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Mahmoud Kandil
Sozialer Protest gegen das napoleonische Herrschaftssystem im Großherzogtum Berg 1808 – 1813



1. Auswirkungen der Kontinentalsperre

Aus Gründen der Stabilität und des Zusammenhalts war Napoleon I. bestrebt, die Staaten, die in dem von ihm errichteten „Grand Empire" zusammengeschlossen waren, ihrer Struktur nach weitgehend dem französischen Kaiserreich anzugleichen. Doch konnte er die in Frankreich herrschende Gesellschaftsordnung und die dort verwirklichten Ideen der Staatsgestaltung aus Rücksicht auf den Zusammenhalt des Bündnisses nur schwerlich mit Gewalt auf die Mitgliedsstaaten des am 12. Juli 1806 gegründeten Rheinbunds übertragen. Daher versuchte er, diese Übernahme durch die Schaffung sogenannter Modellstaaten zu bewirken. Einer dieser Modellstaaten auf deutschem Boden war das von 1806 bis 1813 existierende Großherzogtum Berg, das sich aus rheinischen, westfälischen und hessischen Gebietsteilen zusammensetzte. In diesem Staatswesen kam es durch Einführung von Neuerungen nach französischem Vorbild für die Bevölkerungsmehrheit zu einem teilweise eklatanten Bruch mit althergebrachten Institutionen, Verhältnissen, Lebensweisen und Wertordnungen. Der allmählich anwachsende soziale Protest wie auch die kritischen Artikulationen aus der Intelligenzschicht hatten verschiedene Wurzeln: teilweise stieß der revolutionäre Inhalt der napoleonischen Gesellschaftspolitik auf Widerstand, teilweise war man gerade mit den Kompromissen unzufrieden, die die neuen Herren mit alten Herrschaftsträgern schlossen, namentlich im Agrarbereich. Gemeinsam war dem Protest und dem Dissens die Abneigung gegen die autokratische Form der Regierung und gegen die rücksichtslose Durchsetzung der spezifischen Interessen der französischen Hegemonialmacht, besonders auf dem Feld des Außenhandels.

Seit der verlorenen Seeschlacht von Trafalgar (21. Oktober 1805) konnte Napoleon seinen Hauptgegner England nur noch mittels wirtschaftlicher Kriegführung zu besiegen versuchen, und seiner daran ausgerichteten Wirtschaftspolitik mußten sich die mit ihm verbünde-

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ten und besonders die von ihm abhängigen Staaten unterordnen. So hatte das wirtschaftlich hochentwickelte Großherzogtum Berg als Puffer zwischen dem sich durch Protektionismus abschirmenden Frankreich und den deutschen Staaten stark unter den Auswirkungen aller französischen Maßnahmen gegen Industrie und Handel Englands zu leiden. Im Gegensatz zu den linksrheinischen deutschen Gebieten war es nicht in französisches Staats- und damit auch Zollgebiet integriert, so daß der französische Zollprotektionismus ihm nach einer Phase relativ günstigen Wirtschaftens massiv schadete.

War das bergische Gewerbe bereits durch ein Dekret Napoleons vom 30. April 1806 und durch dessen Kontinentalsperre vom 21. November 1806 beeinträchtigt worden, wurde ihm durch das sog. Dekret von Turin vom 28. Dezember 1807 die Einfuhr aller nichtfranzösischen Baumwollwaren nach Italien verboten. Als Folge davon mußten zahlreiche Tuchfabriken und Baumwollwebereien geschlossen sowie eine Vielzahl von Arbeitern entlassen werden. So ging in Elberfeld der Jahresabsatz von 4 Millionen Talern im Jahre 1807 auf 2,75 Millionen Taler im Jahre 1809 zurück.

Infolgedessen bezogen sich die Reaktionen der Bevölkerung wesentlich auf den Niedergang von Gewerbebetrieben sowie auf die daraus resultierende hohe Arbeitslosigkeit. Die Klagen der Betroffenen häuften sich zusehends. An den Umständen, die den Handel lähmten und die Aktivität des Gewerbes verringerten, änderte sich nachfolgend ebensowenig wie an den Gegenständen der Beschwerden. Daher setzten sich diese auch im Jahre 1810 fort, und die Klagen kamen nun nicht nur von Arbeitern, sondern zunehmend auch von Unternehmern.

Das Dekret von Trianon vom 5. August 1810 brachte die bergische Industrie weitgehend zum Erliegen. Betroffen war in erster Linie die Baumwoll- und Tuchindustrie. Mit dem Dekret von Trianon trat an die Stelle der Absperrung Frankreichs gegen englische Waren ein hoher Zoll auf die Einfuhr jeglicher Kolonialwaren – ungeachtet ihres Ursprungs. Da der Niedergang der bergischen Wirtschaft sich in der Folge noch weiter fortsetzte, wandte sich auch die öffentliche Meinung, die sich analog zu den negativen Auswirkungen der Kontinentalsperre zu Wort meldete, jetzt scharf gegen die Franzosen.

Durch die Einverleibung des Königreichs Holland und der gesamten Nordseeküste einschließlich Holsteins und der Hansestädte in das

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französische Kaiserreich im Jahr 1810 verlor der bergische Handel auch noch seinen holländischen und norddeutschen Absatzmarkt. Deshalb erbaten zahlreiche Fabrikanten des Großherzogtums von Napoleon eine Einbeziehung Bergs in das französische Zollgebiet, da sie nur hierin eine Möglichkeit sahen, ihre Ware wieder absetzen zu können. Napoleon lehnte jedoch eine solche Eingliederung Bergs ab, da man nach den Annexionen des Jahres 1810 sonst aufschreien werde, nun wolle er auch noch das Großherzogtum Berg schlucken. [Pierre-Louis Roederer, Mémoires sur la Révolution, le Consulat et l’Empire. Textes choisis et présentés par Octave Aubry, Paris 1942, S. 254.]

