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KROATIEN, BOSNIEN-HERCEGOVINA, BUNDESREPUBLIK JUGOSLAWIEN

Im kommunistischen System des ehemaligen Jugoslawiens hatten die Gewerkschaften eine Rolle eingenommen, die ihnen im stalinistischen Modell zugewiesen wurde: als „Transmissionsriemen" zwischen der Partei (Bund der Kommunisten, BdK) und der Arbeiterschaft (bzw. allen Beschäftigten) zu fungieren. In Jugoslawien gab es jeweils in jeder Teilrepublik einen einzigen Dachverband; die Republikverbände haben dann in paritätischer Weise die Gewerkschaftsorgane auf der Ebene der jugoslawischen Föderation gebildet.

Die Mitgliedschaft in den Gewerkschaften war praktisch obligatorisch (außer den wenigen privat beschäftigten Arbeitnehmern), die Mitgliederbeiträge wurden quasi automatisch vom Lohn abgezogen. Die Gewerkschaften hatten durch ihre monopolistische Position bei den Arbeitnehmern nicht nur eine disziplinierende und im Sinne der BdK-Politik mobilisierende Funktion, sondern erfüllten vor allem auf Betriebsebene bestimmte soziale Funktionen. Sie dienten dort - neben der staatlichen Sozialversicherung – zur Abgabe von sozialen Leistungen: Gewerkschaften organisierten Urlaub und Ausflüge für die Arbeitnehmer, veranstalteten Feste und Jubiläen für Arbeitnehmer, sorgten für billige Anschaffung von Nahrungsmitteln, Textilien u.ä., und beschenkten die Kinder der Beschäftigten. So funktionierten die Gewerkschaften in der Praxis als eine Organisation zur Verstärkung der Betriebssolidarität.

Eine Besonderheit des kommunistischen Systems Jugoslawiens im Gegensatz zu den meisten Ostblockstaaten war, daß es bereits in den 60-er Jahren, und dann besonders in den 80-er Jahren der Wirtschaftskrise, bei Konflikten zwischen Betriebsmanagement und Belegschaft zu Streiks kam. Diese Streiks wurden manchmal von den Selbstverwaltungsorganen der Arbeitnehmer mitgetragen, oft auch „wild" organisiert - aber niemals haben sich die Gewerkschaften an den Streikaktionen beteiligt. Vielmehr traten Gewerkschaftsfunktionäre in Streiksituationen in ihrer disziplinierenden Funktion auf die Seite des Managements bzw. des BdK. Die Streiks wurden ausschließlich auf Betriebsebene organisiert und drehten sich um innerbetriebliche Konflikte, nie haben mehrere Betriebe oder Branchen zusammen gestreikt. Die Streiks waren in der Regel von kurzer Dauer, da die Parteibürokratie den Ausbruch von sozialen Konflikten auch auf betrieblicher Ebene scheute und sich um eine schnelle Lösung bemühte. Die Ideologie der Arbeiterselbstverwaltung machte es ihr schwer, die Konflikte durch Repression abzuwürgen, so daß sie oft die Forderungen der Streikenden erfüllte, dabei dann gleichzeitig das Betriebsmanagement auswechselte. Diese Erfahrungen führten dazu, daß in Jugoslawien eine Tradition von Arbeitskämpfen auf betrieblicher Ebene besteht, bei denen gewissermaßen betrieblicher Egoismus im Vordergrund stand, und bei denen die Gewerkschaften keine oder eine negative Rolle hatten.

