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TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:

I. Teil
Die Hauptmilitärstaatsanwaltschaft Rußlands. - [3.]




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3. Oberst der Justiz Leonid P. Kopalin ,Leiter des Referates Rehabilitierung ausländischer Staatsbürger,




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Günther Wagenlehner: Einführung

Der in der Hauptmilitärstaatsanwaltschaft für die Rehabilitierung von Ausländern zuständige Oberst der Justiz Leonid P. Kopalin ist in Rußland der beste Kenner der Materie. Daher soll er im folgenden mit aktuellen Berichten und der Beschreibung von konkreten Beispielen zu Wort kommen.

Zunächst handelt es sich um seinen Bericht zum Stand der Rehabilitierung im Jahre 1998. Der aufmerksame Leser wird die Prinzipien aus der Bestandsaufnahme Ende 1997 wiedererkennen. Das kann auch gar nicht anders sein; denn es ist der gleiche Autor. Und wiederum spielt die Regelung der Vermögensverhältnisse eine Rolle, von der im Teil II noch die Rede sein wird.

Leonid Kopalin hat häufig konkrete Beispiele für die Rehabilitierung der verurteilten Deutschen seinen Berichten angefügt. Hier werden die Beispiele aus seinem letzten Bericht und eine typische aus früheren in Kopalins Diktion zusammengestellt. Es ist wichtig, daß die konkreten Beispiele in Kopalins Worten unverändert wiedergegeben werden; denn das Ganze ist auch für Kopalin ein Lernprozeß.

Als er 1992/93 seine neue Aufgabe übernahm, wußte er wenig von der Verurteilung der Deutschen im und nach dem Kriege. Nun trafen die Anträge der verurteilten Kriegsgefangenen und in der SBZ inhaftierten Deutschen ein. Kopalin forderte in den Zentralarchiven des MWD und FSB die Strafprozeßakten an und lernte das damalige Vorgehen der Untersuchungsbehörden NKWD und ab 1946 MWD sowie KGB kennen, die unverhältnismäßig hohen Strafen. Für bestimmte Delikte stand das Strafmaß, weil von Stalin in einem Grundsatzbefehl so geregelt, vorn vornherein fest. Für sogenannte „Spionage", die keine war, gab es 1945/46 um 10 Jahre Zwangsarbeit, aber 1951/52 die Todesstrafe oder Straflager in Workuta. KGB-Offiziere konstruierten „Gruppen" im Sinne Artikel 58-11, die in Wirk-

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lichkeit nicht existierten. Soldaten wurden nach 58-2 („Bewaffneter Einfall in die Sowjetunion und Bandenkrieg") verurteilt, die nie sowjetischen Boden betreten hatten. Nach dem Studium einiger Dutzend solcher NKWD- und KGB-Akten wird die Rehabilitierung zur Notwendigkeit. Man spürt es an Kopalins Darstellung der Fälle.

Er hat in seinen Berichten meist solche Fälle erwähnt, die er vor kurzem bearbeitet hatte. In unserer Zusammenstellung sind die Formulierungen Kopalins unverändert geblieben, nur aus dem Russischen ins Deutsche übersetzt. Sie bedürfen keiner Erläuterung. Betroffene werden ihre Fälle in den verschiedenen Rubriken wiederfinden oder vergleichbare Fälle.

Wer Bestimmtes sucht, findet die Fälle in dieser angedeuteten Reihenfolge: Rehabilitierungen für Urteile aus den 30er Jahren, wegen formaler Zugehörigkeit zur Partei ohne besondere Aktivität; wegen sogenannter „Werwolf"-Zugehörigkeit, für die gegen das damalige sowjetische Strafrecht (§ 22) Jugendliche unter 18 Jahre zum Tode verurteilt und hingerichtet wurden; Urteile gegen Militärrichter; aus dem Kulturbereich; der Sonderfall Erich Nehlhans, der erste Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Berlin nach 1945; angebliche Schuld am Kriegsbeginn; behauptete Mißhandlung von Ostarbeitern ohne Beweis; Sonderbereich „Spionage" und wieder die Kriegsgefangenen; die „Schuld", mit Hitler weitläufig verwandt zu sein.

Begründungen für Ablehnungen sind hier ausgeklammert und kommen im Teil III zur Sprache.

Der neueste aktuelle Bericht von Leonid Kopalin betrifft den Bereich der „administrativ Repressierten", und zwar die beiden größten Gruppen:

  • die über 127.000 Lagerinsassen der NKWD-Lager in der SBZ/DDR;
  • und die 200.000-300.000 zum Arbeitseinsatz in der Sowjetunion „mobilisierten" Deutschen aufgrund des Stalin-Befehls vom 16.12.1944, also die Verschleppten.

Beide Gruppen waren nicht verurteilt, ja nicht einmal angeklagt. Die Ausführungen Kopalins sind die ersten Auswertungen der internen Sowjet-Akten. Genaueres werden wir nach der

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Übergabe aller KGB-Informationen durch den Föderalen Sicherheitsdienst in etwa drei Jahren wissen.

Vorher will die Generalstaatsanwaltschaft mit der Rehabilitierung dieser unschuldig verfolgten Deutschen beginnen.

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A) Bericht über Probleme und Stand der Rehabilitierung deutscher Staatsbürger (Ende 1998)

Die Verwaltung für Rehabilitierung russischer und ausländischer Bürger bei der Hauptmilitärstaatsanwaltschaft arbeitet aktiv an der Durchführung des Gesetzes der RF „Über die Rehabilitierung von Opfern politischer Repression" vom 18. Oktober 1991 mit den entsprechenden Novellierungen.

Unter den Opfern politischer Repression gibt es außer russischen/
sowjetischen Staatsbürgern auch viele Ausländer und Staatenlose.

Diese Bürger, ihre Verwandten, interessierte Einrichtungen und Organisationen richteten zahlreiche Rehabilitierungsanfragen an die russischen Organe, und deshalb wurde im Dezember 1992 der Geltungsbereich des genannten Gesetzes auf ausländische Staatsbürger, die im Ausland repressiert wurden, erweitert.

Auf Verfügung des Generalstaatsanwalts der Russischen Föderation obliegen die Überprüfung der Anträge und die Durchsicht der archivierten Strafakten über Ausländer, die von sowjetischen Militärgerichten bzw. außergerichtlichen Organen auf dem Gebiet von Rußland oder außerhalb der UdSSR repressiert wurden, weil sie angeblich Handlungen gegen sowjetische Staatsbürger und gegen die Interessen der UdSSR begingen, den Militärstaatsanwälten und insbesondere einer Abteilung der Verwaltung für Rehabilitierung der Hauptmilitärstaatsanwaltschaft. Anfragen zur Rehabilitierung erhielt diese von Bürgern aus mehr als 20 Staaten: Japan, Deutschland, Polen, Ungarn, Österreich u.a.

Die Beschlußfassung über die Rehabilitierung von Ausländern und die Erteilung der entsprechenden Informationen an sie erfolgen streng individuell, ausgehend von den konkreten Materialien in den archivierten Strafakten und davon, ob Beweise für eine Schuld vorliegen.

Seit das Rehabilitierungsgestz gilt, sieht die Bearbeitung von Anträgen in bezug auf Ausländer folgendermaßen aus: Es wurden ca.

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13.000 Anträge bearbeitet, 8.820 ausländische Bürger wurden rehabilitiert, 2.530 Personen wurde die Rehabilitierung verweigert.

Anträge von Ausländern betreffen folgende Kategorien von Fällen:

  1. Staatsverbrechen (konterrevolutionäre Verbrechen), wie sie das Strafgesetzbuch der RSFSR in der Fassung von 1926 vorsieht, insbesondere bewaffneter Aufstand oder Eindringen in sowjetisches Hoheitsgebiet, Spionage, Diversion, Terroranschlag, antisowjetische Propaganda, Sabotage u.a.;
  2. Verbrechen im Zusammenhang mit Greueltaten gegen die Zivilbevölkerung und kriegsgefangene Rotarmisten, wie sie im Erlaß des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 19. April 1943 „Über Maßnahmen zur Bestrafung der deutschen faschistischen Verbrecher, die schuldig sind, Mordtaten und Mißhandlungen gegen die sowjetische Zivilbevölkerung und gegen gefangene Rotarmisten begangen zu haben, zur Bestrafung von Spionen und Vaterlandsverrätern aus den Reihen der Sowjetbürger und von deren Helfershelfern" beschrieben sind;
  3. Kriegs- und andere Verbrechen nach dem Kontrollratsgesetz Nr. 10 vom 20. Dezember 1945 „Über die Bestrafung von Personen, die schuldig sind, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen den Frieden und gegen die Menschlichkeit begangen zu haben";
  4. allgemeine kriminelle Verbrechen (Eigentumsdelikte, Verbrechen gegen die Person usw.).

    Bürgern, die wegen genannter Verbrechen zu Recht strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wurden, werden nicht rehabilitiert.

Entsprechend Art. 4 des Rehabilitierungsgesetzes können solche Personen nicht rehabilitiert werden, die von Gerichten begründet verurteilt bzw. gegen die von außergerichtlichen Organen begründet strafrechtliche Maßnahmen ergriffen werden, wenn in ihren Akten hinreichende Beweismittel für eine Anklage wegen Spionage, Terroranschlag, Diversion, Gewaltanwendung gegen die Zivilbevölkerung oder Kriegsgefangene, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen den Frieden und die Menschlichkeit sowie einige andere Straftaten vorliegen. Solche Akten werden besonders sorgfältig überprüft, da bei Vorliegen eines Antrags auf Rehabilitierung die Ablehnung nur durch ein Gericht auf der Grundlage des entsprechenden Gutachtens oder des Einspruchs durch einen Staatsanwalt erfolgt. Bekanntlich verübten Militärangehörige der gegen die UdSSR kämpfenden feindlichen Ar-

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meen eine Vielzahl von Greueltaten, die entsprechend internationalen Rechtsakten und geltender Gesetzgebung der Russischen Föderation zu Recht als Schwerstverbrechen klassifiziert werden. Solche Personen wurden unter den Kriegsgefangenen und Internierten ausfindig gemacht und haben ihre gerechte Strafe erhalten.

Eine Ablehnung der Rehabilitierung erfolgt nach Art. 376 Teil 2 Strafprozeßordnung der RSFSR auch bei Personen, die kriminelle Verbrechen begangen haben: ungesetzlicher Waffenbesitz, Diebstahl, Raubüberfall u.a.

Arbeitsumfang in bezug auf deutsche Staatsbürger

Die Statistik zeigt, daß während des Krieges und in der Nachkriegszeit mehr als 200.000 ausländische Bürger der gegen die UdSSR kriegführenden Länder von sowjetischen Justizorganen im gerichtlichen oder Verwaltungsverfahren repressiert wurden. Die meisten davon sind Deutsche. (Die Zahl der repressierten Österreicher beträgt 3.000 – 4.000).

Die Erfassung repressierter Ausländer erfolgte seinerzeit ohne Berücksichtigung der nationalen Zugehörigkeit, deshalb wurden manche Österreicher, die man in Gruppenverfahren mit deutschen zusammen behandelte, nicht selten als deutsche Staatsbürger oder als Angehöriger der deutschen Armee erfaßt. (Nach Angaben der ehemaligen MWD-Hauptverwaltung für Angelegenheiten der Kriegsgefangenen und Internierten – GUPVI – befanden sich 2.385.560 Deutsche und 156.682 Österreicher in sowjetischen Kriegsgefangenschaft.)