Daher siedelten in der Folge immer mehr Fabrikanten und Arbeiter von Berg auf das linke Rheinufer über, um für ihre Produkte Absatzmöglichkeiten bzw. Arbeit zu finden. Tatsächlich wurde die bergische Industrie aufgrund der Konsequenzen von Napoleons Kontinentalsperre und -system größtenteils vernichtet. Pierre-Louis Roederer, der (Minister-) Staatssekretär für Berg mit Sitz in Paris, schätzte im Dezember 1810 den Rückgang der Gesamtausfuhr gegenüber 1807 auf rund ein Drittel – 55 Millionen Francs im Jahre 1807 standen nun nur noch 39 Millionen Francs gegenüber. Und mehr als zwei Jahre danach äußerte sich der bergische Innenminister Nesselrode in einem Brief an Roederer dahingehend, daß nur der stagnierende Handel die Ursache für den großen Aufstand sei, an dem im Januar/Februar 1813 zahlreiche Arbeiter teilnahmen. [Justus Hashagen u.a., Bergische Geschichte, Remscheid/Lennep 1958, S. 397; Roederer an Napoleon v. 11.2.1813, Archives Nationales, Paris, 29AP37, fol. 136.]

Die französischen Polizeiberichte meldeten Napoleon im Frühjahr 1813 eine regelrechte Überflutung Deutschlands mit Kolonialwaren. Deshalb verfügte der Franzosenkaiser in dem sog. Dekret von Nossen (8. Mai 1813) die Konfiszierung aller im Großherzogtum Berg und in der 32. Militärdivision befindlichen Kolonialwaren wie z.B. Zucker, Indigo oder gebeiztes Holz. Die Anwendung dieser Bestimmungen zeitigte verheerende Folgen. Schon am 24. Juni 1813 bilanzierte Napoleons seit 1808 amtierender Statthalter in Berg, der Kaiserliche Kommissar Jacques-Claude Beugnot, daß infolge des Dekrets von Nossen von den in den Bereichen Spinnerei, Färberei und Weberei

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beschäftigten rund 21.000 Mann 13.000 ohne Arbeit seien. [Beugnot an Roederer v. 24.6.1813, Archives Nationales, Paris, AF IV 1854, St. 211.] Begleitet wurde dieser Niedergang von der naturgemäß schlechten Stimmung unter der Arbeiterschaft sowie der daraus resultierenden Gefährdung der öffentlichen „Ruhe und Ordnung".

Die Kontinentaldekrete Napoleons verursachten auch einen letztlich ausufernden Schleichhandel, der in der sog. Salz- und Tabakregie begründet lag. Diese bedeutete, daß Einfuhr und Verbrauch von Salz und Tabak aus dem Ausland (namentlich aus England) verboten und ausschließlich solche Produkte französischer bzw. einheimischer Herkunft in Berg erlaubt waren. Deren überhöhter Preis machte sie jedoch für die Mehrzahl der durch die Kontinentalsperre verarmten Einwohner Bergs unerschwinglich.

So etablierte sich im Großherzogtum ein lebhafter und einträglicher Schmuggel mit ausländischem Salz und Tabak; er besaß außerhalb der Grenzen eine starke Organisation, wurde aber auch im Innern von vielen Beamten unterstützt. Diese gingen nicht nur äußerst schonend mit den Schmugglern um, sondern kollaborierten geradezu mit ihnen. Angesichts der geringen Bezahlung der Zöllner durch die Obrigkeit war dies allerdings nicht erstaunlich. Eine weitere Ursache für diese Zusammenarbeit lag zum einen in der schon rein zahlenmäßigen Unterlegenheit der Zollbeamten gegenüber den in regelrechten Banden organisierten contrebandiers. Zum anderen wurden sie von den Landesbewohnern, die mit den Schmugglerbanden offen sympathisierten, oft attackiert.

Ende 1812 ging man schließlich dazu über, das Salz direkt an die Verbraucher zu verteilen und diese zur Abnahme eines bestimmten Quantums des teuren einheimischen Salzes zu nötigen, was einen neuen, dramatischen Stimmungseinbruch bewirkte. Selbst angesehene Magistrate ließen sich zu boshaften Bemerkungen über die Salzverteilung hinreißen. Die Berichte der Maires (Bürgermeister) enthielten fast durchweg Mitteilungen über die Mißstimmung in der Bevölkerung und den Geist der Opposition. Für den hohen Grad des Schmuggels bot das Siegdepartement wohl den schlagendsten Beweis, und die Maires waren von der angestrebten Unterdrückung des Schleichhandels weit entfernt.

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Bei den laut Beugnots Polizeiberichten Tag für Tag heftiger werdenden Attacken auf das Tabakmonopol ist es nicht verwunderlich, daß die Zerstörung des Salz- und Tabakmonopols Anfang 1813 eines der Hauptziele des erwähnten Aufstands darstellte. Dies läßt sich nicht zuletzt daran ablesen, daß die Aufständischen, wohin sie kamen, in den Salz- und Tabakdepots bzw. –läden alles zerschlugen und die Häuser der Salz- und Tabakhändler verwüsteten. In seinem Bericht über die Frühjahrsunruhen konstatierte der bergische Generalstaatsanwalt Sethe verstärkte Zusammenrottungen wegen der verbreiteten Unzufriedenheit mit der Salz- und Tabakregie. [Sethe an Beugnot o.D., Archives Nationales, Paris, AF IV 1840, St. 34.] Als Folge der durch den französischen Protektionismus bedingten Krise der bergischen Wirtschaft markiert die Erhebung im Großherzogtum Berg den ersten gravierenden Ausbruch tiefer Unzufriedenheit mit der französischen Herrschaft in Deutschland im Jahr 1813.