Nach dem Systemwechsel 1990 haben sich die Gewerkschaften in den einzelnen Nachfolgerepubliken sehr unterschiedlich entwickelt. Die Veränderungen der Rahmenbedingungen für gewerkschaftliche Arbeit betreffen jedoch alle Länder:

  • das Aufheben der quasi-Zwangsmitgliedschaft in den Gewerkschaften;
  • eine Umstrukturierung der Gewerkschaftslandschaft, bei denen neue Organisationsformen und mehrere konkurrierende Gewerschaftszentralen entstanden;
  • das Ende der Arbeitsplatzsicherheit (die bereits in den 1980-er Jahren erschüttert war) und einen immensen Anstieg der Arbeitslosigkeit;
  • die Privatisierung großer Teile der Wirtschaft und dadurch ein Statuswechsel vieler Arbeitnehmer von öffentlich zu privat Beschäftigten;
  • eine völlige rechtliche Neuordnung der Arbeitsbeziehungen und damit eine Neudefinition der Rolle der Gewerkschaften in der Wahrnehmung der Arbeitnehmerinteressen.

Arbeitnehmerinteressen.

Durch die Organisationsfreiheit hat der Organisationsgrad der Arbeitnehmerschaft abgenommen, sie ist aber weiterhin hoch im Vergleich zu westlichen Staaten.

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Die Gewerkschaften in Kroatien

Die neuen Organisationsformen der Gewerkschaften und die konkurrierenden Gewerkschaftszentralen haben in Kroatien eine komplexe und z.T. unübersichtliche Struktur hervorgebracht. Vor allem haben Einzelgewerkschaften an Bedeutung gewonnen, allerdings gibt es kein einheitliches Prinzip der Organisation: es gibt Berufs- (z.B. die Lokführer bei den staatlichen Eisenbahnen) wie auch Branchengewerkschaften (in den meisten Branchen), zusätzlich bestehen in einigen großen Staatsbetrieben betriebliche Einzelgewerkschaften (mehr als 50% der Wirtschaft ist noch immer im staatlichen Eigentum). Zur Zeit gibt es in Kroatien (4.8 Mio. Einwohner) 23 zentrale Gewerkschaftsbünde (davon vereinigen 7 die meisten Mitglieder) sowie 136 weitere Gewerkschaftsvereinigungen, von denen jede durch ein hohes Maß an politischer Selbständigkeit gekennzeichnet ist.

Die größten Gewerkschaftszentralen sind:

  • Bund autonomer Gewerkschaften Kroatiens (SSSH): der 1990 reformierte sozialistische Gewerkschaftsbund, der bei weitem die meisten Mitglieder hat und sowohl von der Regierung als auch den Arbeitgebern als wichtigster Partner angesehen wird. Er vereint 22 Branchengewerkschaften und hat ca. 500.000 Mitglieder. Aufgrund seiner Mitgliederstärke sowie organisatorischer, personeller und sonstiger Ressourcen versucht er, eine langfristige Gewerkschaftspolitik zu formulieren, die sich deswegen oft moderat im Vergleich zu den kämpferischen Parolen der kleineren Gewerkschaftszentralen ausnimmt. Der SSSH ist seit 1996 Mitglied des ICFTU sowie des ETUC.
  • Konföderation unabhängiger Gewerkschaften Kroatiens (KNSH): entstand bereits 1989 als unabhängige Gewerkschaftszentrale und konnte dadurch wichtige internationale Verbindungen knüpfen; ist aber heute aufgrund geringer Mitgliederzahl und geschwächter Führung praktisch bedeutungslos.
  • Kroatische Gewerkschaftsvereinigung (HUS): entstand 1991 als Versuch, eine der Regierungspartei HDZ nahe Gewerkschaftszentrale zu errichten, die den SSSH verdrängen sollte - was aber nicht erreicht werden konnte. Der HUS hat ca. 200.000 Mitglieder und vereint Gewerkschaften aus Betrieben und öffentlichen Einrichtungen. Seine Mitglieder kommen vorwiegend aus einigen großen staatlichen Unternehmen. Auch hier haben Streitigkeiten in der Führung zur Schwächung und zum Mißtrauen der Arbeitnehmer beigetragen, der Vorsitzende Niko Gunjina versucht sich durch Alleingänge und öffentliche Auftritte als eine politische Figur zu positionieren.
  • Vereinigung der Arbeitergewerkschaften Kroatiens (URSH): entstand durch Abspaltung aus dem SSSH, die durch den charismatischen Gewerkschaftsführer Boris Kunst herbeigeführt wurde. Die deklarierte Mitgliederstärke beträgt ca. 200.000. Der Vorsitzende Kunst versucht sich durch militantes Auftreten und öffentliche Protestaktionen zu profilieren.

