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Verhandlungen mit Saefkow

Die Geschichte dieses Ereignisses, aber auch der sich an die Verhaftung anschließenden Verhöre ist jetzt aus neu aufgefundenen Akten rekonstruiert worden. [ Johannes Tuchel, Kontakte zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten im Sommer 1944, in: Dachauer Hefte 11, 1995, S. 78 ff.] Diese Quellen sind erst durch den Zusammenbruch der DDR zugänglich geworden. Daß sie unzugänglich waren, verrät ihre politische Brisanz. Ulbrichts Ministerium für Staatssicherheit konnte kein Interesse daran haben, die verhafteten Kommunisten in ihren eigentlichen Motiven zu schildern, denn die Steuerung des Widerstands durch die Moskauer KPD war ein Dogma und wäre widerlegt worden. Nichts belegt überdies, daß Saefkow die Führungsrolle der Moskauer Gruppe um Ulbricht anerkannt hätte, im Gegenteil.

Johannes Tuchel hat die neu zugänglichen Quellen umsichtig interpretiert. Unbezweifelbar ist nun, daß sich das Treffen nicht als Vorstufe der Bildung einer Einheitspartei deuten läßt, und wer daran zweifelt, der sei hier nachdrücklich aufgefordert, die ausgetretenen Pfade in den geschichtspolitischen Gräben des Kalten Krieges zu verlassen. Bei diesem Treffen wurde weder eine Volksfront noch eine Einheitsfront beschlossen oder vorbereitet. Hier trafen sich Menschen, die ein Gedanke beseelte: "Hitler muß weg, das muß aufhören." Sie wußten, der Widerstand des Militärs war ein Widerstand ohne Volk. Als Vertreter der SPD und der KPD sowie der Gewerkschaften verkörperten sie die eine Chance, aus dem Widerstand ohne Volk einen Widerstand aus dem Volk werden zu lassen, der dann auch den Umbruch realisieren könnte, der auf den Sturz Hitlers folgen sollte.

Hier trafen sich Kommunisten und Sozialdemokraten, gewiß mit dem Wissen und der Billigung des Attentäters Claus Schenk Graf von Stauffenberg, den wir als den Motor des Umsturzes bezeichnen. Sie wurden getragen von einer Mission, von einem beeindruckenden und bewegenden Selbstbewußtsein, das sehr deutlich aus den Verhörprotokollen spricht. Sie hielten sich für die Repräsentanten der deutschen Arbeiterbewegung, so, wie sich Leuschner als Repräsentant der Gewerkschaftsbewegung empfand. Sie hatten lange nebeneinander gearbeitet, denn Sozialdemokraten und Kommunisten trennte weiterhin vieles, bis hinein, ich betone es noch einmal, in die Wirklichkeit der Lager, wo die Nationalsozialisten die politischen Gegensätze beider Richtungen ausnutzten und ihre Gegner dadurch peinigten, daß sie Sozialdemokraten in kommunistische Häftlingsblocks und Kommunisten in sozialdemokratische Blocks legten, wo diese dann die alten Debatten und Kämpfe fortsetzten.

Erst mit dem Krieg hatte sich die Situation geändert. Die kommunistischen Regimegegner hatten 1939 den Schock des Hitler-Stalin-Paktes zu überstehen. Sie hatten auch zu akzeptieren, daß die Moskauer Exilführung der KPD die Verhältnisse in Deutschland nicht mehr kannte, sie hatten erleben müssen, wie manche Emigranten von Stalin an den NS-Staat ausgeliefert worden waren. Sie entwickelten das starke Gefühl einer inneren Unabhängigkeit und begriffen sich als unabhängige, das heißt als nicht von Moskau - das hieß von Ulbricht und Pieck - gesteuerte Kommunisten. So entwickelten sie eine eigenständige politische Identität als deutsche Kommunisten. Leber und Reichwein waren seit 1933 immer ganz besonders reflektierte Sozialdemokraten geblieben. Das heißt: Sie wußten, was Kommunismus und Sozialdemokratie trennte, und sie vergaßen dies auch nach 1933 nicht. Mit ihnen war keine Einheitspartei zu machen. Hitler sollte gestürzt werden, die politische Neuordnung war eine Frage der Auseinandersetzung nach der Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus.

Aus dieser Eigenständigkeit folgte ein besonderes Selbstbewußtsein: Sozialdemokraten und Kommunisten trafen sich 1944, um ihre Kompromißfähigkeit im Widerstand zu prüfen. Es ging nicht um Regierungsbildung und auch nicht um die Neuordnung, sondern es ging um Notwendigkeiten im Vorfeld eines Anschlags, dessen Vorbereitung zumindest der kommunistischen Seite verborgen bleiben mußte. Dabei sollte und wollte jeder seine Identität behaupten und bewahren. Alle Belege zeigen, wie groß die Gegensätze in dieser Hinsicht waren und blieben.