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2. Konskription und Desertion

Von Beginn an diente der 1806 gegründete Rheinbund im wesentlichen militärischen Zwecken. Mittels der „Konskription" strebte Napoleon danach, auch das Großherzogtum Berg für seine stetig ausgeweiteten Feldzüge nutzbar zu machen. In der Auseinandersetzung mit den immer umfangreicheren Truppenaushebungen bildete sich ein weiterer Schwerpunkt sozialen Protests der Bevölkerung Bergs gegen die französische Herrschaft heraus.

Die Durchführung der Aushebung war bis 1808 Aufgabe des Büros des Provinzialrats (des Bezirksvorstands). Nach der neuen Verwaltungsordnung vom Jahre 1808 und dem Aushebungsgesetz vom 1. Juni 1809 übernahm die Präfektur als Oberbehörde eines Departements die Leitung der Aushebung. Das Verfahren der Konskription – diese stellte eine bedingte achtjährige Wehrpflicht dar, von der Loskauf oder Stellvertretung prinzipiell gestattet war – war auf dieser Gesetzesgrundlage von 1809 bis 1813 wie folgt organisiert: Zunächst wurden alle in einem bestimmten Zeitraum geborenen, zwischen 20 und 25 Jahre alten Männer gemustert, also auf ihre Wehrdienstfähigkeit hin untersucht. Aus der Zahl der für tauglich Befundenen wurden diejenigen ausgeschieden, die aus besonderen Gründen freizustellen

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waren. Die als konskriptionspflichtig festgestellten Männer wurden nach Bedarf in einem sog. Ausschlag aufgerufen. Da mehr konskriptionspflichtige Männer vorhanden waren, als Bedarf an Soldaten bestand, wurde per Losziehung ermittelt, wer in die Truppe einzutreten hatte. Bereits kurze Zeit nach der Ermittlung der Dienstpflichtigen erfolgte der Abmarsch zur Truppe. Während dieser relativ kurzen Zeitspanne – mitunter handelte es sich nur um wenige Tage – war es nahezu unmöglich, einen Stellvertreter zu finden.

Gemäß dem Aushebungsgesetz vom 1. Juni 1809 waren alle Ausnahmebestimmungen aufgehoben. Vom Militärdienst befreit wurde nur noch der einzige Sohn einer Witwe, wenn der andere Sohn bei der Armee ums Leben gekommen war. Alle, die aufgrund körperlicher Defekte als wehruntauglich ausgemustert worden waren, hatten in Relation zu ihrem Vermögen für ihre Lossprechung (Indemnität) eine Abstandssumme zu zahlen. De facto mußten fast nur die ärmeren Bevölkerungsschichten Wehrdienst leisten. Wer sich der Konskription entzog, galt als Refraktär (Widerspenstiger), der Fahnenflüchtige als Deserteur.

Da die Konskription im ganzen Großherzogtum durchgehend und überwiegend auf Ablehnung stieß, war eine hohe Zahl von Deserteuren und Refraktären zu verzeichnen. Allerdings muß hier nach Region und Bevölkerungsschicht bzw. Berufsgruppe differenziert werden. Bis auf das ehemalige Fürstbistum Münster und die vormals preußische Grafschaft Mark, wo vor der Franzosenherrschaft keine Militärdienstpflicht, sondern Exemtion geherrscht hatte, wurde in den landwirtschaftlich geprägten Gebieten und in solchen, in denen der Militärdienst keine Neuerung darstellte, die Konskription in der Regel hingenommen. Hingegen fanden sich in bestimmten gewerblich geprägten Gegenden die Einwohner nicht mit dem Wegfall der Exemtion ab. So hatte es z.B. 1808 in der Gegend von Lüdenscheid und Unna Unruhen gegeben, und die Refraktäre hatten im benachbarten Königreich Westfalen Unterschlupf gefunden. Zwar gelangen der Gendarmerie immer wieder Verhaftungen von Refraktären und Deserteuren. Dennoch bremste dieses eigentlich abschreckende Beispiel die Desertion in keiner Weise und verhinderte ebensowenig, daß sich besonders viele Deserteure und Refraktäre Räuberbanden anschlossen oder selbst solche bildeten.

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Als Napoleon nach seiner Niederlage in Rußland in großem Umfang neue Soldaten ausheben lassen mußte, trugen diese Truppenaushebungen zu den Unruhen vom Januar/Februar 1813 bei. Und obwohl der Aufstand im Februar 1813 niedergeschlagen war, nahm die Desertion im Laufe des Jahres 1813 immer größere Ausmaße an. Innen- und Kriegsminister Nesselrode schrieb am 17. März 1813 an Staatssekretär Roederer, daß sogar unter den bereits in die Kaserne eingeführten Konskribierten in erschreckender Weise die Desertion ausgebrochen sei. [Nesselrode an Roederer v. 17. u. 22.3.1813, Archives Nationales, Paris, AF IV 1875, St. 38f.] Kurz vor dem Ende des Großherzogtums kam es aus Anlaß von Losungen zur Konskription erneut zu Unruhen, und mit dem Eindringen der Koalitionstruppen löste sich definitiv die bestehende Ordnung auf.

Natürlich dachte die Obrigkeit über Maßnahmen zur Eindämmung von Desertion und Refraktärwesen nach. So wurden Deserteure häufig zu öffentlichen Arbeiten verurteilt und in ein in Jülich gelegenes Depot gebracht. Konskribierte, die sich durch Selbstverstümmelung wehruntauglich gemacht hatten, sollten in eine Festung oder einen Hafen in Frankreich gebracht werden, um dort ihre Strafe anzutreten. Auch schloß das Großherzogtum Berg mit Hessen-Darmstadt und anderen Nachbarstaaten Abkommen über die gegenseitige Auslieferung von Deserteuren und Refraktären ab.

