikbars rechnen und zur Prostitution bereit sind. Etwa 10 Prozent glaubten, sie würden im Westen einen Ehemann finden. Der Rest verließ sich darauf, der Arbeitsort sei ein privater Haushalt oder eine Gaststätte. Expertinnen aus den ehemaligen Sowjetrepubliken wiederum vermuten, daß nur 25 Prozent der Frauen bei der Anwerbung bewußt gewesen sei, sie würden als Prostituierte vermittelt. Eine etwa gleich große Gruppe glaube an eine Heirat im Westen, etwa die Hälfte der Frauen erwarte Arbeit als Kellnerin oder Putzfrau.

Angeworben werden die Mädchen und Frauen auf vielfältige Art, teilweise ganz offen in Kleinanzeigen der Zeitungen. Oft werden sie in Lokalen angesprochen, die Treffpunkte für junge Leute sind. Abenteuerlustigen Mädchen werden Reisen und mögliche Karrieren als Models versprochen. In den Herkunftsländern gäbe es kaum Aufklärung und Information, wird bei deutschen Staatsanwaltschaften und der Polizei geklagt. Frauengruppen und Politikerinnen in den Herkunftsländern sehen das ähnlich und kritisieren offen die gleichgültige Haltung von Polizei und Behörden in ihren Ländern.

Ein deutliches Licht auf die Situation in Osteuropa wirft der Erfahrungsbericht von Kölner Kriminalbeamten, die wegen eines Ermitt

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lungsverfahren zum „schweren Menschenhandel" zahlreiche Gespräche in Danzig geführt hatten. Ein Oberstaatsanwalt aus Köln, als Sachverständiger zu einer Anhörung des Bundestages geladen, zitiert aus dem Erfahrungsbericht der Beamten:

„Gegenwärtig betrachten die Polen Deutschland nicht als fremdes, sondern als benachbartes Land. Vor diesem Hintergrund tendiert man dazu, die Hilflosigkeit von jungen polnischen Frauen im Ausland zu verkleinern. Man vertröstet sich, daß diese Entfremdung mit der Situation von Frauen, die aus den ostasiatischen Ländern eingeschleust werden, nicht vergleichbar sei. Da Polen und Deutschland gemeinsam zu Europa gehören, seien die kulturellen, sittlichen und rechtlichen Unterschiede zwischen beiden Ländern nicht so radikal, daß sie durch eine erwachsene Person nicht überwunden werden könnten. (...) Die polnische Seite neigte dazu, das Phänomen der Prostitution von polnischen Frauen in Deutschland als eher intern deutsches Problem zu erfassen, das strafrechtlich in der Verfolgung illegaler Beschäftigung besteht. Der Vorwurf des Menschenhandels hingegen wurde als schwer nachweisbar betrachtet, da die Frauen die Möglichkeit hätten, sich an die Polizei oder die polnische Botschaft zu wenden."
(Schriftliche Stellungnahme bei der öffentlichen Anhörung des Bundestags zum Thema Frauenhandel am 27.Mai 1998).

Ähnlich, so die Erfahrung eines Staatsanwalts, reagierten russische Polizeidienststellen. Man sei schon mit der Bekämpfung ihrer im Inland tätigen Kriminellen hoffnungslos überfordert, Menschenhandel sei Aufgabe der westeuropäischen Länder, werde abgewehrt.

Entsprechend ohnmächtig fühlen sich die Hilfsorganisationen in den Herkunftsländern. Die Mittel sind, trotz finanzieller Unterstützungen aus dem Ausland, sehr begrenzt. So hat beispielsweise La Strada nur in den Hauptstädten (Warschau, Prag und Kiew) Anlaufstellen, müßte aber auch in der Provinz und vor allem an den Grenzen präsent sein, um zu verhindern, daß abgeschobene Frauen nicht wieder von den Händlern in Empfang genommen werden. Die Mitarbeiterinnen halten zwar engen Kontakt zu Beratungs- und Hilfestellen im Westen, doch viel zu wenig Opfer wissen von der Existenz solcher Einrichtungen und deren Notruftelefonen. Hier müßte sehr viel mehr Aufklärungsarbeit geleistet werden, etwa mit Broschüren und Adressenlisten für Notfälle schon bei der Erteilung der Visa, fordern die Nichtregierungsorganisationen.

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In Deutschland kümmert sich beispielsweise SOLWODI (Solidarity with women in distress/Solidarität mit Frauen in Not) um Opfer und übt heftige Kritik an den Opferschutz- und Zeugenschutzprogrammen. Nach einer Untersuchung, die SOLWODI für das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gemacht hat, wurden 1996 nur 1,9 Prozent der Opferzeuginnen von Menschenhandel in dieses Programm aufgenommen. Die anderen galten nicht als gefährdet, ihre Aussagen wurden als nicht relevant eingestuft. Viele bekamen auch keine Chance, weil sie wegen falscher Papiere etc. als Beschuldigte, also als kriminell eingestuft wurden. Ohne der Zusage von Schutz, Unterbringung in sicheren Wohnungen und Hilfen zum Lebensunterhalt aber war keine der Frauen bereit und in der Lage, auszusagen. Sie wurden daher abgeschoben. SOLWODI fordert deshalb ein institutionalisiertes Zeugenschutzprogramm (etwa nach holländischem Vorbild). Unumgänglich sei, so Schwester Lea Ackermann von SOLWODI, auch die Anerkennung von sexueller Ausbeutung und Gewalt als weiterer Asylgrund. Und nicht zuletzt halten die Expertinnen eine Entkriminalisierung der Frauen für notwendig, so weit es sich um Verstöße gegen das Ausländerrecht handelt. Denn: „Die erzwungene Einreise darf nicht als Hauptgrund für Kriminalisierung gelten; die Frauen sind keine Täterinnen. Ihr illegaler Status ist nicht als Straftat zu kriminalisieren," appelliert SOLWODI an die Gesetzgeber.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 1999

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