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ANHANG: DOKUMENTE
[von Kurt Schumacher]



[28.]
Zerschlagt die Gegenrevolution! Die geschichtliche Aufgabe der Sozialdemokratie


EV Nr. 239 v. 4.11.1932

Dieser Wahlkampf geht um den 9. November 1918. Das ist für alle wirtschaftlich und gesellschaftlich herrschenden Schichten der Tag, den sie aus der deutschen Geschichte ausstreichen möchten. Die Träger des alten Systems haben den 9. November 1918 nur so verstanden, daß ihnen Privilegien und Vorteile genommen werden und sie in eine Konkurrenz mit anderen Volkskreisen kommen, die sie auf die Dauer nicht aushalten können.

Man darf die Kämpfe, die sich heute zwischen dem blauen Adelsfaschismus der Barone und Schwerindustriellen und dem braunen Kleinbürgerfaschismus der Hitler und Straßer abspielen, nicht ernst nehmen. Mögen sie noch so laut sein, sie sind nur untergeordnete Erscheinungen innerhalb des Lagers der Gegenrevolution. Jetzt hat z.B. sogar Gregor Straßer, der Mann der „sozialen" Richtung in der NSDAP, erklärt, daß die Nationalsozialisten gar nicht daran denken würden, den Privatkapitalismus zu beeinträchtigen und irgendwelche Verstaatlichungen vorzunehmen. Pathetisch, wülstig und dumm rief er aus: Sozialismus ist altpreußische Pflichterfüllung. Nein, aber Nationalsozialismus ist Schund!

Derselbe Gregor Straßer bemüht sich jetzt, den Hugenberg, diesen Todfeind aller Sozialpolitik, zu gewinnen. Die Führer des Nationalsozialismus wissen genau, daß sie sich und ihre Partei nur erhalten können, wenn sie reumütig zu ihrer geschichtlichen Rolle zurückkehren, die Knüppelgarde des Großkapitalismus zu sein.

Die Verhandlungen zwischen den Nationalsozialisten und dem Zentrum gehen weiter. Man ist durchaus bereit dort fortzufahren, wo man im September aufhören mußte. Diesmal wird auch die Reichsregierung mitmachen, wenn sie das Ziel erreicht, die schwarz-braune Mehrheit zu sprengen. Hitler muß ja schließlich einsehen, daß ein Duce dem deutschen Bürgertum zu plebejisch ist. Er wird auch nicht widerstehen, war er doch schon am 30. März bereit, zugunsten des Kronprinzen von der Kandidatur zur Reichspräsidentschaft zurückzutreten.

Aber keinerlei parlamentarische Mehrheit, keine Verfassungsreform und kein Beiseitestoßen des Reichstags kann es verhindern, daß die Regierung Deutschland in den Abgrund führt. Mit ihrem ungeheuerlichen Stimmenkauf, mit ihrem Verschenken des deutschen Volksvermögens an das bankrotte Kapital, hat die Reichsregierung in wenigen Monaten die kommenden deutschen Reichshaushalte mit fast vier Milliarden Mark vorbelastet. Auf der anderen Seite zerstört sie die Kaufkraft, ruiniert sie den Innenmarkt, zertrümmert sie den Außenmarkt.

Das führt zu einer außenpolitischen Isolierung und Vereinsamung, die durch die Aufrüstungspolitik nur noch furchtbarer wird.

Das Kabinett der Gegenrevolution führt uns in einen neuen Zusammenbruch hinein. Die wirtschaftlichen Experimente, der Plünderungsfeldzug gegen das Volk, der so vorgenommen wird, als ob die Herren als Sieger in einem eroberten Lande ständen, und die außenpolitischen Abenteuer, die Widersprüche im großen Block der Gegenrevolution, die Zersetzung der Hitlerbewegung, alles reißt nach unten. Ohne die Gleichberechtigung der Arbeiter ist Deutschland nicht lebensfähig.

Der bis zur Sinnlosigkeit gesteigerte Klassenkampf von oben zeigt, daß die deutsche Gegenrevolution gar keine gestaltende und schaffende Kraft mehr hat. Sie will mit ihren Plänen das Verhältnis von Besitz und Armut, von Arbeitgeber und Arbeitnehmer, von Obrigkeitsstaat und Untertanen so regeln, wie es noch vor Bismarck, nämlich in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts bestand. Damals, vor 80 Jahren, schrieb schon Karl Marx:

„Der Staat ist ein zu ernstes Ding, um zu einer Harlekinade gemacht zu werden. Man könnte vielleicht ein Schiff voll Narren eine gute Weile vor dem Winde treiben lassen, aber seinem Schicksal triebe es entgegen, eben darum, weil die Narren dies nicht glaubten. Dieses Schicksal ist die Revolution, die uns bevorsteht."

