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MAZEDONIEN



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Der mazedonische Gewerkschaftsbund (SSM)

Der mazedonische Gewerkschaftsbund hat sich mit seinem Kongreß im Dezember 1997 eine neue Satzung gegeben und einige organisatorische Veränderungen vorgenommen. Er versteht sich als Dachorganisation der in ihm zusammengeschlossenen Branchengewerkschaften. Zum Zeitpunkt der Kongresses waren es 15 Branchengewerkschaften; heute sind es 18, da sich die Beschäftigten der Elektroindustie von der Metallgewerkschaft abgespalten haben, die Gewerkschaft Verkehr und Fernmeldewesen sich aufgespaltet und sich eine neue Gewerkschaft der Beschäftigten im Verteidigungssektor gebildet hat. Dieser "Spaltungsprozeß" bestehender Branchengewerkschaften scheint noch nicht abgeschlossen, da es auch in anderen Branchengewerkschaften Bestrebungen dazu gibt. Für diesen Prozeß gibt es oft keine rationalen politischen Gründe, sondern sie sind häufig in der Mentalität der handelnden Personen begründet:: "Jeder möchte gerne Präsident sein".

Diese Mentalität macht sich die Führung des SSM zu nutzen. Sie ist in ihrem Politikverständnis noch stark vom alten Systemverhalten geprägt. Branchengewerkschaften werden über Gespräche oder Verhandlungen nicht oder nur unzureichend informiert. Kritik wird nicht akzeptiert sondern als Angriff auf den SSM verstanden. Das Mittel der Aufspaltung führt somit kurzfristig zu loyalen Kleingewerkschaften im Verhältnis zum SSM.

In Satzung und Struktur erscheint der SSM nach außen als ein Dachverband mit Branchengewerkschaften, ähnlich wie der DGB. Betrachtet man jedoch die innere Struktur, stellt man ein anderes Organisationsmodel fest. Die Branchengewerkschaften bilden sich aus relativ selbständigen Gewerkschaftsorganisationen mit eigener Finanzhoheit. Die Notwendigkeit, die Politik der Branchengewerkschaften gemeinsam zu diskutieren und zu vereinbaren, wird nicht gesehen. Dies kann dazu führen, daß sich Gewerkschaftsorganisationen eines Industriezweiges oder der Verwaltung zusammenschließen, um wiederum eigene Branchengewerkschaften zu bilden, und aus der ehemaligen gemeinsamen Gewerkschaft auszutreten.

Gefördert wird diese Entwicklung durch das System der Finanzierung . Auf dem letzten Kongreß des SSM wurde beschlossen: 30% der Mitgliedsbeiträge werden an den SSM abgeführt, 30% an die Branchengewerkschaften und 40% verbleiben in den Grundorganisationen. Viele Grundorganisationen setzen die Pflicht zur Abführung an die Branchengewerkschaften als Druckmittel für ihre Interessen ein, so daß die Branchengewerkschaften oftmals keine eignen Sachmittel zur Verfügung haben.

Bei genauer Betrachtung kann man deshalb das bestehende Gewerkschaftsmodell folgendermaßen charakterisieren: Es gibt einen Dachverband mit Branchengewerkschaften, und daneben noch zahlreiche mehr oder weniger selbständige Betriebsgewerkschaftsorganisationen.

Der SSM stützt sich auf die SSM-Gliederungen in den Regionen. Die ursprünglich bestehenden Stadtgewerkschaftsorganisationen wurden nach der politischen Gemeindereform - früher 34 Gemeinden, jetzt 123 - aufgelöst und in Regionalorganisationen umgebildet. Diese Regionalorganisationen sind der Spitze des SSM verpflichtet. Die Spitze des SSM ist der Präsident. Er hat nach der Satzung sehr weit gehende Befugnisse.