Wenn die Gendarmen schon nicht der Entwichenen habhaft werden konnten, nahm man deren Eltern so lange in Haft, bis sich die Söhne aufgrund dieses Druckmittels gestellt hatten. Auch wurden zu demselben Zweck Soldaten bei den Eltern von Refraktären einquartiert. Für jeden gefangenen Deserteur wurde eine Kopfprämie ausgelobt. Weil die Zwangsmaßnahmen nicht den gewünschten Erfolg brachten, folgten Amnestien, die unter den gegebenen Umständen nicht dazu beitrugen, die Autorität der großherzoglich-bergischen Behörden zu vergrößern. Deshalb stieg die Zahl der Deserteure und Refraktäre immer weiter an – ganz besonders in der Endphase des Großherzogtums.

Nachdem schon durch die Nachricht von Napoleons Niederlage in Rußland statt der zu erwartenden 5000-6000 Konskribierten nur noch 3000 eingerückt waren, brach am 22. Januar 1813 im Kanton Solin-

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gen anläßlich der Ziehung zur Konskription offener Aufruhr aus. Dieser dehnte sich in der Folge auf die Mairien Elberfeld, Ronsdorf, Remscheid, Kronenberg, Lennep, Hückeswagen, Wipperfürth, Hahn, Opladen, Gerresheim, Wülfrath und Velbert aus. Bei der Losung der Konskribierten in Hagen brachen zur gleichen Zeit Unruhen aus; auf den Straßen rotteten sich Menschen zusammen; die widerspenstigen Konskribierten schlossen sich den aufständischen Arbeitern an und zogen mit diesen nach Elberfeld. Gegenüber dem Rheindepartement war die Lage im Siegdepartement noch zugespitzter. Die Unzufriedenheit der Einwohner war hier allgemeiner verbreitet als anderswo, denn dieses Departement stellte das wohl ärmste des Großherzogtums Berg dar. In Dillenburg ereignete sich ein regelrechter Volksaufstand. In Eitorf bedrohten und beraubten junge Burschen, die sich der Konskription entzogen, die Einwohner. In Gummersbach mußte die Losung zur Freude der Rebellen wegen der allgemeinen Verweigerung ausfallen.

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3. Zensur und Presse, Klubs und Gesellschaften

Für die Obrigkeit des Großherzogtums Berg trug der sich als kritisch verstehende Teil der bürgerlichen Öffentlichkeit Züge von Subversion. Um oppositionelle Regungen schon im Keim zu ersticken, richtete die Regierung zu ihrer Bekämpfung ein gut ausgebautes Polizei- und Spitzelsystem ein.

Während unter Joachim Murat als Großherzog (1806-1808) die Presseaufsicht noch relativ moderat gehandhabt worden war, verschärfte sie sich seit Beugnot das Großherzogtum Berg für Napoleon direkt verwaltete. Als Folge davon durften die Journalisten nur noch Meldungen bringen, die bereits von französischen Journalen oder von denen anderer Rheinbundstaaten gedruckt worden waren. Die bergische Obrigkeit sah darüber hinaus die große Zahl der im Lande vorhandenen politischen Journale als Mißstand an und stellte Überlegungen zur Schaffung einer einheitlichen Zeitung für das ganze Land an. Dies war zentraler Gegenstand eines von Beugnot ausgearbeiteten und in unterschriftsreife Form gebrachten Dekretentwurfs, den er zusammen mit seinen Überlegungen zur Schaffung eines zentralen Blattes für das Großherzogtum Berg im November 1810 an Napoleon über-

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sandte. [Beugnot an Napoleon v. 5.11.1810 u.o.D., Archives Nationales, Paris, AF IV 1840, St. 7f.] Allerdings fanden die Pläne des Kaiserlichen Kommissars keine Verwirklichung, da es Napoleon zuletzt gleichgültig war, ob der Anschein einer maßvoll ausgeübten Zensur aufrechterhalten wurde oder nicht, so daß er Beugnots Plänen keinerlei Beachtung mehr schenkte.

Die Härte der Zensur verspürte beispielsweise der ehemalige Präfekturrat Arnold Mallinckrodt, seit 1798 Herausgeber des in Dortmund erscheinenden „Westfälischen Anzeigers". Weil Mallinckrodt sich in Aufsätzen und Flugschriften durch kritische Äußerungen zur Agrarverfassung bei der Obrigkeit unbeliebt gemacht hatte, durfte er seit 1812 ohne vorherige Zensur durch den Präfekten des Ruhrdepartements keine Schrift mehr drucken lassen. Die letzte Ausgabe des „Westfälischen Anzeigers" war schon am 30. Dezember 1809 in Dortmund erschienen. Der Chefredakteur des „Mülheimer Anzeigers" mußte 1812 sogar für einige Monate ins Gefängnis, weil diese Zeitung die Abreise des russischen Botschafters aus Paris – wegen Napoleons Einmarsch in Rußland – gemeldet hatte.

Neben den in Berg selbst herausgegebenen Blättern versuchte die Regierung, auch auf die im Großherzogtum zirkulierenden auswärtigen Zeitungen ein wachsames Auge zu halten. Als Blätter, deren Verbreitung in Berg zu unterbinden sei, galten etwa die „Wiener Hofzeitung", die „Preßburger Zeitung" und der zu Dorsten im benachbarten Herzogtum Arenberg gedruckte „Argus".

