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TEILDOKUMENT:

II. Teil
Dokumentation. - [ 4.]




[Seite der Druckausg.: 134]

4. Günther Wagenlehner:
Kommentar zur Verbalnote der Deutschen Botschaft Moskau vom 17. Juni 1996


Gegen Jahresende 1995 zeigten sich in der Hauptmilitärstaatsanwaltschaft Schwierigkeiten im Hinblick auf die Rehabilitierung der sogenannten „administrativ Repressierten", d.h. der nichtverurteilten Lagerinsassen der 11 NKWD-Lager in der SBZ. Oberst Kopalin berichtete, daß die bisherige Praxis der Rehabilitierung dieser Fallgruppe aufgrund von Einsprüchen anderer Ressorts nicht beibehalten werden könne.

Die Einsprüche bezögen sich darauf, daß die Rehabilitierung der it administrativ Repressierten" nach Artikel 3 Absatz c laut Gesetzestext nur für russische Staatsbürger erfolgen dürfe und die bisherige großzügige Auslegung künftig nicht mehr möglich sei. Er regte eine deutsche Intervention an, um das deutsche Interesse an der Fortsetzung deutlich zu machen.

Um das in Gang zu bringen, habe ich am 15.12.1995 ein Schreiben an den Leiter der Rechtsabteilung im Auswärtigen Amt, MD Dr. Hillgenberg, den ich von den Vorverhandlungen der „Gemeinsamen Erklärung" kannte, mit entsprechenden Anregungen gerichtet.

Er antwortete mir am 23. Januar 1996 nach Rescherchen unserer Botschaft und Abklärung mit dem Bundesjustizministerium. Inzwischen wurde immer klarer, daß die Rehabilitierung ohne deutsche Initiative in Moskau begrenzt bleiben würde. In deutschen Medien wurde die Schuld an diesem Stop der Bundesregierung zugeschoben, die kein Interesse an der Ausweitung der Rehabilitierung und den dadurch möglichen Entschädigungszahlungen habe.

Um keine Mißdeutungen über die deutsche Haltung aufkommen zu lassen, intervenierte daher die Deutsche Botschaft Moskau am 17.Juni 1996 mit der Verbalnote Nr. 1268 in dieser Sache beim Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der RF. Wir haben diese Verbalnote in unsere Dokumentation aufgenommen.

Zur Beschleunigung des Vorgangs habe ich Anfang August 1996 die russische Fassung der Verbalnote aus der Hauptmilitärstaatsanwaltschaft auf Bitten von Generalmajor der Justiz Wladimir Kupez Anfang August 1996 zum wichtigsten Berater des Präsidenten in den Kreml mitgenommen. Aber Jelzin war schwer erkrankt und konnte nicht helfen.

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In Deutschland führten rechtsradikale Zeitungen mit dem Motto: „Behindert Bonn die Rehabilitierung der Deutschern eine Kampagne gegen die Bundesregierung. Wichtig war die Diskussion um die Frage, ob es ein Rückgabeverbot der Enteignungen in der SBZ zwischen 1945 und 1949 gibt oder nicht. Dachverbände der Opfer von Enteignungen wie der „Deutsche Landbund e.V." unterstellten der Bundesregierung, sie hätte in Moskau interveniert, um die Rehabilitierungen zu verzögern.

Solche Behauptungen treffen nicht zu; aber die deutsche Diskussion wurde natürlich in Rußland zur Kenntnis genommen. Das russische Außenministerium wollte auf keinen Fall, daß Rußland hineingezogen und von deutschen Enteignungsopfern in Anspruch genommen wird. Daher verhielt es sich restriktiv.

Ab l0. November 1997 mußte jede in der Militärhauptstaatsanwaltschaft ausgestellte Rehabilitierungs-Bescheinigung den Vermerk tragen:

    „Der Rehabilitierungsbeschluß kann nicht als Grundlage für vermögensrechtliche Forderungen Staatsangehöriger Deutschlands verwendet werden, die den geltenden Gesetzen und Vorschriften und völkerrechtlichen Verpflichtungen zuwiderlaufen."