Die mit dem letzten Kongreß eingeleiteten Politik wird von vielen Gewerkschaftsvorsitzenden als Stärkung des SSM und Schwächung der Branchengwerkschaften bezeichnet. An dieser Entwicklung wird zunehmend Kritik geübt. Es gibt Bestrebungen einiger Industriegewerkschaften, enger zusammenzuarbeiten, mit dem Ziel eines Zusammenschlusses. Aber auch eine Reform innerhalb der Branchengewerkschaften wird angestrebt. Die bedauerliche Konkurrenz zwischen den Grundorganisationen und Branchengewerkschaften - z.B. um eine solidarische Tarifpolitik gestalten zu können - wird zunehmend Diskussionsschwerpunkt von reformorientierten Kräften innerhalb der Branchengewerkschaften.

Diese Entwicklung darf nicht losgelöst von der politischen Situation in Mazedonien gesehen werden. Waren die Gewerkschaften - trotzt anders lautender Äußerungen - in der Vergangenheit Teil des politischen Systems so müssen sie heute - nach den Parlamentswahlen und dem Regierungswechsel von 1998 - erkennen, daß sie in der Opposition zum politischen System stehen. Auf diese neue Rolle sind die Gewerkschaften nicht vorbereitet - weder organisatorisch noch programmatisch.

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Tarifvertragssystem

Das Tarifvertragssystem hat drei Ebenen:

  1. der nationale Rahmentarifvertrag für das produzierende Gewerbe und für die öffentliche Verwaltung,
  2. die Branchentarifverträge und
  3. die Betriebstarifverträge.

In der ersten Stufe verhandelte der SSM mit der Handelskammer als Vertretung der Arbeitgeber nationale Rahmentarifverträge. Selbständige Arbeitgeber waren nicht vorhanden, da der Privatisierungsprozeß noch nicht eingeleitet war. Grundlage für die Verhandlungen war das vom Parlament verabschiedete Arbeitsgesetz. Bis heute ist umstritten ob Regelungen, z.B. Kündigungsschutz oder Arbeitszeit im Arbeitsgesetz abschließend geregelt sind oder durch Tarifverträge gestaltet werden können. Die Tarifvertragsparteien haben kein adäquates Verständnis von der Normenhierarchie und von der Systematik der verschiedenen Rechtswege. Dies gilt auch im Verhältnis zwischen Branchentarifvertrag und Betriebstarifvertrag.

In der Realität haben die nationalen Tarifverträge und die Branchentarifverträge keine Wirkung. Sie bilden nur den Rahmen für die Verhandlungen auf betriebliche Ebene, d.h. erst wenn ein Branchentarifvertrag abgeschlossen ist, darf ein betrieblicher Tarifvertrag abgeschlossen werden. Jedoch ist völlig unklar welche Vereinbarungen für eine Branche allgemein verbindlich sind und welche Teile auf betrieblicher Ebene gestaltbar sind. Im Extremfall kann auf betriebliche Ebene der Branchentarifvertrag außer Kraft gesetzt werden. Ansprüche auf Leistung bestehen erst wenn ein Betriebstarifvertrag abgeschlossen ist. Viele Betriebe weigern sich in Verhandlungen zu treten, oder bestehende Verträge werden nicht eingehalten.

Verantwortlich für die Verhandlungen auf Betriebsebene sind die Betriebsgewerkschafts-organisationen. Dies führt zu den unterschiedlichsten Ergebnissen, da es innerhalb der Gewerkschaft keine gemeinsame solidarische Tarifpolitik gibt. Die Branchengewerkschaften sind nicht beteiligt und haben auch keinen Einfluß auf mögliche Streikaktionen. Diese werden in eigener Verantwortung durch die Grundorganisationen organisiert und durchgeführt.

In diesem Zusammenhang ist wichtig festzustellen, daß es kein Rechtssystem gibt, um die Ansprüche durchzusetzen. Arbeits- und Sozialgerichte sind nicht vorhanden. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen oft monatelang auf Lohnzahlungen warten. Politisch hat dies zur Folge, daß nicht darüber diskutiert wird wie ein funktionsfähiges Rechtssystem aufgebaut werden kann, sondern es wird vom Staat die Festlegung eines Mindestlohnes gefordert, in der Hoffnung, daß die jetzt teilweise privatisierten Betriebe sich an die Vorgaben des Staates halten werden.

