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ANHANG: DOKUMENTE
[von Kurt Schumacher]



[11.]
Rückblick auf die Reichspräsidentenwahlen.
Rede am 6.5.1925 vor SPD-Mitgliedern in Stuttgart


EV Nr. 105 v. 7.5.1925

Die erste Jahresbilanz ihrer aktiven Reichspolitik zeigt den Deutschnationalen einen riesigen Trümmerhaufen. Sie haben keines ihrer oft verkündeten außenpolitischen Ziele erreicht. Weil man keine Taten durchgeführt hat, gibt man als Ersatz ein Symbol: Hindenburg. „Der Retter" soll nur der Retter der Deutschnationalen Partei sein. Vor dem 26. April sollte er die Befreiung bringen und jetzt soll alles beim alten bleiben. Sicherlich bleibt es bei uns auch so, aber nicht bei dem Ausland. Das deutsche Volk wird über das ausländische Urteil systematisch belogen. Auch durch das WTB. Die Imponderabilien im Ausland wirken sich politisch gegen Hindenburg aus. Das Kabinett Painlevé, [Paul Painlevé (1863-1933), französischer Politiker. Er begründete 1924 das Cartel des gauches („Linkskartell") und amtierte von April - November 1925 als Ministerpräsident.] der vorletzte Trumpf der französischen Freiheit, ist bedroht. Es besteht die Gefahr, daß Deutschland wieder zum Säbel Englands auf dem Kontinent wird. Daraus erklärt sich auch die Einschwenkung der Sowjetrussen. Überall jubelt der Chauvinismus unserer Feinde. Trotz allen Ableugnens ist unsere Stellung in der Weltwirtschaft erschwert und erschüttert worden. Das haben diejenigen verschuldet, die heute am stärksten unter der Wahl Hindenburgs leiden. Von General Seeckt [Hans von Seeckt (1866-1936), Generaloberst. - Seeckt amtierte von 1920-26 als Chef der Heeresleitung und hatte großen Einfluß auf die Formung der Reichswehr.] soll hier nicht geredet werden, wohl aber von der Reichsregierung und Dr. Stresemann. [Gustav Stresemann (1878-1929) amtierte 1918-29 als Vors. der DVP, von August - November 1923 als Reichskanzler, 1923-29 als Außenminister. 1925 mit Briand Friedensnobelpreis.] Stresemann weiß genau, warum Herriot [Edouard Herriot (1872-1957), französischer Sozialist. Zunächst Oppositionsführer gegen Poincaré, amtierte Herriot nach dem Wahlsieg des Linkskartells von Juni 1924 bis April 1925 als Ministerpräsident und Außenminister. Juni - Dezember 1932 erneut Ministerpräsident.] das Ruhrgebiet auch nach dem 10. Januar nicht geräumt hat. Er weiß auch, aus welchem Grunde die Botschafterkonferenz die Beratung des Fochschen Gutachtens über die Entwaffnung bis nach der Präsidentenwahl verschoben hat. Die Deutschnationalen reden zwar heute sehr pazifistisch, doch hat ihre Unterschrift außenpolitisch keine Kreditwürdigkeit.

Es ist kein fester Friedenswille und kein Bekenntnis zu der Republik bei den Hindenburgwählern vorhanden, sondern mindestens haben sie dolus eventualis zum Hochverrat und zum Kriege. Im Unterbewußtsein haben sie mit der Wahl Hindenburgs „Frankreich schlagen" wollen. Für diese Kreise sind Militär und Nation unzertrennlich, die Uniform ewig. Die Armee mag politische Fehler machen, das Zivil hat sie zu tragen. Das haben wir in den Fällen Maloy und Caillaux, in Tirpitz [Alfred von Tirpitz (1849-1930), Großadmiral. 1924-1928 MdR (DNVP).] und Hindenburg, sogar in militärischer Hinsicht gesehen. Die deutsche Seele hat jetzt wieder ihren Feldwebel gefunden. Die gerissenen alten Schieber um Tirpitz haben ihr Geschäft mit dem deutschen Gemüt gemacht. Ihnen kommt es nicht auf die außenpolitische Gefährdung, sondern nur auf die innere Macht an.