In Anbetracht der Rußlandkatastrophe Napoleons und des Aufstands vom Januar/Februar 1813 ist es nur allzu erklärlich, daß die Obrigkeit auf bestimmte Zeitungsmeldungen äußerst empfindlich reagierte. So hatte z.B. die „Elberfelder Provinzialzeitung" in ihrer Nr. 20 vom 20. Januar 1813 unter der Rubrik „Württemberg" die Namen der in Rußland gefallenen württembergischen Offiziere abgedruckt. Daraufhin schrieb Roederer an Nesselrode, es sei unangebracht, gerade zum jetzigen Zeitpunkt die Öffentlichkeit auf eigene Verluste aufmerksam zu machen. Der bergische Innenminister antwortete, er habe bereits mehrfach die Journalisten angewiesen, keine die Armeen oder Truppenbewegungen berührenden Meldungen mehr

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zu bringen. Dies werde er ihnen unter Androhung der Aufhebung ihres Blattes nun noch einmal einschärfen. [Roederer an Nesselrode v. 28.1.1813, Archives Nationales, Paris, AF IV 1840, St. 20.]

Sicherlich waren der Presse durch Zensur und Polizeiüberwachung enge Grenzen gezogen. Ihre Erzeugnisse erreichten nur einen kleinen Leserkreis und diesen vorwiegend in den Städten. So bildete sich die öffentliche Meinung zu einem großen Teil auch durch geheim verteilte Schmähschriften, patriotische Lieder und Gedichte, aber genauso durch von Reisenden verbreitete Nachrichten. Dabei ist die meinungsbildende Wirkung zu betonen, die das Abdrucken von für Frankreich nachteiligen Neuigkeiten hervorrief.

Während unter der Herrschaft Murats die bürgerlichen Vereine noch einen gewissen geistigen Freiraum besessen hatten, wurde dieser mit der Übernahme der direkten Administration Bergs durch Napoleon bzw. seinen Statthalter Beugnot (ab 1808) sukzessive eingeschränkt. Denn in Anbetracht des sich in manchen Teilen Deutschlands formierenden Widerstands gegen die Franzosenherrschaft und unter dem Eindruck der Kriege in Spanien (ab 1808) und gegen Österreich (1809) verfolgten auch die Behörden im Großherzogtum Berg eine eher repressive Politik. Die Kontrolle der Vereine erfolgte zu dem Zweck, der Verwaltung ein möglichst exaktes Bild der Volksstimmung zu verschaffen. Derartige Polizeiaufgaben waren staatlicher Natur und wurden von dem jeweiligen Maire bzw. dem dazu bestellten Kommissar wahrgenommen.

Die Verschärfung in der Überwachung der Vereine resultierte daraus, daß die politische Führung die im Großherzogtum Berg herrschende Gärung den Klubs und Gesellschaften zuschrieb, die sich – so wurde es gedeutet - unter verschiedenen Vorwänden in großer Zahl versammelten. In diesen befänden sich die exaltiertesten Geister, die in der Lage seien, sich Gehör zu verschaffen. Vorsätzlich verbreiteten sie falsche Nachrichten, die der französischen Sache Schaden zufügten.

Bereits vor dem Erfurter Fürstentag von 1808 habe sich der französisch-österreichische Krieg von 1809 vorbereitet. Agenten Österreichs hätten unter verschiedenen Vorwänden das Großherzogtum Berg durchzogen. So will Beugnot in Düsseldorf einen gewissen

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Kommandeur von Kaunitz, einen Sohn des ehemaligen österreichischen Ministers Wenzel Anton von Kaunitz-Rietberg gesprochen haben. Kaunitz jr. habe bei ihm den Eindruck zu erzeugen versucht, daß Österreich zu einem Krieg gegen Frankreich gar keine Lust habe und auch überhaupt nicht dazu in der Lage sei. Allerdings sei dies ebenso ein Täuschungsmanöver gewesen wie die Friedfertigkeitsbeteuerungen von Österreichs Kaiser Franz I. In Wahrheit hätten Emissäre des angeblich seit Ende des 18. Jahrhunderts existierenden „Geheimbunds Deutschlands" (französisch: ligue secrète de l’Allemagne) überall in Deutschland zur Erhebung gegen Frankreich aufgerufen. Durch diese Umtriebe sei nach Ausbruch des Krieges von 1809 auch Berg erschüttert worden. (Welcher der teils tatsächlich existierenden, teils fiktiven deutschen Geheimbünde der napoleonischen Zeit hier gemeint ist, ist unklar. Jedenfalls handelte es sich beim Verschwörungsdenken um ein zeittypisches Phänomen zur Erklärung unerwünschter politischer Vorgänge.) Im Gefolge von Napoleons gescheitertem Rußlandfeldzug von 1812 registrierte die Polizei von neuem eine wachsende antifranzösische Aktivität geheimer Gesellschaften.

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4. Volksstimmung, öffentliche Ordnung, Unruhen

Außer Salz- und Tabakregie sowie Konskription waren noch zahlreiche andere Themen Gegenstand der öffentlichen Meinung, so die überhöhten Abgaben und Steuern, die sich bei der hohen Arbeitslosigkeit von den Einwohnern immer weniger aufbringen ließen. Zu diesen Abgaben gehörten die Stempel-, die Gerichts- und andere Gebühren sowie die Patent- und die Grundsteuer, außerdem die Chausseegelder. Diese hatte jeder zu zahlen, der keine Chausseearbeiten verrichtete.

Auch Kontribution und Einquartierung erregten das Mißfallen der Bevölkerung. Als z.B. im Sommer 1808 ein Beamter zwecks Eintreibung rückständiger Kontributionen ins Amt Mengerskirchen und in die Gemeinde Niedernhausen entsandt wurde, zeigte der von ihm angetroffene Amtsdiener von Mengerskirchen offenen Ungehorsam. Er sagte, die Leute seien ja bisher nichts schuldig geblieben und sollten ihr Geld ruhig behalten. Man wisse ja nicht, was Napoleon und seine Frau davon bekämen. Überdies sollte der Amtsdiener den Ein-

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treiber auch noch persönlich beleidigt haben. Dieser führte in seinem Rapport über den Vorfall aus, derartige Äußerungen verbreiteten sich unter den Einwohnern schnell und erschwerten so die Arbeit der Kontributionseinnehmer ganz erheblich. [Pape an Boreke v. 4.8.1808, Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Großherzogtum Berg 3778, fol. 1.]

