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TEILDOKUMENT:

I. Teil
Die Hauptmilitärstaatsanwaltschaft Rußlands. - [2.]



[Seite der Druckausg.: 39]


2. Oberst der Justiz W.K. Kondratow, Leiter der Unterabteilung 5,




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Günther Wagenlehner: Einführung

Im Mai 1997 wechselte Generalleutnant Djomin aus dem Föderalen Sicherheitsdienst (vor 1992 KGB) in die Generalstaatsanwaltschaft und übernahm das Amt des Hauptmilitärstaatsanwalts. Offensichtlich sollte der Apparat gestrafft und effizienter werden. Das war mit einer Bestandsaufnahme verbunden.

So hatte die für die Rehabilitierung von Ausländern zuständige Unterabteilung 5 die Aufgabe, Stand und Probleme der Rehabilitierung von Deutschen und Österreichern darzustellen. Da Generalmajor Kupez im Herbst 1997 aus Krankheitsgründen ausschied, zeichnete sein Nachfolger Oberst der Justiz W.K. Kondratow für den Bericht verantwortlich. Der energische Djomin wollte mit dem Bericht auch die offenen Fragen ansprechen. Und so bat er die Botschafter Deutschlands und Österreichs mit ihren Stäben neben den Zuständigen aus dem Außenministerium und der Hauptmilitärstaatsanwaltschaft Ende November 1997 zu einer großen Besprechung.

Wir geben im folgenden den Bericht unverändert wieder, der wegen der anhaltenden Probleme nichts von seiner Aktualität verloren hat. Er dient auch zur Information über die russische Einstellung zu Grundfragen der Rehabilitierung.

Aus diesem Bericht ist zunächst der Ausgangspunkt der Rehabilitierung interessant: für Deutschland die Gemeinsame Erklärung von Kohl und Jelzin von Dezember 1992, für Österreich eine Vereinbarung der Außenminister Schüssel und Primakow vom 4. November 1996. Auf derselben Seite werden Zahlen über die Gesamtzahl der Verurteilten genannt, die nur als Schätzungen zu werten sind. Für Betroffene sind die Aussagen zu Vermögensansprüchen wichtig mit dem Problem der „administrativ Repressierten", auf das wir an anderer Stelle noch zu sprechen kommen.

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Bestandsaufnahme der Hauptmilitärstaatsanwaltschaft über die Rehabilitierung von Bürgern Deutschlands und Österreichs (November 1997)



Allgemeines

Die Unterabteilung für die Rehabilitierung russischer und ausländischer Bürger der Militärhauptstaatsanwaltschaft arbeitet aktiv an der Umsetzung des Gesetzes der RF „Über die Rehabilitierung der Opfer politischer Repressionen" vom 18. Oktober 1991 mit den nachfolgenden Änderungen und Ergänzungen.

Zu den Opfern politischer Repressionen zählen neben Bürgern Rußlands und der ehemaligen UdSSR auch viele Ausländer aus dem „fernen Ausland" [ Anm. D. Übers.: Im Russischen wird häufig unterschieden zwischen „fer nem" und „nahem" Ausland, wobei „nahes Ausland" die ehemaligen Sowjetrepubliken und „fernes Ausland" alle übrigen Staaten sind.] und Staatenlose.

Bei den russischen offiziellen Stellen gingen zahlreiche Anfragen betroffener Personen, ihrer Angehörigen sowie interessierter Einrichtungen und Organisationen zur Frage der Rehabilitierung ein; deshalb wurde die Geltung des o.g. Gesetzes im Dezember 1992 auf ausländische Staatsangehörige erweitert, die im Ausland Repressionen erlitten haben.

Auf Verfügung des Generalstaatsanwalts der RF wurde die Prüfung der Anfragen und die Revision der Archivstrafsachen gegen Ausländer, die politischen Repressionen seitens sowjetischer Militärgerichte und außergerichtlicher Organe im Hoheitsgebiet der UdSSR ausgesetzt waren oder wegen des Vorwurfs gegen Sowjetbürger und die Interessen der UdSSR gerichteter Taten außerhalb der UdSSR durch diese Organe Repressionen erlitten haben, den Militärstaatsanwälten, insbesondere einem Referat der 5. Unterabteilung der Militärhauptstaatsanwaltschaft (etatmäßige Personalstärke 18 Offiziere), übertragen.

