FES | ||
|
|
TEILDOKUMENT:
SLOWENIEN In Slowenien vollzogen sich ab 1989 fundamentale verfassungsmäßige und gesetzliche Veränderungen in den Arbeitsbeziehungen auf der Ebene der Unternehmen. An die Stelle des Systems der Selbstverwaltung, bei dem die Arbeitnehmer formal alle Macht in ihren Händen hielten und die Gewerkschaften keine wichtige Tolle in den klassischen Gebieten ihrer Tätigkeit ausübten, tritt nun ein neuer Typus des Arbeitsverhältnisses, der sowohl auf individuellen als auch auf kollektiven vertraglichen Beziehungen beruht. Die Gewerkschaften gewinnen dadurch eine neue und differenzierte Rolle zurück. Durch die Verfassung werden die Rechte der Koalitionsfreiheit und der freien Betätigung von Gewerkschaften einschließlich des Streikrechts garantiert. Eines der wichtigsten Rechte, das sich aus den genannten Grundrechten ableitet, ist in der normativen Funktion der Kollektivverträge zu sehen, die aus freiem Willen von Arbeitgeber- und Arbeitnehmer- Seite zustande kommen.
Gewerkschaftliche Organisationsentwicklung
Die slowenische Gewerkschaftsbewegung ist durch eine plurale Organisationsstruktur mit bisher vier repräsentativen Konföderationen gekennzeichnet. Im Februar 1999 wurde eine fünfte Konföderation gegründet, die ebenfalls den Anspruch erhebt, die gesetzlichen Kriterien der Repräsentativität zu erfüllen. Aus der alten Gewerkschaftsstruktur ( Rat der slowenischen Gewerkschaften) sind drei Bünde hervorgegangen:
Als Alternative zu den alten Gewerkschaften wurde 1990 die Konföderation Unabhängigkeit - Vereinigung der Neuen Gewerkschaften Sloweniens (Neodvisnost KNSS) gegründet. Die Wurzeln dieses Bundes reichen aber bis in das Jahr 1987 zurück, als sich - ausgehend vom Maschinenbauunternehmen Litostroj - ein Streikkomitee bildete, das außer Lohnforderungen auch politische Ziele artikulierte. Dieser Bund organisierte sich in nur teilweise repräsentativen Branchengewerkschaften und in Regionalorganisationen. Ein Konflikt zwischen Branchengewerkschaften und Regionalorganisationen führte im Herbst 1998 zum Austritt der sogenannten ITF- Gewerkschaften (Eisenbahn, Seefahrt, Häfen und Nahverkehr) und einiger anderer Gewerkschaften. Diese Gewerkschaften gründeten im Februar 1999 den Slowenischen Bund der Gewerkschaften - Alternative (SZS ALTERNATIVA), dessen Vorsitzender der letzte gewählte Vorsitzende von Neodvisnost ist. Gewerkschaften aus den Sektoren Transport und Metall mit rund 10 000 Mitgliedern sind die Gründungsmitglieder. Man erwartet den Beitritt weiterer Organisationen mit ca. 20 000 Mitgliedern. Diese fünf Konföderationen decken aber keineswegs das gesamte Spektrum der slowenischen Gewerkschaftsbewegung ab, da die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes, der in Slowenien 150 000 Arbeitnehmer beschäftigt, zum überwiegenden Teil autonome, nicht konföderationsgebundene Organisationen sind. So macht beispielsweise der Anteil der Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes an der Gesamtmitgliederzahl von ZSSS, des größtes slowenischen Gewerkschaftsbundes, nur knapp 10 % aus. Die Beziehungen der Gewerkschaftkonföderationen zueinander bewegen sich zwischen Konflikt und Kooperation. Das ungelöste Problem der Verteilung des Gewerkschaftsvermögens wirkt sich belastend aus. Ein Gesetz aus dem Jahre 1993 regelt die Repräsentativität von Gewerkschaften nach allgemeinen Kriterien. Zu diesen zählen: eine demokratische und unabhängige Organisation der Strukturen und der Tätigkeiten, Kontinuität in der Wahrnehmung der Aufgaben, eigene finanzielle Grundlagen und eine ausreichende Zahl an Mitgliedern. Die ausreichende Zahl an Mitgliedern liegt bei einer Betriebs- oder Branchenorganisation vor, wenn sie mindestens 10 % der Beschäftigten des Betriebes bzw. der Branche organisiert. Konföderationen erfüllen bei mindestens 3 repräsentativen Mitgliedsgewerkschaften das Kriterium der Repräsentativität. Die Feststellung der Repräsentativität erfolgt durch das Arbeitsministerium nach einer "Probezeit" von 6 Monaten.