In Moskau richtete sich der Verdacht gegen einen inzwischen pensionierten Oberst der Justiz in der Verwaltung für Rehabilitierung, er habe illegale Bescheinigungen ausgestellt. Der Pressesprecher des russischen Außenministeriums dementierte offiziell, daß der Herzog von Sachsen-Meiningen rehabilitiert sei. Wir haben dieses Dementi in die Dokumentation aufgenommen.

Der beschuldigte russische Oberst beantragte aus Angst vor Verfolgung politisches Asyl in Deutschland und erhielt es auch. Das konnte nicht gerade die deutsch-russischen Beziehungen günstig beeinflussen. In diesem Feld mußte unbedingt etwas getan werden.

Ende November 1996 begleitete ich eine Delegation unter Leitung von Markus Meckel, MdB , Obmann der SPD in der Enquetekommission „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß

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der deutschen Einheit". Wir dokumentieren seinen Bericht über die „Moskauer Gespräche" in der Zeitschrift DER STACHELDRAHT,

Um die Lösung des Problems der Rehabilitierung der „administrativ verfolgten" Deutschen voranzutreiben, schrieb der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Bundestagsfraktion Rudolf Scharping am 3. Juni 1997 einen Brief im Namen der Fraktion an den Vorsitzenden der Kommission beim Präsidenten der RF für die Rehabilitierung von Opfern politischer Repressionen, A.N. Jakowlew. Wir haben dieses Schreiben in die Dokumentation aufgenommen.

Anfang Juli 1998 stattete der Stellvertretende Generalstaatsanwalt und Hauptmilitärstaatsanwalt der RF Generaloberst der Justiz Jurij G. Djomin mit Generalmajor Nikitin und Oberst Kopalin auf Einladung von Staatsminister Bernd Schmidbauer Bonn und Berlin einen einwöchigen Besuch ab. Für die Programmgestaltung war ich zuständig. Sie hielten Vorträge mit großem Presse-Echo und nahmen die Gelegenheit zu Besprechungen in den Ministerien für Justiz, der Verteidigung, des Inneren und im Auswärtigen Amt wahr.

Nach der Rückkehr initiierte Generaloberst Djomin im August 1998 eine Intervention des Generalstaatsanwalts und des Vorsitzenden der Kommission beim Präsidenten an die Staatsduma zur Realisierung der Gesetzesänderung. Die Antwort blieb aus.

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Dokumentation
Verbalnote der Deutschen Botschaft Moskau
vom 17. Juni 1996 und die Folgen


    4a) Verbalnote 1268 vom 17. Juni 1996

    4b) Einschränkung der Rehabilitierung: Zur Rehabilitierung des Herzogs von Sachsen-Meiningen durch Oberst Wolin im Juni 1996 nach seiner Pensionierung, ITAR-TASS vom o5.11.1996 (Fernseh/Hörfunkspiegel Ausland)

    4c) Bericht von Markus Meckel: Moskauer Gespräche

    4d) Brief Rudolf Scharpings vom 3. Juni 1997 an Jakowlew

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4a)

An das Ministerium für
Auswärtige Angelegenheiten der
Russischen Föderation
4. Europäisches Department

Moskau

Verbalnote 1268 der Deutschen Botschaft vom 17. Juni 1996

Gz: RK 544/10/1
(Bitte bei Antwort angeben)

Die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland beehrt sich, dem Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der Russischen Föderation unter Bezugnahme auf die Gemeinsame Erklärung von Bundeskanzler Kohl und Präsident Jelzin zur Rehabilitierung von zu Unrecht Verurteilten und Verfolgten vom 16. Dezember 1992 folgendes mitzuteilen.