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Privatisierung

Der Privatisierungsprozeß begann in 1990 (noch nach dem Gesetz von Ex-Jugoslawien). Die Regierung erfüllte damit eine Forderung des IWF, der davon die weitere Zahlungen abhängig machte. Das Gesetz sieht vor, daß die Arbeitnehmer Aktien "ihres" Betriebes kaufen können; Ziel ist, daß die Betriebe zu 100% in den Besitz der Beschäftigten übergehen, mindestens jedoch zu 51%.

Die Finanzierung erfolgte über den Kauf von Aktien, in der Mehrzahl wurden diese Aktien jedoch für ausstehende Löhne ausgegeben. Bei genauer Betrachtung handelt es sich jedoch nicht um Aktien, sondern um Anteilscheine. Diese Politik der Regierung wurde von den Gewerkschaften massiv unterstützt, indem die Beschäftigten aufgefordert wurden Aktien "ihrer Betriebe" zu kaufen. Die Hoffnung war, damit alle Arbeitsplätze sichern zu können. Aus der Sicht der Regierung war dieser Schritt notwendig, da sie sich so von großen ökonomischen Belastungen befreien konnte. Den Beschäftigten als neuen Eigentümern wurden die gesamten Lasten, d.h. die Schulden aufgebürdet - die größte Zahl der Betriebe war hoch verschuldet.

Der Zeitpunkt des Beginns der Privatisierung fiel in eine ungünstige Konjunktur. Durch die Verhängung der internationalen Sanktionen gegen Serbien im Mai 1992 fiel für Mazedonien der wichtigste Handels- und Wirtschaftspartner weg, mit dem einst zwei Drittel des Warenaustausches abgewickelt worden waren. Im Februar 1994 kam dann noch das Embargo Griechenlands hinzu. Von dieser Situation hat sich die mazedonische Wirtschaft bis heute noch nicht erholt. Außen den Schulden und den Wirkungen des Wirtschaftsembargos haben die Betriebe ein weiteres Problem: Ca. 30-40% der Beschäftigten sind sog. ."technologischer Überschuß", d.h. Beschäftigte, die nicht mehr produktiv eingesetzt werden können.

Diese Faktoren erschweren eine wirtschaftliche Sanierung der Betriebe. Da der Staat keine sozialpolitischen Begleitgesetze für einen Sanierungsprozeß der Wirtschaft erlassen hat, sehen sich die Betriebe nicht in der Lage entsprechende Konzepte zur Sanierung zu entwickeln. Die hohen Schulden und die hohen Kosten haben zur Konsequenz, daß das Kapital für die Erneuerung der Betriebe und zur Zahlung der Löhne fehlt. Viele Betriebe zahlen die Löhne mit mehrmonatiger Verspätung aus, und zahlen keine Sozialversicherungsbeiträge. Diese Situation führt sehr oft dazu, daß Belegschaften mit Streiks die Zahlung von Löhnen erzwingen wollen, obwohl meistens objektiv kein Geld vorhanden ist, da sie vermuten, daß die Direktoren vorhandene Gelder umleiten (was in einigen Fällen durchaus zutreffend ist).

In vielen Betrieben hat sich jetzt das Verfahren durchgesetzt, "Aktien" an ausländische Investoren zu verkaufen, um das notwendige Kapital für Erneuerung zu bekommen, und um sich neue Märkte zu erschließen. Trotz durchaus bestehendem Interesse ausländischer Investoren scheitern die Verhandlungen oft an der Forderung, die Betriebe zuvor von "technologischer Überschuß" zu befreien. Das Arbeitsgesetzbuch und die Tarifverträge sehen ein Kündigungsverbot vor.

Die Gewerkschaften selbst und insbesondere die Grundorganisationen in den Betrieben haben in der Vergangenheit kein Konzept zur wirtschaftlichen Reform entwickelt. Im Gegenteil, sie haben bei den Beschäftigten den Eindruck vermittelt, mit dem Kauf der "Aktien" seien die Arbeitsplätze sicher. Dies führte zur der merkwürdigen Situation, daß eher darüber nachgedacht wurde, wie man die Aktionäre absichern kann, und nicht, wie die Interessen von Arbeitnehmern gegenüber dem Staat und in den privatisierten Betrieben vertreten werden müssen.