Tripartismus- Tarifautonomie- Vertragsbeziehungen
Auf nationaler Ebene wurde der Wirtschafts- und Sozialrat als tripartite Institution des Interessenausgleichs zwischen Regierung, Arbeitgebern und Gewerkschaften auf vertraglicher Basis eingerichtet. Er handelt in Übereinstimmung mit den Regeln, die gemeinsam von den beteiligten Akteuren festgelegt worden sind. Der Wirtschafts- und Sozialrat hatte erheblichen Einfluß auf die Beziehungen zwischen den Sozialpartnern, doch zeigten sich in letzter Zeit die Gewerkschaften von seiner Arbeit und der mangelnden Respektierung seiner Entscheidungen seitens der Regierung enttäuscht. Deshalb wurde die Forderung nach einer gesetzlichen Grundlage seiner Tätigkeit erhoben, die aber von der Regierung noch nicht aufgegriffen wurde. Gewöhnlich stimmen die Sozialpartner darin überein, das Wachstum des Bruttosozialprodukts und Verbesserungen im System der sozialen Sicherung und in der Lebensqualität anzustreben sowie verbesserten gesetzlichen Schutz der Arbeitnehmer zu sichern und die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Innerhalb des Parlaments besteht eine "zweite Kammer", der Staatsrat, der sich aus Repräsentanten verschiedener gesellschaftlicher Interessen zusammensetzt. Darunter befinden sich auch die Vertreter von Arbeitgebern und Gewerkschaften. Beim Staatsrat handelt es sich um keine tripartite Institution, dennoch könnte das Gremium auf den Prozeß des sozialen Dialogs maßgeblich Einfluß nehmen. Im Bereich der sozialen Sicherung wurden staatliche Fonds geschaffen, die formal Repräsentanten der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer einbeziehen. Die wichtigsten Zweige sind die Krankenversicherung, die Arbeitslosenversicherung und die Renten- und Invaliditätsversicherung. Diese Fonds werden von Kommissionen geleitet und kontrolliert, deren Mitglieder vor allem die Beitragszahler vertreten. Die Fonds verfügen formal nicht über einen tripartiten Charakter, gleichwohl ist in ihnen der Einfluß von Arbeitnehmer- und Arbeitgeber- Vertretungen auf die Verwaltungsgremien noch immer beträchtlich. Das Abschließen von Tarifverträgen wird in Slowenien durch das Gesetz über das Arbeitsverhältnis von 1990 geregelt. Auf der nationalen Ebene werden Manteltarifverträge geschlossen, daneben gibt es auch die Form der Flächen- und Firmentarifverträge. Tarifverträge können eine breite Skala von Arbeitsbedingungen oder nur ein spezielles Problem bzw. eine schmale Bandbreite von Fragen regeln. Die wichtigsten Inhalte von Tarifverträgen sind gegenwärtig Löhne, Arbeitszeiten und Abfindungen. Im Falle der Nichteinigung zwischen den Verhandlungsparteien entscheidet ein Schiedsgericht - bestehend aus Vertretern der Verhandlungsparteien und einem unabhängigen, vom Staat benannten Vertreter - verbindlich. Kollektivverträge werden vor ihrer Veröffentlichung beim Arbeitsministerium registriert und hinterlegt. Das Mitbestimmungsgesetz von 1993 legt die Beteiligung der Arbeitnehmer in den Unternehmen fest, dieauch in der Verfassung vorgesehen ist. Organe der Mitbestimmung sind Aufsichtsräte, Betriebsräte