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[SOZIAL- UND ZEITGESCHICHTE]
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I. Die „Ewige Linke" und das „historische Recht" des Nationalsozialismus: zu Ernst Noltes Geschichtsinterpretation

Bereits kurze Zeit nach dem Beginn des „Historikerstreits" publizierte Nolte sein umfangreiches Werk über den „Europäischen Bürgerkrieg", das - so wurde allgemein erwartet - die umstrittenen Thesen, mit deren zum Teil tentativer Formulierung Nolte den „Historikerstreit" ausgelöst hatte, nun materialreich und argumentativ untermauern würde. Doch unbeeindruckt von der massiven Kritik, die er mit seinen Thesen hervorgerufen hatte, ging Nolte nach wie vor von der „Annahme aus, daß die von Furcht und Haß erfüllte Beziehung zum Kommunismus tatsächlich die bewegende Mitte von Hitlers Empfindungen und von Hitlers Ideologie war", die zahlreiche deutsche und nicht-deutsche Zeitgenossen im übrigen geteilt hätten; es ging ihm zudem darum, die These zu belegen, „daß all diese Empfindungen und Befürchtungen nicht nur verstehbar, sondern auch großenteils verständlich und bis zu einem bestimmten Punkt sogar gerechtfertigt waren." [E. Nolte , Der europäische Bürgerkrieg 1917-1945, S. 16.] Das Verhältnis von Bolschewismus und Nationalsozialismus charakterisierte Nolte also als ein Verhältnis von Herausforderung und Antwort, von Ursprung und Kopie, von Entsprechung und Über-Entsprechung. Das heißt der Nationalsozialismus habe im Bolschewismus „Schreckbild und Vorbild" zugleich gesehen, wobei „Schreckbild" - im Gegensatz zum „Schreckgespenst" - einen realen Kern habe. [Ebd., S. 21f.]

Mit diesem Interpretationsansatz wandte sich Nolte ausdrücklich gegen historische Forschungen, die die Machtübernahme der Nationalsozialisten und das feindliche Verhältnis zum Kommunismus/Bolschewismus als Folge von interessenpolitischen Entscheidungen einstuften. Überdies sei eine Revision des Geschichtsbildes überfällig; denn die Vermutung, daß ein neuer Hitler und/oder ein neues Auschwitz kommen könnten, „war von jeher unbegründet und ist heute nur noch töricht. Wenn also die Furcht vor Wiederholungen gegenstandslos ist und volkspädagogische Besorgnisse überflüssig sind, dann sollte endlich der Schritt getan werden dürfen, mit dem die nationalsozialistische Vergangenheit in ihrem zentralen Punkte zum Thema gemacht wird, und dieser zentrale Punkt ist weder in verbrecherischen Neigungen noch in antisemitischen Obsessionen zu suchen. Das Wesentlichste am Nationalsozialismus ist sein Verhältnis zum Marxismus und insbesondere zum Kommunismus in der Gestalt, die dieser durch den Sieg der Bolschewiki in der russischen Revolution gewonnen hatte." [Ebd., S. 15; Hervorheb. im Original.]

Ausgehend von der Annahme, der Nationalsozialismus sei im Grunde nur als „überschießende Antwort" auf den Bolschewismus zu erklären, wird von Nolte in seiner großangelegten historischen Darstellung die These zu belegen versucht, der bolschewistische Terror sei „ursprünglicher" als der nationalsozialistische gewesen: Der Nationalsozialismus begriff sich zwar - laut Nolte - als die „Partei der Gegendiktatur, des Gegen-Bürgerkriegs", doch diese konnte „allein aus der deutschen Bedrohung und sogar aus der Gegenwart des russischen Beispiels keinen wirklichen Gegen-Glauben, keine überschießende Gegen-Leidenschaft gewinnen, die sich mit dem Glauben und der Leidenschaft der Feinde auf eine Ebene gestellt hätte." Das gelte „ganz besonders" für Adolf Hitler, den „in außerordentlichem Maße das Bedürfnis [trieb], eine grundlegende Ursache, einen Erreger, einen Schuldigen zu finden, und diesen Schuldigen entdeckte er in dem Juden. Damit vollzog er einen weiteren Schritt auf dem Wege jener Konkretisierung, auf welchem die Kommunisten vorangegangen waren, als sie an die Stelle des historisch überlebten Systems der voll souveränen Staaten die auch moralisch schuldigen Bourgeois setzten". Im Grunde mitverantwortlich dafür sei - so Nolte - Karl Marx: Denn „dieser Schritt Hitlers war kein willkürlicher und bloß zufälliger. Auf ähnliche Weise, nur in umgekehrter Richtung, hatte Karl Marx den Übergang von den Juden, die vielen Frühsozialisten noch als Ursache des Mammonismus galten, zu den Kapitalisten und letzten Endes zu dem kapitalistischen System vollzogen, und in Verbindung damit hatte er ein altes Vernichtungskonzept in die Vorstellung vom bloßen Wegschieben einer zum Hindernis gewordenen kleinen Gruppe von Kapitalmagnaten verwandelt. Hitler ging also in gewisser Weise zu den Frühsozialisten zurück [...]." [Ebd., S. 119f.; Hervorheb. im Original.]

