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TEILDOKUMENT:
Mit dem Zusammenbruch der alten Staatsstrukturen verschwanden auch in Albanien die Handlungskompetenzen der Berufsverbände der kommunistischen Zeit (BPSH), die früher direkt vom Staat finanziert wurden. Genau in dieser Zeit entstand in Albanien zum ersten Mal in seiner Geschichte eine echte gewerkschaftliche Bewegung, die damals eine entscheidende Rolle bei den politischen Umgestaltungen spielte. Doch macht diese Bewegung in den drei letzten Jahren kaum mehr Fortschritte. Denn der Aufbau des neuen Wirtschaftssystems schuf ernsthafte Schwierigkeiten und Hindernisse für ihre Existenz.
Die Gewerkschaftsdachverbände und ihre Organisation
Die bedeutendsten Gewerkschaftsverbände in Albanien sind:
Diese Mitgliederzahlen sind aber mit großem Vorbehalt zu trachten, und zwar aus verschiedenen Gründen. Derzeit sind die größten Dachverbände kaum aktiv. Daher ist anzunehmen, daß auch ihre Mitgliedschaft eher aus fiktiven Zahlen besteht. Den offiziellen Angaben nach arbeiteten im staatlichen Sektor im Jahr 1996 (also vor der bewaffneten Volksprotest gegen die Regierung Berisha) nicht mehr als 175 000 Beschäftigte. In der Folge der Ereignisse gingen eine Menge von damals noch funktionierenden Betrieben Pleite oder wurden danach zerstört. Neue Arbeitsplätze entstanden auch während des Jahres 1998 kaum. Offiziell konnten bis jetzt nur 15 000 Arbeitslose eine feste Arbeitsstelle und weitere 20 000 eine Teilzeitarbeit finden. Die Zahl der Entlassungen wurde nicht bekanntgegeben. Weiter muß man von diesen Beschäftigtenzahlen eine Anzahl gewerkschaftlich nicht aktiver Beschäftigter abziehen, was die Zahl der möglichen Gewerkschaftsmitglieder noch stärker reduziert. Unter diesen Umständen versuchen die wichtigsten Branchen beider Dachverbände, wie öffentliche Gesundheit, Dienstleistungen, Lehre und Erziehung, Telefon und Kommunikation, zusätzliche Mitglieder für sich zu rekrutieren. Mit Ausnahme der letzten Branche, die immer noch von der KSSH beherrscht wird, gehören 80% - 90% der aktiven Mitglieder anderer Branchengewerkschaften allem Anschein nach zum BSPSH; nur in der Rüstungs- und Chemieindustrie ist die Mitgliedschaft verhältnismäßig gleich verteilt. Gewerkschafter sind heutzutage fast alle im staatlichen Sektor beschäftigt. In den kleinen privaten Unternehmen sind die Arbeitnehmer gewerkschaftlich noch nicht organisiert. Die geringe Zahl und nicht vorhandene Tradition sind die Haupthindernisse, damit sich die Gewerkschaftsbewegung kaum in diesem Sektor herausbilden kann. Alle Organisationen leiden unter der hohen Arbeitslosenzahl, dem Mangel an Großbetrieben und fehlender Bereitschaft ihrer Anhänger, Mitgliedsbeiträge in die Gewerkschaftskasse zu zahlen. Wegen massiver Entlassungen und nachfolgender Privatisierung wird ihre Tätigkeit weitgehend gelähmt. Die Sitze der Dachverbände, die von der Regierung und den internationalen Einrichtungen offiziell anerkannt sind, liegen in der Hauptstadt Tirana. Der KSSH hat 36 Unterbezirke, der BSPSH 27. Auf Kreisebene gibt es einen Gewerkschaftsrat, der alle Arbeitnehmer nach Branchen betreut. Er hat keine eigene Entscheidungskompetenz, sondern leitet nur die Vorschläge der Basis nach oben weiter. Beide Verbände kennen folgende Institutionen:
Beide haben folgende Organe:
Die beiden Verbände gliedern sich in folgende Branchenorganisationen :
Der BSPSH scheint stärker als die KSSH auf Basisebene zu sein, d.h. seine Bezirksstrukturen funktionieren besser und die kleinen Gewerkschaftsstrukturen in einzelnen Unternehmen haben ein gutes Ansehen bei den entsprechenden Arbeitnehmern. Deshalb werden die Tarifverträge bei ihnen in mehreren Fällen mit großer Zustimmung der Gewerkschafter abgeschlossen. 12 von insgesamt 14 dazugehörenden Branchen schließen 70% der Tarifverträge ab, während der Bund auf nationaler Ebene 80% der übrigen Verträge zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern übernimmt. Beim letzten Kongreß des BSPSH, der am 21. Januar 1998 stattfand, wurden Xhevdet Lubani zum neuen Präsidenten und S. Shehu zum Generalsekretär des Bundes gewählt. Dasselbe versucht seit langem auch die KSSH zu verwirklichen. Aber bei ihr existiert immer noch die alte gewerkschaftliche Struktur, d.h. sie hat einen Vorsitzenden, Kastriot Muço, und zwei stellvertretende Vorsitzende: A. Xhomo und Xh. Dobrushi für die Föderationen Landwirtschaft und Ernährungsindustrie bzw. Ausbildung und Wissenschaft zuständig. Die KSSH bemüht sich auch um andere wichtige Sektoren, wie Bergbau und Großhandel, wobei die Arbeiter kaum Kenntnisse von den modernen Gewerkschaftsorganisationen haben. In der Landwirtschaft fällt die Schwäche der Gewerkschaften besonders auf. Die Mitgliedsbeiträge (10 - 20 Lek im Monat, oder 0.5% des Monatsgehaltes) werden immer noch von den Gewerkschaftsräten gesammelt und dann direkt an den Sitz in Tirana geschickt, weil die Kreisstrukturen keine Recht haben, bestimmte Einnahmen zu ihrer Tätigkeit einzubehalten. Ein gutes Beispiel dafür ist die UG Energie der BSPSH, die von allen Mitgliedern (ca. 37 000 Leute) den Beitrag durch check-off kriegt. Die KSSH hält sich in erster Linie an ihr Vermögen, weil ihre Strukturen immer noch wie früher funktionieren. Das Vermögen der ex-kommunistischen Gewerkschaften wurde auf die neu gegründeten Gewerkschaften gleichermäßig verteilt. Sie sind deshalb im Besitz der 16 ehemaligen Ferienheime. Durch ihre Vermietung werden die entsprechenden Verwaltungs- Strukturen finanziert. Die KSSH hat ihr zur Verfügung gestelltes Vermögen durch Vermietung besser verwaltet, während der BSPSH es in einzelnen Fällen verkauft hat, was mit persönlichen Interessen seines Vorstandes in Einklang stand. Einzelne Branchen sind schon Mitglieder der internationalen Organisationen. So gehören die oben genannten Branchenverbände in der Regel den entsprechenden Berufssekretariaten an.