In gerichtlichen Verfahren wurden mehr Deutsche repressiert als Vertreter anderer Nationalitäten. So wurden in Ostdeutschland von Militärtribunalen und außergerichtlichen, aber mit gerichtlichen Funktionen ausgestatteten Organen nach dem Strafgesetzbuch der RSFSR etwa 35.000 – 40.000 Personen verurteilt.

Darüber hinaus wurden in der Sowjetunion weitere ca. 30.000 Kriegsgefangene der ehemaligen deutschen Armee strafrechtlich zur Verantwortung gezogen. Nach der Verabschiedung des Rehabilitierungsgesetzes vom 18. Oktober 1991 wurden die Probleme bei der Rehabilitierung deutscher und österreichischer Staatsbürger mehrfach auf höchster zwischenstaatlicher Ebene erörtert.

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Am 16. Dezember 1992 sprachen sich der russische Präsident B.N. Jelzin und der deutsche Bundeskanzler H. Kohl in ihrer gemeinsamen Erklärung zu Fragen der Rehabilitierung unschuldig verfolgter deutscher Bürger für eine beschleunigte Fortführung der Rehabilitierung aus. Im Zusammenhang damit stammten in den letzten Jahren die meisten der bei uns eingehenden Anträge auf Rehabilitierung (etwa 11.000) aus Deutschland.

Am 4. November 1996 wurde eine analoge Vereinbarung über die Rehabilitierung österreichischer Staatsbürger zwischen dem österreichischen Vizekanzler und Außenminister W. Schüssel und dem russischen Außenminister J.M. Primakow getroffen. Dadurch erreichte diese Arbeit eine qualitativ neue Stufe.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt haben die Militärstaatsanwälte der Verwaltung für Rehabilitierung mehr als 7.000 archivierte Strafakten über deutsche und österreichische Staatsbürger überprüft.

Dies hat zu folgenden Ergebnissen geführt:

  1. Seit 1992 wurden 7.100 Deutsche rehabilitiert, bei 2.080 Deutschen (23%), d.h. bei fast jedem Vierten, wurde eine Rehabilitierung abgelehnt.
  2. In den Jahren 1997/98 gingen 680 Anfragen zu Österreichern ein und wurden überprüft. 360 Österreicher wurden rehabilitiert, bei 147 Österreichern (29%), d.h. bei fast jedem Dritten, wurde eine Rehabilitierung abgelehnt. Bei den restlichen Anträge war die Bearbeitung noch nicht abgeschlossen.

Die überwiegende Mehrzahl der nicht rehabilitierten Deutschen und Österreicher sind ehemalige Angehörige der deutschen Armee, die schuldig sind, Kriegsverbrechen sowie Verbrechen gegen den Frieden und gegen die Menschlichkeit verübt zu haben.

Wir haben auch etwa 1.500 Anfragen ehemaliger kriegsgefangener und internierter Deutscher überprüft, die durch NKWD- bzw. MWD-Organe administrativ repressiert wurden. Die Überprüfung derartiger Anträge ist eingestellt: Bei einigen von ihnen konnten in den russischen Archivbehörden keine Angaben über eine stattgefundene Repression entdeckt werden, in anderen Fällen lag keine Grundlage für eine Rehabilitierung vor, da das Rehabilitierungsgesetz vom 18. 10. 1991 nicht für Ausländer gilt, die in einem Verwaltungsverfahren außerhalb der UdSSR repressiert wurden. Die Ergebnisse der auf Antrag ausländischer Bürger durchgeführten Überprüfungen teilen

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wir den Antragstellern nur über diplomatische Kanäle durch die jeweilige Botschaft und das russische Außenministerium mit.

Laut Informationen der Archivbehörden des Föderalen Sicherheitsdienstes der RF und des Innenministeriums der RF müssen noch etwa 60.000 Strafakten überprüft werden, die mehr als 75.000 ausländische Bürger, größtenteils Deutsche, betreffen.

Charakterisierung der eingehenden Anträge

Antrage erhalten wir hauptsächlich über die Deutsche Botschaft, über das russische Außenministerium und auf direktem Weg von interessierten Personen und Organisationen. Immer spürbarer wächst die organisierende und koordinierende Rolle der ausländischen diplomatischen Vertretungen in Moskau.

Die Analyse zeigt, daß in den Anträgen folgende Hauptprobleme angesprochen werden:

  1. die Rehabilitierung verurteilter Personen;
  2. die Rehabilitierung von Personen, die in Speziallagern des NKWD bzw. MWD in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands interniert oder aus Deutschland in Arbeitslager auf sowjetischem Gebiet deportiert worden waren;
  3. Vermögensprobleme – die Annullierung der Verfügungen der sowjetischen Besatzungsbehörden, Eigentum von Einzelpersonen bzw. Organisationen zu sequestrieren oder konfiszieren, die Rückgabe von persönlichem Eigentum und die Auszahlung von Entschädigungen;
  4. die Feststellung des Schicksals von Bürgern, die von sowjetischen Organen festgenommen wurden und danach als vermißt galten;
  5. der Erhalt von Kopien der Dokumente aus den archivierten Stafakten (Urteil, Anklageschrift, persönliche Dokumente und Fotografien Rehabilitierter), Informationen über die Grabstätte repressierter Verwandter usw.

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    Hauptfragen

    1. Warum rehabilitiert die Hauptmilitärstaatsantwaltschaft der RF keine Deutschen, die vom NKWD bzw. MWD in der Nachkriegszeit im Verwaltungsverfahren in Speziallager eingewiesen wurden? Erstreckt sich das Gesetz der Russischen Föderation vom 18. Oktober 1991 „Über die Rehabilitierung von Opfern politischer Repression" auf diese Kategorie deutscher Staatsbürger (was nach Meinung der deutschen Seite durchaus möglich ist)?

    Gestützt auf Artikel 2 und 3 des Rehabilitierungsgesetzes, meinen wir, daß sich das Gesetz auf ausländische Bürger, die im Verwaltungsverfahren außerhalb sowjetischen Gebiets repressiert wurden und gegenwärtig ihren ständigen Wohnsitz außerhalb von Rußland haben, nicht erstreckt und daß diese Bürger auf der Grundlage dieses Gesetzes nicht rehabilitiert werden können.

    Die Staatsanwaltschaft kann im Prinzip nur über Anträge auf Rehabilitierung ausländischer Bürger entscheiden, wenn diese in einem Gerichtsverfahren politisch repressiert wurden und ein bis zum heutigen Tag nicht aufgehobener Gerichtsbeschluß vorliegt oder ein Beschluß der Ermittlungsorgane über die Einstellung des jeweiligen Strafverfahrens mit nicht rehabilitierenden Gründen.

    Damit dieses Gesetz auch für Ausländer im gleichen Umfang wie für russische Staatsbürger gilt, muß der Gesetzgeber folgendes tun:

    1. Er muß die vom NKWD bzw. MWD und von der Militärverwaltung gegen die betreffenden Personen im Verwaltungsverfahren angewendeten und im Rehabilitierungsgesetz nicht aufgeführten Zwangsmaßnahmen (Festnahme, Verhaftung, Einweisung in NKWD-Speziallager) als politische Repression anerkennen.
    2. Er muß den Geltungsbereich des Rehabilitierungsgesetzes auf die ausländischen Staatsbürger mit ständigem Wohnsitz im Ausland ausdehnen, die außerhalb der UdSSR im Verwaltungsverfahren politisch repressiert wurden.

    Derzeit wird auf Initiative des deutschen Außenministeriums, unterstützt vom russischen Außenministerium, im Apparat des Präsidenten der RF die Einbringung entsprechender Veränderungen in das Gesetz überprüft, die eine unterschiedliche Auslegung der Anwendung in

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    bezug auf administrativ repressierte ausländische Bürger ausschließen sollen.

    Dieses Problem ist äußerst kompliziert, enthält politische, völkerrechtliche und moralische Aspekte und muß auf höchster staatlicher Ebene gelöst werden.

    Die Kompliziertheit des Problems besteht darin, daß im geltenden Gesetz der RF „Über die Rehabilitierung von Opfern politischer Repression" der Rechtsstatus ausländischer Bürger, die auf Beschluß von NKWD- bzw. MWD-Mitarbeitern für einen langen Zeitraum in ein Speziallager eingewiesen wurden, und ausländische Bürger, die zur Wiedererrichtung der durch den Krieg zerstörten Wirtschaft in die UdSSR deportiert wurden, nicht definiert ist.

    Dieses Problem, das ebenso Bürger anderer Staaten betrifft, kann nur auf dem Gesetzgebungsweg, nach einer tiefgründigen allseitigen Bearbeitung gelöst werden.

    Die Staatsanwaltschaft der Russischen Föderation beteiligt sich an diesem rechtsschöpferischen Prozeß, doch dieser ist, wie die Praxis zeigt, kompliziert und langwierig.

    Die jetzt bei der Hauptmilitärstaatsanwaltschaft eingehenden Anträge auf Rehabilitierung von durch das NKWD verfolgten Bürgern Deutschlands werden zur Bearbeitung entgegengenommen und überprüft. Wenn der Antragsteller nicht in einem Gerichtsverfahren repressiert wurde, sondern in einem NKWD-Speziallager interniert war oder auf anderem Wege administrativ repressiert wurde, schicken wir eine Archivauskunft an die Botschaft, in der wir die festgestellte Information mitteilen und erläutern, warum die Überprüfung damit abgeschlossen ist.

    In Abstimmung mit dem russischen Außenministerium beschließen wir in Einzelfällen, unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Verwaltungsverfahrens und der Person des Repressierten, wenn offenkundig ist, daß Willkür im Spiel war (bei Jugendlichen, alten Leuten, Zivilisten, die keine NSDAP-Mitglieder waren usw.), die unbegründeten Beschlüsse des NKWD aufzuheben, und erteilen Rehabilitierungsbescheide. Solche Fälle bilden jedoch eine Ausnahme.

    1. In welchen Fällen haben ausländische rehabilitierte Bürger nach dem geltenden Rehabilitierungsgesetz das Recht auf eine finanzielle Entschädigung für den ungesetzlichen Freiheits-

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      entzug und auf die Rückgabe von beschlagnahmtem oder eingezogenem Eigentum?

    Gemäß Artikel 15 des Gesetzes erhalten Personen, die durch Freiheitsentzug oder Zwangseinweisung in eine psychiatrische Anstalt auf dem Hoheitsgebiet Rußlands politisch repressiert und später rehabilitiert wurden, von den russischen Behörden für den sozialen Schutz eine finanzielle Entschädigung im Umfang von ¾ des Mindestarbeitslohnes für jeden Monat Freiheitsentzug bzw. Zwangsaufenthalt in einer Nervenheilanstalt, aber maximal in Höhe des hundertfachen Mindestlohnes. (Derzeit beträgt der Mindestlohn etwas mehr als 83.000 Rubel, deshalb beträgt die höchstmögliche Entschädigung 8.300.000 Rubel bzw. 1380 US-$.)

