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ANHANG: DOKUMENTE
[von Kurt Schumacher]



[27.]
Unsere Abwehr - unser Angriff.
Rede am 9.10.1932 auf dem württembergischen SPD-Landesparteitag


STW v. 11.10.1932

Die deutsche Gegenrevolution versucht jetzt, den 9. November 1918 mit Gewalt aus der Welt zu schaffen. Das ist der Sinn der ganzen Kämpfe in Deutschland. Der Versuch, den 9. November ungeschehen zu machen, ist nur möglich, weil die Revolution vom 9. November 1918 eine unvollendete gewesen ist.

Diese Revolution war in erster Linie das Ergebnis der Politik einer unfähigen und geschlagenen Herrenschicht, die auf allen Gebieten versagt hatte. An der Wiege der Umwälzung stand der Zwang, alles Revolutionäre zurückzustellen hinter die brennenden Aufgaben der Demobilmachung, hinter die Schaffung von Arbeit und Brot, von Kleidung und Kohle. Die Entente hatte nicht nur politisch und militärisch gesiegt. Es war auch der entwickeltere Hochkapitalismus der Westmächte, der über seine deutschen Gegner triumphierte. Da war es ein billiger Ausweg für die Reaktion, alle Schuld an der Niederlage von sich auf die Revolution abzuwälzen. Den letzten Rest positiver revolutionärer Möglichkeiten nahm die Spaltung der Arbeiterbewegung, nahm das verruchte „Weitertreiben der Revolution", bevor die Revolution sich überhaupt gefestigt hatte. Die Kommunisten haben schon in der Geburtsstunde der Revolution den Keim der Gegenrevolution gepflanzt und gefördert. Das Ergebnis dieser Revolution war darum nicht die brutale Änderung der Machtverhältnisse, sondern die Teilung der Gewalt auf allen Gebieten.

Es mußte zu Kompromissen auf wirtschaftlichem, politischem und kulturellem Gebiet kommen. Ein Gleichgewicht der rechten und der linken Kräfte, ein „Unentschieden" beherrschte fast 14 Jahre lang die deutsche Politik. Wie Otto Bauer sagte: „Die Bourgeoisie ist nicht mehr, das Proletariat noch nicht stark genug, um allein zu herrschen."

Auf die Dauer konnte weder rechts noch links diesen Zustand ertragen. Die Groß-Bourgeoisie hatte erkannt, daß bei Weiterdauer und Festigung der Demokratie es um ihre eigene gesellschaftliche und wirtschaftliche Machtstellung geschehen sein muß. Immer wieder machte sie darum den Versuch, die Demokratie zu erschüttern.

Die erste Chance der Gegenrevolution bestand darin, daß sämtliche bürgerliche Partner der Sozialdemokratie aus Angst vor der Partei und der Arbeiterbewegung sich zu keiner endgültigen Festigung der politischen und sozialen Errungenschaften der Revolution verstehen mochten.

Bei politisch stabilisierten Verhältnissen dürfte die Wirtschaftskrise kaum jemals diese ungeheuerliche Form angenommen haben. Bestimmt wäre uns aber die zerstörende Staatskrise erspart geblieben. So konnte es kommen, daß jetzt zum Generalsturm auf die Demokratie geblasen wird, trotzdem von der Politik her nicht ein Zuviel, sondern ein Zuwenig an Demokratie das deutsche Unheil verschuldet hat.

Die Jugenderziehung, die Justiz, vor allem die Armee blieben weitgehend außerhalb des demokratisch geformten Staatswesens. Die stärksten kapitalistischen Kräfte betrachteten sich dem Staat (gegenüber) als gleichwertig, wenn nicht gar als übergeordnet. Alle die Kreise, die den Staat stets im Munde führten, wirkten staatszerstörend, zu anarchisch, und alles nur deswegen - weil die Arbeiter gesellschaftlich, politisch und materiell am Staate von Weimar beteiligt waren.

Die zweite Chance der deutschen Gegenrevolution war die Aktivität und die Taktik der Kommunisten.

Ihre Taktik hat die Reaktionäre aus den Mauselöchern des 9. November hervorgelockt. Und sie haben es in weiten Kreisen der Arbeiterschaft erreicht, daß die Errungenschaften der Revolution nicht in jedem Stadium der inneren Kämpfe mit der Überzeugtheit und der inneren Glut verteidigt wurden, wie sie nun einmal zu solchen Kämpfen nötig sind. Wenn wir jetzt, während die zwölfte Stunde schon schlägt, erleben, wie die KPD zum Kampfe für Republik und Sozialpolitik aufruft, wie sie für Parlament und Tarifwesen streitet, dann zeigt uns das die ganze Größe des historischen Verbrechens einer Partei (Sehr gut!), die ihre Politik nie durch die Lebensnotwendigkeiten der deutschen Arbeiterklasse, sondern stets durch die Interessen der russischen Außenpolitik bestimmen ließ. Alle die Einrichtungen, für die die KPD jetzt eintritt, sind früher von ihr als Klassenverrat der „Reformisten" verächtlich gemacht worden.