Gewerkschaften und Politik
Die albanischen Gewerkschaften sind stark politisiert. Ihre Instrumentalisierung für politische Zwecke behindert die eigentliche gewerkschaftliche Interessenvertretung und die Kooperation zwischen den Dachverbänden erheblich. Politische Konflikte wurden von der Regierung und Parteien in Gewerkschaften hinein getragen und haben zu Streitigkeiten, ja Spaltungen (z.B. bei der BSPSH) geführt, die in der Folge auch die Gerichte beschäftigte.. In der letzten Zeit versuchen die beiden größten Verbände immer mehr, eine Unabhängigkeit von den ihnen nahestehenden politischen Parteien zu schaffen. Am bedeutendsten macht sich dieser Trend in der KSSH bemerkbar, obwohl man weiterhin den Eindruck hat, sie stände mit der jetzigen Linksregierung im Einklang. Der Vorsitzende Muço hat persönlich Initiativen unternommen, mit Spitzenvertretern der Koalitionsparteien regelmäßig ins Gespräch zu kommen, um durch gemeinsame Maßnahmen die Forderungen der Arbeitnehmer an die Regierung so bald wie möglich durchzusetzen. Trotzdem haben inzwischen einige Branchen die vom Parlament verabschiedeten Wirtschaftsgesetze hart kritisiert und üben auf ihren Vorstand ständigen Druck aus, um Lohn - und Rentenerhöhungen gemäß der Inflationsraten zu erhalten. Auf dem Lager des BSPSH, versucht der aktuelle Präsident Lubani auch ständig, den Verband von direkten politischen Einflüsse fern zu halten. Es ist ihm gelungen, alle Gewerkschaftsverbände einander näher zu bringen. Dies hat beispielsweise zu einer hohen Teilnahme der Arbeiter (bis zu 80%) an den von Verbändern gemeinsam organisierten Streiks geführt. Die Konföderation (KSSH) ist seit ihrer Gründung immer bereit gewesen, mit den übrigen Gewerkschaften zusammenzuarbeiten. Das wurde aber vom BSPSH-Vorstand bis zu der Zeit, als Herr Xheka in der Spitze war, kategorisch abgelehnt. Erst nach dem Machtwechsel im Juni 1997 änderten die neuen Gewählten ihr Verhalten. Der SPM widersetzte sich den anderen Dachverbänden aber weiterhin. In einem Punkt waren sich allerdings alle verbände einig, und zwar mit dem Protest gegen die niedrigen Löhne der Beschäftigten im staatlichen Sektor, obwohl sich der gewerkschaftliche Widerstand dagegen meistens auf die Abgabe von Erklärungen in der Öffentlichkeit und im Rahmen des Nationalen Arbeitsrates beim Ministerium für Arbeit und Soziales beschränkt. Nur einige Ausnahmen auf Landesebene sind zu erwähnen: Am 4. Oktober 1996 und am 12. März 1998 riefen die beiden größten Dachverbände (KSSH und BSPSH) zu einem eintägigen Generalstreik auf, um die Schlüsselsektoren der Wirtschaft lahmzulegen. Doch wiederholte die damalige Regierung erneut, es werde keine Lohnerhöhung geben. Der Staat fürchtet die Gewerkschaften nicht, da sie keine reale Macht haben, womit sie die Regierung bedroht könnten. In einer solchen Situation wurde damals der gewerkschaftliche Kampf auf die Abgabe gegenseitiger Erklärungen reduziert, bei der es keine Verlierer geben kann. Die Verhältnisse zwischen den größten Dachverbänden haben sich seit dem Jahr 1997 gründlich verbessert, obwohl einige Widersprüche bezüglich der Gewerkschaftsaktionen doch weiter existieren. Der BSPSH kennt jetzt als einzigen Partner in Albanien nur die KSSH und umgekehrt. Nach gegenseitigen Gesprächen ist es ihnen gelungen, alle Tarifverträge erstes Niveaus in sechs öffentlichen Sektors (Bildung, Gesundheit, Transport, Landwirtschaft und Nahrung, Handel, Bauwesen) mit den entsprechenden Ministerien zusammen abzuschließen. Als Grundlage einer gemeinsamen Strategie in Bezug auf Interessenvertretung der Arbeitnehmer gelten folgende Punkte:
In diesem Rahmen wurde am 15. Januar 1999 ein unbefristeter Generalstreik von der Föderation für Bildung und Wissenschaft bei der KSSH organisiert, aber auch von anderen Gewerkschaften beider Verbände unterstützt, der nach einer Woche mit Erfüllung einiger Ansprüche von Gewerkschaften seitens der Regierung endete. Entspechend einem Abkommen mit der letzten PD - Regierung, das noch heute in Kraft ist, sollen die Gewerkschaften nur dann in einen Generalstreik eintreten, wenn sie dies vorher mit dem Nationalen Arbeitsrat abgestimmt hätten. Diese Einrichtung, mit Sitz beim Ministerium für Arbeit und Soziales, funktioniert auf der Basis des Tripartismus: 5 Minister, die für die Arbeitsbeziehungen zuständig sind, 10 Vertreter der Gewerkschaften und 10 Vertreter von Arbeitgebern. Seit einem Jahr hat er aber keinen Beschluß über soziale Probleme mehr getroffen. Die aktuelle Regierung will den Arbeitsrat durch einen sogenannten Gewerkschaftlichen Runden Tisch" ersetzen. Die Lage innerhalb des Rates scheint momentan ungünstig für die Gewerkschaften zu sein. Die Minister - mit Ausnahme des Arbeitsministers, welcher gleichzeitig Vorsitzende des Arbeitsrates ist, nehmen selten an seinen Sitzungen teil. Die Arbeitgeberseite blockiert Entscheidungen, weil sie jetzt beabsichtigt, die großen Schäden in der Folge der Wirtschaftskrise auf Kosten der Arbeitnehmer zu beheben. Der BSPSH hat klargemacht, daß er den geplanten Runden Tisch boykottieren wird. Als die Demokraten regierten, hatte die Konföderation die von der Demokratischen Partei initiierte Wirtschaftsreform in ihren wichtigsten Punkten hart kritisiert. Bei Gesprächen und öffentlichen Erklärungen hat ihr Vorstand geäußert, die lebensfähigen Betriebe seien durch eine falsche Strategie in den Ruin getrieben, die Privatisierung sei regelwidrig durchgeführt worden, da sie durch einen Regierungsbeschluß und nicht durch entsprechende Parlamentsgesetze eingeleitet wurde, das Nationalvermögen sei nicht gerecht verteilt worden, so daß nur ein kleiner Teil davon profitiert habe. Mit diesen Vorwürfen gewann die KSSH damals viele Anhänger unter der Arbeitnehmerschaft. Jetzt erscheint die Situation umgekehrt: der Strategie seitens der neuen Regierung in Bezug auf die kleinen und mittleren Unternehmen setzt sich die KSSH zwar nach wie vor entgegen, aber diesmal liegt der Schwerpunkt der Kritik bei den Branchenverbänden der BSPSH und SPM, weil dort viele ihrer Mitglieder ihre Arbeitsplätze verlieren sollen. Am 4. März 1998 hat der BSPSH - Nationalrat Forderungen im Namen der Arbeitnehmer formuliert und an die Regierung geschickt. Bis jetzt hat er aber keine Antwort darauf bekommen. Unter seiner Initiative wurde am 19. Mai 1998 ein Gesprächstisch aller politischen Parteien einberufen, wobei nur die Oppositionsparteien und unabhängige Verbände teilnahmen. Daher ist auch dieses Treffen erfolglos verlaufen. Als dritter Schritt wurde am 29. Mai 1998 beschlossen, mit den gewerkschaftlichen Aktionen anzufangen, und sie wurden hauptsächlich im Bildungs - und Gesundheitssektor organisiert. Sie setzten sich in einigen Städten fort, obwohl ein Abkommen mit der KSSH - Branche für Bildung abgeschlossen wurde, das einige Ansprüche seitens der Arbeitnehmer erfüllte. Ebenso finden kontinuierlich einzelne Streiks in anderen Sektoren statt, wie in der Zementfabrik in Fushë - Krujë, im Brauerei und Handelswesen in Tirana, in der Werft in Durrës, im Zuckerkombinat in Maliq etc., deren Arbeiter völlig unzufrieden mit den Gehältern und Arbeitsbedingungen sind.
Das gesellschaftlich - politische Klima der letzten Wochen läßt jedoch erhoffen, daß die albanischen Gewerkschaftsverbände einen Konsens finden könnten. Als Hauptgrund dafür dienen in erster Linie die gemeinsamen Probleme wie die Zunahme der Armut, Preiserhöhungen, die Zunahme der Arbeitslosigkeit und das neue Steuersystem. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juni 1999 |