So kam Nolte zu dem Ergebnis: Ausgehend davon, daß „auffallend viele Juden, die sich indessen meist nicht mehr als Juden betrachteten, an der russischen Revolution beteiligt waren", machten „Hitler und Himmler die Juden für einen Prozeß verantwortlich [...], der sie in Panik versetzt hatte, führten sie das ursprüngliche Vernichtungskonzept der Bolschewiki in eine neue Dimension und übertrafen durch die Schrecklichkeit ihrer Tat jene genuinen Ideologen, indem sie den sozialen Ausgangspunkt durch einen biologischen ersetzten." [Ebd., S. 545; Hervorheb. im Original.]

Hatte Nolte in seinem FAZ-Artikel, der den „Historikerstreit" auslöste, noch den „kausalen Nexus" zwischen Bolschewismus und Nationalsozialismus in Frageform gekleidet bzw. als „wahrscheinlich" bezeichnet, so hieß es nun eindeutig: „Wer [...] den kausalen Nexus mit Früherem leugnet, obwohl dieser sich schon der einfachsten Nachforschung erschließt, der verstößt gegen die elementarste Pflicht nicht nur der Historiker, sondern aller denkenden Menschen. Die Heftigkeit des Widerstandes, den die These hervorruft, der Archipel-Gulag sei ursprünglicher als Auschwitz und zwischen beiden bestehe ein kausaler Nexus, ist letzten Endes nur durch politische Motive zu erklären, die zu politischen Insinuationen Anlaß geben." [Ebd., S. 548.]

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Auch in der „Antwort" an seine Kritiker beharrte Nolte auf den wesentlichen Aussagen seiner bisherigen Beiträge, die er auszugsweise zusammen mit einer ausführlichen Zusammenfassung der Debatte in diesem Buch präsentierte. [Ernst Nolte , Der sogenannte Historikerstreit: moralische Kampagne - politischer Konflikt - wissenschaftliche Debatte, in: ders. , Das Vergehen der Vergangenheit, S. 13-67.] Hier analysierte er differenziert die moralischen, politischen und wissenschaftlichen Aspekte des „Historikerstreits" und nahm dabei für sich in Anspruch, sein umstrittener Aufsatz in der FAZ vom 6. Juni 1986 müsse als „eine Aufforderung zur Wissenschaft" verstanden werden. „Aufforderung zur Wissenschaft heißt nicht" - so präzisierte er - „Aufforderung zu neuen Forschungen innerhalb eines vorgegebenen Rahmens, sondern es heißt Aufforderung zum Wechsel der Perspektiven, ohne daß deshalb, wie sich versteht, alle vorhandenen Perspektiven für unbrauchbar erklärt werden." [Ebd., S. 16.] Der „zentrale Satz, ‘war nicht der Archipel-GULag ursprünglicher als Auschwitz?’„, sollte den Wissenschaftlern nahelegen, „über die Frage nachzudenken, ob nicht der Zusammenhang der ‘deutschen Geschichte’ unzureichend sei, um den Charakter der Weltkriegsepoche zu begreifen, aber ebenfalls das Konzept der Totalitarismustheorie der fünfziger Jahre, welche die Feindschaft zwischen den ‘totalitären Mächten’ mehr oder weniger als bloßen Schein aufgefaßt hatte." Und Nolte hielt fest an der Frage, „ob Hitler und die Nationalsozialisten eine ‘asiatische’ Tat vielleicht deshalb vollbrachten, ‘weil sie sich und ihresgleichen als potentielle oder wirkliche Opfer’ einer ‘asiatischen’ - d.h. den Maßstäben der europäischen Kultur entgegensetzten - Tat betrachteten." [Ebd., S. 16f.]

Allenfalls zur Wiederholung folgender Präzisierung fand Nolte sich bereit: Selbst wenn man von den „unzutreffenden Voraussetzungen" ausginge, „daß der ‘jüdische Bolschewismus’ die nationale Intelligenz und das Bürgertum Rußlands bereits in den ersten Jahren seiner Herrschaft ausgerottet habe und daß alle deutschen Juden ‘im Grunde’ Bolschewisten gewesen seien", selbst „dann wäre Auschwitz nicht gerechtfertigt gewesen, denn niemals kann eine Lüge eine Lüge, ein Mord einen Mord, ein Massenmord einen Massenmord ‘rechtfertigen’." [Ebd., S. 36; Hervorheb. im Original. So ähnlich hatte sich Nolte schon in seinem Artikel in der FAZ vom 6.6. 1986 und im Buch über den Europäischen Bürgerkrieg (S. 545) ausgedrückt.]