Bei der Militärhauptstaatsanwaltschaft gingen zur Rehabilitierungsfrage Anfragen aus etwa 20 Staaten ein, u.a. aus Japan, Deutschland, Polen, Ungarn und Österreich.

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Die Beschlußfassung über die Rehabilitierung ausländischer Staatsangehöriger und die Ausstellung entsprechender Bescheinigungen erfolgt in strenger Einzelprüfung auf der Grundlage der konkreten Unterlagen in den Archivstrafsachen und den vorhandenen Beweisen der Anklage.

Die Ausführung des o.g. Gesetzes in bezug auf Ausländer während seiner Geltungsdauer von 1992-1997 läßt sich anhand folgender Zahlen veranschaulichen: Es wurden über 12.000 Anfragen bearbeitet, etwa 8.000 ausländische Staatsangehörige wurden rehabilitiert, 2.000 Personen die Rehabilitierung versagt.

Die Anfragen ausländischer Staatsangehöriger beziehen sich auf folgende Fallgruppen:

  1. Staatsverbrechen (konterrevolutionäre Verbrechen) im Sinne des Strafgesetzbuchs der RSFSR in der Fassung von 1926, insbesondere bewaffneter Aufstand und Eindringen in sowjetisches Hoheitsgebiet, Spionage, Diversion, Terrorakte, antisowjetische Agitation, Sabotage u.a.
  2. Straftaten im Zusammenhang mit Greueltaten gegen die Zivilbevölkerung und gefangene Rotarmisten gemäß Dekret des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 19. April 1943 „Über Maßnahmen zur Bestrafung deutsch-faschistischer Verbrecher, die sich der Ermordung und Folterung von Angehörigen der sowjetischen Zivilbevölkerung und gefangenen Rotarmisten schuldig gemacht haben, von Spionen und Vaterlandsverrätern unter den sowjetischen Staatsangehörigen sowie ihren Helfershelfern".
  3. Kriegs- und sonstige Verbrechen gemäß dem Gesetz Nr. 10 des Kontrollrats in Deutschland vom 20. Dezember 1945 „Bestrafung von Personen, die sich Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen Frieden oder gegen Menschlichkeit „schuldig gemacht haben.
  4. Straftaten der allgemeinen Kriminalität (gegen das Eigentum oder die Person usw.). Wegen o.g. Verbrechen berechtigterweise strafrechtlich belangten Personen wird die Rehabilitierung verweigert.

Gemäß Art. 4. des Gesetzes der RF können Personen, die durch Gerichte begründet verurteilt wurden, nicht rehabilitiert werden, ebenso wie Personen, die außergerichtlich wegen Verbrechen belangt wurden und in deren Fällen es ausreichende Schuldbeweise für die Begehung von Spionage, Terrorakten, Diversion, Gewalttaten gegen die Zivilbevölkerung und gegen Kriegsgefangene, Kriegsverbrechen, Verbrechen

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gegen den Frieden oder gegen die Menschlichkeit gibt, sowie einige andere.

Solche Fälle werden besonders eingehend überprüft, da bei Vorliegen eines Antrags die Ablehnung der Rehabilitierung nur durch ein Gericht aufgrund eines entsprechenden Gutachtens oder Protestes des Staatsanwalts erfolgen kann.

Es ist allgemein bekannt, daß Militärangehörige feindlicher Ar-
meen, die gegen die UdSSR kämpften, eine Vielzahl von Greueltaten begangen haben, die gemäß den völkerrechtlichen Rechtsakten und den geltenden Rechtsvorschriften der Russischen Föderation zu Recht als Schwerstverbrechen qualifiziert werden. Solche Personen wurden unter den Kriegsgefangenen und Internierten ausfindig gemacht und ihrer verdienten Strafe zugeführt.

Gemäß Art. 376, Teil 2 der Strafprozeßordnung der RSFSR wird auch die Rehabilitierung von Personen, die folgende kriminelle Delikte begangen haben, abgelehnt: illegaler Waffenbesitz, Diebstähle, räuberische Überfälle u.a.