Viele für Frankreich nachteilige Gerüchte wurden im französischen Roerdepartement in Umlauf gebracht, von wo aus sie – sehr wahrscheinlich mit Hilfe des Briefpostdirektors von Deutz – ins Großherzogtum Berg eindrangen. Nach den Erkenntnissen der Behörden gingen die mit der französischen Herrschaft unzufriedenen Kölner zu besagtem Briefpostdirektor, um alle aus Deutschland kommenden Papiere zu sichten und davon Auszüge anzufertigen. Die hierin enthaltenen Nachrichten brächten sie anschließend in für Frankreich nachteiliger Form in Umlauf.

Allerdings gelangten auch im Großherzogtum Berg selbst für das französische Kaiserreich nachteilige Meldungen in Umlauf. So wurden seit Ausbruch des französisch-österreichischen Kriegs von 1809, der die Bildung eines Nationalgefühls in ganz Deutschland beschleunigte sowie eine antifranzösische Agitation auslöste, Mitteilungen über militärische Rückschläge für Frankreich kolportiert. Durch Verbreitung solcher Neuigkeiten sollte die Volksstimmung gegen die französische Herrschaft aufgestachelt werden. Diese Meldungen tauchten in Form von Briefen ohne Überschrift auf, deren Herkunft unbekannt blieb. Insgeheim gestand sich die Obrigkeit ein, daß es nicht helfen würde, Unterhaltungen über den Krieg oder die auswärtigen Zeitungen, die – wie etwa die „Frankfurter Zeitung" – derartige Hiobsbotschaften abdruckten, zu verbieten.

Fraglos stellte das Jahr 1809 einen ersten Höhepunkt antifranzösischer Agitation im Großherzogtum Berg dar. Zwar existierte keine Volksbewegung, doch stießen österreichische Agenten vielfach auf Zustimmung, ganz besonders in der für ihre antifranzösische Gesinnung bekannten Grafschaft Mark. Im Juni 1809, als der Krieg zwischen Frankreich und Österreich auf seine Entscheidung zusteuerte, berichtete der Kaiserliche Kommissar von der offenkundigen Existenz einer „österreichischen Partei" im Großherzogtum Berg. So seien z.B. Anschlagzettel angeheftet worden, denen zufolge es zur Vertreibung

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der Franzosen aus Deutschland kommen und dort die Konskription abgeschafft werde. [Beugnot an Maret o.D., Archives Nationales, Paris, AF IV 1839 B , St. 18.]

Die Obrigkeit versuchte, die Verbreitung antifranzösischer Gerüchte dadurch zu unterbinden, daß sie abschreckende Exempel an den Kolporteuren derartiger Neuigkeiten statuierte. Beispielsweise wurden Arbeiter verhaftet, die über Politik diskutiert hatten, statt ihrer Arbeit nachzugehen. Auch der Münsteraner Domkanonikus Wilhelm von Lippe wurde in Haft gesetzt. Er hatte im Mai/Juni 1809 unter Berufung auf die „Prager Oberpostamtszeitung" mehreren Leuten erzählt, daß Napoleon bei der Belagerung Preßburgs nicht nur gescheitert, sondern auch selber tödlich verwundet worden sei.

1811 wurde ein Aufruf an den Magistrat von Iserlohn bekannt, in dem zur Erhebung gegen Napoleon aufgerufen wurde. In Duisburg wurden in Wirtshäusern täglich Schimpflieder auf die französische Regierung gesungen. Zusätzlich wurde in aller Öffentlichkeit das Bild des Königs von Preußen, Friedrich Wilhelms III., aufgehängt. In die bereits stark gegen Frankreich tendierende Stimmung platzte die Nachricht vom Untergang der Grande Armée in Rußland 1812. Daraufhin überflutete eine Welle der Agitation das Großherzogtum Berg, und nach den amtlichen Berichten herrschte in Klubs in Hagen, Iserlohn, Unna, Hamm und Dortmund allgemeine Freude über den Rückzug der Großen Armee aus Rußland. Dabei gehörten die eigenen Landsleute zu den Leidtragenden: Von den 5.000 Mann großherzoglich-bergischer Truppen, die als Bestandteil der napoleonischen Streitmacht in Rußland einmarschiert waren, kehrten gerade 430 in die Heimat zurück.

Nach Ansicht des Kaiserlichen Kommissars Beugnot gab es nur eine einzige, weil alle anderen umfassende Ursache für den Aufstand – nämlich den Anmarsch der russischen Armee und die im Großherzogtum allgemein verbreitete Auffassung, diese werde ohne große Mühe bis zum Rhein vordringen. Aus Furcht, nach dem Einmarsch der Russen zur Verantwortung gezogen zu werden, habe niemand ernstlich etwas gegen die Insurgenten unternehmen wollen. Dieses mag tatsächlich für das Verhalten zahlreicher Mitglieder der bergischen Justiz hinsichtlich der Bestrafung der Aufständischen von einiger Bedeutung gewesen sein.

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Ungeachtet dessen konnte die Erhebung Anfang Februar 1813 durch massiven Truppeneinsatz niedergeschlagen werden. Die Aufständischen leisteten dabei vielfach nur matte Gegenwehr, wenngleich es eine Untertreibung Beugnots gewesen sein mag, zu behaupten, von ihrer Seite sei nicht ein einziger Gewehrschuß abgefeuert worden. [Beugnot an Roederer v. 10.7.1813, Archives Nationales, Paris, AF IV 1840, St. 54.]