    Im Zusammenhang damit hat jeder ausländische Bürger, der auf russischem Hoheitsgebiet in der genannten Weise repressiert wurde, unabhängig von seinem derzeitigen ständigen Wohnsitz das Recht, sich an dem Ort, an dem er repressiert wurde, wegen der Auszahlung der Entschädigung an die entsprechende Behörde für sozialen Schutz zu wenden.

    Die Verfahrensweise bei der Rückgabe von im Zusammenhang mit politischer Repression ungesetzlich beschlagnahmtem, eingezogenem oder anderweitig eingebüßtem Vermögen, bei dem entsprechenden Wertausgleich oder der Auszahlung einer finanziellen Entschädigung regeln Artikel 16-1 des Rehabilitierungsgesetzes und eine durch den Beschluß der russischen Regierung Nr. 926 vom 12. August 1994 bestätigte Richtlinie.

    Entsprechend den genannten Rechtsvorschriften haben ausländische Bürger nur dann das Recht auf Vermögensrückgabe oder Wertausgleich, wenn sie auf dem Gebiet Rußlands repressiert wurden.

    Wenn jedoch das Vermögen auf Beschluß sowjetischer Gerichte oder außergerichtlicher Organe außerhalb der UdSSR beschlagnahmt wurde, haben das Recht auf Wertausgleich nur die Personen, die ihren ständigen Wohnsitz auf dem Gebiet der Russischen Föderation haben, und nur dann, wenn das beschlagnahmte Vermögen auf russischem Gebiet veräußert wurde. Die Summe der Entschädigung, unabhängig vom Wert des beschlagnahmten Vermögens und

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    des Wohnhauses, darf die Höhe des hundertfachen in Rußland gesetzlich festgelegten Mindestarbeitslohnes nicht übersteigen.

    Auf die administrativ verfügte Beschlagnahmung oder den anderweitigen Entzug von Vermögen bei ausländischen Bürgern außerhalb der UdSSR erstreckt sich das Rehabilitierungsgesetz der RF nicht.

    Somit ist eine Rehabilitierung für Bürger Deutschlands oder anderer ausländischer Staaten, die ihren ständigen Wohnsitz außerhalb Rußlands haben, hauptsächlich von moralischer Bedeutung.

    1. Welche Meinung hat die Hauptmilitärstaatsanwaltschaft der RF zu den Forderungen rehabilitierter deutscher Bürger über die Rückgabe von Vermögen, das in den Nachkriegsjahren in der sowjetisch besetzten Zone beschlagnahmt wurde?

    Die von der russischen Staatsanwaltschaft erteilten Rehabilitierungsbescheide lösen bei den Regierungs- und Verwaltungsbehörden ausländischer Staaten keinerlei vermögensrechtliche Verpflichtungen aus und berechtigen demzufolge die rehabilitierten ausländischen Bürger auch nicht, von ihren Regierungen irgendwelche Vergünstigungen, Zahlungen und die Rückgabe von Vermögen einzufordern.

    Bekanntlich haben einzelne deutsche Bürger bei den entsprechenden deutschen Behörden auf Rückgabe der ihnen entzogenen Grundstücke, Gebäude und anderen Vermögenswerte geklagt, diese Versuche hatten jedoch keine ausreichende juristische Grundlage.

    Die Hauptmilitärstaatsanwaltschaft bei der Generalstaatsanwaltschaft der RF erhält ziemlich häufig derartige Anträge ausländischer, vorwiegend deutscher, Bürger.

    Im Zusammenhang damit erachten wir es für erforderlich, der deutschen Seite nochmals unsere prinzipielle Position (die mit dem russischen Außenministerium abgestimmt ist) darzulegen: Das in Deutschland in den Jahren 1945-1949 aufgrund der Rechte und der Oberhoheit der Besatzungsmächte eingezogene Eigentum unterliegt derzeit keiner Revision.

    Außerdem sei daran erinnert, daß seit dem 10. November d.J. die von der Hauptmilitärstaatsanwaltschaft ausgestellten Rehabilitierungsbescheide durch den Vermerk ergänzt sind: „Der Beschluß über die Rehabilitierung kann nicht Grundlage für vermögens-

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    rechtliche, im Widerspruch zur geltenden Gesetzgebung und den internationalen Verpflichtungen stehende Forderungen deutscher Staatsbürger sein."

    Die Unumkehrbarkeit der in den ersten Nachkriegsjahren in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands durchgeführten Enteignungen ist bekanntlich in völkerrechtlichen Dokumenten zur Vereinigung von BRD und DDR verankert (im Vertrag über die endgültige Regelung in bezug auf Deutschland vom 12. September 1990 und einigen anderen).

    Zur Klärung strittiger Vermögensfragen im Zusammenhang mit der Rehabilitierung deutscher Bürger hatte das russische Außenministerium auf unseren Vorschlag hin eine offizielle Note an die deutsche Bundesregierung vorbereitet, in der unsere allgemeine Position zu diesem Problem dargelegt ist. Zugleich muß darüber informiert werden, daß die bisher entsprechend der festgelegten Verfahrensweise ausgestellten Rehabilitierungsbescheinigungen (ohne den oben erwähnten „Vermerk") vollständig den vom Gesetz verlangten Forderungen entsprechen und nach wie vor gültig sind.

    Zu den internationalen Kontakten der Verwaltung für Rehabilitierung bei der Hauptmilitärstaatsanwaltschaft

    Im Rahmen der Durchführung des Rehabilitierungsgesetzes haben wir enge geschäftliche Beziehungen mit den Mitarbeitern der Deutschen Botschaft aufgenommen und halten diese aufrecht. Vor allem sind das gute Arbeitskontakte zur Konsular- und Rechtsabteilung der Botschaft; dort haben K Richter, K. Retzlaff, H. Schindler und A. Kuligk eine fruchtbare Arbeit geleistet, und derzeit sind A. Schwalm, E. Kristof und andere tätig. Die Leitung der Verwaltung trifft sich regelmäßig mit ihnen. Wir wissen, daß auch der deutsche Botschafter, Herr E.-J. von Studnitz, und seine Stellvertreter der Koordinierung dieser Arbeit die erforderliche Aufmerksamkeit widmen.

    Am 26. November 1997 traf sich der stellvertretende Generalstaatsanwalt der RF Hauptmilitärstaatsanwalt J.G. Djomin speziell mit den Botschaftern Deutschlands und Österreichs und erörterte mit ihnen die grundlegenden Probleme bei der Rehabilitierung.

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    Unter Beteiligung von Mitarbeitern der Botschaften der BRD und Österreichs fanden bei der Hauptmilitärstaatsanwaltschaft mehrere Begegnungen mit Delegationen deutscher Opferverbände, mit Veteranen der Bundeswehr, Abgeordneten des Bundestages, dem Direktor des Bonner Instituts für Archivauswertung G. Wagenlehner und anderen statt.

    Die Erörterung der genannten Fragen mit verantwortlichen Mitarbeitern des deutschen Außenministeriums, mit Diplomaten, Wissenschaftlern und Persönlichkeiten der Öffentlichkeit sowie mit unbegründet repressierten Bürgern hat gezeigt, daß es für die von uns bearbeiteten Probleme im Zusammenhang mit der Wiederherstellung der Gerechtigkeit und der verletzten Menschenrechte ein großes Interesse gibt und daß diese Tätigkeit der russischen Staatsanwaltschaft insgesamt als Akt des guten Willens und Humanismus eingeschätzt wird, der zur Annäherung der Interessen unserer Völker beiträgt.

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    B) Konkrete Beispiele aus dem Aufgabenbereich Rehabilitierung

    In der Vorkriegszeit, im Juni 1937, wurde in der sowjetischen Stadt Leninsk der deutsche Arbeiter Heinrich Abdingof verhaftet. Er stammte aus Gensen, war auf der Grundlage eines Vertrags in die UdSSR gekommen und arbeitete als Hauer im Bergwerk „Komsomolez". Im Oktober 1938 verurteilte ihn eine auswärtige Sitzung des Militärkollegiums des Obersten Gerichts der UdSSR zu 15 Jahren Gefängnishaft unter Einziehung seines Vermögens. Abdingof wurde beschuldigt, Mitglied einer im Kusnezbecken tätigen antisowjetischen faschistischen Diversions- und Terrororganisation zu sein.

    Die Überprüfung der archivierten Strafakte ergab, daß man Abdingof unbegründet, aus politischen Motiven heraus, verurteilt hatte. In der Gerichtsverhandlung wies er kategorisch alle Beschuldigungen zurück und sagte, er sei bei den Ermittlungen gezwungen worden, sich selbst rechtswidriger Handlungen zu bezichtigen, habe de facto jedoch keine begangen. Schuldbeweise enthielt die Akte nicht, deshalb wurde er von uns rehabilitiert.

    Gegen Kriegsende, am 27. Mai 1945, verurteilte das Militärtribunal einer Division auf der Grundlage von Artikel 1 Erlaß des Präsidiums

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    des Obersten Sowjets der UdSSR vom 19. April 1943 den 67jährigen Elektriker Max Hermann, wohnhaft in Angarad, zum Tode durch Erschießen. Das Gericht erkannte ihn schuldig, seit 1937 Mitglied der NSDAP zu sein. Bei den Ermittlungen und vor Gericht erläuterte Hermann, daß er der NSDAP beigetreten sei, um weiterhin als Meister arbeiten zu können. Parteimitglied sei er nur formal gewesen, er habe lediglich Beitrag bezahlt, aber keinerlei Aktivität gezeigt.

    Die Überprüfung der Strafakte ergab, daß Hermann unbegründet verurteilt wurde. Er war niemals auf sowjetischem Territorium gewesen, hatte nicht an Kampfhandlungen und Greueltaten gegen die sowjetische Zivilbevölkerung oder kriegsgefangene Rotarmisten teilgenommen. Der genannte Erlaß sah keine strafrechtliche Verfolgung wegen formaler Zugehörigkeit zur faschistischen Partei vor.

    Im März 1946 wurden sechs Jugendliche unter 16 Jahren aus Woltersdorf und Rüdersdorf (Provinz Brandenburg) - Ulrich Lehmann, Gerhard Ganschow, Wolfgang Piper und andere – von einem Militärtribunal auf Grundlage von Artikel 58-8, 58-9 und 58-11 StGB der UdSSR zu jeweils 10 Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Laut Urteil waren sie angeklagt, sie seien „Mitte April 1945, als die Rote Armee gegen Berlin vorrückte, der Organisation ‘Werwolf’ beigetreten, die sich das Ziel setzte, im Hinterland der Roten Armee einen Diversions- und Terrorkampf zu führen. Praktisch tätig waren die Verurteilten nicht."

    Die Überprüfung der Strafakte ergab, daß die Jugendlichen ohne hinreichenden Grund verurteilt wurden. Bei den Ermittlungen und vor Gericht bekannten sich die Angeklagten nicht schuldig und erläuterten, daß sie, als die Rote Armee vorrückte, gezwungenermaßen formal dem „Werwolf" beigetreten seien, da sie andernfalls gemeinsam mit ihren Familien von den Faschisten verfolgt worden wären. Terror oder Diversion gegen die sowjetischen Truppen hätten sie nicht betreiben wollen. Bis September 1945 seien sie in Kriegsgefangenenlagern gewesen, anschließend hätten sie bei ihren Eltern gewohnt und keinerlei rechtswidrige Handlungen begangen.