Arbeitsaufkommen hinsichtlich Staatsangehöriger Deutschlands und Österreichs

Die Statistik belegt, daß von den sowjetischen Strafverfolgungsbehörden während des Krieges und in der Nachkriegszeit über 200.000 ausländische Staatsangehörige aus Ländern, die gegen die UdSSR Krieg führten, Repressionen unterworfen wurden. In der Mehrzahl handelt es sich um Deutsche. Die Zahl der österreichischen Staatsangehörigen, die Repressionen unterworfen waren, beläuft sich auf 3.000-4.000 Personen.

Die Registrierung von Ausländern, gegen die Repressionen angewandt wurden, erfolgte in jener Zeit ohne Unterscheidung der Nationalität; deshalb wurden zahlreiche Österreicher, die Gruppenverfahren mit Deutschen durchliefen, häufig als Staatsangehörige Deutschlands oder Militärangehörige der deutsch-faschistischen Armee erfaßt. (Nach Informationen der ehemaligen Hauptverwaltung für Angelegenheiten der Kriegsgefangenen und Internierten des Innenministeriums der UdSSR befanden sich 2.385.560 deutsche und 156.682 österreichische Kriegsgefangene in sowjetischer Gefangenschaft.)

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Gegen deutsche Staatsangehörige wurden mehr gerichtliche Repressionen verhängt als gegen Vertreter anderer Nationalitäten. So wurden in der Ostzone Deutschlands durch sowjetische Kriegstribunale und außergerichtliche Organe mit Gerichtsfunktionen gemäß dem Strafgesetzbuch der RSFSR etwa 35.000-40.000 Personen verurteilt.

Außerdem wurden in der Sowjetunion weitere annähernd 30.000 Kriegsgefangene der ehemaligen deutschen Armee gerichtlich belangt.

Nach der Verabschiedung des Gesetzes der RF vom 18. Oktober 1991 „Über die Rehabilitierung der Opfer politischer Repressionen" wurden Probleme der Rehabilitierung deutscher und österreichischer Staatsangehöriger mehrfach auf höchster zwischenstaatlicher Ebene erörtert.

Am 16. Dezember 1992 sprachen sich der russische Präsident B.N. Jelzin und der deutsche Bundeskanzler H. Kohl in einer gemeinsamen Erklärung über die Rehabilitierung unschuldig verfolgter deutscher Staatsangehöriger für eine umgehende Fortsetzung der Rehabilitierungsarbeit aus.

In diesem Zusammenhang traf die Mehrzahl der Eingaben mit Ersuchen um Rehabilitierung (etwa 10.000) aus Deutschland ein.

Am 4. November 1996 wurde eine ähnliche Vereinbarung über die Rehabilitierung österreichischer Staatsangehöriger zwischen dem Vizekanzler und Minister des Auswärtigen Österreichs, W. Schüssel, und dem Minister für Auswärtige Angelegenheiten Rußlands, J.M. Primakow, geschlossen, wodurch es möglich wurde, diese Arbeit auf einem qualitativ neuen Niveau durchzuführen.

Bis heute wurden von den Militärstaatsanwälten der Verwaltung über 7.000 Archivstrafsachen gegen deutsche und österreichische Staatsangehörige überprüft.

Dabei gab es folgende Ergebnisse:

1. Deutsche

Seit 1992 wurden 6.738 Personen rehabilitiert, die Rehabilitierung von 1.812 Personen (21%), d.h. praktisch jedes fünften Antragstellers, wurde abgelehnt.

Allein im laufenden Jahr [1997] gingen bei der Militärhauptstaatsanwaltschaft 909 Anträge deutscher Staatsangehöriger ein: 702 Perso-

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nen wurden rehabilitiert, 144 Personen wurden abschlägig beschieden.

2. Österreicher

1997 gingen 378 Anträge ein und wurden überprüft. Davon wurden 295 entschieden. 216 Personen wurden rehabilitiert, 86 Personen (28%), d.h. ungefähr jeder vierte, abschlägig beschieden.

Die überwiegende Mehrheit der nicht rehabilitierbaren Deutschen und Österreicher sind ehemalige Militärangehörige der deutschen Armee, die sich der Begehung von Kriegsverbrechen sowie Verbrechen gegen den Frieden und die Menschlichkeit schuldig gemacht haben.