Die Botschaft wurde von der Hauptmilitärstaatsanwaltschaft in Moskau auf Arbeitsebene darauf aufmerksam gemacht, daß sich bei der bisherigen Anwendung des Gesetzes der Russischen Föderation über die Rehabilitierung von Opfern politischer Repressionen in der Fassung vom 03. September 1993 Probleme ergeben hätten, die einer eindeutigen Regelung bedürften. Sie lägen vor allem in einer fehlenden bzw. lückenhaften Zuständigkeitsregelung der für die Durchführung der Rehabilitierung geltenden Rechtsvorschriften und beträfen folgende Personengruppen:

  1. Personen, die ohne Strafverfahren und ohne Urteil in Arbeitslager verbracht worden seien (Zivilinternierte) sowie
  2. Personen, die auf administrativem Wege politisch verfolgt worden seien.

[Seite der Druckausg.: 139

Für beide Kategorien enthalte das Gesetz keine Regelungen. Es beziehe sich nur auf Personen, die im Strafverfahren aus politischen Beweggründen durch Militärgerichte und außergerichtliche Behörden der ehemaligen Sowjetunion verurteilt worden seinen.

Davon seien Inländer wie Ausländer gleichermaßen betroffen.

Daher können Rehabilitierungsbescheide Strafverfahren politisch verfolgte Personen ausgestellt werden, wenn sich die Unrechtmäßigkeit der Verfolgung aus den Akten ergebe.

Internierte und Personen, die auf administrativem Wege politisch verfolgt worden seien, könnten keine Rehabilitierungsbescheide erhalten. Es könnten lediglich Archivbescheinigungen über den Lageraufenthalt der betroffenen Personen ausgestellt werden, die jedoch keine Aussage über die unrechtmäßige Verbindung dieser Personen in Lager sowie über die jetzt auszusprechende Rehabilitierung enthielten.

Könne man keine Akten oder andere Unterlagen zu einer konkreten Person finden, so erhalte die Botschaft die schriftliche Mitteilung, daß Suche und Bearbeitung eingestellt werden müßten.

Ausgehend von Wortlaut und Sinn der Gemeinsamen Erklärung von Bundeskanzler Kohl und Präsident Jelzin vom 16.12.1992, vertritt die deutsche Seite zu dieser Problematik folgenden Standpunkt:

  1. Das Gesetz der Russischen Föderation über die Rehabilitierung der Opfer politischer Repression in der Fassung vom 03. September 1993 regelt in seinen Artikeln 1 bis 3 sowohl die Rehabilitierung der gerichtlich als auch der administrativ verfügten Repressionen. Das Gesetz begründet in Artikel 6 auch die Zuständigkeit der Behörden des Innenministeriums der Russischen Föderation für die Durchführung von Rehabilitierungsverfahren.
  2. Die deutsche Seite ist sich darüber im klaren, daß Kriegsgefangenschaft oder Zivilinternierung allein nicht als politische Repression im Sinne des Rehabilitierungsgesetzes der Russischen Föderation angesehen werden können.
  3. Kommen zu Kriegsgefangenschaft und Zivilinternierung jedoch politische Repressionen im Sinne von Art. 1 des Gesetzes hinzu, ist nach deutscher Auffassung der Tatbestand für die Einleitung des Rehabilitierungsverfahrens erfüllt. Dies war bis jetzt noch die von der Obersten Militärstaatsanwaltschaft gehandhabte Praxis.

    [Seite der Druckausg.: 140]

  4. Die deutsche Seite bittet daher, daß das vorgenannte Gesetz im Verhältnis zu deutschen Staatsangehörigen in vollem Umfang erfüllt wird und dementsprechend auch Kriegsgefangene und Zivilinternierte, bei denen zu Gefangenschaft oder Internierung noch Maßnahmen politischer Verfolgung hinzukamen auch weiterhin rehabilitiert werden, so wie dies auch mit durch Strafverfahren politisch Verfolgten geschieht.