    Der Beitritt minderjähriger deutscher Staatsbürger zu derartigen Organisationen (Volkssturm u.a.) unter dem Druck objektiver Kriegsumstände, ohne daß wirklich Verbrechen begangen wurden, bildet noch keinen Strafbestand.

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    Im Oktober 1948 wurden die Studenten der Universität Jena Hans-Joachim Mütel, Eva Mütel, Leo Stär und Max Klinsberg wegen Spionage und antisowjetischer Agitation zu 20 Jahren Freiheitsentzug in einem Besserungs- und Arbeitslager unter Einziehung ihrer persönlichen Wertgegenstände verurteilt.

    Das Gericht erkannte sie für schuldig, „aufgrund ihrer feindlichen Einstellung gegenüber der Sowjetunion im März 1948 mehrere Artikel antisowjetischen Charakters über die wirtschaftliche und politische Lage in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands an die Redaktion der Zeitung ‚Der Tag‘, des CDU-Organs in den Westzonen Deutschlands, gegeben zu haben."

    Die Anklage wegen Spionage beruhte auf dem gegenstandslosen Geständnis der Angeklagten und wurde durch keinerlei Beweismaterial belegt. Die von ihnen in den Artikeln verwendeten Informationen waren allgemein zugänglich und stellten kein Staats- oder militärisches Geheimnis das. Was ihre Verurteilung wegen antisowjetischer Agitation und Propaganda betrifft, so gelten gemäß Artikel 5 Punkt a des Gesetztes der RF „Über die Rehabilitierung von Opfern politischer Repression" die genannten Handlungen nicht als sozial gefährlich, und die deswegen verurteilten Personen sind zu rehabilitieren unabhängig davon, ob ihre Anklage durch Fakten belegt ist oder nicht.

    Laut Gutachten und Einsprüchen von Militärstaatsanwälten wurden eine Reihe ehemaliger deutscher Wehrmachtsangehöriger rehabilitiert.

    Hasso Heinrich von Puttkamer, Kommandeur des 2. Infanterieregiments der 111. Infanteriedivision, verurteilt im Dezember 1949 während seiner sowjetischen Kriegsgefangenschaft aufgrund von Artikel 17 StGB der RSFSR und Artikel 1 Erlaß des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 19. April 1943 zu 25 Jahren Freiheitsentzug in einem Besserungs- und Arbeitslager, hatte sich während der Ermittlungen und vor Gericht nicht schuldig bekannt und ausgesagt, er habe als Wehrmachtsangehöriger auf sowjetischem Territorium eine schlechte Behandlung der Zivilbevölkerung nicht geduldet und seinen Unterstellten niemals befohlen, Greueltaten gegen die Bevölkerung zu begehen.

    Die Überprüfung ergab, daß das 2. Infanterieregiment der genannten Division in den Akten der Außerordentlichen staatlichen Kommission der UdSSR über die Greueltaten der deutschen Truppen in den be-

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    setzten sowjetischen Gebieten nicht aufgeführt ist. Die Ermittlungen im vorliegenden Fall wurden oberflächlich geführt, und in der Akte liegen keine Beweismittel vor, die von Puttkamers Schuld an der Ausübung von Verbrechen belegen würden.

    Das Militärkollegium des Obersten Gerichts der Russischen Föderation, das vorliegende Strafsache auf Einspruch des Hauptmilitärstaatsanwalts überprüfte, stimmte dessen Argumenten zu, annullierte den früheren Gerichtsbeschluß und stellte das Strafverfahren gegen von Puttkamer wegen Mangels an Beweisen für eine Mitwirkung an der Ausübung von Verbrechen ein. Damit ist er vollständig rehabilitiert.

    Wegen analoger Beschuldigungen wurden im Oktober 1949 in der Sowjetunion Major Nikolaus Chorinski, ehemaliger Adjudant des Kommandeurs der 79. Wehrmachtsdivision, Oberstleutnant der Justiz Herbert Schimmelpfennig, ehemaliger Militärrichter der 179. Reservedivision, und Kurt Berling, Divisionsrichter, zu 25 Jahren Freiheitsentzug in einem Besserungs- und Arbeitslager verurteilt, obwohl die jeweilige Strafakte keine Beweismittel für eine Schuld enthielt.

    Auf Einspruch des Hauptmilitärstaatsanwalts wurden die früheren Gerichtsbeschlüsse gegen die genannten Personen durch das Militärkollegium des Obersten Gerichts der RF annulliert und die Betreffenden rehabilitiert.

    In letzter Zeit wurden von uns mehrere Strafverfahren gegen namhafte deutsche Kulturschaffende überprüft.

    Im Juni 1945 verurteilte ein Militärtribunal den Leiter der Abteilung Theater im deutschen Kulturministerium Dr. phil. Rainer Schlesso nach Artikel 58-2 StGB der RSFSR (bewaffneter Aufstand bzw. Eindringen in sowjetisches Hoheitsgebiet mit konterrevolutionären Zielen) zur Höchststrafe – Tod durch Erschießen.

    Laut Urteil wurde er für schuldig befunden, von 1931 bis 1933 als Redakteur der Abteilung Feuilleton bei einer Zeitung gearbeitet zu haben, wo er die Ideen des Nationalsozialismus propagiert und glorifiziert habe. Von 1933 bis Mai 1945 habe er als Leitung der Abteilung Theater im Ministerium gearbeitet, dort das Repertoire der deutschen Theater umgestaltet und auf die Entwicklung und Propaganda der Ideen des Führers ausgerichtet. Außer persönlichen Aussagen Schlessos über seine berufliche Tätigkeit enthielt die Akte keinerlei Beweismaterial über eine Schuld. In den verschiedenen Dienststel-

    [Seite der Druckausg.: 69]

    lungen im Ministerium für Kultur erfüllte er seine Dienstpflichten, war nicht auf sowjetischem Territorium und nahm nicht an Kampfhandlungen teil. Unter diesen Umständen wurde er unbegründet wegen konterrevolutionären Verbrechens strafrechtlich zur Verantwortung gezogen.

    Auf Beschluß der zentralen Operativgruppe des NKWD der UdSSR für Berlin wurde der prominente Schauspieler und Direktor des Berliner Schiller-Theaters Heinrich George am 10. Juli 1945 verhaftet und am 28. Juli des gleichen Jahres in ein Speziallager eingewiesen. Im Lager verstarb er am 25, September 1946 an Herzinsuffizienz und Bronchiopneumonie.

    George wurde im Zusammenhang damit verhaftet, daß er einer der namhaftesten Schauspieler im faschistischen Deutschland war und angeblich mit antisowjetischen Äußerungen auftrat, die die Sowjetmacht herabwürdigen sollten.

    Die Überprüfung der Akte ergab, daß George unbegründet, aus politischen Motiven heraus und de facto wegen seiner beruflichen Tätigkeit als Schauspieler und Regisseur repressiert wurde. 1938-1945 Theaterdirektor, inszenierte er sowohl Stücke berühmter klassischer Autoren als auch Stücke mit faschistischer Ausrichtung, was durch das seinerzeit bestehende Regime bedingt war. Zugleich ist aus dem Schreiben einer Gruppe von Schauspielern des Theaters (insgesamt 13 Personen) an den sowjetischen Kommandanten von Berlin im Mai 1946 ersichtlich, daß George während des Krieges an seinem Theater 10 jüdischen Schauspielern Obdach gewährt und, indem er seine Popularität ausnutzte, sie vor dem faschistischen Konzentrationslager und der physischen Vernichtung bewahrt hatte.

    Außerdem hatte er während eines Gastspiels in Paris 1941 die Schauspieler des französischen Theaters vor einer bevorstehenden Hetzjagd und Verhaftungen gewarnt und so einigen von ihnen das Leben gerettet. Er war kein Mitglied der NSDAP, stand immer außerhalb der Politik und beging keine Verbrechen.

    Die Praxis zeigt, daß im Nachkriegsdeutschland nicht nur Deutsche, sondern auch Bürger anderer Nationalität aus politischen Motiven heraus strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wurden. Erich Nelhans, gebürtiger Berliner, Jude, organisierte Ende 1945 in Berlin eine „Jüdische Gemeinde" und half der daran interessierten jüdischen Bevölkerung aus Polen, der Tschechoslowakei und Deutschland, nach

    [Seite der Druckausg.: 70]

    Palästina und Amerika auszuwandern. Er unterstützte so mehrere Tausend jüdische Flüchtlinge aus verschiedenen Ländern Europas.

    Diese humanistische Tätigkeit Nelhans’ wurde als den Interessen der UdSSR entgegenstehend gewertet, und im August 1948 verurteilte man ihn wegen antisowjetischer Agitation und Beihilfe zum ungesetzlichen Grenzübertritt zu 25 Jahren Besserungs- und Arbeitslager unter Einziehung seines Vermögens.

    Auf Einspruch der Hauptmilitärstaatsanwaltschaft annullierte ein Militärgericht das Urteil und stellte das Strafverfahren gegen Nelhans ein, da seine Handlungen keinen Straftatbestand enthielten. Damit ist Nelhans vollständig rehabilitiert.

    Im weiteren folgen die typischen Beispiele aus der Rehabilitierungspraxis von verschiedenen Kategorien der deutschen Bürger.

    Eine unbegründete Beschuldigung der Beihilfe zur Entfesselung des Zweiten Weltkrieges

    Am 11. Juli 1945 wurde vom operativen Sektor Berlins des NKWD der UdSSR der Generaladmiral a.D. A. Saalwächter, ehemaliger Oberbefehlshaber der Nordflotte und später der Westgruppe der deutschen Marine, verhaftet.

    Da Admiral Saalwächter mit der Politik Hitlers nicht einverstanden war, wurde er bereits im Oktober 1942 in den Ruhestand versetzt und war am Krieg gegen die UdSSR überhaupt nicht beteiligt. Ungeachtet dieser Tatsachen wurde er im Oktober 1945 vom sowjetischen Militärtribunal gemäß Artikel 1 des Erlasses des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 19. April 1943 „Über die Maßnahmen zur Bestrafung von deutsch-faschistischen Schergen, die sich der Morde und Mißhandlungen an der sowjetischen Bevölkerung und gefangenen Rotarmisten schuldig gemacht haben, sowie zur Bestrafung von Spionen und Heimatverrätern aus den Reihen der Sowjetbürger und ihrer Helfershelfer" ohne Grund verurteilt.

    [Seite der Druckausg.: 71]

    Grundlose Beschuldigung der Mißhandlungen an ausländischen Zwangsarbeitern, darunter Sowjetbürgern

    Im März 1946 wurden 11 führende Mitarbeiter der Munitionsfabrik „Lotring" von einem sowjetischen Militärtribunal (der Direktor der Fabrik, J. Pingel, und der führende Ingenieur, G. Kromberg, wurden zum Tode durch Erschießen und weitere führende Mitarbeiter jeweils zu 10 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt) abgeurteilt. Der Grund der Verurteilung war: Von 1941 bis 1945 zwang die Fabrikleitung die ausländischen Arbeiter, darunter sowjetische Bürger und Kriegsgefangene, Überstunden zu leisten, verpflegte sie schlecht und bestrafte die Arbeiter wegen Verstöße gegen die Disziplin. Die Anschuldigungen wurden durch keinerlei Tatsachen bestätigt; die Akte enthält keine Informationen darüber, daß den Arbeitern dadurch irgendein realer Schaden zugefügt worden wäre. Die Handlungen der Verurteilten können nicht als Mißhandlungen eingeschätzt werden und erfüllen den Tatbestand gemäß Artikel 1 des Erlasses des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 19. April 1943 und Artikel 58-2 des Strafgesetzbuches der RSFSR (bewaffneter Widerstand) nicht.