Der Kampf, ob Meißner [Otto Meißner (1880-1953), Jurist. 1920-1935 Leiter des Büro des Reichspräsidenten, 1933-45 Chef der Präsidialkanzlei.] oder Staatssekretär v. Gayl Sekretär von Hindenburg werden soll, ist symptomatisch. Wir haben Hindenburg im Wahlkampf zu sehr geschont. Wenn der Kaisertreue der Republik schwören will, so ist er ein Symbol deutscher Unehrlichkeit, zudem ein Schwächling, der dreimal Ja und dreimal Nein bei seiner Kandidatur sagte. Hindenburg hat Politik gemacht im Kriege. Die Katastrophe der Vaterlandspartei ist die Katastrophe der Politik Hindenburgs. Die Unpolitischen sind durch diese Psychose mobilisiert worden. Die Nichtwähler unter den Arbeitern haben sich nicht mobilisieren lassen. Nicht deswegen, weil wir auf Braun [Otto Braun (1872-1955), 1920/21, 1921-25, 1925-1932/33 preußischer Ministerpräsident. Die SPD hatte für den ersten Wahlgang der Reichspräsidentenwahl 1925 Braun nominiert, im zweiten Wahlgang unterstützte die Partei den gemeinsamen Kandidaten Wihelm Marx.] verzichtet haben, sondern aus Stupidität. Braun hätte auch günstigstenfalls nicht so viel Stimmen bekommen wie Marx. [Wilhelm Marx (1863-1946), 1922-28 Vorsitzender des Zentrums, November 1923-Dezember 1924, Mai 1926 - Juni 1928 Reichskanzler. Januar-April 1925 preußischer Ministerpräsident.] Drüben stand in diesem Kampfe ein Mann und bei uns eine Idee. Die politischen Kinder und die Frauen haben sich von der symbolischen Puppe faszinieren lassen. Diese Kreise sind auch der konfessionellen Hetze unterlegen, trotzdem die Hetzer zum Beispiel in Württemberg mit dem Zentrum in einer Regierung sitzen. Die konfessionelle Hetze ist gerade von den Kreisen betrieben worden, die den viel realeren Klassenkampf als Verbrechen angeifern. Das Schlimmste daran ist, daß die Verschärfung der konfessionellen Gegensätze unnötig war, weil der Posten der Reichspräsidentschaft damit nichts zu tun hat. Die Gegnerschaft der Tat gegen den Klerikalismus überlassen diese Konfessionshetzer nämlich uns.

In Bayern haben Deutschnationale und Deutsche Volkspartei das Konkordat ermöglicht, das weitgehende Dotationen für die Kirche gibt und die deutsche Schule entgegen den Art. 144 und 172 der Reichsverfassung an Rom ausliefert. Die Gleichgültigkeit des liberalen Bürgertums hat dies geschehen lassen und die evangelische Landeskirche in der Pfalz wie in Bayern rechts des Rheins hat mitgemacht. Und dann besitzen die Rechtsparteien und viele evangelische Geistliche diesen traurigen Mangel an Moral und Ehrlichkeit, bei einer ganz sinnlosen Gelegenheit eine konfessionelle Hetze zu entfesseln, die sie unterlassen hätten, wenn Marx ein rechtsstehender Katholik gewesen wäre. Die nationalistische und konfessionelle Psychose hat nicht nur die bürgerliche Mitte, sondern auch viele proletarische Elemente mitgerissen. Das zeigen vor allem die Wahlen in den Großstädten. [Es folgen Bemerkungen „über die soziologische Seite der Wahl", die das Versammlungsprotokoll nicht verzeichnet.]

Die Kreise, die von uns traditionell beherrscht werden, haben wir voll an die Urne gebracht mit Ausnahme von Sachsen. Hier haben die Kommunisten auf unsere Kosten den einzigen größeren Erfolg errungen. Dies Verhalten bedeutet den Selbstmord der in den sächsischen Arbeiterorganisationen herrschenden Richtung. Die Kommunisten lösen sich weiter auf, wie die Tatsache ihrer Mißerfolge gerade in den Industriestädten im Reich wie in Württemberg beweist. Ihre verbrecherische Haltung gegenüber der Republik hat den Arbeitern die Augen geöffnet. Jetzt sind sie in Preußen von neuem vor eine schwere Entscheidung gestellt. Der Mißerfolg der Kandidatur Marx hat die Stellung des rechten Zentrumsflügels gegenüber dem linken sehr gestärkt. Noch schwieriger liegen die Dinge im Reich. Doch haben wir die große Chance, daß unsere Gegner selbst die Voraussetzungen ihrer Politik zerstören. Die Arbeiterschaft hat gelernt, daß die kommunistische Einstellung zum Staat die Arbeiterklasse sozial schädigt. Die nationale Lüge des Besitzes, die die Nation vergiftet und zerstört, wird gerade durch eine Präsidentschaft Hindenburgs aufgedeckt. Unsere Aufgabe ist es, hier zum Angriff vorzugehen, und dazu mit allen Kräften erst einmal an und in der eigenen Parteiorganisation zu arbeiten.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | August 2000

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