Die Botschaft bringt bei dieser Gelegenheit den Dank der deutschen Seite für die bisherigen gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Rehabilitierung von deutschen Bürgern, die von politischen Repressionen betroffen waren, zum Ausdruck und wäre dem Ministerium für die baldmögliche Klärung der aufgeworfenen Fragen im Sinne der Erklärung von Bundeskanzler Kohl und Präsident Jelzin vom 16.12.1992 zu Dank verbunden.

Die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland benutzt diesen Anlaß, das Ministerium für Auswärtigen Angelegenheiten der Russischen Föderation erneut ihrer ausgezeichnetetn Hochachtung zu versichern.

17. Juni 1996
Moskau
L.S:

[Seite der Druckausg.: 141]

4b) Einschränkung der Rehabilitierung: Zur Rehabilitierung des Herzogs von Sachsen-Meiningen durch Oberst Wolin im Juni 1996 n a c h seiner Pensionierung

Fernseh-/Hörfunkspiegel Ausland
06.11.96

ITAR-TASS, russ./05.11.96/14.55/ko

Michail Demurin,

stellvertretender Direktor der Informations- und Presseabteilung des russischen Außenministeriums,

zur Rehabilitation deutscher Bürger in Rußland

Die russischen Behörden arbeiteten entsprechend der gemeinsamen Erklärung des russischen Präsidenten Boris Jelzin und des Kanzlers der BRD, Helmut Kohl, an der Rehabilitation deutscher Bürger, die in den Kriegs- und Nachkriegsjahren ungerechtfertigt Repressionen ausgesetzt waren. Dies teilte ... Michail Demurin heute (6.11.) auf einem Briefing mit. Bekanntlich beträfe diese Rehabilitationsbeschlüsse jedoch keine Eigentumsfragen und schafften keine juristische Grundlage für die Rückgabe von konfiszierten Immobilien und Vermögen. Dieser Ansatz, der mit der Bundesregierung abgestimmt worden sei, lasse sich nicht abändern, erklärte er.

Dennoch, so Demurin weiter, werde in der letzten Zeit in einigen Veröffentlichungen deutscher Medien ein gewisses Dokument hochgespielt, das angeblich von der Militäroberstaatsanwaltschaft Rußlands herausgegeben wurde und in dem von der Wiederherstellung der Vermögensrechte der Herzöge von Sachsen-Meiningen gesprochen werde. In diesem Zusammenhang teilte der offizielle Sprecher des Außenministeriums mit, daß eine Erklärung über die Rehabilita-tion Bernhards von Sachsen-Meiningen in November 1995 bei der Militäroberstaatsanwaltschaft eingetroffen sei. Durch Überprüfung sei festgestellt worden, daß es keine Angaben über eine Repression (Verurteilung) dieser Person in den russischen Archiven gibt. Von den dazu bevollmächtigten Mitarbeitern der Militäroberstaatsanwalt-

[Seite der Druckausg.: 142

schaft seien keine Bescheinigungen über die Rehabilitation (und erst recht nicht über die Wiederherstellung der Vermögensrechte der Herzöge von Sachsen-Meiningen ausgestellt worden, sagte Michail Demurin.

Das in der deutschen Presse zitierte Dokument über die Rehabilitation Bernards von Sachsen-Meiningen müsse deshalb als „unwirksam erachtet werden, das keine juristische Kraft habe und von einem Unbefugten erstellt wurde", betonte Demurin.