Wenn die Kommunisten rechtzeitig Schulter an Schulter mit uns Demokratie und Sozialpolitik verteidigt hätten, dann würde weder der braune Faschismus der Hitler und Strasser, noch der blaue Faschismus des Adels und der Industrie Deutschland zu zerstören drohen. (Zustimmung)

Es ist ein Kennzeichen für die nationale Minderwertigkeit er deutschen Gegenrevolution, wenn sie den Mut zum Handeln just in dem Augenblick besitzt, in dem das von ihr selbst verschuldete nationale und soziale Unglück des deutschen Volkes, wenn die Zerstörung durch die größte Krise der Geschichte alles zu zersprengen droht. Die Gegenrevolution hat aber das Gesetz des Handelns in der Hand und will nicht eher nachgeben, bis das Gleichgewicht zwischen Marxisten und Nichtmarxisten gebrochen ist und sie sich gegen ein kommendes Erstarken der Arbeiterbewegung gesichert hat. Wenn jetzt in den Reden des Reichskanzlers und führender Männer in den Regierungsaufrufen und vor dem Mikrophon vom „Wohlfahrtsstaat" gesprochen wird, wenn die Demokratie versagt haben soll, wenn die Reinheit des öffentlichen Lebens durch Ablehnung von Kompromissen erreicht werden soll, dann ist das typisch für die preußisch-junkerliche Vorstellungsweise.

Das alte Preußen soll allein herrschen! Die anderen Länder haben nichts zu sagen.

Juden und Katholiken dürfen nicht an der Macht teilhaben und die Marxisten sind zu unterdrücken!

Es ist ein gigantischer Aufstand der ganzen inneren Verlogenheit der herrschenden Schichten. Die Reinheit des öffentlichen Lebens wird nur durch Kapitalismus und Feudalismus und seine Fäulniserscheinungen bedroht. Ein großer Teil der höheren Beamtenschaft ist durch das neue Regime geradezu korrumpiert worden. Eine solche schmierige Kriecherei, wie sie sich jetzt überall zeigt, bedeutet geradezu (die) Zerstörung nationaler wertvoller Kräfte.

Karrierismus und Gesinnungslumperei feiern ihre höchsten Triumphe.

Es gibt keinen stärkeren Ausdruck der Korruption, als wenn dünne Gesellschaftsschichten, Offizierscliquen und Studentenverbindungen die Macht im Staate unter sich teilen. Die Korps, vor allem die Bonner Borussen und die Tübinger Schwaben betrachten heute den Staat als ihren Wohlfahrtsstaat, den Wohlfahrtsstaat der Abgetakelten, des Adels, der Fürsten, der Millionäre.

Noch nie hat die Subventionspolitik eine so ausgesprochen unmoralische Tendenz gehabt.

Denn Großindustrie und Großlandwirtschaft leben jetzt durch die grenzenlose Auspowerung des Volkes mit Hilfe des Staates. Die Papen-Notverordnungen sind nicht nur ein gewaltiger Raubzug gegen die armen Leute, sondern der wohlüberlegte, ungeheuerlichste Stimmenkauf, den die Weltgeschichte kennt. Landwirtschaft, Industrie und Mittelstand werden mit Bargeld für das System begeistert. Die Prinzipien, die uns heute als Rettung angepriesen werden, haben Deutschland ins Unglück gebracht.

Es ist heute so wie vor fast 90 Jahren, (als) der Freiheitsdichter Hoffmann von Fallersleben, der seine Pappenheimer kannte, gesungen hat:

„Noch schlimmer sind und noch verächtlicher,
Die da beschönigen, was dumm und schlecht,
Und das gesunde Urteil eines Volks
Und den Begriff von wahrer Sittlichkeit
Mit Gründen zu entstellen sich nicht scheu’n.
Aus einem Heuchler wird ein Ehrenmann,
Aus einem Lump ein echter Patriot,
Aus einem eitlen Geck ein Mann von Welt,
Aus einem Dummkopf gar ein Pfiffikus.
Weißgerber waren eh’mals eine Zunft,
Schönfärber ebenfalls zur gleichen Zeit,
Doch beides ist ein frei Gewerbe jetzt,
Das mancher treibt’s und leider mit Erfolg!"
Die Art, wie im Kaiserreich das eigene Volk unterdrückt und mißachtet wurde, hat der Welt eine Vorstellung davon gegeben, wie man erst mit anderen Ländern umspringen würde. Die Methoden, mit denen die Regierung der Barone heute das deutsche Volk behandelt, lassen dieselben Besorgnisse und Gefühle aufsteigen. Die preußisch-militaristische Geistesverfassung hat uns die Welt entfremdet und eine Einheitsfront gegen uns zusammengeschweißt. Der Mangel an demokratischer Kontrolle hat den Krieg verschuldet.

Wie kann denn die deutsche Reaktion über Demokratie und Republik entscheiden! Sie ist es gewesen, ihr Geist und ihre Politik, die Deutschland ins Unglück gestürzt haben.

Der Wilhelminismus hat Deutschland zerstört. Die Sozialdemokratie, die Demokratie und die Republik haben das Land gerettet.

Für die äußerlich so machtvolle und glänzende Monarchie hat sich seit 1918 keine Hand gerührt, für die arme und gedrückte Republik ist schon das Blut von Hunderten von Arbeitern geflossen. Wo sind denn damals all die hohen und glänzenden Herren geblieben, die soviel von Opfertod und Idealismus schwatzen. Wir aber bekennen uns mit Stolz zu unseren Arbeitern und Reichsbannerkameraden, die auch bei uns in Württemberg große Opfer an Gut, Blut und Freiheit für Demokratie und Sozialismus gebracht haben. Wir geloben ihnen an dieser Stelle Treue und Solidarität. Wir geloben, mit gleicher Entschiedenheit den Kampf fortzusetzen. (Bravo!)

