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ANHANG: DOKUMENTE
[von Kurt Schumacher]



[12.]
Partei und Jugend.
Rede am 6.3.1927 auf einer Bezirkskonferenz der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ)


EV Nr. 54 v. 7.3.1927

Die Frage „Jugend und Partei" aufwerfen, heißt die vielen Fragen des Verhältnisses der Jugend zur menschlichen und politischen Persönlichkeit, zu den Ideen der Freiheit und der Revolution, zu dem geistigen und politischen Inhalt des Sozialismus und der Republik angreifen. Wohl steht die Jugend mitten im gesellschaftlichen Leben, besonders die erwerbstätige Jugend. Aber sie wird sich dessen in anderer Weise bewußt als der Erwachsene. Ihr ist die geistige Erklärung, die Frage nach Zusammenhang und großer Linie oft wichtiger als der momentane Erfolg des Interessenkampfes, zumindest will sie das alles nicht entbehren. Darum faßt sie den Sozialismus anders auf als die ältere Generation. Sie leugnet nicht die Interessenbewegung in ihm. Diese Interessenbewegung aber ist ihr ganz richtig nicht gleichbedeutend mit Sozialismus. Es kann Fälle geben, in denen sie sich unsozialistisch besser durchsetzen zu können glaubt, wie z.B. in der Arbeiterbewegung Amerikas, zum Teil in England und bei manchen Gewerkschaftsrichtungen in Deutschland.

Das Massenbewußtsein der Jugend ist idealistischer und allen Neigungen zum Arbeiterkapitalismus abgeneigter. Für sie treten in der Bewegung stärker die kulturellen und teils im engeren, teils im weiteren Sinne des Wortes religiösen Momente hervor. Ihr Kulturwille ist im allgemeinen stärker als bei den von Sorgen und Verantwortung zerfressenen Älteren, aber doch nicht so groß wie manche Worte, die darüber gemacht werden. Eigene spezifische Kulturleistungen der Arbeiterbewegung sind noch nicht festzustellen. Das metaphysische Bedürfnis der Jugend findet im Sozialismus als solchem verhältnismäßig wenig Befriedigung.

Der Marxismus in seinen Hauptlehren vom historischen Materialismus, der Akkumulations- und der Konzentrationstheorie, ja selbst im Klassenkampf nach seiner materiellen Seite hin würden ihr verhältnismäßig wenig geben, wenn nicht all dem ein ideologisch-revolutionärer Beigeschmack innewohnen würde, besonders der Lehre vom Klassenkampf mit seinem „Glaubens"-Inhalt. Es ist das oppositionelle und revolutionäre Moment des marxistischen Sozialismus, wie es ihm aus seiner geschichtlichen Situation anhaftet, das die Jugend anzieht und nicht etwa eine glänzende Utopie, die dieses Werk vollbringt. Die geschichtliche Situation und nicht die prinzipielle Seite der sozialistischen Idee haben die Suggestivkraft.

Opposition, Revolution, Freiheitskampf sind die Pole der Anziehung. Das zeigt sich auch in anderer Variation bei der Frage Jugend und Nationalismus. Wenn man einen prinzipiellen Zusammenhang zwischen den geistigen Grundlagen einer sogenannten Weltanschauung und der Jugend herstellen will, dann wäre der innerste Zusammenhang wohl zwischen Jugend und Anarchismus, Anarchie im geistigen und nicht im politischen Sinne verstanden, am besten darzustellen. Der Zusammenhang zwischen anderen Anschauungen, z.B. der des Sozialismus und der Jugend, weist zahlreiche derartig geistig-anarchische Lücken auf. Hier ruht auch der Quell der geistigen Verschiedenheiten der Generationen. Die ältere Generation wünscht die „Revolution" im weitesten Sinne des Wortes, um der Interessendurchsetzung, die Jungen wollen die Revolution um der Revolution willen. Dieser Gegensatz der Geister läßt sich nie völlig überbrücken. Die Erlebnisse des Krieges, der Revolution und der Inflation haben den geistigen Abstand der Generationen noch verbreitert. Die verantwortliche ältere Generation hat viel mehr umgelernt als die Jugend, die in Sachen der revolutionären Grundeinstellung konservativ aus Opposition ist.

Die Gemeinsamkeit zwischen den Generationen ist in erster Linie im Ethischen zu finden, in dem Vertrauen, daß auch die ältere Generation selbstlos um der Sache willen kämpft. Die deutsche Revolution als Kind der Niederlage mit ihren großen wirtschaftlichen Tagesaufgaben hat relativ wenig geistiges Interesse erwecken können, wenn auch eine Kritik in dieser Hinsicht meist grundfalsch ist. Sie hat idealistischen Bedürfnissen schon äußerlich zu wenig Nahrung geben können. Der einzige Weg zur inneren Verbundenheit der Jugend mit Klasse und Staat führt über die Partei. Die Absplitterung in radikale Gruppen und Zirkel, die von einem einzigen Punkt aus die Welt erneuern wollen, bringt Atomisierung der Gesamtbewegung, damit Mißerfolge und in deren Konsequenz weitere Interesselosigkeit. Die Jugend braucht aber in ihrem eigenen geistigen und sozialen Interesse die produktive Anteilnahme am Gemeinschaftsleben. Dazu verhelfen aber keine noch so radikalen Programme und Deklamationen, sondern nur das persönliche Erleben in Partei, Gewerkschaften, Reichsbanner usw. Diese Interessierung und Beseelung kann nur durch mehr Demokratie innerhalb der Organisationen und vor allem durch mehr geistige Leistung und geistige Diskussion erreicht werden. Andernfalls verschließt sich die Partei der Jugend und umgekehrt verlieren die Jugendlichen die richtige Wertung für die Personen der Führer und die Fragen der Taktik, ohne die ein politisches Verständnis überhaupt nicht möglich ist.

Das, was die Jugend heute als zu starke Parteibureaukratisierung und als zu wenig begeisternd im Führertyp anschaut, kann sie selbst zum großen Teil ändern, soweit die Dinge überhaupt änderungsfähig sind. Sie darf nicht übersehen, daß die Partei auch nichts Gemachtes, sondern in erster Linie etwas Gewordenes ist. Der Weg vom Kommunistischen Manifest bis heute ist weit. Aber die Zeiten haben sich dementsprechend auch geändert. Nicht sozialistischer Katechismusglauben, sondern Sozialismus als Ziel und Marxismus als Methode sind heute geistige Waffen der Bewegung. Das sollten Junge und Alte in gleicher Weise beherzigen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | August 2000

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