Bis heute ist dieses Treffen allerdings umstritten geblieben. Deshalb muß die Frage gestellt werden, um was es geht, wenn man heute, in Kenntnis der neuen Überlieferung [ Vgl. die Anklageschrift, in: Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Ordner Reichwein.] , über das Treffen zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten spricht, die sich als Repräsentanten ihrer Partei empfanden und den anderen in dieser Rolle respektierten. Es ging um die schlichte historische Tatsache, daß sich im Haus des Berliner Arztes Schmid selbstbewußte Sprecher der SPD - Leber und Reichwein - und der KPD - Anton Saefkow und Franz Jacob - trafen, deren Eigenständigkeit ihnen großes Selbstbewußtsein gab. Gemeinsam wollten sie die Grundlinien einer Kooperation nach der Befreiung von Hitler besprechen, obwohl sie wußten, wie gefährlich dies war. Denn Spitzel lauerten überall. Aber dies konnte sie nicht lähmen. Auch in dieser Bereitschaft zum Risiko drückte sich eine fast unvorstellbare Risikobereitschaft und ein bewegendes Selbstbewußtsein aus, das sich aus dem Zukunftsoptimismus speiste, dem Gegner, den Nationalsozialisten, eben nicht die Zukunft Deutschlands zu überlassen.

Insofern unterscheiden sich die Genannten, deren Schicksal sich im Juni 1944 entschied, von der Mehrheit der Deutschen, die Hitler willig bis in den Mai 1945 folgte und die Rechnung für einen Krieg bezahlen mußte, gegen den sie sich nicht oder zu spät gestellt hatte. Deshalb verdienen sie Respekt, nicht aber hämische Kommentare derjenigen, die Geschichte nur aus politischem Blickwinkel sehen und dieses Treffen in die Vorgeschichte der Zwangsvereinigung rücken. In der Begegnung von Julius Leber, Adolf Reichwein, Franz Jacob und Anton Saefkow vollendete sich die Tragödie von Menschen, die sich nach 1933 weiterhin ganz bewußt und entschieden in die Tradition von ganz unterschiedlichen und lange Zeit feindlich gesinnten deutschen Arbeiterparteien stellten und Deutschland "danach", wie sie sagten, also nach der Befreiung von der NS-Herrschaft, prägen wollten. Von Leber gehen die Spuren nicht nur zu Stauffenberg, sondern auch in den Kreisauer Kreis und in den Widerstand des konservativen Bürgertums. Sie alle, Sozialdemokraten, Kommunisten, Militärs und Nationalkonservative, wurden ermordet, weil die Nationalsozialisten jeden vernichteten, der ihnen den Anspruch auf die Zukunft streitig machte.

So sehr Reichwein als Vertreter einer deutschen Museumspädagogik und Erziehungswissenschaft gewürdigt werden muß, so überragend ist er als Regimegegner gewesen. Er drängte auf die Tat, aber auch zum Prinzipiellen. Er war kein Aktionist, sondern suchte die Verantwortung. Dabei verband sich alles, was in seinem Leben wichtig war: Er war in der Weimarer Republik zu einem Pädagogen geworden, der die Erwachsenen zu erreichen wußte. In der NS-Zeit hatte er in der von ihm tief geprägten Schule mit Kindern gelernt und dabei eine Lebensgemeinschaft entwickelt, der sich niemand entziehen konnte, der in ihren Kreis trat.

Schließlich konnte er über seinen widerständigen Freundeskreis in den unmittelbaren Umkreis der Macht zurückkehren, ohne hier aufzugehen. So konnte er die Zielvorstellungen des Widerstands in einer entscheidenden Phase beeinflussen. Denn er arbeitete in einem bedeutenden deutschen Museum, ohne den volkstümelnden Gefahren zu erliegen, die von der nationalsozialistisch geprägten Volkskunde ausgingen. Reichwein blieb ein politischer Mensch, der zunehmend andere in seinen Bann zog. Durch seine Entscheidung für die Regimegegnerschaft, die er nicht trotz, sondern vermutlich in seiner Verantwortung für seine Frau und seine Kinder fällte, trat Reichwein in den Überschneidungsbereich von nationalsozialistischem Vernichtungs- und individuellem Widerstandswillen. Er suchte die politische Basis des Widerstandes zu verbreitern und nahm Verbindung zu Kommunisten auf, die wie er in ihrer Entscheidung keine Umwege akzeptierten. Nach seiner Verhaftung wollte er dem Tod entkommen, ohne vor den Nationalsozialisten zu kapitulieren. Nicht zu kapitulieren, ist ihm gelungen.

Gerade in den letzten Lebensmonaten wurde deutlich, mit welcher Konsequenz sich das Leben dieses sozialdemokratischen Pädagogen und Regimegegners vollendete. Reichwein hatte teil an diesem Jahrhundert und spiegelte in dem, was er erlebte und was er erlitt, viele Hoffnungen, Chancen, auch verfehlte Gelegenheiten. Er konnte gerade den Bereich des Widerstandes beeinflussen, der später als „bürgerlich" oder „nationalkonservativ" bezeichnet wurde. Wegen seiner geistigen Offenheit und seines politischen Selbstbewußtseins wurde Reichwein nicht immer angemessen gewürdigt. Im Westen Deutschlands tat man sich schwer mit ihm, im Osten machte man es sich gewiß zu leicht. Er war weder der Vertreter einer Ostlösung noch der Repräsentant einer Sozialdemokratie, die sich nicht die Auseinandersetzung und die Kooperation mit solchen Kommunisten zutraute, die innerlich unabhängig waren und sich nicht als frühe, den Ereignissen vorauseilende Parteigänger Ulbrichts zu erkennen gaben, als die sie später verzeichnet wurden.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 1999

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