Die wirtschaftlichen Interessentenkreise, für die das Reichskabinett kämpft, sind keine Kraftquellen. Sie sind bankrott und darum Belastung, darum absolut sichere Garantie des Mißerfolges. Die Massen können auf die Dauer nicht den Druck einer ungehemmten Klassendiktatur ertragen.

Die Gegenrevolution in ihrem Egoismus, ihrer politischen Dummheit und Kurzsichtigkeit, fordert das Schicksal mit der sogenannten Verfassungsreform noch heraus. Das hat gerade noch gefehlt, daß man uns mit Herrenhaus und Dreiklassenwahlrecht kommt, daß man die Volkssouveränität über Bord wirft und mit der Monarchie winkt. Im Süden sollen die katholischen Wittelsbacher, im Norden die Hohenzollern herrschen. Das Deutsche Reich geht zwar daran kaputt, aber das ist den deutschen Fürsten immer gleichgültig gewesen, wie das Beispiel Wilhelms II. zeigt, der im November 1918 seinem Haus wenigstens die preußische Königskrone erhalten wollte, wenn dabei auch das Reich zugrunde ging. Die Minderwertigkeit des deutschen Monarchismus zeigt sich am besten darin, daß heute bereits ernsthaft hinter den Kulissen eine neue Fürstenabfindung, vor allem in Gestalt der Aufwertung, betrieben wird.

Die Monarchie hat sich für das deutsche Volk nicht als die beste, sondern als die schlechteste aller Staatsformen erwiesen. Sie brach in der Stunde der Gefahr zusammen und riß das ganze Volk mit in den Abgrund. Sie ist in ihren Trägern erledigt und scheiterte erst recht als Staatsidee und Staatssystem.

Vor uns gähnt ein Abgrund furchtbarer als je in der deutschen Geschichte. Die Ausweglosigkeit der Gegenrevolution, die nationalsozialistische Verhetzung des Kleinbürgertums und zum Teil auch des Proletariats durch die Kommunisten, die traditionelle deutsche Junkerstupidität lassen einen neuen August 1914 befürchten. Wir aber sehen die grundsätzlich andere Situation von 1932. Wir nehmen den Kampf schon heute auf durch rücksichtslose Aufklärung der Massen, durch Sammeln aller revolutionären Kräfte. Wir wollen freilich jedes Mittel ausnützen, das parlamentarische und das außerparlamentarische. Wir sind nicht frivol genug, irgend ein Mittel zu verschmähen. Den Kommunisten sagen wir das Wort von Engels: „Die Zeit der Überrumpelungen der von kleinen bewußten Minderheiten an der Spitze bewußtloser Massen geführten Revolutionen ist vorbei. Die Massen müssen selbst dabei sein, selbst schon begriffen haben, worum es sich handelt."

Aber wir rufen heute bereits der Gegenrevolution zu: „Ihr werdet uns nicht in einen neuen August 1914 bringen. Euer Druck erzeugt unseren Gegendruck und der wird dazu führen, daß der neue 9. November vorher kommt. Wir werden euch auf euren Mißerfolgen annageln und sie rücksichtslos ausnutzen. Ein faschistisches und wilhelminisches Deutschland, eine Regierung, die nicht mit Staatsbürgern regieren, sondern Untertanen beherrschen will, hat keinen Anspruch auf irgendwelche Schonung."

Die Freiheit im Innern, den Frieden nach außen werden wir nur erhalten können durch den Sozialismus. Die Stunde, in der wir die gesellschaftlichen und ökonomischen Kraftquellen der Gegenrevolution zerschlagen, in der der Sozialismus in brennende Nähe gerückt ist, wird in allernächster Zeit erstehen. Die anderen können nur Deutschland ruinieren.

Der 9. November 1918 hat das Deutschland gerettet, das die anderen verspielt haben. Ein neuer November wird den Alpdruck der Gegenrevolution von Deutschland nehmen und das Unvollendete beenden. Wohl steht die Wiedereroberung der politischen Rechte und der sozialen Leistungen auf der Tagesordnung. Aber wir können uns nicht mit einem „Zurück zu Weimar", zu einer Wiedereroberung des verlorenen Terrains begnügen. Der Druck der anderen erzeugt unseren Gegendruck, der zu grundsätzlich neuen Zielen führt.

Demokratie, Sozialismus und Friede gehören zusammen. Für diese Ideen kämpft die Sozialdemokratie, um die Macht im Staate mit allen Mitteln, die ihr die geschichtliche Entwicklung zur Verfügung stellt. Wir sind jetzt im Stadium der Vorbereitung. Der 6. November soll uns die große Generalprobe sein!


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | August 2000

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