    Strafsachen dieser Art kommen nicht selten in unsere praktischen Arbeit vor.

    Verfolgung vom Amtspersonen wegen Wahrnehmung ihrer administrativen und amtlichen Pflichten

    Laut Urteil des Militärtribunals vom 26. April 1946 wurde Dr. jur. E. Rietsch für schuldig befunden, daß er bei Anfang des Krieges gegen die UdSSR zur besonderen Verfügung des Oberbefehlshaber der deutschen Besatzungstruppen auf dem Territorium der UdSSR abkommandiert und zum obersten Berater für administrative und wirtschaftliche Fragen bei einigen Feldkommandanturen, wo er von 1941 bis 1942 die Selbstverwaltungsorgane aus der einheimischen Bevölkerung rekrutierte, ernannt wurde.

    Aus dem Dresdener Gefängnis, in dem er einsitzen mußte, hat er einen Brief an seine Frau geschrieben, in dem er mitteilte: „In einer Einzelzelle, 9m² groß, sind wir, sechs Personen, zusammengepfercht. Seit 4 Wochen warte ich auf die Entscheidung. Die Russen lassen sich

    [Seite der Druckausg.: 72]

    viel Zeit." Am 21. Mai 1946 wurde er erschossen. Die Prüfung hat ergeben, daß er keinerlei Verbrechen gegen die Sowjetbürger begangen hatte und zu Unrecht verurteilt wurde.

    Am 27. Dezember 1949 wurde ein Kriegsgefangener, Major G. Mugler, der ehemalige Vorsitzende eines militärischen Feldgerichts der 302. und 320. Infanteriedivisionen, aus politischen Gründen verhaftet und am selben Tag zu 25 Jahren Zwangslager von dem Militärtribunal der MVD-Truppen des Bezirks Kiev verurteilt. Er wurde der Wahrnehmung seiner Amtspflichten und der Greueltaten gegen das sowjetische Volk beschuldigt. Major Muglers Akte enthält keine Beweise seiner vermeintlichen Verbrechen gegen die UdSSR. Im Gegenteil enthält seine Strafakte Informationen darüber, daß er von seinen Untergeordneten ein humanes Verhalten gegenüber der sowjetischen Zivilbevölkerung verlangte und sogar einen deutschen Soldaten zum Tode wegen Vergewaltigung und Ermordung einer russischen Frau verurteilte.

    Eine große Gruppe deutscher Bürger, die ohne Grund wegen Spionage gegen die UdSSR in ihrer Heimat verurteilt wurden

    In der Tat begingen diese Leute keine Verbrechen. Sehr oft sammelten sie allgemein zugängliche, bekannte Informationen über das Leben der deutschen Bevölkerung und der Angehörigen der sowjetischen Besatzungstruppen zwecks Veröffentlichung in den Massenmedien der westlichen Besatzungszone und verfaßten kritische und antisowjetische Schreiben.

    1950 wurden acht Schüler einer Försterschule in Eberswalde wegen Gründung einer illegalen Spionageorganisation „Grünwald" (E. Naunek, G. Neitu, E. Fink u.a.) vom Militärtribunal verurteilt. Sie pflegten Kontakte mir der „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit" in Westberlin. Da sie mit der Politik der sowjetischen Administration in der sowjetischen Besatzungszone nicht einverstanden waren, verbreiteten sie unter der deutschen Bevölkerung antisowjetische Literatur. Sie wurden 1995 rehabilitiert.

    Die Mitglieder der illegalen Jugendorganisation „Die Falken" aus Dresden, E. Andreck-Stange, W. Andreck und E. Radenstock, wurden

    [Seite der Druckausg.: 73]

    ohne Grund wegen feindlicher Tätigkeit gegen die sowjetischen Truppen auf dem deutschen Territorium verurteilt. Sie wurden wie die o.g. Gruppe später rehabilitiert.

    Wie die Praxis zeigt, verletzten die sowjetischen Repressivorgane in einigen Fällen aufs Gröbste bei Durchführung von Repressalien gegen deutsche Bürger die sowjetischen Strafgesetze. Gemäß Artikel 22 des damals gültigen Strafgesetzbuches der Russischen Föderation durften die Personen, die zum Zeitpunkt des Verbrechens ihr 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, nicht zur Todesstrafe verurteilt werden. In der Tat wurden sehr viele minderjährige Jugendliche so brutal abgeurteilt.

    So wurden am 30. März 1946 10 minderjährige Einwohner der Stadt Penzlin, die zum Zeitpunkt der Verhaftung 16-17 Jahre alt waren, wegen ihrer antisowjetischen Haltung und Zugehörigkeit zu der Gruppe „Werwolf" verurteilt; zwei davon, A. Enevski und W. Koder, wurden zur Todesstrafe verurteilt und am 18. Juli 1946 hingerichtet.

    Bei einer ähnlichen Anklage wurden sieben Jugendliche aus Königsbrück am 11. Juli 1946 vom Militärtribunal verurteilt. Der Leiter der Gruppe, der 16jährige G. Faust, wurde zum Tode durch Erschießen verurteilt. Vermeintlich wollte diese Gruppe für den Fall des Krieges Englands gegen die UdSSR den bewaffneten Kampf gegen die sowjetischen Truppen mit terroristischen Mitteln führen. Zu diesem Zweck versteckten die Mitglieder der Gruppe bereits im Juli 1945 in einem Schuppen 6 von ihnen gefundene Karabiner und 150 Patronen. In seinem Gnadengesuch schrieb G. Faust, indem er zugab, daß die Gruppe die Waffen gesammelt hatte, was die patriotisch gesinnten deutschen Jugendlichen damals zu solchen Aktionen bewegte: „1942 fiel an der Ostfront mein Bruder. Mein zweiter Bruder befindet sich in amerikanischer Gefangenschaft. Das Militärtribunal muß verstehen, daß wir von Kindesbeinen an betrogen und gegen die Russen gehetzt wurden. Freilich haben wir alledem geglaubt. Nur weil wir Angst hatten, wegen des unerlaubten Waffenbesitzes zur Verantwortung gezogen zu werden, gaben wir die Waffen nicht ab. Mit faschistischem Gruß …" Weiter folgt die Unterschrift.

    Einer der Richter des sowjetischen Tribunals in der zweiten Instanz bat die Berufungsinstanz, das Todesurteil von G. Faust aufzuheben und in eine Freiheitsstrafe umzuwandeln. Das Gericht entsprach aber seiner Bitte nicht.

    [Seite der Druckausg.: 74]

    Sehr oft wurden fast noch Kinder zu Freiheitsstrafen von 10 Jahren und mehr verurteilt. Im Dezember 1945 werden der 12jährige R. Bürger und der 13jährige W. Friese wegen Mitgliedschaft in der Organisation Werwolf mit dem Ziel, „gegen die Rote Armee zu kämpfen", verurteilt. Während der Voruntersuchung sagte Bürger folgendes aus: „Am ersten Tag, als ich der Organisation beigetreten war, kam ich nach Hause aus dem Wald und erzählte meiner Mutter davon. Meine Mutter verdrosch mich mit einem Besen und sagte zu mir, wenn ich noch einmal dahin gehen sollte, bringe sie mich um. Ich schwor ihr, daß ich aus Werwolf austreten werde, habe aber mein Wort nicht gehalten." Sie waren Kinder und benahmen sich auch dementsprechend kindlich.

    Auch gebrechliche Greise wurden zum Tode verurteilt. Der Einwohner der Stadt Oberlinde M. Albin (67 Jahre) wurde im Mai 1946 wegen der Teilnahme an den illegalen Versammlungen und der Anfertigung von antisowjetischen Flugblättern zum Tode verurteilt. Sein Gnadengesuch wurde trotz seines vorgerückten Alters und einer Erkrankung der Hände abgelehnt.

    Die Prüfung der o.g. Archivakten hat gezeigt, daß alle Betroffenen ohne Grund verurteilt worden sind.

    In vielen Strafsachen war der politische Hintergrund der Verfolgung besonders offensichtlich

    Im August 1945 wurden die 15jährigen Einwohner des Dorfes Kers-
    pleben, Kreis Weimar, H. Appel und E. Pfaff, Lehrlinge (Glaser und Elektriker), wegen Durchführung eines Terroraktes und des konterrevolutionären Sabotierens von Befehlen des sowjetischen Oberbefehlshabers zu 10 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Die Anschuldigungen waren absurd. Der Bitte der sowjetischen Soldaten entsprechend, gaben ihnen Pfaff und Appel ohne verbrecherische Absichten eine von ihnen gefundene Flasche Spiritus. Nach dem Alkoholgenuß bekam einer der Soldaten eine Vergiftung, der andere blieb unversehrt.

    Der Inhaber des Geschäfts in der Stadt Königsbrück, O. Freudenberg, wurde im Februar 1946 wegen Sabotage zu 10 Jahren Freiheitsstrafe mit Konfiszierung seines Eigentums verurteilt. Der Grund: im Dezember 1945 verkaufte er an die Rotarmisten auf ihre Aufforde-

    [Seite der Druckausg.: 75]

    rung 1 Liter des denaturierten Spiritus, bei Spiritusbrennern seine Verwendung fand. Ungeachtet dessen, daß O. Freudenberg beim Verkauf die Rotarmisten gewarnt hatte, daß der Spiritus nicht zum Trinken geeignet sei, tranken die vier Rotarmisten den Spiritus aus und bekamen leichte Vergiftungen.

    Die Mitarbeiter der Gerichtskanzlei in Plauen A. Forbinger und G. Frisch, wurden im Oktober 1947 wegen des Abdruckens eines Zeitungsartikels mit dem antisowjetischen Inhalt „Hinter dem eisernen Vorhang" zu 10 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.

    Neun Einwohner der Städte Leipzig und Mühlhausen wurden im März 1951 von dem sowjetischen Militärtribunal verurteilt (vier von ihnen, W. Peters, G. Peters, G. Kramer und H. Zschuppe, zum Tode durch Erschießen), weil sie im Juni/Juli 1950 aufgrund der Unzufriedenheit mit der damaligen politischen und wirtschaftlichen Situation in der DDR und der SED-Politik antisowjetische Propaganda betrieben, Flugblätter verteilt und versucht hatten, die SED-Wahlen zu verhindern. Die Strafsache der Verurteilten enthält keinerlei Beweise dessen, daß sich diese Personen der o.g. Verbrechen schuldig gemacht hätten.

    Bekanntlich wurde eine Reihe deutscher Bürger ohne Grund wegen Teilnahme an den Ereignissen des 17. Juni 1953 in der DDR unter Anwendung des Strafgesetzbuches der Russischen Föderation von den sowjetischen Militärtribunalen verurteilt.