Das von der alten Regierung verabschiedete Handelsgesetz sieht zwar eine Beteiligung im Verwaltungsausschuß der Betriebe vor, jedoch sind die Beteiligungsrechte nicht weiter definiert. Von einer Mitbestimmung kann nicht gesprochen werden. Unklar ist deshalb, wie die Interessen von Arbeitnehmern im Betrieb vertreten werden können. Dort, wo ausländisches Kapital vertreten ist, werden die gewerkschaftlichen Grundorganisationen oft nicht als kompetenter Verhandlungspartner akzeptiert. Erst langsam beginnt die Diskussion innerhalb der Gewerkschaften über die Notwendigkeit ein Mitbestimmungsgesetz und ein Betriebsrätegesetz zu fordern. Die Erfahrungen mit dem Prozeß der Privatisierung sind auch ein Grund über eine grundsätzliche Reform gewerkschaftlicher Organisation und Politik nachzudenken.

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Die Union der unabhängigen Gewerkschaften

In Ex-Jugoslawien bestand ein Gewerkschaftsbund, an dem sich die Gewerkschaftsbünde beteiligten; damals gab es keine Branchengewerkschaften. Irgendwann in der Mitte der achtziger Jahren haben die Lokomotivführer eine eigene Branchengewerkschaft auf der Ebene von Jugoslawien gebildet. Am Ende der achtziger Jahren wurden dann im Rahmen des Gewerkschaftsbundes Mazedonien die Branchengewerkschaften gebildet, wobei die Gewerkschaft der Lokführer außerhalb des Bundes blieb.

Als die Privatisierung 1990 begann und viele Arbeitnehmer arbeitslos wurden hat sich die Union der unabhängigen Gewerkschaften offiziell gebildet. Mitglieder wurden vor allem Arbeitslose, sei es, daß sie als "technologischer Überschuß" oder wegen der Konkurse vieler kleiner Betriebe arbeitslos wurden. Weil die Union praktisch kein Geld hatte, hat sie sich der Partei VMRO-DPMNE bei den Parlamentswahlen 1990 angeschlossen, und ist noch heute eng mit dieser Partei verbunden. In den letzten Jahren wurden einige Branchengewerkschaften im Rahmen der Union gegründet, etwa in den Bereichen Verkehr und Bauwesen. Die Union behauptet, sie sei vom EGB aufgenommen worden. Die holländische Regierung hat 1998 Geld zur Verfügung gestellt, mit dem die Union eine Stiftung gegründet hat. Auch das PHARE-Programm hat 1998 ein Programm zur Fortbildung unterstützt, an dem italienische Gewerkschaftler beteiligt sind.

Der SSM wollte keine Zusammenarbeit mit der Union haben, auch in denjenigen Betrieben nicht, in denen es Mitglieder der Union gab. Bei Tarifverhandlungen mit der Handelskammer oder der Regierung wurde immer mit dem SSM als der mehrheitlichen Gewerkschaft verhandelt, ohne Beteiligung der Union.

In den sieben Jahren der Regierung der SDSM hat die Union mehrere Hungerstreiks gegen die Regierung organisiert, mit der Forderung die Privatisierung zu stoppen. Das Verhältnis zwischen beiden Gewerkschaftsverbänden ist weiterhin frostig.

Mit dem Regierungswechsel von der SDSM zur VMRO besteht die Aussicht (und es hat bereits einige Beispiele gegeben), daß eine Reihe von Unternehmen und ihre Arbeitnehmerorganisationen zu der regierungsnahen Union übertreten werden; denn über die Arbeitsplätze entscheidet die Regierung, die in den zwei Monaten ihres Bestehens eine hemmungslose parteipolitisch orientierte Personalpolitik betrieben hat. Für den SSM ist die Konkurrenz zwar sicher nicht schädlich, die enge Bildung der Union an die Regierungspartei und ihre noch sehr schwache organisatorische Basis lassen jedoch befürchten, daß die Arbeitnehmer Mazedoniens auf der nationalen Ebene auch weiterhin auf die dringend notwendige und eine ausreichend qualifizierte Interessenvertretung werden warten müssen.

Diese Ausgabe von Politikinformation Osteuropa beruht auf Berichten unserer Gewerkschaftsberater in Mittel- und Osteuropa


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juni 1999

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