Wir haben auch etwa tausend Anträge deutscher Staatsangehöriger und etwa 50 Anträge österreichischer Staatsangehöriger ehemaliger Kriegsgefangener und Internierter, die administrativen Repressionen seitens der Organe des NKWD bzw. des Ministeriums für Innere Angelegenheiten der UdSSR unterworfen waren, geprüft.

Die Überprüfung dieser Anträge wurde eingestellt: Bei einigen wurden bei den Archivstellen Rußlands keine Angaben über Repressionen gefunden, in anderen Fällen gab es für die Rehabilitierung keine Grundlage, da sich das Gesetz der RF vom 18. Oktober 1991 nicht direkt auf außerhalb der UdSSR administrativ repressierte Ausländer erstreckt.

Wir teilen interessierten Personen die Ergebnisse der Prüfung von Anträgen ausländischer Staatsangehöriger nur auf diplomatischem Wege über die entsprechenden Botschaften und das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten Rußlands mit.

Nach Informationen der Archivstellen des Föderalen Sicherheitsdienstes der Russischen Föderation und des Ministeriums für Innere Angelegenheiten der RF müssen noch etwa 60.000 Strafsachen gegen mehr als 75.000 ausländische Staatsangehörige überprüft werden.

Charakterisierung der eingehenden Anträge

Die Anträge erreichen uns hauptsächlich über die Botschaften Deutschlands und Österreichs, aber auch über das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten Rußlands und unmittelbar von interes-

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sierten Personen und Organisationen. Immer deutlicher wird die wachsende organisatorische und koordinierende Rolle der ausländischen diplomatischen Vertretungen in Moskau.

Eine Analyse zeigt, daß es in den Anträgen vor allem um folgende Fragen geht:

  1. Rehabilitierung verurteilter Personen;
  2. Rehabilitierung von Personen, die in Sonderlagern des NKWD bzw. des Ministeriums für innere Angelegenheiten der UdSSR im Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone in Deutschland waren, sowie von aus Deutschland in Arbeitslager im Hoheitsgebiet der UdSSR deportierten Personen;
  3. Vermögensfragen: Aufhebung von Verfügungen der sowjetischen Besatzungsbehörden über die Zwangsverwaltung oder Beschlagnahme des Eigentums von Personen oder Organisationen, Rückgabe von persönlicher Habe und Zahlung von Entschädigungen;
  4. Feststellung des Schicksals von Personen, die von den sowjetischen Stellen festgenommen wurden und in der Folge verschollen sind;
  5. Erhalt von Dokumentenkopien aus den Archivunterlagen von Strafsachen (Urteil, Anklageschrift, persönliche Dokumente und Fotos von Rehabilitierungen), Angaben über die Grablege von repressierten Verwandten usw.


Problematische Fragen, für die sich die Botschafter Deutschlands und Österreichs interessieren

  1. Warum rehabilitiert die Militärhauptstaatsanwaltschaft der RF keine Deutschen, die von den Organen des NKWD bzw. des Ministeriums für innere Angelegenheiten der UdSSR in der Nachkriegszeit auf dem Verwaltungswege in Sonderlagern untergebracht wurden? Gilt das Gesetz der RF vom 18. Oktober 1991 „Über die Rehabilitierung von Opfern politischer Repressionen" auch für diese Gruppe deutscher und österreichischer Bürger (was nach Ansicht der deutschen Seite durchaus möglich wäre)?

Ausgehend von Art. 2 und 3 des genannten Gesetzes sind wir der Auffassung, daß die Geltung des Gesetzes sich nicht auf ausländische

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Staatsangehörige erstreckt, die Repressionen auf dem Verwaltungswege außerhalb der UdSSR unterworfen waren und heute ständig außerhalb Rußlands leben, und diese deshalb nicht auf der Grundlage des genannten Gesetzes rehabilitiert werden können.

Die staatsanwaltschaftlichen Organe können im wesentlichen nur Anträge auf Rehabilitierung solcher ausländischer Staatsangehöriger entscheiden, die durch ein Gericht politischen Repressionen unterworfen wurden und bezüglich derer bis heute die Gerichtsurteile bzw. die Beschlüsse der Untersuchungsorgane über die Einstellung des Strafverfahrens wegen nicht rehabilitierender Umstände nicht aufgehoben sind.