Weiterhin gibt es zwei konkurrierende Gewerkschaftszentralen für Beschäftigte im öffentlichen Dienst. Die eine, angeführt durch den Vorsitzenden der Gewerkschaft der Wissenschaftler und Universitätsbeschäftigten Vilim Ribic, lehnt sich eng an den SSSH an, während die andere gegen den SSSH antritt. Einige wichtige Einzelgewerkschaften gehören keiner Zentrale an, wie z.B. die von Vesna Kanizaj angeführte Lehrergewerkschaft oder die Journalistengewerkschaft.

Die verschiedenen Gewerkschaftszentralen konkurrieren um Mitglieder, Ressourcen, öffentliche Aufmerksamkeit und Plätze in dem gemäß Arbeitsgesetz tripartistisch besetzten Wirtschafts- und Sozialrat. Sie unterscheiden sich durch ihre politischen Vorstellungen, nach diesem Kriterium lassen sie sich in zwei Blöcke teilen: einen „linken" (SSSH und die von Ribic geführte Zentrale der Beschäftigten im öffentlichen Dienst) und einen „rechten" Block (KNSH, HUS, URSH und die andere Zentralen im öffentlichen Dienst).

1995 wurde nach fast vierjährigem konfliktreichen Verhandlungen und zähem Ringen im Wirtschafts- und Sozialrat das neue kroatische Arbeitsgesetz verabschiedet, als Folge wurde unter Anwendung eines neuen Systems mit der Verhandlung nationaler und Branchen-Kollektivverträge begonnen. Im März 1996 wurden die ersten Betriebsratswahlen durchgeführt, die sich als voller Erfolg für den SSSH erwiesen: er konnte 80% aller Betriebsratsmandate erlangen. Nach einer Periode des sozialen Friedens und patriotischer Mobilisierung unter Nachkriegsbedingungen wuchs gleichzeitig wieder die Bereitschaft zu Streik und Demonstrationen als Artikulation von spezifischen Arbeitnehmerinteressen. Den größten Gewerkschaftszentralen gelang es erst 1997, die Auseinandersetzungen um die Zusammensetzung des Wirtschafts- und Sozialrats mit einem Kompromiß über ihre Vertretung in diesem Gremium zu beenden.

Die aktuell wichtigsten Streitthemen in der Gewerkschaftspolitik betreffen die Verteilung des Gewerkschaftseigentums, welches jetzt mehrheitlich von SSSH kontrolliert wird, und die Durchführung der sogenannten „sozialen Wahlen", die die Stärke der einzelne Gewerkschaftsverbände durch Wahlen bestimmen sollten. SSSH setzt sich für eine betriebszentrierte Durchführung der Wahlen ein, was seiner Mitgliederstärke am meistens entspricht, während andere Verbände für eine allgemein-politische Wahlform plädieren.

Wie bereits zur kommunistischen Zeit werden die meisten Streiks in Kroatien immer noch auf betrieblicher Ebene organisiert und haben betriebliche Konflikte zum Anlaß. Bei diesen Streiks stehen die gewerkschaftlichen Vertrauensleute manchmal in den ersten Reihen, doch manchmal auch völlig abseits des Geschehens. Größere branchenweite Streiks wurden bisher nur bei der Eisenbahn und in den Schulen organisiert.