und Gewerkschaften. Die Gewerkschaften im Unternehmen sind eigenständige Organisationen (Rechtssubjekte). Sie verfügen über ein eigenes Budget, Aktionsfreiheit und Streikrecht. Die Betriebsräte werden von der Belegschaft eines Unternehmens gewählt, Betriebsräte in Teilbetrieben eines Unternehmens gibt es nicht. Ihre Rechte reichen vom Anspruch auf Information bis zum Veto. Letzteres kann Entscheidungen des Arbeitgebers blockieren, die im Widerspruch zu gesetzlichen Regelungen stehen. 80 % der gewählten Betriebsratsmitglieder gehören Gewerkschaften an. Dennoch kam es anfangs zu Schwierigkeiten, weil manche Gewerkschaftsfunktionäre fürchteten, ihre Selbständigkeit und Monopolstellung im Unternehmen einbüßen zu können. Inzwischen nimmt die Bedeutung der Betriebsräte zu. Aufgrund tarifvertraglicher Vereinbarungen und gesetzlicher Bestimmungen hat der Arbeitgeber die notwendigen finanziellen Mittel für die Tätigkeit von Betriebsgewerkschaft und Betriebsrat zur Verfügung zu stellen (Stundenvergütung für die Arbeit der gewerkschaftlichen Vertrauensleute, des Betriebsratsvorsitzenden und der Betriebsratsmitglieder, Räume und Ausstattung etc.). In den Aufsichtsrat können sowohl Mitarbeiter des Unternehmens als auch Vertreter von außerhalb gewählt werden. Nach dem Mitbestimmungsgesetz ist die Wahl eines Arbeitsdirektors in den Vorstand möglich. Die Beziehungen zwischen Management und Arbeitnehmern scheinen auch nach der Privatisierung infolge der Traditionen der Arbeiterselbstverwaltung noch vielerorts eng zu sein, was sich in der großzügigeren Lohnpolitik und in verzögerten arbeitsmarktpolitischen Anpassungen niederschlägt.
Privatisierung
Die Gewerkschaften in Slowenien betrachten den Privatisierungsprozess als praktisch abgeschlossen. Dennoch wird die Privatisierung des gesellschaftlichen Eigentums ebenso wie die der Banken, Versicherungen und Sparkassen noch fortgesetzt. Die Gewerkschaften erhoffen sich davon eine bessere ökonomische Darstellung der Unternehmen und eine prosperierende Volkswirtschaft unter den Bedingungen eines rauhen Marktes. Aufgrund des Privatisierungsgesetzes erhielten alle slowenischen Bürger kostenlose, nicht übertragbare Kupons zum Erwerb von Aktien oder Investmentfondsanteilen. Die Beschäftigten konnten einbehaltene Löhne geltend machen und Unternehmensaktien mit Nachlaß erwerben. Nicht selten kam es dazu, daß Mitarbeiter, ehemaligeMitarbeiter und Rentner sogar die Mehrheit der Aktien eines Unternehmens besaßen. Diese Form der Privatisierung wird mit als Grund für schleppende Auslandsinvestitionen in Slowenien gesehen, da Außenstehende nur schwer Zugang zu den Anteilen erhielten. Sloweniens größter Gewerkschaftsbund ZSSS betrachtet sich als aktiver Partner im Privatisierungsprozess und spielte eine aktive Rolle bei der Organisierung des Arbeitnehmer- Eigentums (DEZAP), die zur Unterstützung der Arbeitnehmer- Aktionäre geschaffen wurde. ZSSS ist davon überzeugt, daß Arbeitnehmer- Eigentum für eine gute und erfolgreiche Wirtschaft unerläßlich ist und beruft sich dabei auf die Praxis mancher entwickelter Länder.