Einst hat man gegen uns mit der Dolchstoßlüge gehetzt. Es wird jetzt Zeit, daß wir im Angriff das Volk darüber aufklären, wie der Krieg verloren ging. Den Krieg haben die gegenrevolutionären Kräfte aus eigener Schuld und aus eigener Unfähigkeit verloren. Selbst auf ihrem ureigensten Gebiet des Militärischen sind sie eindeutig unterlegen, nicht zum wenigsten deshalb, weil die Militärs der westlichen Demokratien bessere Staatsbürger waren.

Noch nie ist eine Herrenschicht so feige und schmachvoll verschwunden wie diese Schichten, die sich heute als Retter anpreisen.

Sie haben sich als unfähig erwiesen, die einfacheren Verhältnisse, die auf sie zugeschnitten waren, zu meistern. Gegenüber den gewaltigen Schwierigkeiten und komplizierten Zusammenhängen von heute werden sie eine noch verhängnisvollere Unfähigkeit zeigen. Der Adelsfaschismus hat ebensowenig wirkliche Führer, wie der Faschismus der Nationalsozialisten. Wenn er auf Ahnungslose einen besseren und überlegeneren Eindruck macht, so nur deswegen, weil er sich auf die sachliche Leistung der Fachbürokratie stützt und einen gewissen Kulturfirnis trägt.

Beide Formen der Gegenrevolution aber entstehen aus demselben Willen zum Klassenkampf von oben, der Niederdrückung der eigenen Volksgenossen und der absoluten Morallosigkeit in der Politik. Es ist überwältigend komisch, wenn der Reichskanzler jetzt über Lug und Trug in der Politik jammert. Das sind doch die wesentlichen Methoden jeder undemokratischen Politik gewesen, die ihre Klassenbrutalität mit nationalen und volksgemeinschaftlichen Phrasen verkleistert. Solch Geweine und Geflenne steht noch auf demselben Niveau, als wenn der Dr. Bracht durch Zwickel in der Badehose das ganze deutsche Volk in eine Nation von Astlochguckern verwandelt, oder als wenn der deutsche Großbesitz, der im Ausland kein Maß und keine Grenzen für sein Austoben kennt, den deutschen Proleten moralinsaure Reden über Tugend, Fleiß und Entbehrung hält. Es mag ja sein, daß bei solchem Gejammer den Herren von Papen seine nationalsozialistischen Freunde anekelt. Mehr noch sollten diese sittlichen Erneuerer allerdings noch die Methoden anekeln, mit denen in Deutschland der letzte Regierungswechsel vollzogen worden ist. Der Appell an den „inneren Schweinehund" ist nicht erst eine nationalsozialistische Erfindung. Sie ist eine alte nationale und konservative Methode.

In keinem anderen Kulturvolk der Welt haben wir diese Art gehabt, den politischen Gegner gesellschaftlich und persönlich zu diffamieren.

Diese Waffen kennt man seit den Zeiten, in denen sich Bismarck voll Ekel über die Kreuzzeitung und über die preußischen Barone aussprach. Wir kennen diese Methoden auch aus den ersten Jahren der Revolution, aus der Mordhetze gegen Erzberger, Rathenau, Scheidemann, Ebert usw.

Wenn jetzt von einer Schicht, die sich so grauenhaft und lächerlich selbst erledigt hat wie die deutschen Feudalen, mit überheblichem Tone Werturteile über Dinge ausgesprochen werden, die sie gar nicht versteht, wenn man jetzt in hochmütig schnöselndem Ton moralpredigt, wenn Demokratie und Republikaner in schnarrendem Leutnantston angeblasen werden, dann fällt einem das Wort des Philosophen Johann Georg Lichtenberg ein: „Deutschland, das ist das Land, in dem man eher lernt die Nase zu rümpfen, als sie zu putzen."

Die Gegenrevolution ist uns in ihrer ganzen zwangsläufigen Entschlossenheit und in ihrer wahren Gestalt am 20. Juli 1932 entgegengetreten.

Es ist darum erklärlich und entspricht einem ganz richtigen Ahnen, wenn sich die Diskussion in der Partei vor allem um den 20. Juli 1932 kristallisiert. Nur ist diese Diskussion abwegig, wenn sie sich an die Taktik des Tages klammert. Die tatsächlichen Vorgänge des 20. Juli sind ja nur ein Ergebnis unserer Wahlniederlage vom 24. April. Man kann nicht den Faschismus abwehren, wenn das Volk die demokratischen Grundlagen dazu entzieht.

Wenn die KPD sich dieses Kampfes bemächtigen will, dann können wir ihre Parole vom Generalstreik für eine groteske Verlogenheit erklären. Als am 13. März 1920 beim Kapp-Putsch der Generalstreik eine Lebensnotwendigkeit für die deutsche Arbeiterschaft war, da war die KPD gegen diesen Generalstreik. Beim Reichswehreinmarsch in Sachsen 1923 wurden die sozialdemokratischen Minister verhaftet. Die kommunistischen Minister Heckert und Böttcher [Paul Böttcher (1891-?) schloß sich zuerst der SPD (1908), dann der USPD (1917), anschließend der KPD (1920) an. Ab 1923 Vors. der sächsischen KPD-Landtagsfraktion, amtierte er im Oktober 1923 als Finanzminister in der Regierung Zeigner. Als prominenter Führer der Rechten verlor Böttcher 1924 seine Funktionen, im Januar 1929 wurde er aus der KPD ausgeschlossen. Nach der Emigration in die Schweiz 1933 und der Rückkehr nach Deutschland wurde er 1945 in der SBZ verhaftet und verblieb bis 1955 in verschiedenen Lagern der Sowjetunion. 1955 Aufnahme in die SED und stellv. Chefredakteur der „Leipziger Volkszeitung".] konnten freilich nicht verhaftet werden, weil sie vorher schon geflohen waren. Die kommunistischen Führer haben auch am 20. Juli den Generalstreik nicht gewollt. Denn sie waren mit dem Besorgen von Pässen für Rußland hinreichend beschäftigt.