Die kroatischen Gewerkschaften nehmen in dem neuen System der Arbeitsbeziehungen in Kroatien - wie auch in der kroatischen Politik - ihre Rolle noch immer nicht im vollen Umfang wahr: vor allem die Gestaltung der kollektiven Tarifverträge und die betriebliche Rolle der Gewerkschaften durch Arbeitnehmerräte (Zaposlenicka vijeca) müssen erst noch vollends entwickelt werden. Eine große Hürde dabei ist die Zerstrittenheit der Gewerkschaftszentralen sowie die übergewichtige Rolle einzelner Gewerkschaftsführer, denen ihr öffentliches Image und verbale Militanz wichtiger sind als eine langfristige Gewerkschaftspolitik und der Schutz von Arbeitnehmerinteressen. In dieser Situation ist der SSSH der ernsthafteste und vertrauenswürdigste Gewerkschaftsakteur, dessen Einfluß in Zukunft eher noch größer wird.

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Die Gewerkschaften in Bosnien-Hercegovina

Durch den Krieg in Bosnien-Hercegovina (BiH) und die mit dem Daytoner Friedensabkommen 1995 besiegelte Teilung des Landes in zwei „Entitäten", der serbischen „Republika Srpska" (RS) und die Kroatisch-Muslimische Föderation (FBiH), haben sich auch die Gewerkschaftsorganisationen in spezifischer Weise entwickelt. Nach dem Systemwechsel 1990 blieb der Dachverband der ehemaligen jugoslawischen Teilrepublik Bosnien-Hercegovina als Dachverband des neuen unabhängigen Staates bestehen, ihm waren 32 Einzelgewerkschaften angegliedert. Während des Krieges kam die gewerkschaftliche Arbeit fast vollständig zum Erliegen, die meisten Organisationen zerfielen. Lediglich der Gewerkschaftsbund in Sarajevo und einzelne Branchengewerkschaften (Metall, Textil, Banken, Bergbau, Elektroenergie, Polizei) blieben präsent.

Nach Kriegsende begannen sich die Gewerkschaften neu zu formieren. Der Unabhängige Gewerkschaftsbund BiH (SSSBiH) in Sarajewo beansprucht die nationale Führungsrolle, allerdings hat sich in dem serbischen Teilstaat ein zweiter Dachverband (SSRS) abgespalten. Lange Zeit diente er den radikal-nationalistischen Machhabern als Sprachrohr, mit der Bildung einer gemäßigteren Regierung 1998 (Präsidentin Plavsic und Ministerpräsident Dodik) begann für den serbisch-bosnischen Dachverband eine Phase der Neuorientierung. In den letzten beiden Jahren haben sich in der Föderation 23 Mitgliedsgewerkschaften durch Kongresse konstituiert, in der RS 15.

Die Nachkriegssituation des Landes bringt für die Gewerkschaftsarbeit denkbar schwierige Rahmenbedingungen mit sich: die üblichen Probleme der Wirtschaftstransformation akkumulieren sich mit der Zerstörung der Produktionsstätten und dem Wegbrechen der Absatzmärkte durch die neuen Grenzen. Trotz v.a. durch internationale Hilfe vorangetriebenem Wiederaufbau arbeitet die Wirtschaft Bosniens mit weniger als 30% ihrer Vorkriegsleistung, die inoffizielle Arbeitslosigkeit beträgt bis zu 90%.

Wie alle wichtigen gesetzlichen Neuregelungen wird auch die Reform der sozialistischen Arbeitsgesetzgebung von den nationalistischen Machthabern immer wieder verschleppt, zur Zeit wird de facto im gesetzfreien Raum gearbeitet. Mangels Einnahmen kann der Staat die nötigen Sozialleistungen nicht ausbezahlen. Seitens der Arbeitgeber gibt es keine Verbandstrukturen für einen sozialpartnerschaftlichen Dialog, Privatunternehmer lehnen gewerkschaftliche Organisation ohnehin ab.

