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TEILDOKUMENT:




Martin Gutzeit:
Die Stasi - Repression oder Geburtshilfe?


Meine Damen und Herren, liebe Genossinnen und Genossen!

Wer als Beobachter von außen und Zeitungsleser die vielerlei Berichte über Inoffizielle Mitarbeiter des MfS in oppositionellen Kreisen liest, könnte zu der Einschätzung gelangen, die Opposition in der DDR wäre das Produkt eines aufgeklärten Geheimdienstes und die friedliche Revolution im Herbst 1989 das Ergebnis seiner operativen Planungen und Handlungen. So wäre das Ende des DDR-Regimes nicht die Niederlage des Omnipotenzwahnes jenes Dienstes, vielmehr dessen jüngster großer Sieg.

Ich möchte gleich zu Beginn meiner Ausführungen jener These entschieden widersprechen. Die Staatssicherheit hat nach den Unterlagen, die mir bisher vorliegen, diese Veränderung nicht gewollt. Es gibt dafür keinen Anhalt. Es liegt vielmehr der Verdacht nahe, daß diese These mit gewissen Interessen beladen ist. Zumindest bringt sie für denjenigen einigen Vorteil, der als ehemaliger Inoffizieller Mitarbeiter darauf beharrt, zuerst Opposition gewesen zu sein und erst in zweiter Linie jenem Dienst sein Wissen und Handeln zur Verfügung gestellt zu haben. So erwürben die Mitarbeiter des Dienstes ein wenig von jenem Nimbus derer, die sie bespitzelt und zersetzt haben.

Leider kann ich in den mir zur Verfügung stehenden 15 Minuten nur kurz und thesenartig auf die Rolle des MfS im Herbst 1989 eingehen. Wiewohl bisher nur ein Teil der Unterlagen gefunden wurde, brauchte eine Darlegung des bisherigen Kenntnisstandes allein schon bedeutend mehr Zeit. So bleibt mir nur ein exemplarisches Vorgehen.

Ich beginne mit einem Dokument, das uns ganz nahe an das Gründungsdatum der SDP am 7. Oktober 1989 heranführt. In einem Konvolut von Materialien zur SDP, das in den Unterlagen der Bezirksverwaltung Berlin des MfS gefunden wurde und dort der Abteilung XX, d. h. der Bearbeitung der Opposition, zuzuordnen ist, fand sich, datiert auf den 4. Oktober 1989, ein Maßnahmeplan der Hauptabteilung XX des MfS. Der Titel dieses Dokuments zeigt schon die Schwierigkeiten an, vor denen das MfS damals stand. Er lautet:

"Maßnahmeplan zur Zurückdrängung/Unterbindung und operativen Kontrolle einer für den 7. Oktober 1989 geplanten Zusammenkunft von feindlich-oppositionellen Kräften zur Schaffung der DDR-weiten Sammlungsbewegung/Vereinigung 'Sozialdemokratische Partei' SDP."

Mit drei Stichworten läßt sich also die Intention des Vorgehens des MfS nach ihrer eigenen Zielstellung beschreiben: Zurückdrängung/Unterbindung und operative Kontrolle. Ich komme gleich auf diese Stichworte und die damit zusammenhängende spannende Frage zurück, warum denn die Gründung überhaupt so über die Bühne gehen konnte, wie es geschehen ist. Damit wäre dann wieder das Thema des Vortrags berührt: "Repression oder Geburtshilfe?" Denn man fragt sich natürlich, warum steht hier nicht einfach ein Maßnahmeplan zur Verhinderung der Gründung. Hat das MfS etwa die Gründung geduldet, weil sie mit den Gründern sympathisierte?

Will man das einigermaßen angemessen klären, muß man zuvor den Handlungsrahmen und die Handlungsmöglichkeiten berücksichtigen, die das MfS nach seiner eigenen Einschätzung besaß. Und dazu gehört zuerst die Frage: Was wußte das MfS von der Gründung, und auf welchem Wege gelangte es zu diesen Informationen?

Ich kann das jetzt nicht detailliert darstellen, jedoch läßt sich so viel sagen: Das MfS war frühzeitig und ziemlich weitgehend über die Vorbereitung zur Gründung der SDP informiert, wiewohl es nicht alles wußte und das, was es wußte, das MfS vor etliche Probleme stellte, die seine Handlungsmöglichkeiten beschränkten.