(EI 106ko 1)

[Seite der Druckausg.: 143]

4c) Moskauer Gespräche

Ein Bericht von Markus Meckel, MdB, Obmann der SPD in der Enquetekommission zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte

An der Reise nach Moskau vom 30. November bis 4. Dezember 1996 nahmen (neben dem Autor) teil: Dr. Günther Wagenlehner - Institut für Archivauswertung Bonn, Dr. Klaus Dieter Müller - Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung Dresden, Bend Pampel - Stiftung Sächsische Gedenkstätten Dresden, Uwe Sauer - Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Kurt Arlt - Dolmetscher, Militärgeschichtliches Forschungsamt Potsdam; die SMT-Verurteilten und ehemalige Häftlinge Roland Bude, Dr. Werner Eggers,Dr. Horst Hennig, Günter Kowalczyk, Horst Schüler;

Die Reise war auf Anregung früherer SMT--Verurteilter längere Zeit geplant, um bei den Moskauer Behörden die politische Bedeutung und das große deutsche Interesse an den Rehabilitierungen zum Ausdruck zu bringen. Sowohl durch die geänderte russische Praxis, in den Speziallagern ohne Urteil Internierte nicht mehr zu rehabilitieren, als auch durch einige Fälle von Rehabilitierungen, bei denen es ausschließlich um die Vermögensfrage (Rückgabe!) ging, erhielten die Gespräche eine vorher nicht geahnte Aktualität. Neben Rehabilitierungsfragen spielte auch die Problematik des Zugangs zu Archiven und Aktenbeständen eine Rolle, die bisher nicht oder nur schwer zugänglich waren.

I. Rehabilitierungsprobleme

Gesprächspartner zu diesem Themenkomplex waren General Kupez und Oberst Kopalin von der Militärstaatsanwaltschaft.

Seit 1992 werden deutsche Bürger nach dem russischen Rehabilitierungsgesetz rehabilitiert. Seit 1994 gibt es bei der Militärstaatsanwaltschaft für die Rehabilitierung von Ausländern eine eigene Abteilung. 10.000 Ausländer wurden bisher rehabilitiert.

  1. Es liegen ca. 30.000 Aktenvorgänge von Verurteilten aus Deutschland vor, bei denen 50.000 Personen betroffen sind. Zur

    [Seite der Druckausg.: 144]

    Zeit werden maximal 2.000 Fälle pro Jahr rehabilitiert, d.h., bei der derzeitigen personellen Besetzung würde es 15 Jahre dauern, um alle betroffenen Deutschen zu rehabilitieren - und dabei besteht noch die Gefahr, personeller Kürzungen! Diese müssen auf jeden Fall verhindert werden. Dazu braucht es das deutliche öffentliche Interesse und den entsprechenden Druck aus Deutschland.

  2. Zum Problem der administrativ Verfolgten: Unter diese Bezeichnung fallen alle durch administrative Entscheidungen (d.h. ohne Anklage und Gerichtsurteil) Verschleppte, Inhaftierte usw., also auch ein großer Teil der in den Speziallagern der SBZ Internierten, etwa 200.000 Personen. Nach dem russischen Gesetz - so General Kupez - werden nur administrativ Verfolgte, die Sowjetbürger waren, rehabilitiert (dies geschehe durch das Innenministerium). Er persönlich halt diese Regelung sachlich für ungerechtfertigt, denn auch die Verschleppung usw. Der Ausländer sei politische Repression gewesen, doch werde deren Rehabilitierung vom Gesetz nicht abgedeckt. Es werde in Rußland von verschiedenen Seiten aber auch so argumentiert, daß in den Speziallagern Internierte nicht persönlich Repressierte waren, sondern diese Lager der Entnazifizierung galten. So habe er nach anfänglicher Praxis der Rehabilitierung auch administrativ verfolgter Ausländer (etwa 200 Rehabilitierungen von deutschen Internierten) diese einstellen müssen (Anordnung) vom November 1995; seit April 1996 gibt es keine solchen Rehabilitierungen mehr).
    Eine Änderung sei nur durch einen Vorstoß von deutscher Seite möglich. Die Note der deutschen Botschaft vom 17. Juni 1996, welche die Notwendigkeit der Rehabilitierung aller politischen Verfolgten, einschließlich der Internierten, fordert, reiche nicht aus. Es brauche eine Initiative der Bundesregierung bzw. des Deutschen Bundestages. Zur zeit liege ein Novellierungsvorschlag des Rehabilitierungsgesetzes in der Duma, die hier angesprochenen Sachverhalte seien aber davon nicht betroffen.
  3. Nach russischem Recht erfolgt keine Rehabilitierung bei Kriegsverbrechen, bei Waffenbesitz als Grund der Verurteilung und bei Diebstahl. Bei weniger als 10 Prozent der Rehabilitierungsanträge erfolge keine Rehabilitierung. Ein ungelöstes Problem ist die Verhältnismäßigkeit. So wurde ein 15jähriger Junge, der im Winter