Damit das Gesetz im selben Umfang wie auf Bürger Rußlands auch auf ausländische Staatsangehörige anwendbar würde, müßten gesetzgeberisch:

  1. die durch die Organe des NKWD bzw. des Ministeriums für innere Angelegenheiten der UdSSR und die Militärverwaltung gegen diese Personen auf dem Verwaltungswege verhängten und in diesem Gesetz nicht genannten Zwangsmaßnahmen (Festnahmen, Inhaftierungen und Unterbringung in Sonderlagern des NKWD der UdSSR) als politische Repressionen anerkannt werden;
  2. die Geltung des Gesetzes auf ständig im Ausland lebende ausländische Staatsangehörige, die außerhalb der UdSSR auf dem Verwaltungswege politischen Repressionen unterworfen wurden, ausgeweitet werden.

Zur Zeit wird auf Initiative der Deutschen Botschaft mit Unterstützung der Militärhauptstaatsanwaltschaft und der Kommission beim Präsidenten der RF für die Rehabilitierung der Opfer politischer Repressionen unter Leitung von A.N. Jakowlew geprüft, ob das Gesetz entsprechend geändert und damit unterschiedliche Auslegungen bezüglich seiner Anwendung auf administrativ repressierte ausländische Staatsangehörige ausgeschlossen werden könnten.

Die jetzt bei der Militärhauptstaatsanwaltschaft eingehenden Ersuchen um Rehabilitierung von deutschen Staatsangehörigen, die von den Organen des NKWD der UdSSR verfolgt wurden, werden zur Bearbeitung angenommen und geprüft. Wenn der Antragsteller keinen gerichtlichen Repressionen unterworfen, sondern in Sonderlagern des NKWD als internierte Person festgehalten oder auf sonstige Weise auf dem Verwaltungswege repressiert wurde, so übermitteln wir der

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Botschaft eine Archivbescheinigung, in der die festgestellten Informationen mitgeteilt und der Grund für die Einstellung der Prüfung erläutert werden.

In Abstimmung mit dem Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten Rußlands beschließen wir in Einzelfällen unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des rechtlichen Vorgangs und der Persönlichkeit des Repressierten die Aufhebung unbegründeter Beschlüsse der Organe des NKWD der UdSSR, wenn die Willkür offensichtlich ist (Heranwachsende, alte Menschen, Behinderte usw.), und stellen Rehabilitierungsbescheinigungen aus. Bei diesen Fällen handelt es sich allerdings um Ausnahmen.

  1. In welchen Fällen haben rehabilitierte ausländische Staatsangehörige nach dem geltenden Gesetz der RF „Über die Rehabilitierung..." Anspruch auf eine finanzielle Entschädigung für den ungesetzlichen Freiheitsentzug und auf Rückgabe des beschlagnahmten oder eingezogenen Vermögens?

Gemäß Art. 15 des Gesetzes wird an Personen, die politischen Repressionen in Form von Freiheitsentzug oder Unterbringung in psychiatrischen Heileinrichtungen im Hoheitsgebiet Rußlands unterworfen und in der Folge rehabilitiert wurden, durch die Sozialämter der RF eine finanzielle Entschädigung in Höhe von ¾ des Mindest-
arbeitslohns für jeden Monat Freiheitsentzug oder Aufenthalt in der psychiatrischen Einrichtung, höchstens jedoch von 100 Mindest-
arbeitslöhnen, gezahlt. (Derzeit beträgt der Mindestarbeitslohn etwas über 83.000 Rubel, d.h. die maximal mögliche Entschädigung beläuft sich auf 8.300.000 Rubel oder etwa 1.380 US-Dollar).

In diesem Zusammenhang hat jeder ausländische Staatsangehörige, der im Hoheitsgebiet Rußlands den erwähnten Formen der Repression unterworfen wurde, unabhängig von seinem ständigen Wohnsitz das Recht, sich wegen der Auszahlung der Entschädigung an die Sozialämter am Ort der Anwendung der Repression in Rußland zu wenden.