Der Kenntnisstand des MfS über die Vorbereitung zur Gründung war am 4. Oktober 1989 zumindest folgender:

Erstens: Das MfS war über den im Titel des Dokuments gewählten Termin 7. Oktober schon Anfang September informiert. Die Quelle läßt sich mit gewisser Wahrscheinlichkeit erschließen. Der Termin war schon am 26. August 1989 in einem Gespräch zwischen Markus Meckel, Arndt Noack und Ibrahim Böhme in den Blick genommen worden, wiewohl noch nicht entschieden war, ob schon die Partei oder eine größere Initiativgruppe gebildet werden sollte. Auch schon vor dem 26. August, dem Tag, an dem wir unsere Initiative während eines Menschenrechts-Seminars in der Berliner Golgathagemeinde vorstellten, war das MfS über uns einigermaßen im Bilde. Ibrahim Böhme war Ende Juli während eines Gespräches im kleinen Kreis auf einer Sommerakademie in den Besitz eines der drei Exemplare unseres "Aufrufes zur Bildung der Initiativgruppe" gelangt, die wir mit Markus Meckel am 24. Juli 1989 fertiggestellt hatten. Augenscheinlich muß Böhme dann sehr bald dieses Dokument dem MfS übergeben haben. Aufgrund der Quellengefährdung jedoch konnte das MfS wohl zu diesem Zeitpunkt offiziell wenig gegen uns unternehmen, denn damit wäre die Quelle eindeutig identifiziert gewesen.

Zweitens: Dem MfS lagen am 4. Oktober nicht nur "streng vertrauliche Hinweise" zu dem geplanten Gründungsort Schwante, sondern auch zu "möglichen Ausweichobjekten" vor. In dem Maßnahmeplan heißt es:

"Der genaue Zusammenkunftsort wird kurzfristig den eingeladenen Teilnehmern mitgeteilt, da durch die Organisatoren mit administrativen Maßnahmen durch die Kräfte der DVP [der Deutschen Volkspolizei] gerechnet wird."

Drittens: Dem MFS lag am 4. Oktober schon eine Liste mit möglichen Teilnehmern an der Gründungsveranstaltung vor, die es mit einer Anmerkung über operative Erkenntnisse zu den einzelnen Personen anreicherte. Das ist dann so das Who is who von Opposition, wer was wann getan hat. Ich vermute, daß diese Liste vom 4. Oktober nicht die letzte Fassung war.

Viertens: Das MfS war am 4. Oktober schon im Besitz des Textes der Gründungsurkunde, die in der Nacht vom 1. zum 2. Oktober von den Mitgliedern der Initiativgruppe der SDP unterzeichnet worden war, um für den Fall der Unterbindung der Gründungsveranstaltung die Gründung dennoch bekanntgeben zu können und so diese Unterbindung für das MfS unattraktiv zu machen.

Gerade jener letzte Umstand dürfte für die Staatssicherheit besonders betrüblich gewesen sein. Denn: Ging sie offen gegen uns vor, gefährdete sie ihre Quelle. Schon am 2. Oktober war für das MfS nicht mehr zu ermitteln, wo sich die unterschriebene Gründungsurkunde befand und wer von ihr Kenntnis hatte. Über ihre Quelle dürfte es ihr aber auch bekannt gewesen sein, daß neben den Mitgliedern der Initiativgruppe unbeteiligte Personen beauftragt worden waren, für den Fall von polizeilichen Aktionen oder Verhaftungen an die Öffentlichkeit zu gehen und über die SDP-Gründung, die dann als geschehen betrachtet worden wäre, zu informieren.

Diese Personen waren natürlich in der Initiativgruppe nicht allen bekannt. Unter ihnen war Hans Misselwitz, der über den 7. Oktober in der Bundesrepublik war und dort den Auftrag hatte, die SPD über die Gründung in Kenntnis zu setzen und unseren Wunsch mitzuteilen, Mitglied der Sozialistischen Internationale zu werden.