Auf gesamtstaatlicher Ebene konnte noch keine Dachorganisation geschaffen werden, die die Gewerkschaftsbünde der beiden Landesteile integriert. Lediglich ein – allerdings kaum aktives – Komitee zur Koordination zwischen Gewerkschaften aus Föderation und Republika Srpska wurde ins Leben gerufen. Die Dachverbände in den beiden Entitäten haben gleichermaßen die Struktur des sozialistischen Einheitsbunds aus dem ehemaligen Jugoslawien übernommen. Die Gewerkschaftsführer zeigen noch immer wenig Interesse, gesellschaftspolitisch aktiv zu werden, sondern verstehen sich eher als Vorstände ihres Verwaltungsapparats und erfüllen Repräsentantenfunktion. Erst Ende 1997 hat der SSSBiH, genauso wie die meisten Branchengewerkschaften, seinen ersten Kongreß seit dem Zerfall Jugoslawiens und dem Krieg abgehalten. Jetzt demokratisch legitimiert, soll er nach Meinung von Mitgliedern und Partnern gesellschaftspolitische Aktionsfelder besetzen.

Seither hat der Bund aber weder als gesellschaftliche Organisation und als Interessenvertreter bei wirtschaftspolitischen Entscheidungen im Land noch bei der Modernisierung seiner eigenen Strukturen eine wichtigere Rolle gespielt. Die Zentrale ist mangels Beitragszahlungen ökonomisch schwach, es stehen keine Fachdienste zur Verfügung, um Serviceleistungen für die Mitgliedsgewerkschaften anzubieten. Der Gewerkschaftsbund der RS hielt seinen ersten Kongreß 1997. Seine Mitgliedsgewerkschaften sind nicht autonom, sondern Zweige des Bundes, der Vorsitzende des Bundes ist praktisch Arbeitgeber der Vorsitzenden der 15 Branchengewerkschaften. Der Bund unterhält ca. 50 Büros in den Gemeinden, deren Gewicht größer ist als das der Mitgliedsgewerkschaften.

Insgesamt wirken die Dachverbände auf die Einzelgewerkschaften zunehmend unattraktiv. Letztere sollen in eine Struktur einzahlen, die ihnen im Gegenzug keine Vorteile erbringt. Obwohl die Kommunikation zwischen den Bünden und den Vorsitzenden der Einzelgewerkschaften funktioniert, besteht wenig Kontakt zu den regionalen Gemeinderäten und den Betrieben. Sicherlich sind daran auch die immer noch unter den Kriegsschäden leidende schlechte Infrastruktur schuld, allerdings gab es auch seitens der Gewerkschaftsspitze wenig neue Legitimationsbemühungen: die Basis fühlt sich wenig am Restrukturierungsprozeß beteiligt. In der RS ist die Beziehung zwischen Bund und Branchen gespannt, erste Austritte sind zu verzeichnen (z. B. die Elektroenergiegewerkschaft). Die weitere Entwicklung wird stark davon abhängen, ob es den Bünden gelingt, Fachkompetenz hinsichtlich der drängenden beschäftigungspolitischen Fragen im Land (Privatisierung, Arbeitsgesetzgebung) zu entwickeln und die Interessen ihrer Mitglieder gegenüber den Sozialpartnern wirksam politisch zu vertreten.

Überall sind - bis auf wenige neu gebildete Strukturen - die seit jugoslawischen Zeiten gleichen Funktionäre im Amt. Neue Kader können kaum gewonnen werden, nicht zuletzt wegen der ökonomisch prekären Lage der Gewerkschaften. Aufgrund des geringen Lohnniveaus (die oftmals nicht ausgezahlt werden) nehmen die Gewerkschaften kaum Beiträge ein. Der Bund in Sarajewo lebt vorwiegend von Mieteinnahmen, der Immobilienbesitz von Bund und Einzelgewerkschaften ist allerdings zur Zeit Gegenstand richterlicher Untersuchungen. Die Gewerkschaften sehen - trotz geringer Möglichkeiten - ihre Hauptaufgaben in der Hilfe für Kriegsopfer, Beschaffung von Arbeitsplätzen, Rechtsschutz und Verbesserung der Einkommen. Die Privatisierung in BiH ist aufgrund der politischen Konstellation seither kaum vorangekommen, es zeichnet sich aber schon ab, daß die Gewerkschaften in den neuen privaten Betrieben fast nicht vertreten sind.