    [Seite der Druckausg.: 145]

    einem russischen Soldat ein Hemd gestohlen hat, zu 25 Jahren Lager verurteilt - und nicht rehabilitiert.

  4. Zur Vermögensfrage: Nach russischer Auffassung wird in den Rehabilitierungsverfahren von Ausländern nur die Ehre wiederhergestellt. General Kupez: „Vermögensfragen fallen nicht in unsere Kompetenz!" Bei russischen Rehabilitierten gibt es auch eine materielle Entschädigung (je Monat im Lager Dreiviertel des gegenwärtigen Minimaleinkommens in Rußland). Was die Deutschen in Sachen materieller Entschädigung oder Vermögensrückgabe nach einer Rehabilitierung machten, sei ihre Sache nicht. Wichtig wäre ihnen aber, daß die Rehabilitierungen als Rechtsakte in Deutschland anerkannt würden.
  5. Die Rehabilitierung in Moskau kann von jedem beantragt werde, nicht nur von Betroffenen oder ihren Hinterbliebenen. So hat die Bundesrepublik Deutschland selbst verschiedene Rehabilitierungen beantragt (welche das sind, wäre einmal zu erfragen!). Bei einer Rehabilitierung werden alle in einem Urteil Verurteilten (es handelt sich vielfach um Gruppenurteile) rehabilitiert, auch jene, für die keine Rehabilitierung beantragt wurde. Die Namen der ohne Antrag Rehabilitierten werden der deutschen Botschaft mitgeteilt, die jedoch nicht über die Adressen der Betroffenen bzw. Hinterbliebenen verfügt. So liegen z.Zt. 1.900 Rehabilitierungen im Auswärtigen Amt vor, ohne daß die Adressen zur Weiterleitung bekannt sind.

Da die Datenschutzbeauftragten des Bundesministeriums des Inneren und des Auswärtigen Amtes Einspruch erhoben haben, kann das Auswärtige Amt die Namen der Rehabilitierten nicht mehr in den einschlägigen Verbandszeitungen u.ä. veröffentlichen.

Über diese Praxis gibt es einen Streit, der noch nicht beendet ist, da der o.g. Einspruch de Opferverbänden verständlicherweise nicht einsichtig ist. Das Auswärtige Amt will jetzt die Hilfe des DRK in Anspruch nehmen.

  1. Im Laufe des Jahres 1996 kam es in der Rehabilitierungsbehörde der Militärstaatsanwaltschaft zu verschiedenen Unregelmäßigkeiten, die in Deutschland große Aufmerksamkeit erregten. So war u.a. im Oktober 1996 der Prinz von Sachsen-Meiningen rehabilitiert worden, obwohl er weder verurteilt, noch interniert oder verschleppt war, sondern nur sein Vermögen verloren hatte.

    [Seite der Druckausg.: 141]

    In der Rehabilitierungsurkunde war das Recht auf die Restitution seines Eigentums ausdrücklich vermerkt. Verantwortlich dafür zeichneten Herr Wolin von der Militärstaatsanwaltschaft. Die Rehabilitierung wurde anschließend von der russischen Regierung zurückgezogen. Herr Wolin sei zu dieser Zeit schon nicht mehr berechtigt gewesen, rehabilitierungen zu vollziehen (er arbeitet inzwischen auch nicht mehr in der Behörde). Außerdem sei nach dem russischen Gesetzt die Rehabilitierung bei Vermögensverlust nicht vorgesehen.