Unabhängig von unseren Absicherungsbemühungen findet sich in der Selbsteinschätzung der Lage seitens des MfS auch schon die Einsicht in die Grenzen seiner Handlungsmöglichkeiten, und zwar schon früher. Am 21. September fand in der Hauptabteilung XX, bei dem aus anderen Zusammenhängen wohlbekannten Menschenfreund, Herrn Wiegand, eine Zusammenkunft der für den Bereich Kirche in der Bezirksverwaltung des MfS zuständigen Leiter statt, auf der Wiegand über die zu diesem Zeitpunkt vorhandenen oppositionellen Bestrebungen informierte.

Dies war übrigens das dritte Treffen zum Thema SDP-Initiative bei der Hauptabteilung XX/4 mit Vertretern aus den Bezirksverwaltungen - das erste Treffen fand schon am 29. August statt, das zweite am 7. September, wo dieser Termin 21. September verabredet wurde. Und dieses Treffen vom 21. September hatte natürlich die anderen Initiativen, die dann entstanden waren, auch zu seinem Thema.

In einer Aktennotiz über das Treffen vom 21. September heißt es:

"Voranstellend wurde eingeschätzt, daß sich oppositionelle Bestrebungen so entwickelt haben, daß sie nicht mehr ohne weiteres liquidiert werden können. Operative Maßnahmen des MfS mit repressivem Charakter sind aufgrund der Lageentwicklung nicht möglich. Demzufolge ist die politische Einflußnahme/
Führung entscheidend."

Der Einschätzung des Herrn Wiegand, daß die Lage in der DDR sich so weit entwickelt hatte, daß das MfS nicht mehr durch offen repressive Mittel die sich entwickelnden oppositionellen Gruppen liquidieren konnte - ich vermute, aus der Einsicht, daß dadurch eine Solidarisierungswelle ausgelöst würde, die dann auch nicht mehr beherrscht werden konnte -, ist voll zuzustimmen. Man denke auch an die Ausreisewelle, die Krawalle in Dresden, die vielen damals noch nicht bekannte katastrophale wirtschaftliche Situation, die durch Repression nicht zu bessern war. Eine Verschärfung der außenpolitischen Situation, die gewiß unmittelbare Folge solcher Repression gewesen wäre, hätte diametral den damaligen Interessen der östlichen Führungsmacht entgegengestanden. Und auch aus wirtschaftlichen Gründen konnte sich die DDR das wohl damals nicht mehr leisten. Sie war mit ihrem Latein am Ende, was sie aber nicht daran hinderte, ihr übriges erprobtes Repertoire an Mitteln und Methoden zum Einsatz zu bringen, wie z. B., ich zitiere aus jener Aktennotiz über die Sitzung bei Wiegand am 21. September:

"Personenbezogenes Vorgehen gegen Inspiratoren/
Organisatoren, gegen Unterzeichner von Gründungserklärungen, gegen Aufrufe, Vorlagen und andere Materialien [...] Auseinandersetzung der Kirche, in der Kirche fördern (Mißbrauchshandlungen vorzubeugen)".

oder den Einsatz von Inoffiziellen Mitarbeitern, die folgendermaßen kategorisiert werden:

"a) IM, die Führungsposition besetzen, ohne zu Aktivisten zu werden,

b) IM zur Informierung über Bewegungsabläufe, Hintergründe,

c) IM, die Zweifel anmelden, nörgeln, debattieren, theologisieren, Mißtrauen anmelden/auch gesellschaftliche Kräfte einbeziehen."

Ja, das mit dem Theologisieren, dazu müssen wir nun einiges sagen als Methode, Leute aus der Kirche an politischem Engagement in der Gesellschaft, und zwar an einem kritischen, zu hindern. Das war eine gezielte Methode, wiewohl dieser Begriff natürlich etwas mißverständlich ist.

Diese Vorgehensweise, die übrigens für alle damaligen oppositionellen Bestrebungen gedacht war und nicht nur auf die SDP-Initiative zielte - wir hatten darauf kein Privileg -, läßt sich schwerlich unter den Begriff "Geburtshilfedienste" fassen. Dem widerspricht keinesfalls der Einsatz von IM in Führungspositionen der Gruppierungen.