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Die Gewerkschaften in der Bundesrepublik Jugoslawien

Bis zum Systemwechsel 1990 war Belgrad als Hauptstadt des ehemaligen Jugoslawiens Sitz des nationalen Dachverbands der „Bund der Gewerkschaften", der offiziell unabhängig war, de facto aber unter Staatskontrolle stand. Mit der Entwicklung des Mehrparteiensystems wurde er in den „Bund der unabhängigen Gewerkschaften Serbiens - SSSS" umbenannt, blieb aber weiter unter Kontrolle der regierenden Partei SPS. 1990 formierten sich die ersten wirklich unabhängigen Gewerkschaften in Serbien: zunächst bildeten sich einzelne Branchenverbände, die sich 1991 zum GewerkschaftsdachverbandNezavisnost" (serbisch für „Unabhängigkeit") zusammenschlossen. Vorsitzender ist Branislav Canak. 1995 spaltete sich eine Gruppe von Mitgliedern von Nezavisnost ab und gründete die „Assoziation der unabhängigen Gewerkschaften", deren Präsident Dragan Milovanovic ist. Diese Assoziation vertritt eine eindeutig politische Orientierung. Demgegenüber besteht Nezavisnost bewußt auf einen explizit parteiunabhängigen Kurs der Gewerkschaften, obwohl Branislav Canak und viele führende Mitglieder der sozialdemokratischen Idee nahe stehen.

Für den Staat existierten die unabhängigen Gewerkschaften überhaupt nicht. Bei Verhandlungen werden sie vollkommen ignoriert, sie werden nur mit dem SSSS geführt. Die Betriebsleitungen, die von der regierenden Partei ernannt werden, erlauben den unabhängigen Gewerkschaften keine Arbeit in ihren Betrieben und bestrafen Arbeiter, die als Mitglieder bekannt sind, mit Zwangsurlaub, Geldstrafen, Schikanen bei der Arbeit und sogar mit Kündigung. Dies trifft allerdings nur auf Staatsbetriebe zu: in privaten Unternehmen gibt es faktisch keine gewerkschaftliche Organisation.

In den letzten beiden Jahren kam es zu zahlreichen Streiks, die von der unabhängigen Gewerkschaft „Nezavisnost" geführt wurden. Gleichzeitig mit den Studentenprotesten wurden regelmäßig Streiks der „Unabhängigen Rentner" organisiert, die mit dem „Studentenparlament" im letzten Jahr als Kollektivmitglied in "Nezavisnost" aufgenommen wurden. Als neu entstandene "Koalition" organisierten sie im letzten Jahr zum Tag der Arbeit aufsehenerregende Demonstrationen. In der Metallindustrie, der Branche mit der schwierigsten Arbeitssituation, haben in den wichtigsten Zentren Nis (Maschinen - und Elektroindustrie) und Kragujevac (Waffenindustrie) 30 Tage dauernde Streiks stattgefunden. Seit seiner Gründung von Nezavisnost organisierte Streiks waren weiterhin die der Lehrer, der Metallarbeiter aus den sechs größten Fabriken Serbiens, der Zeitungen Nasa Borba, Nin, Politika und der 39 Tage dauernde Streik im Gesundheitswesen. Der Arbeitskampf durch Streiks gewinnt von Jahr zu Jahr an Kraft, obwohl immer noch viele der Manifestationen wegen mangelnder Koordination und Planung spontan und unorganisiert wirken. Anläßlich der Streiks wurde auch offenkundig, daß die unabhängige Gewerkschaften immer noch nicht in der Lage sind, ihre Mitglieder finanziell zu unterstützen und sie vor Repressionen der Polizei zu schützen.