In der Gesamtbetrachtung vermittelt der Aufstand den Eindruck einer spontanen und unsystematischen Erhebung. So verfügten einige Trupps Aufständischer offenbar nicht einmal über Anführer. Dem Aufstand fehlte die Unterstützung eines politischen Zentrums, das – wie wenig später (17. März 1813) der preußische König Friedrich Wilhelm III. in seinem Aufruf „An mein Volk" – die einheimische Bevölkerung zur Erhebung gegen die Fremdherrschaft aufrief. Die Obrigkeit in Berg waren ja die fremden Herren selbst! Sicher lassen sich die Vorkommnisse in Berg deshalb nicht mit denen in Preußen gleichsetzen. Denn in Preußen – und nur dort – war eine Art Volkserhebung in einen „regulären" Krieg integriert. Trotzdem darf hinsichtlich des bergischen Aufstands und seines Scheiterns das Fehlen einer etablierten Zentralinstanz, die den Aufstand unterstützte, keinesfalls außer Betracht gelassen werden. Ebensowenig sollte man übersehen, daß die Aufständischen über keine militärische Organisation verfügten, wie sie dann in Preußen in Gestalt der Freikorps, der Landwehr und des Landsturms vorhanden war – ganz zu schweigen von den regulären Linientruppen. Des weiteren war die militärische Position der im Januar/Februar 1813 gegen Napoleon operierenden (zumeist russischen) Truppen noch nicht stark genug, um dem bergischen Aufstand zum Erfolg zu verhelfen.

Darüber aufgebracht, daß ausgerechnet in dem von ihm als Vorbild für die anderen Rheinbundstaaten geschaffenen Großherzogtum Berg ein Ereignis wie dieser Aufstand vorgefallen war, wollte Napoleon durch eine möglichst harte Bestrafung der Aufständischen ein abschreckendes Exempel statuieren. Aber zahlreiche (ehemals preußische) Beamte der bergischen Justiz widersetzten sich der Umsetzung dieses Vorhabens, indem sie die Verfahren weit über Gebühr in die Länge zogen und einen Großteil der Angeklagten mittels fadenscheiniger juristischer Konstruktionen freisprachen.

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So wurden z.B. die beiden Friedensrichter Pollmann aus Gummersbach und Eversmann aus Lindlar wegen angeblicher Beteiligung an den Unruhen auf Anordnung des Generals Lemarois verhaftet und nach Düsseldorf ins Gefängnis gebracht. Pollmann hatte während des Aufstands unter dem Druck der Volksmenge die Abschaffung der neuen (französischen) und die Wiederherstellung der alten Institutionen verkündet sowie die alte Amtsbezeichnung eines Vogts angenommen. Eversmann hatte entgegen dem Drängen des Volkes durch seinen persönlichen Einsatz die Ausschreitungen der „Aufrührer" im Kanton Lindlar in Grenzen gehalten. Dennoch machten ihm die französischen Behörden den Vorwurf, er habe, da er mit der Volksmenge gegangen sei, an der Spitze der Insurgenten gestanden. Von den Justizbehörden wurden Pollmann und Eversmann jedoch nach entlastendem Untersuchungsergebnis aus der Haft entlassen. Für den Freispruch stützte sich der mit dem Fall befaßte Düsseldorfer Appellationshof auf Buch II, Art. 64 des französischen Strafgesetzbuchs (Code des délits et des peines: Code Pénal) und auf Buch II, Titel II, Kapitel 1, Art. 229 des französischen Gesetzbuchs über das gerichtliche Verfahren in Strafsachen (Code d’instruction criminelle). Dem Code pénal zufolge konnte niemandem ein Verbrechen zugerechnet werden, der sich bei Begehung der Tat entweder im Zustand der Unzurechnungsfähigkeit befand oder durch eine Gewalt, der er nicht widerstehen konnte, dazu gezwungen wurde. Hinzu kam die Bestimmung des Code d’instruction criminelle, wonach niemand wegen einer Übertretung in Haft gehalten werden könne, die vom Gesetz nicht als solche qualifiziert worden sei.

Gegen die Freisprüche für die beiden Friedensrichter ließ sich trotz zahlreicher Interventionsversuche von seiten Beugnots und Roederers auf legalem Wege nichts ausrichten. Man hätte von französischer Seite offen das Recht beugen und damit in Kauf nehmen müssen, daß die Herrschaft Napoleons vor aller Welt als auf reiner Willkür und nicht auf Gesetzen basierend erschien. Dies war jedoch zu einer Zeit, zu der in Deutschland wie in ganz Europa der Abfall von Napoleon schon in vollem Gange war, nicht opportun. Deshalb erhielt Beugnot Anfang Oktober 1813 die Erlaubnis, Pollmann und Eversmann aus der Haft zu entlassen – General Lemarois hatte sie trotz freisprechendem Untersuchungsergebnis durch einen Akt Hoher Polizei im Gefängnis festhalten lassen.

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An diesem Konflikt zwischen der die Angeklagten begünstigenden Justiz und der entsprechend Napoleons Willen eine strenge Bestrafung anstrebenden Administration wird deutlich, daß es in dem Napoleons Willen unterworfenen Staatsapparat vereinzelt Nischen der Opposition, ja des (passiven) Widerstands gab und daß selbst Napoleon es nicht riskierte, mit Brachialgewalt seinen Willen durchzusetzen. Die Hoffnung, mit der Niederschlagung des Aufstands sei die Ruhe im Lande wiederhergestellt, trog. Seitens der Bevölkerung wurden immer wieder Gewaltakte gegen die Obrigkeit verübt. Eine angebliche Verschwörung zur Vorbereitung eines Aufstands wurde im April 1813 im Siegdepartement aufgedeckt, als vier Personen verhaftet wurden, von denen eine Papiere mit umstürzlerischen Plänen bei sich trug.