Wie wir heute wissen, ich damals schon seit längerem vermutete, hatte das MfS gute Erfahrungen beim Einsatz solcher Mitarbeiter zur Aufklärung und Zersetzung oppositioneller Bestrebungen. Gerade von seinem zentralistischen Denken her mußte es darauf bedacht sein, gerade an den zentralen Stellen gewisser Gruppierungen mit seinen Leuten präsent zu sein. Daß ihm das im Herbst 1989 letztlich nicht mehr half, die Entwicklung aufzuhalten, und Mitarbeiter in eine kuriose Situation brachte, die diese dann in unterschiedlicher Weise zu ihrem Nutzen umzumünzen suchten, oder ggf. das MfS, aber vielleicht auch die SED, sie unter den veränderten Bedingungen mit neuer Zielstellung zu neuen Zwecken einsetzen ließ, ist eine andere Frage. Die können wir hier jetzt nicht klären, da noch etliches Material zu sammeln ist, um dem nachzugehen.

Ich komme zum Maßnahmeplan zur Gründung der SDP zurück. Welche Vorgehensweise war für den 7. Oktober geplant?

Erstens: Es sollten, wie schon Ende August/Anfang September mit den fünf Personen, die wir am 26. August den Aufruf zur Bildung einer Initiativgruppe unterzeichnet hatten, Disziplinierungsgespräche geführt werden. Was man sich von diesen Gesprächen zu diesem Zeitpunkt noch erwartete, scheint mir schleierhaft, zumal es in der noch erwähnten Aktennotiz vom 21. September über die schon geführten Gespräche heißt:

"Konzeptionell vorbereitete Gesprächsführungen mit den Initiatoren endeten mit der Feststellung, den staatlichen Standpunkt zur Kenntnis genommen zu haben, aber nicht von der Initiative abzulassen."

Daß wir uns durch Drohungen nicht abschrecken ließen, war doch aktenkundig. Der Versuch, uns auf den 7. Oktober anzusprechen, hätte ihre Vorgehensweise dekonspiriert. Zu diesen geplanten Gesprächen ist es nicht mehr gekommen, wobei sie auch kaum möglich gewesen wären; Markus Meckel z. B. war nach dem 2. Oktober abgetaucht, und ich war auch kaum zu greifen.

Zweitens: Die Bezirksverwaltungen des MfS, aus deren Verantwortungsbereich laut vorliegender Teilnehmerliste mit Teilnehmern gerechnet wurde, sollten informiert werden. Es sollte von ihnen differenziert festgelegt werden:

"[...] mit welchen kirchlichen Vorgesetzten staatlicherseits sofort ein Gespräch zu führen ist, wobei die Forderung erhoben wird, daß kirchlicherseits eine Unterbindung der Teilnahme für das Treffen am 7. Oktober veranlaßt wird."

Damit sollte also wieder jene wohlbekannte und erfolgreich praktizierte Methode innerkirchlicher Disziplinierung angewandt werden, die Mißbrauchshandlungen im Sinne des Staates dadurch vorbeugte, daß man die Auseinandersetzung der Kirche in der Kirche förderte, d. h. die Kirche mit der Kirche bekämpfte. Auch hier mußten die Herren des MfS auf Grenzen stoßen, die sie, hätten sie ihre eigenen Berichte gut gelesen, erkannt haben müßten. In Kenntnis jener innerkirchlichen Disziplinierung hatten zumindest Arndt Noack, Markus Meckel und ich den jeweiligen kirchlichen Vorgesetzten gegenüber erklärt, daß wir unsere politische Tätigkeit zur Gründung der SDP nicht als kirchliche Mitarbeiter, sondern als Bürger betrieben, keinen besonderen kirchlichen Schutz beanspruchten und es gerade unser Ziel sei, dem Politischen dort wieder Raum zu verschaffen, wo es hin gehöre, nämlich in der Gesellschaft.

Weiter sollten die Bezirksverwaltungen des MfS ab 6. Oktober differenzierte Maßnahmen der Beobachtung bzw. Verhinderung der Anreise festlegen. In der Namensliste der Anlage zum Maßnahmeplan wurden dazu entsprechende Personen gekennzeichnet. Es sollte also die gleiche Methode angewendet werden wie bei der für den 1. Oktober 1989 geplanten Gründung des Demokratischen Aufbruch, an der wir selbst teilgenommen hatten. Damals hatte man z. B. versucht, Markus Meckel an der Reise nach Berlin zu hindern, indem man sein Haus blockierte. Von Professionalität der Staatssicherheit in Magdeburg zeugt jedenfalls die Tatsache nicht, daß Markus durch ein Fenster über den Friedhof entkam und sich nach Berlin durchschlug. Wie schon gesagt, war er danach auch nicht mehr so ohne weiteres greifbar in dem Sinne, daß man ihn blockieren konnte.