Das Verfahren für die Rückgabe von gesetzwidrig beschlagnahmtem oder eingezogenem oder auf andere Weise im Zusammenhang mit politischen Repressionen der Verfügungsgewalt entzogenem Vermögen sowie für dessen wertmäßigen Ersatz oder finanzielle Entschädigung ist durch Art. 16-1 des Gesetzes der RF und die durch Beschluß

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Nr. 926 der Regierung der RF vom 12. August 1994 bestätigte Verordnung festgelegt.

Gemäß den genannten Rechtsakten haben ausländische Staatsangehörige nur in den Fällen ein Recht auf Rückgabe von Vermögen oder dessen wertmäßigen Ersatz, wenn sie im Hoheitsgebiet Rußlands Repressionen unterworfen waren.

Wurde das Vermögen auf Beschluß sowjetischer gerichtlicher oder außergerichtlicher Organe außerhalb der UdSSR beschlagnahmt, so haben lediglich solche Personen ein Recht auf dessen wertmäßigen Ersatz, die ständig im Hoheitsgebiet der Russischen Föderation leben, und nur in den Fällen, wenn das bei ihnen beschlagnahmte Vermögen im Hoheitsgebiet Rußlands veräußert wurde. Die Entschädigungssumme darf unabhängig vom Wert des beschlagnahmten Vermögens oder Wohnhauses 100 Mindestarbeitslöhne nicht übersteigen.

Das Gesetz „Über die Rehabilitierung ..." erstreckt sich nicht auf Beschlagnahmen von Vermögen und sonstige Entziehungen von Vermögen ausländischer Staatsangehöriger auf dem Verwaltungswege außerhalb der UdSSR.

Auf diese Weise haben Rehabilitierungen für Staatsangehörige Deutschlands und Österreichs, die ständig außerhalb Rußlands leben, vor allem eine moralische Bedeutung.

  1. Welche Auffassung vertritt die Militärhauptstaatsanwaltschaft der RF in bezug auf Forderungen rehabilitierter deutscher Staatsangehöriger nach Restitution von Vermögen, das in den Nachkriegsjahren in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands beschlagnahmt wurde?

Aus den von den Organen der Staatsanwaltschaft der RF ausgestellten Rehabilitierungsbescheinigungen ergeben sich keinerlei vermögensrechtliche Verpflichtungen der Behörden und Verwaltungen ausländischer Staaten und folglich auch kein Recht rehabilitierter ausländischer Staatsangehöriger, von ihren Regierungen irgendwelche Vergünstigungen, Zahlungen oder eine Vermögensrückgabe zu fordern.

Bekanntlich haben einzelne deutsche Staatsangehörige Klagen bei den zuständigen Stellen Deutschlands auf Rückgabe eingezogener Grundstücke, Gebäude und andere Vermögensgegenstände einge-

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reicht, aber diese Versuche entbehrten einer hinreichenden rechtlichen Grundlage und werden abgelehnt.

Bei der Militärhauptstaatsanwaltschaft der Staatsanwaltschaft der RF gehen solche Anträge ausländischer Staatsangehöriger recht häufig ein, vornehmlich von deutschen Staatsangehörigen.

Vor diesem Hintergrund halten wir es für erforderlich, der deutschen Seite erneut unsere grundsätzliche (mit dem Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten Rußlands abgestimmte) Haltung vorzutragen, daß die in Deutschland in den Jahren 1945-1949 auf der Grundlage der Rechte und der Hoheitsgewalt der Besatzungsbehörden vollzogenen Enteignungen gegenwärtig nicht revidierbar sind.

Außerdem muß auch mitgeteilt werden, daß seit 10. November d.J. die von der Militärhauptstaatsanwaltschaft ausgestellten Rehabilitierungsbescheinigungen durch den Vermerk „Der Rehabilitierungsbeschluß kann nicht als Grundlage für vermögensrechtliche Forderungen Staatsangehöriger Deutschlands verwendet werden, die den geltenden Gesetzen und Vorschriften und völkerrechtlichen Verpflichtungen zuwiderlaufen" ergänzt worden sind.

Die Irreversibilität der Enteignungen in den ersten Nachkriegsjahren in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands wurden bekanntlich in den völkerrechtlichen Dokumenten über die Vereinigung der BRD und der DDR (Vertrag vom 12. September 1990 über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland und einigen anderen) festgeschrieben.