Kommentar Kupez: „Möglicherweise hatte Herr Wolin etwas
davon ..."

II. Archivsituation und -zugang

Gesprächspartner waren Dr. M.M. Mukhamedzhanov - Direktor des Ex-KGB-Sonderarchivs, Herr Tunejew - amt. Leiter der Staatlichen Archive Rußlands (für die gesmte Föderation) ROSARCHIV, Herr V. Tarasow - Abteilungsleiter für Internationales im ROSARCHIV, Dr. K. Nikischkin - Direktor des Archivs des Innenministeriums.

Zum ROSARCHIV gehören ca. 2000 Archive, darunter das ehemalige zentrale Parteiarchiv sowie 17 zentrale föderale Archive in allen Republiken, auch das Ex-KGB-Sonderarchiv. Nicht in die Kompetenz des ROSARCHIVSs fallen das Archiv des Föderalen Sicherheitsdienstes, das Präsidialarchiv und das Archiv des Innenministeriums.

Das KGB-Sonderarchiv war bis 1991 Geheimarchiv des KGB, dessen Existenz geleugnet wurde. Heute gehört es zum staatlichen ROSARCHIV. Der Direktor: „Wir wollen offenes, öffentliches, wissenschaftliches Amt sein." Zur Zeit seien ca. 500 Forscher im Haus, davon ein Drittel aus Deutschland.

Das Archiv besteht aus zwei Teilen. Es bewahrt zum einen die Beutedokumente der Sowjetunion auf, einschließlich derer, die von den Nazis aus eroberten Ländern verschleppt wurden (aus Frankreich, der CSSR, Dänemark usw. - insgesamt ca .20 Länder) und anschließend den Sowjets in die Hände fielen. Dazu kommen deutsche Archive des Reichssicherheitshauptamtes, der Reichskanzlei, Polizeiarchive usw.

[Seite der Druckausg.: 147]

Für diesen Archivbestand gab es bis Mai 1994 die Position, daß eine Rückgabe erfolgen sollte. So wurde 1992 eine Vereinbarung mit Frankreich getroffen und 90 Prozent des französischen Bestandes von der Duma gestoppt: Keine Rückgabe von Kulturgütern! Zur Zeit wird in der Duma an einem Gesetz gearbeitet,. Zwei Positionen liegen im Streit. Die „Patrioten" haben sich in der Duma mit ihrer Haltung durchgesetzt, die besagt: Alles, was in die SU kam, gehört uns. Im Föderationsrat wurde der entsprechende Gesetzesentwurf gestoppt. Es wird weiter verhandelt - Ausgang ungewiß.

Der andere Teil des Archivs besteht aus Dokumenten des GUPVI, der Verwaltung der Kriegsgefangenen und Internierten, soweit sie später in die SU verschleppt wurden. Es liegen 3,5 Millionen Personenakten vor.

In diesem Themenzusammenhang arbeitet man intensiv mit deutschen Stellen zusammen, mit dem DRK, mit der Wehrmachtsauskunftsstelle Berlin (WAST) und mit Dr. Wagenlehner, der im Auftrag des BMI die sehr wertvolle und erfolgreiche Arbeit der Archiverschließung,
-dokumentation und -verwertung leistet.

Die Zusammenarbeit mit dem Volksbund Deutscher Kriegsfürsorge wird über die russische Institution Wojennye Memorialny gestaltet (womit diese nicht immer voll zufrieden sind, da oft die Kompetenzen nicht eindeutig sind). Der Volksbund gestaltet Soldatenfriedhöfe von Kriegsgefangenenlagern und sichert die Gelände, kommt aber bisher nicht an die Belegungslisten der Friedhöfe heran. Die Dokumente des Archivs belegen bei Verstorbenen auch die Nummer des Friedhofs der Grabstelle. Oft seien die Friedhöfe jedoch zerstört.