Gewiß hätte man uns verhaften können, nur dann wären die schon erwähnten Probleme entstanden, zumal dies kaum geheim gehalten werden konnte. Stellen Sie sich vor, am 5. oder 6. Oktober wäre die Meldung über den Ticker gegangen: "Sozialdemokratische Partei in der DDR gegründet", die Gründungsurkunde lag ja vor, "Parteigründer verhaftet". Die SED hätte den Demonstrationen zum 40. Jahrestag der DDR mit noch größerer Erwartung entgegensehen können.

Überhaupt hatten wir nach jener Erfahrung vom 1. Oktober beschlossen, daß die Mitglieder der Initiativgruppe sich zumindest 24 Stunden vor der Gründung nicht mehr zu Hause aufhalten sollten. Von der gelungenen Blockierung von Teilnehmern ist mir bisher nur eine bekannt, und zwar die des Mannes, der ursprünglich das Video von der Gründung anfertigen sollte. Er wurde in seiner Wohnung am Prenzlauer Berg festgesetzt und mußte von einem Freund vertreten werden.

Daß Konrad Elmer bei seiner Anreise nach Schwante einen besonderen Geleitschutz genießen durfte, der nur durch besondere Bemühungen abzuschütteln war und wohl dem Umstand geschuldet ist, daß er sich nicht an die Vereinbarung hielt, einen Tag vor der Gründung abzutauchen, ist auf diesem Hintergrund verständlich.

Drittens: Natürlich wollte sich das MfS die Option repressiven Eingreifens offenhalten. So heißt es im Maßnahmeplan weiter:

"Durch die Bezirksverwaltungen Potsdam und Berlin, Abteilung XX, ist ein operativer Einsatz mit den Kräften des politisch-operativen Zusammenwirkens am 7. Oktober 1989 durchzuführen. So sind in der Nähe der vorgenannten bekannten Trefforte operative Stützpunkte zu schaffen, um den unverzüglichen Einsatz bereitstehender Kräfte der DVP [Deutschen Volkspolizei] zu gewährleisten. In diesen Stützpunkten wird ein Mitarbeiter der Hauptabteilung XX/4 [d. h. der Kirchenabteilung, der Herren Roßberg und Wiegand] mit zum Einsatz gebracht."

Dies entspricht auch den nachträglichen Recherchen in Schwante. Damit ist klar, der Knüppel lag bereit, und ich bin sicher, wenn man gekonnt hätte, hätte man ihn auch eingesetzt.

Viertens: Ich komme damit zum geplanten Einsatz der Inoffiziellen Mitarbeiter des MfS. Im Maßnahmeplan heißt es:

"Zur Erarbeitung weiterer Hinweise über Pläne und Absichten sowie zum Verlauf des Treffens erfolgt der Einsatz von IM entsprechend den gegebenen Voraussetzungen. Durch Entscheid des Leiters der Hauptabteilung XX ist festzulegen, welche IM sich an den Treffen beteiligen sollen, um

- einen Informationsfluß über Pläne und Absichten und Hinweise zum Verlauf zu gewährleisten;

- während des Treffens Gegenpositionen zu beziehen, Zweifel zu erzeugen, zu debattieren, Sachverhalte zu zerreden und Mißtrauen aufkommen zu lassen und gegebenenfalls durch öffentliches Auftreten sich von den politischen Plattformen zu distanzieren und die Organisatoren zu entlarven. Dazu werden mit den Diensteinheiten individuelle Festlegungen getroffen."