Die Vorbereitung einer antifranzösischen Erhebung hatten auch Pamphlete wie die „Proclamation au Peuple Bergois" (deutsche Fassung: „Aufruf an das Bergische Volk") zum Ziel. Dieser von einem Anonymus verfaßte Aufruf nannte Napoleon einen „Despoten" und seine Truppen „Horden", die von deutschen Landesverrätern, welche sich als „Mietlinge" Napoleon verschrieben hätten, bei der „Versklavung" Deutschlands noch unterstützt würden. Deshalb sollten sich die „edlen und beleidigten Germanier" mit den Heeren der Preußen, Russen und Engländer vereinigen und die Franzosen aus dem Land jagen. [Abgedruckt bei: Kandil, Sozialer Protest, S. 153-157.] In der ehemaligen Grafschaft Mark soll die umstürzlerische Proklamation eine weite Verbreitung gefunden haben.

Es ist nicht überraschend, daß in dem Maße, in dem sich die militärischen Rückschläge für Frankreich häuften und die französische Herrschaft auch in Berg ihrem Ende entgegenging, die Häufigkeit oppositioneller Äußerungen über politische Ereignisse gleichfalls zunahm. Im Jahre 1813 war es für das napoleonische Regime zu spät, die öffentliche Meinung zu lenken. Als nach Napoleons Niederlage in der Völkerschlacht bei Leipzig (16. – 19. Oktober 1813) die französische Herrschaft in Deutschland zusammenbrach und sich auch im Großherzogtum Berg dem Ende zuneigte, brachen dort erneut Unruhen aus. Wohl zutreffend charakterisierte am 1. Dezember 1813 der Maire von Hubbelrath die Volksstimmung zu diesem Zeitpunkt mit den Worten: „Alles jubelt vor Freude, daß die Befreiung von Deutsch-

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land begonnen hat."[ Maire Hubbelrath an Präfekt Rheindep., v. 1.12.1813, Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, Großherzogtum Berg 10947: Polizeibericht für November 1813.] Und der Generalstaatsanwalt am Appellationshof, Christoph Wilhelm Henrich Sethe, schrieb in seinen Memoiren über Reaktionen in der Düsseldorfer Bevölkerung auf den endgültigen Abzug der Franzosen:

„Als dieser letzte Rest der Franzosen über den Rhein war, durchdrang das Gefühl der Freiheit wie ein elektrischer Schlag alle Gemüter. In der ganzen Stadt ertönte lautes Jubelgeschrei, so laut, daß man besorgen mußte, die Franzosen würden, erbittert über ein solches Lebewohl, Rache an der abtrünnigen Stadt nehmen [...] Ich habe noch nie eine solche allgemeine Volksfreude erlebt, wie sie sich an diesem Tage äußerte, ein Beweis, wie hart das Joch gedrückt hatte und wie verhaßt die despotische Herrschaft Napoleons war." [Klein, Adolf/Bockemühl, Justus (Hg.): Weltgeschichte am Rhein erlebt. Erinnerungen des Rheinländers Christoph Wilhelm Henrich Sethe aus der Zeit des europäischen Umbruchs. Köln 1974, S. 208.] Obwohl gegenüber diesen nachträglichen Äußerungen Sethes im Hinblick auf dessen prononciert antinapoleonische Haltung eine gewisse Vorsicht angebracht ist, dürften sie, wie viele andere Hinweise zeigen, die vorherrschende Stimmung um die Jahreswende 1813/14 in der Grundtendenz richtig wiedergeben.

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5. Schlußbetrachtung

Mit seinem Vorhaben, durch Gründung sogenannter Modellstaaten auf deutschem Boden die Rheinbundstaaten zur Übernahme des französischen Vorbilds zu veranlassen, ist Napoleon letztlich gescheitert. Denn weder das Königreich Westfalen noch das Großherzogtum Berg vermochten diesen gewünschten Nachahmungseffekt hervorzurufen. Im Gegenteil, in einem Land mit derart einschneidenden Veränderungen und einer vergleichsweise rigorosen Anpassung an Frankreich wie dem Großherzogtum kam es zu allmählich wachsender Opposition und sich verschärfendem Protest gegen die napoleonische Herrschaft. Dieser ist hauptsächlich durch die – natürlich quellenkritisch zu lesenden – Lage- und Stimmungsberichte bergischer und französischer Amtsträger überliefert. Quellen aus der Feder der bergischen Bevölkerung selbst sind nur recht spärlich überliefert.

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Die vom napoleonischen Herrschaftssystem negativ Betroffenen und daher Unzufriedenen waren in erster Linie Bauern, Großgrundbesitzer, Arbeiter, Fabrikanten und Händler. Klagten die Bauern darüber, daß sie sich trotz der unter französischer Herrschaft erfolgten Aufhebung aller feudalen Lasten und Bindungen mit hohen Geldbeträgen loskaufen mußten, schmerzte die Großgrundbesitzer der Verlust der Einnahmen aus den abgeschafften Feudallasten und Bindungen ihrer Hintersassen. Weshalb die Arbeiter, die Fabrikanten und die Händler mit dem Regime unzufrieden waren, ist bereits geschildert worden.

Unter der „direkten" Herrschaft Napoleons (1808-1813) machten sich die negativen Konsequenzen der französischen Herrschaft für die Bevölkerung immer drückender bemerkbar und lösten so anwachsenden sozialen Protest und zunehmende Kritik aus. Es bleibt festzuhalten, daß die französische Herrschaft im Großherzogtum Berg unter der Administration Napoleons die anfänglich nicht unbedingt feindlich eingestellte Bevölkerung durch ihre Maßnahmen überhaupt erst veranlaßt und so wider Willen zur Bildung einer Art „öffentlichen Meinung" im Lande wesentlich beigetragen hat.


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