    Der Arbeiter aus Jena G. Benisch wurde am 25. Juni 1953 zu 25 Jahren Haftstrafe mit Konfiszierung seines Eigentums gemäß Artikel 58-2 des Strafgesetzbuches der RSFSR, in dem für den bewaffneten Aufstand gegen die UdSSR strafrechtliche Verfolgung vorgesehen war, verurteilt. Tatsächlich war alles anders: Da er mit dem niedrigen Lohn und mit der Politik der SED-Regierung unzufrieden war, nahm er an einem Arbeiterstreik teil und wurde zu Gesprächen mit dem SED-Kreissekretär delegiert; dort forderte er die Auflösung der SED, Befreiung aller politischen Gefangenen und Senkung der Preise.

    K. Kreps und der Brigadier W. Kowalk, beide Einwohner von Halle, wurden am selben Tag wegen Teilnahme an der Antiregierungsdemonstration und am Streik in den Buna-Werken von dem sowjetischen Militärtribunal verurteilt. Sie wurden der Organisierung von Massenunruhen beschuldigt. Die beiden beteuerten dagegen, daß sie

    [Seite der Druckausg.: 76]

    keine politischen Forderungen gestellt hätten, sondern gegen die von der Regierung erhöhten Arbeitsnormen aufgetreten seien.

    Es ist bezeichnend, daß die von den Militärtribunalen wegen Staatsverbrechen Verurteilten in der Regel die höchsten Strafen bekamen (von 10 bis 25 Jahren Haft bis hin zur Todesstrafe). Es herrschte die Ansicht, daß die politischen Verbrechen am gefährlichsten seien. Gleichzeitig konnte für ein gefährliches kriminelles Delikt ein ziemlich niedriges Strafmaß angesetzt werden. So z.B. wurde der deutsche Bürger Kowaltschek im September 1946 von dem Militärtribunal Berlins wegen eines bewaffneten Überfalls und Raubes zu drei Jahren Haft verurteilt.

    Verurteilung deutscher Kriegsgefangener auf dem Territorium der UdSSR

    Laut Statistiken befanden sich in der sowjetischen Gefangenschaft ca. 2,4 Millionen deutsche Soldaten; etwa 580.500 von ihnen sind in der Gefangenschaft gestorben. Der Prozentsatz der wegen Kriegsverbrechen und anderer Verbrechen verurteilten deutschen Gefangenen ist nicht hoch, etwa 1,3%. Die Prüfung der Strafakten dieser Kategorie zeigt, daß viele Kriegsgefangene ohne ausreichende Begründung und unter fingierten Beschuldigungen strafrechtlich verfolgt wurden.

    So wurde z.B. am 9. Dezember 1949 der ehemalige Regimentskommandeur der deutschen Wehrmacht, G. Reichel, im Lager Nr. 27 des MVD der UdSSR verhaftet. Das Militärtribunal der MVD-Truppen des Moskauer Militärbezirks verurteilte ihn gemäß Artikel 17 des Strafgesetzbuches der RSFSR und Artikel 1 des Erlasses des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 19. April 1943 zu 25 Jahren Haft. Er wurde unbegründet der Deportation von Sowjetbürgern nach Deutschland und der Zerstörung von Ortschaften und Mord an Bürgern, die sich der Deportation nach Deutschland widersetzten, beschuldigt. Reichel beteuerte seine Unschuld sowohl während der Voruntersuchung als auch bei der Gerichtsverhandlung. Seine Strafakte enthält keinerlei Beweise der von ihm vermeintlich begangenen Verbrechen.

    F. Lindemann, der Arzt des Kriegsgefangenenlagers Nr. 20 des UVD des Bezirkes Leningrad, ehemaliger Hauptmann der Wehr-

    [Seite der Druckausg.: 77]

    macht, wurde im Dezember 1949 verurteilt, weil er drei Operationen zur Entfernung eintätowierter Blutgruppenbezeichnungen, die die Zugehörigkeit zur Waffen-SS bewiesen, vorgenommen hatte, um die ehemaligen SS-Leute zu tarnen. F. Lindemann bekannte sich nicht für schuldig, er selbst war nie ein Mitglied einer Nazi-Organisation gewesen. Er erklärte, daß „er keine Verbrechen begangen habe, sondern damit versucht habe, die Betroffenen vom Tode zu bewahren."

    Einige deutsche Kriegsgefangene wurden während ihrer Gefangenschaft von den Militärtribunalen zweimal verurteilt. In der Regel erfolgte die ersten Verurteilung aus einem fingierten Grund; das zweite Mal wurden die Gefangenen verurteilt, weil sie mit dem Urteil nicht einverstanden waren und forderten, sie aus der Gefangenschaft zu entlassen und nach Deutschland zu überführen.

    Besonders anschaulich ist der Fall des berühmten deutschen Fliegers und ehemaligen Kommandeurs einer Jagdstaffel Major E. Hartmann, der in den Luftkämpfen 352 sowjetische und amerikanische Flugzeuge abgeschossen hatte. Während seiner Gefangenschaft wurde er zum ersten Mal am 24. Dezember 1949 verhaftet und drei Tage später von dem Militärtribunal der MVD-Truppen des Bezirkes Ivanovo zu 20 Jahren Zuchthaus verurteilt. Das Ermittlungsverfahren in seiner Strafsache wurde nur formell durchgeführt. Er wurde ohne jeglichen Grund der Greueltaten gegen sowjetische Bürger, der Beschießung von Militärobjekten sowie des Abschusses von sowjetischen Flugzeugen und damit einer großen Schädigung der sowjetischen Wirtschaft verurteilt. E. Hartmann protestierte gegen das Urteil und betonte zu Recht, daß er als Militärflieger nur an den Kämpfen mit den Luftstreitkräften des Gegners teilgenommen und keine Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung begangen habe. Er erhob mehrmals Protest, trat in den Hungerstreik, weigerte sich zu arbeiten, verlangte, daß er als Unschuldiger zurück in die Heimat geschickt oder erschossen werden solle. Er wurde mehrmals mit Folterhaft bestraft.

    Im Juni 1951 wurde er zusammen mit G. Wagenlehner und anderen deutschen Kriegsgefangenen von dem Militärtribunal des Don-Militärbezirkes zu 25 Jahren Haft als Angehöriger einer antisowjetischen Gruppe, die die Befreiung aller deutschen Kriegsgefangenen aus der Haft und ihre Repatriierung nach Deutschland zum Ziel habe, verurteilt. Das war seine zweite Verurteilung während der Kriegsgefangenschaft.

    [Seite der Druckausg.: 78]

    Die Prüfung beider Strafsachen hat ergeben, daß E. Hartmann und andere zusammen mit ihm zum zweiten Mal verurteilte Kriegsgefangene ohne Grund verurteilt wurden.

    Verwandte Adolf Hitlers

    Zum Schluß seien einige Worte zu den Verwandten A. Hitlers gesagt. Bei der Überprüfung der bei uns eingegangenen Schreiben österreichischer Staatsbürger stellte sich heraus, daß sowjetische außergerichtliche Organe in fünf Strafverfahren fünf Verwandte des ehemaligen Führers repressiert hatten: Johann Schmidt, ein Cousin Hitlers, wurde am 30. Mai 1945 verhaftet und starb im NKWD-Gefängnis in Wien.

    Eduard Schmidt, ein weiterer Cousin, wurde auf Beschluß des Sonderkonsiliums beim Ministerium für Staatssicherheit der UdSSR vom 22. März 1950 auf der Grundlage des Kontrollratsgesetzes Nr. 10 für 25 Jahre in ein Gefängnis gesperrt. Am 5. September 1951 starb er in Werchnij Uralsk. Am gleichen Tag wie er erhielt Maria Koppensteiner, eine Cousine Hitlers, 25 Jahre Freiheitsentzug zugesprochen. Man verhaftete sie gemeinsam mit ihrem Mann Ignaz Koppensteiner, der am 5. Juli 1949 im MGB-Gefängnis in Moskau starb.

    Sie alle wurden strafrechtlich verfolgt, weil sie in verwandtschaftlichen Beziehungen zu Hitler standen. Sie waren Bauern, hatten sich nicht am Krieg und an der Politik beteiligt, es gibt in ihrer Akte keine Beweise für eine Schuld an irgendwelchen Verbrechen. Deshalb sind sie rehabilitiert. Dem Sohn von Johann Schmidt, Johann Schmidt, geboren 1925, wurde die Rehabilitierung verweigert. Er war nach Kontrollratsgesetz Nr. 10 strafrechtlich verfolgt worden wegen seines Dienstes in den Strafeinheiten der SS und wegen seiner Teilnahme an Strafeinsätzen gegen Partisanen und Zivilisten in den von den Deutschen besetzten Gebieten. Am 14. Dezember 1955 wurde er vorzeitig aus der Haft entlassen und an die DDR übergeben.

    *

    Bilanz über die bisherige Rehabilitierung läßt sich mit den Worten aus dem Brief eines rehabilitierten deutschen Staatsbürgers, heute

    [Seite der Druckausg.: 79]

    Professor, ziehen, der sich für seinen Rehabilitierungsbescheid bedankte und schrieb: „Ich hegte und hege keine Feindschaft gegenüber den Russen. Schuld an allem sind die Nachkriegssituation und mentale Probleme der Staatssicherheits-Leiter. Nochmals vielen Dank. Ich wünsche Ihnen Erfolg."

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    C) Zum Problem der „administrativ Repressierten"

    Im Gesetz der Russischen Föderation vom 18. Oktober 1991 über die Rehabilitierung ist das Wort „Repression" ein Schlüsselbegriff. „Opfer politischer Repression" meint Opfer gewaltsamer Verfolgung aus politischen Gründen. Der Begriff „politisch" ist an das Stalin-System gebunden und heißt „Sicherung des sozialistischen Staates der Arbeiter und Bauern und der in seinem Bereich geltenden Rechtsordnung vor sozialgefährlichen Handlungen (Verbrechen)".

    So ist das Ziel des Strafgesetzbuches von 1926 in Artikel 1 formuliert. Wer damals nach Artikeln bestraft wurde, die heute nicht mehr als strafwürdig gelten, wird rehabilitiert. Das ist bei der großen Gruppe der von sowjetischen Gerichten und Sondergerichten Verurteilten exakt feststellbar. Aber daneben gab es noch die Verfolgten, die nicht verurteilt wurden, sondern durch Verwaltungsakte inhaftiert oder in Lager deportiert und verbannt wurden. Das sind die sogenannten „administrativ Repressierten".

    Wenn schon die Bestimmung der vielfältigen Verfolgungsmaßnahmen in der Stalin-Ära für Russen schwierig ist, so sind diese Kategorien der verfolgten Ausländer überhaupt nicht definiert. Sie wurden damals ab 1945 auf Beschluß des NKWD, ab 1946 MWD, also des Innenministeriums, in NKWD-Lager in der SBZ eingewiesen oder in Lager der UdSSR zum Arbeitseinsatz deportiert. In sowjetischen Dokumenten verwendete man in der Regel den Ausdruck „interniert".