Gerade weil wir den Mut zum Generalstreik in der entscheidenden Stunde haben, weil wir den Willen haben, diese letzte und größte Waffe anzuwenden, müssen wir auf die letzte große erfolgversprechende Situation warten.

Wir werden dann dastehen und kämpfen; ob es die Kommunisten tun werden, ist ungewiß. Wenn die Nationalsozialisten und Kommunisten, die sich immer als Männer der organisierten Gewalt und Verächter friedlich-demokratischer Methoden aufspielen, den Mut hätten, dann hätten sie doch am 12. September zum Generalstreik aufrufen müssen. Am 12. September hat der Nationalsozialist Göring erklärt, er vertrete Verfassung und Parlament. Er werde der Gewalt nicht weichen. Die Kommunisten jubelten ihm zu, als er die nächste Sitzung des Reichstags anberaumte. Sie, die vorher mit allen Mitteln das Inkrafttreten der Notverordnungen Papens vermeiden bzw. sie wieder aufheben wollten, haben nicht den Mut zur Generalstreikparole gehabt. Die Courage vergeht ihnen, wenn sie dem Klassengegner selbst ins Gesicht schauen müssen. - Eine andere Frage ist es, wie es [zum] 20. Juli kommen konnte.

Was aber für uns die Bedeutung des 20. Juli ausmacht, das ist die Erkenntnis einer absolut neuen Situation in der Republik.

Der 20. Juli bedeutet, daß die gegenrevolutionären Kräfte in Deutschland mit Gewalt jeden politischen Berührungspunkt mit der Arbeiterklasse zu zerstören suchen. In der Kenntnis der neuen Situation, die den Mut hat, jeder Tatsache ins Gesicht zu sehen, liegt zwangsläufig die neue Linie der Politik.

Die Periode der Versuche des Hereinwachsens in den Staat ist erledigt. Dieser Abschnitt hat seine gewaltigen Leistungen für die Arbeiterschaft gehabt (Sozialrecht, Lohnpolitik usw.). Es gibt aber keine Standorte mehr, von denen heraus man diese Politik weiterführen könnte. Die Gleichgewichtslage der Klassen ist von den anderen mit Gewalt umgekippt worden.

Das geht bis zu der größten Ungeheuerlichkeit, die es im Staatsleben gibt: zur Ungleichheit vor dem Gesetz.

Die Behandlung der Gewerkschaften als Tarifpartner, die Friedenspflicht usw. zeigen, daß ganz bewußt und mit einem Einschlag von Hohn der Boden des Rechtsstaats verlassen wird. Den Arbeitern wird eindeutig unter die Nase gerieben, daß sie nicht nur alle Opfer zur Überwindung der Krise zu tragen, sondern daß sie im Staate nichts zu suchen hätten. Die Kämpfe der Gewerkschaften zur Abwehr sind unsere Kämpfe. (Bravo!)

In gewisser Hinsicht sind wir durch den 20. Juli hinter die letzten Jahrzehnte des Kaiserreichs zurückgeworfen.

Im Kaiserreich lebte der Drang zur Schwächung der absoluten Macht der Exekutive, seine Entwicklung ging zum Parlamentarismus hin. Jetzt aber wird der Parlamentarismus zerstört, und die Entwicklung geht zur Stärkung der Exekutive.

Der 9. November 1918 sieht sich einem schroffen Gegenpol gegenüber. Die Arbeiterklasse soll nicht mehr weiter Subjekt in der Politik und Wirtschaft sein, sie soll reines Objekt der Klassenherrschaft der abgetakelten Fürsten und bankrotten Versager sein. Dementsprechend sind wir so weitgehend aus der Verantwortung entlassen, sind wir, wie noch nie in den letzten Jahrzehnten, aus dem Staat herausgedrängt, gibt es gar keine andere Möglichkeit, als rein von der Klasse her politisch zu operieren. Man muß unbarmherzig erkennen, daß der 20. Juli keine zufällige taktische Situation ist, die in einem regelmäßigen Ablauf der Dinge auch wieder taktisch geändert werden kann. Man kann ebensowenig an den 20. Juli 1932 wieder anknüpfen, wie die Gegenrevolution am 9. November 1918 wieder weitermachen kann. - Wir dürfen aber nicht in die bequeme Art der Vorkriegsopposition zurück. Der Sozialismus ist gegenwartsnäher und notwendiger. Das tägliche Leben und die Sorge der Arbeiterklasse duldet kein Warten.

Wir brauchen rücksichtslose Opposition, aber konstruktive Opposition. (Sehr gut!)

Der Druck der anderen erzeugt den Gegendruck des Proletariats. Die politische Praxis der Partei ist revolutioniert worden. Parlamentarisch und außerparlamentarisch gilt es, sich auf die Situation zu rüsten, in der es kein Ausweichen gibt. Man hat uns zu viel genommen, als daß wir uns mit der Erreichung der alten Position begnügen könnten, die dann neue Gefahren der Gegenrevolution und der unsozialen Beraubung in sich schließen kann. Die Dynamik der Ereignisse hat das Schicksal von Sozialismus und Demokratie untrennbar verbunden.

Es gibt auf die Dauer keine Demokratie ohne Sozialismus und es gibt keinen Sozialismus im Obrigkeitsstaat.

Eben diese Dynamik der Ereignisse macht alle unsere Kämpfe jetzt zu prinzipiellen.