Wenn die Herren Roßberg, Wiegand und Co. aus der Hauptabteilung XX tatsächlich alles unternommen haben, um diesen Einsatzplan umzusetzen, und es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln, so war das Ergebnis dieser Bemühungen mangelhaft. Daß es gelungen ist, den Informationsfluß über den Verlauf der Gründung, insbesondere mit technischen Mitteln der Abteilung 26 des MfS, zu gewährleisten, wie es in Punkt 5 des Maßnahmeplanes noch ausdrücklich gefordert wird, möchte ich nicht bezweifeln. Die Herren der Staatssicherheit hatten wahrscheinlich die Ehre, bei der Gründung der Sozialdemokratischen Partei in der DDR live dabei zu sein, sozusagen in der ersten Reihe. Für mich persönlich bereitet dies, trotz allen Ekels, nachträglich eine gewisse innere Freude. Sie saßen nebenan, mußten zuschauen, wie hier eine sozialdemokratische Partei gegründet wurde, die sich in bewußter Ablehnung jeglichen totalitären politischen Denkens und Handelns in die Tradition der europäischen Sozialdemokratie stellte. Sie mußten zuschauen, wie die Grundlagen ihres Systems in Frage gestellt wurden, und konnten dennoch augenscheinlich nichts dagegen tun.

Was die geplanten Maßnahmen zur Störung und Zersetzung während der Gründungsveranstaltung betrifft, so kann man m.E. wohl mit Fug und Recht feststellen, daß sie mißlungen sind. Die dabei waren, mögen darüber urteilen. Soweit ich mich jedenfalls erinnere, war den Bemühungen, Zweifel zu erzeugen, Sachverhalte zu zerreden, Mißtrauen aufkommen zu lassen, die Organisatoren zu entlarven, kein besonderer Erfolg beschieden. Eher mag es Beteiligte geben, wir haben davon heute gehört, die der Auffassung sind, daß wir damals über so manches noch hätten gründlicher reden müssen. Was aber unbedingt demokratisch entschieden und beschlossen werden mußte, haben wir demokratisch entschieden und beschlossen und auf den Weg gebracht.

Fünftens: Daß der Maßnahmeplan neben operativen Kontroll- und Beobachtungsmaßnahmen zu Journalisten, Hauptabteilung II, auch noch für Filtrierungsmaßnahmen an der Staatsgrenze West zur Personenkategorie Politische Prominenz einzuleiten befahl, versteht sich von selbst. Interessant ist vielleicht noch, daß zur Koordinierung der politisch-operativen Maßnahmen, und zwar durch die Hauptabteilung XX/4, eine Einsatzgruppe gebildet werden sollte. So war es die für die Kirche zuständige Abteilung der Herren Wiegand und Roßberg, die für die Gründung der SDP zuständig war.

Sechstens: Bleibt noch das Problem Manfred Böhme alias Ibrahim, auf den ich kurz, aber nur kurz, eingehen möchte. Er wurde am 7. Oktober zum Geschäftsführer der SDP, nicht zum ersten Sprecher, gewählt, zu nicht mehr und nicht weniger. Daß er für die Staatssicherheit zu dieser Zeit als IMB (Inoffizieller Mitarbeiter mit Feindberührung) Maximilian gearbeitet hat, läßt sich wohl kaum bestreiten. Er hat wohl auch verraten, was es zu verraten gab, und trotzdem gelang es nicht, den Aufbau der Partei aufzuhalten oder ihren Weg im Sinne der Erhaltung der alten Verhältnisse zu verändern. Auch blieb ihm letztlich nichts anderes übrig, als sich an die Prinzipien einer sozialdemokratischen Partei zu halten. Hätte er versucht, öffentlich sich gegen diese zu stellen - ich kann dies auch noch nachträglich versprechen -, es hätte genügend Mitglieder gegeben, die ihn daran gehindert hätten. Er ist auf einen fahrenden Zug aufgesprungen, versuchte, in der Lok die Hebel in den Griff zu bekommen, aber aufhalten und aus dem Gleis bringen konnte er den Zug nicht. Um seinetwillen von Geburtshilfe der Stasi zu reden, ist nach der Kenntnis des Ablaufs der Ereignisse wie auch nach der bisherigen Aktenlage völlig verfehlt. Durchweg bis hoch zum Stellvertreter Mielkes, dem Generaloberst Mittig, waren die Staatssicherheit und ihre Mitarbeiter nach den vorliegenden Unterlagen im Hinblick auf die SDP-Gründung an nichts anderem interessiert als an der "vorbeugenden Verhinderung und Einschränkung feindlicher Aktivitäten".


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juni 1998

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