Sozial- und Arbeitsmarktpolitik
Infolge der demographischen Entwicklung ist das slowenische Rentensystem in eine ernste Krise geraten. Die hohe Arbeitslosigkeit von annähernd 15 % und die rasche Überalterung der Bevölkerung lassen die Ausgaben der Rentenversicherung schneller ansteigen als die Einnahmen. Während sich bis 1995 die Rentenversicherung noch ausschließlich aus den Beiträgen der Versicherten finanzierte, sind 1999 staatliche Transferleistungen in Höhe von 130 Mrd. SIT notwendig, um den Fehlbetrag für die erforderlichen Ausgaben in Höhe von 480 Mrd. SIT abzudecken. Das Finanzloch ist seit 1995 u.a. durch Zunahme von Frühverrentungen entstanden, mit denen die steigende Arbeitslosenrate gedrosselt werden sollte. Gegenwärtig stehen den knapp 790 000 aktiv Erwerbstätigen bei 130 000 Arbeitslosen schon mehr als 470 000 Rentner - mit steigender Tendenz - gegenüber. Seit mehr als zwei Jahren dauern die Bemühungen um eine Veränderung des Rentensystems an, die auf drei Säulen gestellt werden sollte, wobei eine Pflichtversicherung nach dem Prinzip der Kapitalanlage und eine freiwillige private Zusatzversicherung hinzukommen sollte. Wegen mangelnder sozialer Ausgewogenheit organisierten die Gewerkschaften massiven Widerstand gegen die bisherigen Pläne. Nunmehr zeichnet sich ein Kompromiß ab, der eine Verbindung von gesetzlicher auf Pflichtbeiträgen beruhender Versicherung und privater Zusatzversicherung vorsieht. Eine grundlegende Reform des Rentensystems dürfte erst nach den nächsten Parlamentswahlen in Angriff genommen werden. Obwohl die Sozialversicherungsbeiträge - seit 1996 betragen sie 38 % des Nettolohns - herabgesetzt wurden, liegen die gesamten Personalkosten weiterhin 50 bis 60 % über dem durchschnittlichen Bruttolohn. Die Abfindungszahlungen sind extrem hoch, da im alten politischen System Freisetzungen nicht statthaft waren. Mithin liegen die Lohnkosten in Slowenien - gemessen an anderen Transformationsländern - verhältnismäßig hoch und der Arbeitsmarkt ist wenig flexibel. Der Durchschnittslohn in Slowenien beträgt etwa 1 000 DM, der Minimallohn fast 45 % des Durchschnittslohns im gewerblichen Sektor.
Integration in internationale Gewerkschaftsorganisationen
Von den slowenischen Gewerkschaftsbünden besitzt allein ZSSS den Beobachterstatus beim EGB. Engere Kontakte dieses Bundes bestehen auch zum IBFG. Die Vollmitgliedschaft im EGB steht in Kürze zur Entscheidung an. Alle slowenischen Bünde arbeiten mit dem EGB im Rahmen des Forums zusammen. Nach Angaben des ZSSS gehören die größeren Mitgliedsorganisationen internationalen und europäischen Verbänden an, wie z.B. IMF und EMF, ICEM und EMCEF, PSI und EPSU. Der Antrag der Textil-, Bekleidungs- und Ledergewerkschaft auf Mitgliedschaft in ITGLWF bzw. ETUC- TCL ist noch nicht entschieden. Die Transport-, Seefahrt- und Hafengewerkschaften, die Mitglieder von Neodvisnost waren und nun überwiegend von SZS Alternativa sind, gehören der ITF an. Die Druckergewerkschaft von Pergam ist Mitglied von IGF. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juni 1999 |