Wenn die deutsche Arbeiterklasse für die Demokratie kämpft, so weiß sie, daß die bisherige Art der Demokratie in Deutschland nicht wiederkommen kann.

Demokratie in Deutschland ist nur möglich, wenn die gesellschaftlichen und ökonomischen Kräftequellen des Faschismus zerstört werden. (Sehr richtig!)

Enteignung des Großgrundbesitzes, Sozialisierung der Privatmonopole, der Schwerindustrie und der Großbanken allein sichern uns vor Wiederauferstehung irgendeiner Form des Faschismus. Darum hat Hilferding so recht, wenn er erklärt: Nicht mehr Wirtschaftsdemokratie, sondern Sozialisierung ist die Parole. Es gilt, die Kommandohöhen der Wirtschaft zu besetzen. (Zustimmung) Darum haben unsere entsprechenden parlamentarischen Anträge auf Umgestaltung der Wirtschaft einen Charakter, wie ihn solche Anträge bei uns noch nie gehabt haben. Sie bedeuten, daß wir den Kampf um den Sozialismus als das Kardinalproblem der Gegenwart betrachten.

Die Schleier um den Kapitalismus sind zerrissen.

Nach dem Kriege war der Sozialismus aus ökonomischer Schwäche des Wirtschaftmechanismus nicht zu verwirklichen. Jetzt haben wir einen Stand in der Entwicklung der Produktionsmittel erreicht, der die wirtschaftlichen Hemmnisse weitgehend hinweggeräumt hat.

Auch die psychologischen Voraussetzungen für den Sozialismus sind mächtig gewachsen.

Auch wenn der Hochkapitalismus noch nicht sein letztes Wort gesprochen hat, stößt der Sozialismus in seine Aufbauarbeit hinein und wird mit allen Mitteln versuchen, sich zu etablieren. Wenn diese größte Krise des Kapitalismus noch keine vollständige sozialistische Lösung findet, so wird sie bestimmt keine Lösung ohne Sozialismus finden.

Jetzt bläst die Regierung der Barone zur kapitalistischen Offensive.

Der deutsche Kapitalismus glaubt mit politischen Machtmitteln über seinen Bankrott hinwegzukommen und ihn aus der Welt zu schaffen.

Zerstörung der Sozialleistungen, des Arbeitsrechts und der Löhne soll ihm Luft zum Atmen geben. Die öffentlichen Betriebe sollen möglichst reprivatisiert werden. Unter der Parole der Arbeitsbeschaffung werden die privaten Unternehmer liquid gemacht.

Wie zu Zeiten des französischen Bürgerkönigtums heißt die Parole: „Bereichert euch". Aber diesmal bereichert man sich direkt aus dem Staatssäckel auf Kosten der Allgemeinheit.

Die Steuergutscheine - vorgegessenes Brot - bedeuten die schlimmste Beraubung des Staates zugunsten einer Klasse. Man wird mit dieser Steuer alles Mögliche anfangen. Man wird an der Börse spekulieren. Man wird sie in Tressors bewahren. Man wird sie verkaufen und den Erlös verstecken, verschieben oder in größtem Luxus verkonsumieren. Vielleicht wird man damit auch ein paar hundert Millionen Mark Schulden bezahlen. Aber man wird am wenigsten damit die Wirtschaft anzukurbeln versuchen. Nicht dadurch, daß man den deutschen Kapitalisten etwas gab, sondern nur dadurch, daß man ihnen etwas nahm, war dieses Ziel zu erreichen. Die Zwangsanleihe wäre der richtige Weg gewesen, Nur in der Hand der öffentlichen Wirtschaft, die solche Summen für Löhne ausgegeben hätte, wäre etwas Positives mit ihnen anzufangen gewesen.

Jetzt nimmt man Milliarden unten weg und tut sie oben hin. Oben verfliegen sie, und unten fehlen sie.

Papens Zerstörung der Sozialleistungen und vor allem der Lohnabbau dienen nicht einer Behebung, sondern einer Verstärkung der Wirtschaftskrise. Mit der Zerstörung der Massenkaufkraft ruiniert man den inneren Markt. Dazu tritt die Zerstörung des äußeren Marktes mit nationalistischer Außenpolitik, mit Zollerhöhungen und Kontingenten.

Schon sind wir im Wirtschaftskrieg mit Holland und Italien. Der Egoismus, vor allem der Landwirtschaft, kennt keine Grenzen. Manche Kontingente werden auf 10 oder 15 Prozent ihres früheren Standes herabgesetzt. Dabei wird der Landwirtschaft damit ja doch nicht geholfen. Denn schließlich können nur die Preise bezahlt werden, die der inneren Kaufkraft entsprechen.

Aber der Export wird gemordet. 1929 exportierten wir noch für 13 Milliarden Mark. Wir müssen Glück haben, wenn es 1932 noch eine Wertmenge von 6 Milliarden Mark wird. Das sind allein 1 1/2 Millionen Arbeitslose, die auf dem Altar des schwerindustriellen und agrarischen Eigennutzes geopfert werden.

Die ganze Wirtschaftspolitik der Baronsregierung ist nur auf zwei Faktoren abgestellt: den ostelbischen Großgrundbesitzer und den westdeutschen Schwerindustriellen. Die Arbeiter und Angestellten sind in jedem Fall die Ausgepowerten und die Dummen. Aber auch die Bauern und die Mittelständler und die Verarbeitungsindustriellen, die sich selbst so kindlich und ahnungslos über kleine Geschenke (Steuergeschenk für kleine Betriebe, Hausreparaturen usw.) freuen, kommen auf die Dauer auch unter die Räder.