    Es handelte sich dabei um zwei grundlegende, zahlenmäßig am stärksten vertretene Kategorien von Personen, die in den vom Faschismus befreiten Gebieten Osteuropas und Deutschlands festgenommen und ohne Gerichtsbeschuß in Lagern isoliert wurden. Beide Gruppen galten damals als „Internierte", wenngleich sie aus unterschiedlichen Anlässen und auf unterschiedlicher rechtlicher Grundlage repressiert wurden.

    [Seite der Druckausg.: 80]

    Es wäre wohl richtiger, die erste Gruppe als administrativ Inhaftierte oder Festgenommene zu bezeichnen. Gemeint sind diejenigen, die sich bis 1950 in Deutschland in den ehemaligen faschistischen Konzentrationslagern Buchenwald, Sachsenhausen-Oranienburg, in Bautzen und anderen Orten in Gewahrsam befanden. Die zweite Gruppe wäre als „Deportierte" zu bezeichnen. Sie wurden für mehrere Jahre zur Zwangsarbeit unter Einschränkung ihrer Freiheit in die UdSSR verbracht. Ähnliche Lager gab es auch in Polen, Österreich, Ungarn, Rumänien, Bulgarien und in der Tschechoslowakei.

    Das Zentrum zur Aufbewahrung historischer Dokumentensammlungen (das ehemalige Sonderarchiv) besitzt nach eigenen Angaben mehr als 250.000 Registrier- und Personalakten über entlassene Internierte. Wie aus einem im Januar 1957 zusammengestellten Informationsbericht der Abteilung Gefängnisse des MWD hervorgeht, wurden etwa 25.400 polnische Zivilisten (von denen während ihres Aufenthalts in der UdSSR 3.500 verstarben) und 128.500 deutsche Zivilisten deportiert.

    Nach einer Information des deutschen Innenministeriums (Schreiben vom 6. Februar 1995) wurden von Januar bis April 1945 etwa 218.000 deutsche Staatsbürger, in der Hauptsache Zivilisten, zur Arbeit in die UdSSR verbracht.

    Nach den unvollständigen Angaben, über die wir verfügen (eine genaue Statistik fehlt), waren somit etwa 300.000 Ausländer, in der Mehrzahl Deutsche, von Repressalien betroffen.

    Ab September 1992 übertrug der Generalstaatsanwalt der Russischen Föderation im Rahmen der Durchführung des Gesetzes „Über die Rehabilitierung der Opfer politischer Repression" der Hauptmilitärstaatsanwaltschaft im Zusammenhang mit ihrer Aufsichtspflicht die Prüfung der archivierten Strafakten und die Bearbeitung von Rehabilierungsanträgen ausländischer Staatsbürger und Staatenloser, darunter auch solcher, die im Ausland verurteilt wurden.

    Von diesem Zeitpunkt bis heute bearbeitete die Hauptmilitärstaatsanwaltschaft ca. 11.000 Anträge von Deutschen, ca. 1.000 Anträge von Österreichern, mehrere Hundert Anträge von Japanern, Polen und Ungarn sowie mehrere Dutzend Anträge aus der Slowakei und anderen Ländern. Mehr als 2.000 davon betrafen die Rehabilitierung „internierter Deutscher".

    [Seite der Druckausg.: 81]

    Aufgrund der Unvollkommenheit des Rehabilitierungsgesetzes werteten wir in den Jahren 1994/95 die Festnahme und Verhaftung „internierter" Deutscher durch die NKWD-Organe als strafrechtliche Repression (es wurde keine Anklage erhoben, die ein konkretes Verbrechen zur Last legte), und die betroffenen Personen wurden im wesentlichen rehabilitiert, da die Unterlagen in den Registrierungs- und Überprüfungsakten keinerlei Beweise für eine Schuld enthielten. 1996 wurde eine derartige Praxis bei der Behandlung von Rehabilitierungsanträgen eingestellt, da sie den Forderungen des Rehabilitierungsgesetzes nicht entspricht. Die Antragsteller erhalten nun lediglich eine Archivauskunft, in der nur die Tatsache der Inhaftierung sowie die Gründe für die Einweisung in ein Speziallager bestätigt werden.

    Die deutsche Seite hat mehrfach, u.a. auch auf höchster Ebene, dieses Problem angesprochen und gebeten, das Rehabilitierungsgesetz auf alle administrativ repressierten Deutschen auszuweiten.

    Auch die polnische Seite wandte sich mit analogen Bitten an uns. Während des letzten Besuchs Boris Jelzins in Deutschland dankte ihm der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl in einer Pressekonferenz am 10. Juni 1998 für die Rehabilitierung von 5.000 Deutschen und erinnerte ihn: „Sie haben versprochen, sich dafür einzusetzen, daß auch diejenigen Fälle überprüft werden, in denen es eine unbegründete administrative Verfolgung gab."

    Voraussetzung für die Beurteilung der Rehabilitierung dieser Gruppe der „administrativ Repressierten" ist die Kenntnis der historischen Entwicklung. Und damit sind wir beim Verantwortungsbereich des KGB und insgesamt des Volkskommissariats für innere Angelegenheiten (NKWD), ab 1946 in Ministerium (MWD) umbenannt. Der Minister bestimmte mit seinen Mitarbeitern Zahl und Kategorie der Personen, die als Sicherheitsrisiko galten und in die NKWD-Speziallager einzuweisen waren. Die Akten blieben beim KGB. Nach der Überprüfung befinden sich im Bereich des heutigen Föderalen Sicherheitsdienstes FSB als Nachfolger der KGB 128.000 Karteikarten ausländischer Staatsbürger, überwiegend Deutsche, aber auch aus anderen Nationalitäten.

    [Seite der Druckausg.: 82]

    Die Lagerinsassen der NKWD-Speziallager

    Der grundlegende Befehl Nr. 00315 für die Einweisung in die Speziallager wurde am 7. April 1945 von L. Berija gegeben. Die Generalstaatsanwaltschaft wurde übergangen. Erst viel später gab es in einem Schreiben des Militärstaatsanwalts der Sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland an den Leiter der Abteilung MWD-Speziallager in Deutschland vom 24. Juni 1947 Erläuterungen:

    „Die im Zuge der Durchführung des NKWD-Befehls 00315 in Spe-
    ziallager eingewiesenen Personen werden in einem besonderen Verfahren festgesetzt (inhaftiert), gegen sie wird keine Anklage erhoben, und es gibt über sie keine Ermittlungsmaterialien, wie sie die Strafprozeßordnung vorsieht. Das Fehlen der Zustimmung durch den Militärstaatsanwalt darf nicht als Grund gelten, die Aufnahme von Spezkontingent in die Lager zu verweigern."

    Die oben genannten Verhaftungen und Einweisungen in Lager sowie andere unbegründete Einschränkungen der Rechte und Freiheiten ausländischer Bürger außerhalb der UdSSR, die auf Beschluß von NKWD- bzw. MWD-Angehörigen auf der Grundlage amtlicher Rechtsvorschriften erfolgten, ohne daß sie ausreichend juristisch begründet waren und ohne daß Beweise für den Tatbestand eines Verbrechens vorlagen, sind folglich als politische Repression einzustufen, die von den Vollzugsstellen administrativ durchgeführt wurde.

    Die überwiegende Mehrheit der Speziallager-Insassen auf dem Gebiet Deutschlands und anderer Länder bzw. der „Internierten" in der Sowjetunion waren administrativ repressiert, ohne Beschluß durch ein Gericht bzw. eine außergerichtliche Institution. Die Repression dieses Personenkreises war gekennzeichnet durch lang andauernden Freiheitsentzug (mehrere Monate bis mehrere Jahre) und Zwangsarbeit.

    Unter den administrativ repressierten Ausländern gab es sicher eine Anzahl von Kriegs- und Naziverbrechern, die den Befehlen der Sowjetischen Militäradministration bewußt nicht nachkamen. Diese können nicht als unbegründet repressiert gelten, und sie können auch keine politische Rehabilitierung erfahren.

    Unter den administrativ Repressierten gab es jedoch auch nicht wenige Minderjährige, Frauen, Betagte, Vertreter sogenannter „sozial gefährlicher Gruppen", d.h. Vertreter vermögender Klassen, erstklassige Spezialisten, die man in der Verteidigungsindustrie der Sowjet-

    [Seite der Druckausg.: 83]

    union benötigte, und andere Personen, die unter diesem oder jenem Vorwand (zum Beispiel unter dem Anschein, man wolle Deutschland und seine Verbündeten entnazifizieren) unbegründet festgenommen und in Speziallager verbracht wurden.

    Die Wiederherstellung der Gerechtigkeit in bezug auf diesen Personenkreis ist ohne Zweifel gerechtfertigt und muß sein.

    Wie aus den Materialien der archivierten Strafakten ersichtlich ist, kam es bei den Internierungen durch die Mitarbeiter der Operativsektoren des NKWD bzw. MWD zu etlichen Rechtsbrüchen.

    Dabei taten sich besonders die Mitarbeiter des Operativsektors für das erst im Juli 1945 unter die Kontrolle der SMAD gelangte Thüringen hervor, wo in der Nachkriegszeit 8 Offiziere wegen kriminellen Mißbrauchs dienstlicher Befugnisse abgeurteilt wurden.

    Weitere Mitarbeiter wurden wegen ihrer Vergehen und Pflichtversäumnisse vom Dienst suspendiert und aus den Organen entlassen. Konkrete Fakten enthalten die Untersuchungsmaterialien einer speziellen Inspektion der Personalverwaltung des MGB der UdSSR, die sich in Thüringen umgesehen hatte.

    Im Bereich des Operativsektors des NKWD bzw. MWD der UdSSR wurden seinerzeit die Strafverfahren gegen mehr als 300 Deutsche eingestellt, die man ungerechtfertigt aufgrund erfundener Beschuldigungen verhaftet hatte.

    Ein leitender Mitarbeiter der Untersuchungsabteilung des Operativsektors für Thüringen teilte in seiner Erklärung an den stellvertretenden Minister für Staatssicherheit der UdSSR am 23. September 1946 mit: „Es gab keine Kontrolle über die Tätigkeit der Operativmitarbeiter seitens der Leitung des Operativsektors. Hauptrichtung war es, das faschistische Aktiv vom Blockleiter an aufwärts festzusetzen; die Einschätzung der Arbeit erfolgte nach der Anzahl der in Speziallager eingewiesenen Personen dieses Kontingents. Es begann eine Art Wettbewerb bei der Einweisung in Speziallager. In der Folgezeit zeigte sich, daß einige Operativgruppen ihr Einlieferungskonto auch dadurch aufstockten, daß sie den Lagerchef mit Spirituosen bestachen. Nicht zufällig antwortete der Chef eines Speziallagers bei einer der operativen Beratungen der Operativgruppenleiter auf die Frage: ‘Auf welche Art nehmen Sie das Spezkontingent auf?’ frech: ‘In Abhängigkeit von der Menge und der Qualität des mitgeschickten Cognacs!’ Vor dem Hintergrund der Massenverhaftungen aktiver Faschi-

    [Seite der Druckausg.: 84]

    sten und der fehlenden Kontrolle über das Vorgehen der Operativgruppen hatte die Beschlagnahmung von Gegenständen und Wertsachen sowie deren Aneignung durch die Operativmitarbeiter Konjunktur. Die Fahndungsabteilung des Sektors wurde damals von Mitarbeitern mit nur wenig Erfahrung geleitet, die Operativverfahren eröffneten, Verhaftungen vornahmen und mittels körperlicher Einflußnahme Geständnisse erpreßten. Die auf diese Weise ‘Bearbeiteten’ wurden anschließend an die Untersuchungsabteilung überstellt, und diese war bei einer objektiven Durchführung der Ermittlungen gezwungen, fast alle aus der Haft zu entlassen."

