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ANHANG: DOKUMENTE
[von Kurt Schumacher]



[26.]
„Die Verfassung ist verbogen und durchlöchert".
Rede am 16.9.1932 zum Auftakt des Reichstagswahlkampfes vor SPD-Mitgliedern in Stuttgart


STW v. 17.9.1932, Redebericht

Reichstagsabgeordneter Dr. Schumacher ging zunächst ausführlicher auf die Vorgänge bei der Reichstagsauflösung ein. Der Reichstag bot an jenem geschichtlichen Tage ein Bild jammerwürdiger Hilflosigkeit. Jeder tat das, was er eigentlich nicht tun wollte. Die Sozialdemokratie braucht sich dabei nicht zu entschuldigen, denn die Politik in diesem Reichstag war eine Sache der bürgerlichen Parteien.

Die Verfassung von Weimar ist verbogen und durchlöchert. Sie macht den Eindruck eines Wrackes auf hoher See. Trotzdem klammern sich die Regierung und jene Parteien an dies Wrack, die die ganze Welt revolutionieren wollen. Nationalsozialisten und Kommunisten gebärden sich heute verfassungstreu bis auf die Knochen. Ohne Zweifel hat die Regierung auch in einem Punkte die Verfassung verletzt, und das ist die Begründung der Auflösung. Der Reichstag darf nicht zweimal hintereinander aus dem gleichen Grunde aufgelöst werden. Die Auflösung sollte aber den Reichstag verhindern, von einem Rechte Gebrauch zu machen, das er nach der Verfassung hat.

Das Parlament konnte indes keine Kraft entfalten, da in diesem Parlament die grundsätzlich antiparlamentarischen Parteien die Mehrheit hatten.

Die Nationalsozialisten haben ihren Aufschwung nur erhalten durch ihren Willen zur Alleinherrschaft. Als ihr großes Ziel haben sie nicht nur die Vernichtung des Marxismus, sondern auch die Vernichtung des Zentrums hingestellt, mit dem sie trotz aller Beschimpfungen dann Koalitionsverhandlungen eingingen. Die Nationalsozialisten konnten legal die Macht nicht erobern, und illegal sie zu erobern, waren sie zu feig. Die Faschisierungsbestrebungen ruhen indes nicht nur auf dem Nationalsozialismus, sondern auch auf dem nationalen Kabinett. Sie sind ein gewaltiger Versuch des Kapitalismus, der als Wirtschaftssystem bankrott gemacht hat, sich als politisches Machtsystem zu heilen.

Gegen diesen Versuch gibt es nur eine Politik des Widerstandes mit allen Mitteln. Obgleich die Nationalsozialisten sich jetzt als die eigentliche Freiheitspartei hinzustellen belieben, gilt ihr ganzes Streben doch der Sicherung des Geldsacks. Auch Papen spielt die Rolle in der Politik nicht, die er im Rundfunk spielt.

Der Referent beschäftigt sich dann eingehend mit den gefährlichen Aufrüstungsabsichten der Regierung. Die Regierung verlangt Gleichberechtigung mit anderen Nationen.

Auch wir sind für Gleichberechtigung, aber auf dem Boden der Abrüstung. Unsere stärkste Waffe ist der Friedensgedanke.

Völlig verfehlt ist das Wirtschaftsprogramm der Regierung mit seinen Milliardengeschenken an die Unternehmer. Um die letzten Notverordnungen mit ihren katastrophalen Folgen für die Arbeiterschaft aufzuheben, hat die Sozialdemokratie das Volksbegehren eingeleitet. Wer dieses Volksbegehren nicht unterstützt, ist ein Feind der Arbeiterklasse.

All die großen Zukunftsaufgaben erfordern ein ungeheures Maß von Aktivität auch innerhalb der Partei. Wir werden den heutigen Tiefstand auf wirtschaftlichem und politischem Gebiet überwinden, wenn wir unermüdlich und mit ganzer Hingabe und Begeisterung für unsere hohen sozialistischen Ideale eintreten. (Anhaltender starker Beifall)


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | August 2000

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