Deutschland braucht eine Aufrichtung der Konsumindustrie, nicht der Produktionsindustrie.

So anarchistisch und zum Chaos drängend ist dieses Programm, daß selbst Aktionen der Hilfe sich als Zerstörung auswirken. Als Beispiel diene der Vollstreckungsschutz der Landwirtschaft. Die Reichsregierung will dem Mittelstand helfen, nimmt ihm aber durch den landwirtschaftlichen Vollstreckungsschutz das in der Landwirtschaft angelegte Vermögen. Man will die Landwirtschaft schützen, beraubt sie aber mit dem Vollstreckungsschutz aller privaten Kredite. - Gegenüber allen diesen Aktionen des Adelskabinetts stehen die sozialdemokratischen Anträge, die auf offenere Grenzen, Wiederherstellung der Kaufkraft, planvollere Wirtschaft und gerechtere und sinnvollere Verteilung der Kredite zielen.

Geradezu fürchterlich wird Württemberg von dieser Wirtschaftspolitik getroffen werden. (Sehr wahr!)

Wenn die 700 Millionen Mark für Arbeitereinstellungen woanders eine vorübergehende Wirkung haben können - Württemberg mit seiner Kurzarbeit fällt dabei unter den Tisch. Die Wirtschaft unseres Landes ist auf die Konsumgüterindustrie und auf die Exportindustrie aufgebaut, Faktoren, auf die Papens Wirtschaftspolitik zerstörend wirkt.

Wir sind bereits in eine Entwicklung eingetreten, die mindestens zur Herabsetzung der württembergischen Wirtschaft auf den Reichsdurchschnitt führen wird.

Man muß den Wunderglauben der württembergischen Papen-Anhänger in Industrie und Mittelstand bestaunen, die damit meinen, daß mit autarkischen Maßnahmen nur schnell einmal den Nazis der Rang abgelaufen und dann zur Vernunft zurückgekehrt werden soll. Die Großagrarier und Schwerindustriellen haben ihre Ziele, von denen sie nicht abgehen, und ihr Vertrauensmann der Reichsregierung, Edler von Braun, weiß besser als die politisierenden Amateure des Herrenklubs, was er wirtschaftlich will.

Jetzt wittert alles, was etwas besitzt, Morgenluft.

Die Börsen sind optimistisch, man hat Vertrauen zur „starken" Regierung - es fehlen eigentlich nur - die Tatsachen. Denn das ganze Experiment des Herrn von Papen beruht auf der Hoffnung, Deutschland an eine aufsteigende Wirtschaftskonjunktur anhängen zu können. Aber selbst wenn diese Konjunktur eintreten würde, dann hat man bereits alle Voraussetzungen geschaffen, diese Weltkonjunktur vor uns davonlaufen zu lassen mit einer Politik der Autarkie, der Auspowerung und Entrechtung des eigenen Volkes.

Gegen diese Wirtschaftspolitik gibt es nur den absoluten und rücksichtslosen Kampf, geschart um das Banner sozialistischer Wirtschaftsgestaltung in der Gegenwart.

Es sind die Machtmittel des Staates, mit denen diese Wirtschaftspolitik der Barone gemacht wird. Staat und Wirtschaft sind aber unauslöslich miteinander verbunden. Das haben die anderen eher erkannt als das Gros der deutschen Arbeiterschaft. Darum ihr Fanatismus im Kampfe für eine Verfassungsreform. Jede Änderung der Verfassung bedeutet eine Verschlechterung im politischen und sozialen Kräfteverhältnis der Klassen. Diese Verfassungsreform ist nichts anderes als der Versuch, eine neuerliche Verdrängung der Herrschenden aus der Macht unmöglich zu machen, ihre Klassendiktatur in Permanenz zu erklären und verfassungsrechtlich zu sichern.

Der „überparteiliche Staat" ist ein oberflächlicher Schwindel.

Es gibt Perioden, in denen die Bourgeoisie zu verschwinden scheint, die starke Hand, die höhere Macht, der selbständige Staat tut sich auf. Im Frankreich des dritten Napoleon, im Italien Mussolinis haben wir gesehen, daß der unparteiische Staat auch einmal vorübergehend gegen einzelne Teile der Bourgeoisie regieren kann. Daß er aber im Prinzip stets die gewaltsame Förderung der Interessen des Kapitalismus auf Kosten der Arbeitenden bedeutet. Heute wird der überparteiliche Staat zum Raubstaat der Besitzenden.

In der ganzen Welt werden jetzt die Versuche faschistischer Regierungsweise allmählich liquidiert. Unsere Wilhelminer haben, wie schon in der Vorkriegszeit, auch heute keine Ahnung vom Wesen der Arbeiterklasse. 1918 fiel das dumme Wort: Den Arbeitern sei eine gute Wurst lieber als das gleiche Wahlrecht. Die Versuche des reaktionären Staates können in Deutschland keine Wurzel fassen. Wir erinnern an die tiefe Wahrheit, die Karl Marx im 18. Brumaire aussprach: „Es ist unmöglich, durch Gesetzesparagraphen eine moralische Macht zu schaffen."

Die Deutschnationalen würden am liebsten sehen, wenn die Verfassungsreform ohne Fragen des Parlaments durch Staatsstreich durchgeführt würde. Wahrscheinlicher ist der Versuch, die „autoritäre Demokratie", d.h. die Übermacht des Reichspräsidenten, auf etwas legaler frisiertem Weg zu erreichen.

Für die Sozialdemokratie gibt es gegenüber solchen Plänen nur den rücksichtslosen Kampf.