Um vermögensrechtlichen Streitfragen im Zusammenhang mit der Rehabilitierung deutscher Staatsangehöriger vorzubeugen, haben wir dem Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten Rußlands vorgeschlagen, eine offizielle Note an die deutsche Bundesregierung auszuarbeiten, in der unsere allgemeine Haltung zu dem angeschnittenen Problem dargestellt wird. Gleichzeitig sollte darüber informiert werden, daß früher gemäß dem festgelegten Verfahren ausgestellte Rehabilitierungsbescheinigungen (ohne den o.g. Vermerk) voll und ganz den durch das Gesetz gestellten Anforderungen genügen und weiterhin Kraft bleiben.

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Internationale Kontakte der Unterabteilung 5 der Militärhauptstaatsanwaltschaft

Im Rahmen der Durchführung des Gesetzes der RF „Über die Rehabilitierung..." haben wir enge Beziehungen zu Mitarbeitern der Botschaften Deutschlands und Österreichs hergestellt und pflegen sie weiter. Vor allem unterhalten wir gute Arbeitskontakte mit der Rechts- und Konsularabteilung der Botschaft der BRD, in der die Herren K. Richter, Ch. Retzlaff und A. Kuligk fruchtbringend gearbeitet haben und in der jetzt H. Schindler, E. Christoph u.a. tätig sind. Die Unterabteilungsleitung traf sich mit den o.g. Personen regelmäßig, um aktuelle Probleme der Rehabilitierungsproblematik zu erörtern. Uns ist bekannt, daß der Botschafter Deutschlands, Herr E.-J. von Studnitz, und seine Vertreter der Koordinierung dieser Tätigkeit die ihr gebührende Aufmerksamkeit widmen.

Unter Teilnahme von Mitarbeitern der Botschaft der BRD fanden in der Militärhauptstaatsanwaltschaft einige Gespräche mit deutschen Delegationen von Opfern politischer Repressionen, mit Bundeswehrveteranen und mit den Bundestagsabgeordneten M. Meckel u.a. sowie mit dem Direktor des Instituts für Archivauswertung, G. Wagenlehner, u.a. statt.

Ähnlich gestalteten sich auch die Arbeitsbeziehungen mit der österreichischen Botschaft. In der Militärhauptstaatsanwaltschaft fanden Arbeitstreffen mit dem Botschafter Österreichs, Herrn W. Siegl, seinen Mitarbeitern W. Donko, N. Grilj und österreichischen Delegationen statt, die einer der Initiatoren des Prozesses der Rehabilitierung von Österreichern, der Direktor des Bolzmann-Instituts für Kriegsfolgenforschung, Herr S. Karner, leitete.

Es muß festgehalten werden, daß die Mitarbeiter der diplomatischen Vertretungen Deutschlands und Österreichs uns Hilfe beim Erwerb der erforderlichen technischen Mittel, die uns eine erfolgreichere Durchführung unserer Arbeit ermöglichten, geleistet haben.

Auf Einladung der deutschen und der österreichischen Seite hielten der Unterabteilungsleiter, Generalmajor der Justiz W.I. Kupez, und der Leiter des Referats Rehabilitierung, Oberst der Justiz L.P. Kopalin, Vorträge auf internationalen Konferenzen und Treffen in Deutschland und Österreich zu Rehabilitierungsproblemen.

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Über diese Vorträge wurde in den ausländischen Medien ausführlich berichtet.

Die Diskussion der genannten Fragen mit leitenden Mitarbeitern des deutschen Auswärtigen Amtes und des Ministerium des Auswärtigen Österreichs, mit wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Kreisen sowie mit unrechtmäßig repressierten Personen hat gezeigt, daß an den bei Unterabteilung 5 behandelten Problemen im Zusammenhang mit der Wiederherstellung der Gerechtigkeit und verletzter Menschenrechte großes Interesse besteht und diese Arbeit der russischen Staatsanwaltschaft insgesamt als Akt des guten Willens und des Humanismus gewertet wird, der zur Annäherung unserer Völker beiträgt.

Der Leiter a.i. der Unterabteilung 5
der Militärhauptstaatsanwaltschaft
der Staatsanwaltschaft der RF
25. November 1997
(gez.) W.K. Kondratow


[Seite der Druckausg.: 52 = Leerseite]


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