    An dieser Stelle wird auch ein Beispiel genannt, bei dem mehrere Mitarbeiter der neu gegründeten Volkspolizei ungerechtfertigt in ein Speziallager verbracht wurden, obwohl sie wegen ihrer antifaschistischen Tätigkeit während des Krieges etwa 3 Jahre im Konzentra-
    tionslager Buchenwald eingesperrt waren und, wie sich herausstellte, keinerlei Verbrechen gegen die UdSSR begangen hatten.

    Die Deportierten

    Bei der Säuberung des Hinterlandes der kämpfenden Armee und in der Nachkriegszeit nahmen im Zeitraum 1944/45 die Organe des NKWD, NKGB und der Abwehrorganisation „SMERSCH" entsprechend den Anordnungen des Staatlichen Verteidigungskomitees der UdSSR und des Rates der Volkskommissare eine große Anzahl ausländischer Bürger fest und wiesen sie in Speziallager ein. Vorwiegend handelte es sich dabei um Deutsche, die auf dem Gebiet von Deutschland, Polen, Österreich, Rumänien, Ungarn, Jugoslawien und der Tschechoslowakei ihren Wohnsitz hatten.

    Ein Teil dieses Kontingents wurde später in die UdSSR deportiert und als Arbeitsbataillone oder ähnliche Formationen zur Zwangsarbeit in den Bergbau, die Kohle- und Hüttenindustrie, zum Holzschlagen usw. geschickt.

    Dem lagen mehrere Überlegungen zugrunde.

    In erster Linie waren das politische Gesichtspunkte: Die sogenannten „Reparationsleistungen durch Arbeit" wurden als „gerechte Vergeltung" oder Gegenreaktion auf die Situation mit den Ostarbeitern betrachtet.

    [Seite der Druckausg.: 85]

    Zweitens nutzte man die rechtlichen Möglichkeiten, indem diesem Personenkreis der Status von „Internierten" gegeben wurde und man sich damit berechtigt glaubte, sie zur Zwangsarbeit einzusetzen.

    Und drittens gab es wirtschaftliche Aspekte: Im Krieg hatten sich die Ressourcen der UdSSR, auch das Arbeitskräftepotential, erschöpft, und es bestand die akute Notwendigkeit, die von den Aggressoren zerstörte Volkswirtschaft wiederzuerrichten.

    Das Problem der „deutschen Arbeitskräfte" wurde von sowjetischer Seite bereits auf der vom 4. bis 11. Februar 1945 stattfindenden Krimkonferenz (in Jalta) der drei alliierten Mächte angesprochen.

    Zur Zeit müssen sich die Forscher festlegen, inwieweit die Verwendung von Zwangsarbeit „deutscher Arbeitskräfte auf dem Territorium der UdSSR" vom Standpunkt der derzeit allgemein anerkannten Völkerrechtsnormen aus rechtmäßig war. Im „Protokoll über die Verhandlungen der drei Regierungschefs auf der Krimkonferenz zur Frage der Reparationen in Form von Naturalleistungen aus Deutschland" und im „Protokoll über die Tätigkeit der Krimkonferenz" war die Formulierung „Verwendung deutscher Arbeitskräfte" enthalten.

    Wie die Praxis zeigte, verstand die sowjetische Seite unter dieser „Verwendung deutscher Arbeitskräfte" die gewaltsame Deportierung eines Teiles der deutschen Zivilbevölkerung in die UdSSR zum Arbeitseinsatz.

    Auf der Potsdamer Konferenz wurde laut vorliegenden Quellen die Frage der Verwendung deutscher Arbeitskräfte offiziell schon nicht mehr angesprochen.

    In Wirklichkeit hatte die sowjetische Regierung bereits vor der Krimkonferenz diese Frage de facto für sich entschieden. Das läßt sich durch Dokumente belegen. Am 24. November 1944 erstattete
    der Volkskommissar für Innere Angelegenheiten Lawrentij Berija schriftlich Meldung an den Staatschef Josef Stalin, daß in die von den sowjetischen Truppen befreiten Gebiete der Länder Osteuropas Gruppen von Operativmitarbeitern des NKWD entsandt worden seien, die die dort lebenden Personen deutscher Volkszugehörigkeit erfassen sollten.

    Am 15. Dezember 1944 legte man Stalin den Bericht über die Ergebnisse der Erfassung vor. Ermittelt worden waren 551.000 Deutsche, davon 240.000 Männer und 310.000 Frauen (in Rumänien: 421.000, in Jugoslawien: 73.000, in Ungarn: 50.000, in der Tschecho-

    [Seite der Druckausg.: 86]

    slowakei: 4.000, in Bulgarien: 1.100). Die überwiegende Mehrheit waren Staatsbürger des jeweiligen Landes, in dem sie ihren Wohnsitz hatten.

    Die Mobilisierung sollte auf Männer im Alter von 17 bis 45 Jahren beschränkt bleiben, die sowjetische Führung beschloß jedoch, auch Frauen bei der Arbeit einzusetzen. Am 16. Dezember 1944 erließ Stalin im Namen des Staatlichen Verteidigungskomitees die Anordnung 7161ss, welche vorsah: „Zu mobilisieren und internieren sind alle arbeitsfähigen Deutschen im Alter von 17 bis 45 Jahren, Frauen im Alter von 18 bis 30 Jahren, die sich auf dem Territorium von Rumänien, Jugoslawien, Ungarn, Bulgarien und der Tschechoslowakei aufgehalten haben."

    Mit der Leitung der Mobilisierung wurde das NKWD der UdSSR (L. Berija) beauftragt. Mobilisierung und Internierung sollten im Zeitraum Dezember 1944 bis Januar 1945 erfolgen, wobei der Transport an den jeweiligen Arbeitsort mit dem 15. Februar 1945 beendet sein sollte. Zum gleichen Thema erschien die Anordnung des Staatlichen Verteidigungskomitees 7252ss „Über den Arbeitseinsatz internierter Deutscher". Von den 140.000 zum Abtransport vorgesehenen Deutschen sollten 20.000 im Bereich des Volkskommissariats für Buntmetalle, 40.000 im Bereich des Volkskommissariats für Schwarzmetalle und 80.000 im Bereich des Volkskommissariats für Kohle eingesetzt werden.

    Den Status der Internierten regelte eine im NKWD speziell ausgearbeitete „Ordnung über die Aufnahme, die Unterbringung und den Arbeitseinsatz mobilisierter und internierter Deutscher".

    Auf dem Gebiet von Deutschland selbst stützte sich das NKWD bei der Internierung der Deutschen auf den NKWD-Befehl 0016 vom 11. Januar 1945 „Über die Maßnahmen bei der Säuberung des Fronthinterlandes der kämpfenden Roten Armee von feindlichen Elementen" und den daran anknüpfenden Befehl 0061 vom 6. Februar 1945, in dem erklärt wurde: „Zu mobilisierende Personen, die nicht in den Sammelpunkten erscheinen, werden vor ein Militärtribunal gestellt."

    In einer von Berija an Stalin gerichteten Meldung vom 17. April 1945 heißt es, mit Stand 15. April 1945 seien von ihm im Verlauf der Unternehmung insgesamt 215.540 Personen, wie er sich ausdrückte, „festgesetzt" worden. Von der Gesamtzahl der „Festgesetzten" waren lediglich 138.200 Deutsche. Nur 148.540 waren de facto in die

    [Seite der Druckausg.: 87]

    UdSSR gebracht worden, die übrigen befanden sich entweder in Frontlagern bzw. -gefängnissen oder waren während der Unternehmung bzw. auf dem Weg zum Arbeitsort verstorben.

    Im Sommer 1945 waren aus diesen Deportierten 392 Arbeitsbataillone gebildet worden, die bei der Wiedererrichtung von Bergwerken, Betrieben und Ortschaften oder beim Aufbau von Industrieobjekten beschäftigt waren. Die Verhältnisse an den Standorten dieser Bataillone waren die gleichen wie in einem Lager.

    Wie sich herausstellte, war es aufgrund des hohen Alters und des schlechten körperlichen Zustandes eines Großteils der Deportierten nicht möglich, sie bei körperlichen Arbeiten einzusetzen.

    So schreibt beispielsweise der deutsche Staatsbürger O. Bendyk, geb. am 5. September 1928, in seinem Rehabilitierungsantrag, daß er im Januar 1945 im Alter von 16 Jahren in seinem auf polnischem Territorium gelegenen Wohnort von sowjetischen Militärbehörden unbegründet festgenommen und mit einer Gruppe ebensolcher Jugendlicher wie er zur Zwangsarbeit in die UdSSR deportiert worden sei. Fünf Jahre lang habe er unter schweren Bedingungen in einem Steinbruch, einem Aluminium- und einem Ziegelwerk gearbeitet, danach sei er krank geworden, und man habe ihn 1949 nach Deutschland repatriiert.

    Die Deportierung dauerte auch in den Nachkriegsjahren noch an. Der Beschluß des Ministerrats der UdSSR 2728-1124ss vom 23. Dezember 1946 „Über die Deportierung von in Gefängnissen und Lagern untergebrachten Deutschen aus Deutschland" und der MWD-Befehl 001196 vom 26. Dezember 1946 schrieben vor:

    „a) In den Speziallagern und Gefängnissen des MWD der UdSSR in Deutschland sind 27.500 körperlich gesunde Deutsche – Männer, die für einen Arbeitseinsatz in der Kohleindustrie in den östlichen Gebieten sowie bei der Errichtung von Betrieben der Brennstoffindustrie geeignet sind – auszuwählen und entsprechend dem Verteilungsschlüssel des MWD der UdSSR in die UdSSR abzutransportieren."

    Die gleichen Dokumente ordneten an, kranke und arbeitsunfähige deutsche Staatsbürger nach Deutschland zurückzuschicken.

    Die angeführten Beispiele für eine Verfolgung ausländischer Bürger durch die Organe des NKWD bzw. MWD bei der Ausführung von Weisungen der sowjetischen Führung standen also häufig im Widerspruch zur Haager Konvention von 1929 und zur Genfer Konvention

    [Seite der Druckausg.: 88]

    von 1949 „Über den Schutz der Zivilbevölkerung während eines Krieges" und deckten sich der Form nach mit den politischen Repressalien gegen die Völker der Sowjetunion.

    Das hier dargelegte Problem stößt auf große internationale und gesellschaftliche Resonanz und muß auf dem Gesetzgebungswege gelöst werden.

    Derzeit werden die angesprochenen Fragen auf unsere Initiative hin von Fachleuten einer beim Präsidenten der RF angesiedelten Kommission für Fragen der Rehabilitierung von Opfern politischer Repression behandelt, damit entsprechende Gesetzesanträge vorbereitet und den Abgeordneten der Staatsduma der Föderalen Versammlung der RF zur Prüfung vorgelegt werden können.


    © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 2000

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