Unsere Verfassungsreformer übersehen außerdem, daß sie alles auf die einzigartige Position Hindenburgs in Deutschland abstellen. Wir haben schon an der Verfassung von 1871 erlebt, was für fürchterliche Folgen der Fehler haben kann, die Verfassung auf die Qualitäten eines bestimmten Mannes zuzuschneiden.

Daß sich die Reaktionäre von ihren alten Lieblingsvorstellungen des Pluralwahlrechts, des Oberhauses usw. nicht trennen können, ist selbstverständlich. Daß wir kein Mittel im Kampfe gegen eine solche Reaktion unversucht lassen werden, ist ebenso klar. Entscheidend aber scheint uns der Versuch zu sein, das Parlament in eine Rolle herabzudrücken, die bestenfalls der in einer konstitutionellen Monarchie entsprechen würde. Gerade die Kreise, die sich heute hinter Hindenburg verkriechen, hätten wohl am wenigsten dagegen, wenn er bei einer von ihnen gewählten Gelegenheit zurücktreten und den Weg zur Reichsverweserschaft freimachen würde.

Die Reichsverweserschaft aber ist die Monarchie. Und jeder Versuch monarchischer Restauration ist der unaufhaltsame Bürgerkrieg bis zu letzten Konsequenz.

Wir brauchen nicht erst auf die anderen zu warten, um gegen Versailles zu kämpfen. Wir waren lang genug in diesem Kampf fast allein. Versailles, das ist die große Anklage gegen die deutsche Reaktion. Sie hat uns dahin gebracht und nichts getan, uns davon zu befreien.

National ist nicht, der die eigenen Volksgenossen mißachtet und unterdrückt.

Wir haben in Deutschland noch nie eine Regierung gehabt, die im echten Sinne des Wortes so wenig national war. National ist auch nicht, wer Abenteurerpolitik nach außen macht. Wie dilettantisch ist doch der Versuch, sich Verbündete zu schaffen, mit den Vereinigten Staaten und Italien in eine Front gegen den „Erbfeind" zu kommen! Wie kläglich sind die Methoden eines deutsch-französischen Ausgleichs, wenn es nur ein Ausgleich der Profitmacher und des Militärs ist! Nichts kennzeichnet besser die verhängnisvolle Einstellung als die Tatsache, daß man jetzt den Eindruck nationaler Gleichberechtigung ausgerechnet auf militärischem Gebiet sucht.

Von allen Sorgen der Nation, von allen Wünschen nach Gleichberechtigung, ist der nach Wehrfreiheit der geringste und im Augenblick unwichtigste.

Der wilhelminische Traum von der schimmernden Wehr ist grotesk und wirkt auf die ganze Welt erbitternd und lächerlich. Denn sie fragt sich, ob die Deutschen keine anderen Sorgen hätten.

Das deutsche Volk braucht Brot und nicht Kanonen! (Zustimmung)

In der Aufrüstungsfrage möchte man eine nationale Einheitsfront, während man zu gleicher Zeit die Volksmassen politisch entrechtet und sozial beraubt. Auch wir wollen die deutsche Gleichberechtigung, aber die Gleichberechtigung auf dem Boden der Abrüstung. Stolz verkündet der Stahlhelm, daß jetzt soldatischer Geist die deutsche Politik beherrsche. Das ist ja eben das Unglück. Dieser „soldatische Geist" führt uns in grauenhafte Isolierung.

Wir stehen heute in der Welt vereinsamter und mißtrauischer betrachtet da als im August 1914.

Die Welt sieht manches besser und klarer als viele Leute innerhalb unserer Grenzen. Sie will mit dem Wilhelminismus und preußischen Militarismus nichts zu tun haben und fürchtet Überraschungen. Für keine deutsche Regierung ist darum das Eisen der Heeresreform heißer als für die wilhelminischen Barone. Sie fällen damit nur eine einmalige Entscheidung von weltgeschichtlicher Bedeutung gegen den Frieden und machen jeden Kampf für Abrüstung unmöglich.

Man soll uns nicht mit den Agitationsphrasen von der deutschen Sicherheit kommen. Die ist erst gefährdet, wenn wir aufrüsten. Bei uns weiß man über die tatsächliche Rolle Deutschlands in der Welt zu wenig.

Wir werden wieder belogen und betrogen wie einst im Mai. Es ist der Geist des Kriegspresseamts, es sind dieselben Methoden, es sind dieselben Kreise.

Wir dürfen vor dem Nationalismus nicht zurückweichen. Wir müssen laut die geschichtliche Aufgabe der deutschen Republik als der Vorkämpferin des Abrüstungsgedankens verkünden.

Wir müssen glauben an die gewaltige menschliche und politische Front der Kraft der Idee des Friedens.

Schon innerpolitisch wäre es selbst für Leute, die hier anderer Ansicht sind, unmöglich, einer Regierung der Militärdiktatur, die jede parlamentarische Kontrolle ablehnt und jede öffentliche Kritik mit dem Landesverratsparagraphen verfolgt, die Hand zu ihren Plänen zu bieten. Und schließlich lebt die heutige Reichswehr noch zu sehr in der alten preußischen Tradition, sehnt sich nach einer obersten Kommandogewalt, die nicht vom Volk und vom Parlament herkommt. Sie versucht sich vergeblich einen sozialen Anstrich zu geben. Die paar dilettantischen Sprüche Schleichers sind doch sofort durch massive privatkapitalistische Sprüche des Reichskanzlers erledigt worden. Wir kämpfen auch heute nicht gegen die Reichswehr, wir kämpfen um die Reichswehr.