Die wirtschaftliche und soziale Krise in BR Jugoslawien verschärft sich ständig, was sich in der ökonomischen Lage der Bevölkerung widerspiegelt: die Mittelklasse ist verschwunden, es gibt nur noch extrem reiche und extrem arme Bürger. Dies behindert die Entwicklung der unabhängigen Gewerkschaften: Arbeiter bekommen ihre sowieso niedrigen Gehälter mit fünfmonatiger Verspätung, so daß sie neben ihrem persönlichen Überlebenskampf kaum andere Bedürfnisse haben, alle weiteren Ziele und Ideale werden dabei zweitrangig.

Neben „Nezavisnost" ist auch der staatliche Gewerkschaftsverband SSSYU zunehmend um Unabhängigkeit bemüht und versucht sich schrittweise vom Einfluß der regierenden Partei zu lösen. Als wichtigste unabhängige Branchengewerkschaft ist die Energiegewerkschaft Serbiens (EPS) zu sehen, die 1992 gegründet wurde und bis heute 60.000 Mitglieder aus der Energiebranche in ganz Serbien vereint. Bei Gründung wurden alle alten Beziehungen zu offiziellen staatlichen Gewerkschaften abgebrochen, um sich nach den Prinzipien der modernen europäischen Branchengewerkschaften zu organisieren. Sie gehört immer noch keinem der großen Dachverbände an, pflegt aber eine gute Zusammenarbeit mit „Nezavisnost". Diese Zusammenarbeit wurde noch nicht institutionalisiert, es wird aber daran gearbeitet, einen Block der freien Gewerkschaften zu gründen. Im Mai 1998 wurde EPS als Vollmitglied von ICEM aufgenommen.

Der Bund der Unabhängigen Gewerkschaften Montenegros (SSSCG) hat seither bei Privatisierung und wirtschaftlichen Reformen in Montenegro eine sehr passive Rolle gespielt. Die Gewerkschaften haben lediglich auf Aktivitäten der Regierung und ihren Institutionen reagiert. Bis jetzt haben die Gewerkschaften keinerlei strategisches Konzept für ihre Rolle bei den Prozessen der Transformation entwickelt. Der Vorsitz der Gewerkschaften hat es bisher geschafft, die konservativen politischen Kräfte in den Reihen der Gewerkschaftsmitglieder unter Kontrolle zu halten und war in der Lage, die Reformen und Prozesse der Demokratisierung zu unterstützen.

Als in der letzten Zeit deutlich wurde, daß es bei der Privatisierung zu Mißbrauch und Mängeln gekommen ist, hat der Bund nicht reagiert: er hat dadurch bei seinen Mitgliedern an Kredibilität und Vertrauen verloren – ein Schwund der Mitglieder ist zwar noch nicht offiziell, ist aber schon merkbar. Gewerkschaften in Montenegro haben sich als verlängerte Hand der Regierung positioniert, um die fragilen Reformprozesse nicht zu gefährden. Dabei haben sie ihre Hauptaufgabe, den Schutz der Arbeitnehmer und kleinen Aktienbesitzer, vernachlässigt. Dies hat dazu beigetragen, daß die Gewerkschaften ihren Einfluß auf staatliche Entscheidungsträger zunehmend verloren haben und kaum mehr Spielraum haben, in den Privatisierungsprozeß einzugreifen. Zusätzlich haben sich Mängel in der grundlegenden Bildungsarbeit gezeigt: die Arbeiter kennen ihre Rechte kaum und können nicht solidarisch ihre Position vertreten, da sie die Umwandlungsprozesse in den Unternehmen nicht verstehen. Die uneingeschränkte internationale Unterstützung für die montenegrinischen Gewerkschaften bestärkt diese noch in ihrem Handeln.

Gleichzeitig nutzen die konservativen Kräfte in Montenegro gekonnt die Unfähigkeit der Gewerkschaften und werben ihnen Mitglieder ab.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juni 1999

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