Auf Vertragsbasis ist die Akteneinsicht weiterhin möglich. Für Kopien ist zu zahlen - eine wichtige Einnahmequelle des Archivs. Obwohl zunächst behauptet, stellt sich doch klar heraus, daß die Akten über die Insassen der Speziallager und die in der SBZ Erschossenen nicht in diesem Archiv liegen. Der amtierende Chef des ROSARCHIVs, Herr Tunajew, wies auf die gute Zusammenarbeit mit dem Bundesarchiv in Deutschland hin. Im Sommer 1997 ist mit dem Bundesarchiv eine Tagung für Archivare und Wissenschaftler in Deutschland geplant.

[Seite der Druckausg.: 148]

4d) Brief Rudolf Scharpings vom 3. Juni 1997 an A.N. Jakowlew

Rudolf Scharping
Mitglied des Deutschen Bundestages
Vorsitzender der Sozialdemokratischen
Bundestagsfraktion

Der Vorsitzende der Kommission beim Präsidenten der Russischen Föderation für die Rehabilitierung von Opfern politischer Repressionen Herrn Aleksander Nikolajewitsch Jakowlew Dom 8/4 Moskau 103132

über das Auswärtige Amt Botschaft Moskau mit der Bitte um Weiterleitung des Schreibens an Herrn Jakowlew

Betr.: Die Rehabilitierung der administrativ Verfolgten

Sehr geehrter Herr Vorsitzender

Gestatten Sie, daß wir uns in großer Sorge für die Betroffenen an Sie wenden.

Der SPD-Fraktion des Deutschen Bundestages wurde im März 1997 auf eine Anfrage zum Problem der Rehabilitierung der Opfer sowjetischer Verfolgungsmaßnahmen von der Bundesregierung folgendes mitgeteilt:

  1. Die Botschaft Moskau wurde mit Schreiben vom 30.1.1996 des Leiters der Verwaltung Rehabilitierung der russischen Obersten Militärstaatsanwaltschaft in Moskau, Generalmajor Kupez, darüber informiert, daß Rehabilitierungsanträge von administrativ Verfolgten nicht mehr von der Obersten Militärstaatsanwaltschaft bearbeitet würden.

    [Seite der Druckausg.: 149]

  2. Die Botschaft Moskau war am 10. 11. 1995 inoffiziell mündlich auf Arbeitsebene von der russischen Obersten Militärstaatsanwaltschaft darüber informiert worden, daß die Oberste Militärstaatsanwaltschaft nunmehr „Zivilinternierte" und Kriegsgefangene als nicht mehr unter das russische Rehabilitierungsgesetz fallend ansehe. Von „administrativ Verfolgten" war von russischer Seite damals nicht die Rede.

Wir kennen die deutsche Verbalnote, die zur Zeit in den zuständigen Behörden in Moskau geprüft wird. Und wir können uns vorstellen, daß die von Ihnen, Herr Vorsitzender, geleitete Kommission mit der Angelegenheit befaßt ist.

Nach Ihrem so erfolgreichen Wirken für die Rehabilitierung der Gruppen unschuldig Verfolgter zweifeln wir nicht daran, daß die Kommission beim Präsidenten eine geeignete Lösung des Problems finden wird. In Deutschland wird dieses Problem der Rehabilitierung der ohne Urteil in Lagern festgehaltenen oder deportierten Menschen sehr aufmerksam verfolgt.

Der SPD-Bundestagsfraktion ist es ein besonderes Anliegen, die Interessen der Opfer nach Rehabilitierung zu unterstützen und sich dafür einzusetzen, daß die einst begonnene Rehabilitierung der unschuldig administrativ Verfolgten fortgesetzt wird.

Bitte gehen Sie davon aus, daß eine positive Entscheidung für die Wiederaufnahme der Rehabilitierung dieses Personenkreises in der deutschen Öffentlichkeit mit großem Dank und Befriedigung begrüßt wird.

Mit freundlichen Grüßen

[Rudolf Scharping]


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