Nicht Stärkung, sondern Schwächung der Machtmittel der Militärdiktatur muß der Inhalt unserer Politik sein.

Denn hinter der Militärdiktatur steht die Wiederkehr der Hohenzollern, steht das kriegerische Abenteuer und die politische und soziale Knechtung der arbeitenden Klasse.

So gilt es, überall den Mut zu haben, offen gegen den Strom zu schwimmen. In diesem Kampf werden wir nicht schwächer, sondern stärker. Unsere stärksten Kraftquellen werden die Organisationen und das Vertrauensverhältnis der Massen, wird der Glauben an Sozialismus, Demokratie und Frieden (sein).

Darum ist der Wahlkampf vom 6. November der grundsätzlichste Wahlkampf seit dem 9. November. Die Regierung glaubt durch Erreichung des taktischen Zieles der Zerstörung der schwarzbraunen Mehrheit von den unerträglichen Ansprüchen der Nationalsozialisten loszukommen. Wenn die Nationalsozialisten nicht mehr mit dem Zentrum allein eine Mehrheit haben, sondern die Deutschnationalen dazu brauchen, sind ihre Erpressungsmöglichkeiten gegen die Regierung geringer. Keine Partei hat nämlich mehr Grund, Wahlen am laufenden Band zu fürchten als die Nationalsozialisten.

Man darf nicht glauben, daß der Bruch zwischen dem blauen und dem braunen Faschismus ein endgültiger ist. Wenn es gilt, gegen die Sozialdemokratie und die Arbeiterklasse zusammenzustehen, werden sie sich sofort finden. Jetzt sind nur die Nationalsozialisten zu groß geworden. Die blauen Faschisten haben Angst, zu viel abgeben zu müssen, und die braunen Faschisten haben als Massenpartei Angst vor dem Verlust der Massen.

Die Regierung dagegen, die jetzt den Terror unterdrücken muß, ist auf die Knochen blamiert.

Sie hat noch die sozialdemokratischen Minister der Länder für den Terror verantwortlich gemacht, sie meint jedoch, daß die wertvollen Kräfte der braunen Armee nur provoziert und unterdrückt würden. Die Regierung verdankt doch ihre Existenz nur dem Willen, den Nationalsozialismus zu zähmen und ihn vor dem Marxismus zu bevorrechtigen und im Staate einzubauen.

Die Unterhaltungen des 13. August, in denen Adolf Hitler die Stellung für sich beanspruchte, die Mussolini 1922 in Italien nach seinem Marsch auf Rom gehabt hat, mußten zu einem Mißerfolg führen. Mussolini hat nämlich den Marsch auf Rom gemacht, und Adolf Hitler war viel zu feige, um auf Berlin zu marschieren.

Mussolini ist ein Diktator, und Adolf Hitler ist ein Dekorateur. (Heiterkeit).

Was die Nationalsozialisten am 13. August abgelehnt haben, würden sie am 12. September gern angenommen haben.

Die Sozialdemagogie der Nationalsozialisten in diesem Wahlkampf, ihr Geschrei gegen die feinen Leute macht keinen Eindruck. Sie haben ja die Regierung der Barone als nationalen Fortschritt begrüßt. Schon jetzt verkündet überdies die nationalsozialistische Presse, daß der Hauptfeind die SPD sei und bleibe und daß sich gegen sie der ganze Stoß im Wahlkampf kehren müsse. Die Deutschnationalen aber erklären, wie z.B. kürzlich in Stuttgart, daß die Nazi wohl sehr unartig seien, daß aber alle Kräfte auf das Ziel der Zerschlagung des Marxismus konzentriert werden müssen. So bleibt das Ergebnis: Der braune und der blaue Faschismus, die sich getrennt haben, drohen sich wieder zu vereinigen und werden sich vereinigen, wenn es gilt, die Katastrophe des Feudalismus und des Kapitalismus auf Kosten der Arbeiterklasse abzuwenden.

Wir müssen die Massen, die heute der deutschen Gegenrevolution die Kraft geben, zersetzen, und das kann nur unter dem Druck der sozialistischen Massenarbeit vor sich gehen. Dabei müssen wir den Kommunisten eindeutig erklären, daß wir für die Einheitsfront der Zerschlagung des Faschismus sind, daß die KPD aber erkennen muß, daß nur der sozialdemokratische Weg dabei möglich ist, und daß es ein einheitliches Zusammenarbeiten nur gibt auf der Grundlage der Ehrlichkeit. Den kommunistischen Massen aber müssen wir erklären, daß ihr Sehnen nach dem Sozialismus niemals durch die Politik der KPD befriedigt werden kann.

Jetzt gilt es, alle Kräfte auf das eine Ziel zu konzentrieren. Zerschlagt die deutsche Gegenrevolution, bevor sich der braune Faschismus schon im Staate festgesetzt hat. Fördert die Krise der Nationalsozialisten mit allen Mitteln. Noch nie hat die Arbeiterklasse irgendeines Landes vor so gewaltigen Aufgaben gestanden wie heute die Sozialdemokratie. Wir haben den festen Glauben, mit jedem Gegner fertig zu werden.

Die geschichtliche Vernunft, die Notwendigkeit, daß Wirtschaft und Politik in unserem Sinne gestaltet werden müssen, ist gegeben. Der Friede, Deutschland und die arbeitende Klasse verlangen von uns: Aktivierung, Leistung, Kampfgeist. Die neuen Ziele erheischen neues Leben und neue Kraft.

Es geht um die größte Entscheidung unserer Klasse. Es geht um den Sozialismus!


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | August 2000

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