Weiterhin beharrte Nolte darauf, daß die Herausforderung seiner These darin bestanden habe, „das historische Prinzip des Verstehens auch auf Adolf Hitler selbst anzuwenden". [Ebd., S. 18.] So nahm Nolte für sich in Anspruch, einen überfälligen Perspektivenwechsel angeregt zu haben und zu vollziehen, der mit seiner „Aufforderung zur Wissenschaft" die „‘kollektivistische Schuldzuschreibung’ verwirft und eine immer größere Abstandnahme von dieser Wurzel aller ‘Feindbilder’ verlangt." [Ebd., S. 19.]

Nolte rückte auch in diesem Buch nicht von dem Punkt ab, der seinen Kritikern so anstößig vorkam: Nicht die Tatsache des Vergleichs zweier Systeme der Gewaltherrschaft, nicht die Einordnung des Nationalsozialismus in den Zusammenhang der Geschichte Europas oder der Welt und auch nicht die Forderung des „Verstehens" bildeten den Ansatzpunkt der Kritik, sondern im Zentrum der Kritik stand die Behauptung eines „kausalen Nexus" von Archipel Gulag und Auschwitz, durch die die überdies als „asiatische Tat" apostrophierte Vernichtung der Juden aus den Kontinuitätslinien der deutschen Nationalgeschichte eskamotiert wurde; daß Nolte zudem mit dem Postulat des Verstehens den Verzicht auf prinzipielle Kritik verband, daß er grundsätzliche Ablehnung und Verurteilung des Nationalsozialismus als „kollektivistische Schuldzuweisung" einstufte, die „Feindbilder" erzeuge, und daß er - im Hinblick auf Hitlers „Empfindungen und Befürchtungen" - „verstehbar" mit „verständlich" und „bis zu einem bestimmten Punkte sogar gerechtfertigt" identifizierte [E. Nolte , Der europäische Bürgerkrieg, S. 16.] , hat zur Fortdauer der Irritationen gewiß beigetragen.

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Bleiben die Publikationen Noltes zum „Europäischen Bürgerkrieg" und zum „Historikerstreit" weitgehend im Rahmen der 1986 entwickelten Argumentationszusammenhänge, so hat Noltes Geschichtsinterpretation mit seinem neuen Buch über „Kontroversen um den Nationalsozialismus" neue Dimensionen gewonnen. So deutlich wie allenfalls in seinen frühen Büchern [Siehe dazu Rainer Zitelmann , „Gerechtigkeit" als Anliegen des Historikers. Zum Selbstverständnis Ernst Noltes, in: T. Nipperdey u.a. (Hrsg.), Weltbürgerkrieg, S. 513-525, hier S. 513.] erläutert er sein Wissenschaftsverständnis, und so deutlich wie nie zuvor verklammert er seine historischen Betrachtungen mit aktual-politischen Stellungnahmen.

Beginnen wir mit den Ausführungen zum Wissenschaftsverständnis. Auch wenn Nolte die Vorstellung zurückweist, der Historiker befinde sich gegenüber den historisch Handelnden in der Rolle des Staatsanwalts oder gar Inquisitors, so deutet schon diese Begrifflichkeit und vor allem der Anspruch, den Handelnden Gerechtigkeit widerfahren lassen zu wollen, auf ein von juristischen Formeln, wenn nicht vom Strafprozeß geprägtes Bild der historischen Forschung hin. Wenn Nolte für die historische Arbeit die Prinzipien „audiatur et altera pars" und „audiantur multi testes" betont, so sieht er den Historiker offenbar in der Rolle des Richters. [E. Nolte , Streitpunkte. Heutige und künftige Kontroversen um den Nationalsozialismus, S. 16. Siehe dazu R. Zitelmann , „Gerechtigkeit", S. 517f.] Getreu dieser Grundsätze müßten „Zeugen", d.h. Positionen, so absonderlich sie auch anmuten, ernst genommen und diskutiert werden. Daß „Zeugen" für Nolte nicht nur „alle Mithandelnden", sondern auch „alle Nachfahren dieser Mithandelnden" [Ebd., S. 16.] , also nicht nur die Quellen, sondern auch Einschätzungen der Sekundärliteratur sind, führt zu Verzerrungen des Argumentationsfeldes, wenn sich Nolte z.B. genötigt glaubt, bei der Erörterung der Kontroverse um die „Endlösung der Judenfrage" auch die Positionen des „radikalen Revisionismus", d.h. der Vertreter der These von der „Auschwitz-Lüge", heranzuziehen. [Siehe ebd., S. 304ff.]

In dieser Auffächerung des Argumentationsfeldes zeigen sich die Konsequenzen von Noltes Vorgehensweise, die - wie er meint - auf dem wissenschaftlichen Willen zur Objektivität basiert, der eigentlich der „Wille zur Gerechtigkeit" sei, wobei sich Gerechtigkeit durch die Vermeidung von Schwarz-Weiß-Malerei ausweise. Solche Schwarz-Weiß-Bilder seien es z.B., wenn vom Krieg „ausschließlich heroische und großartige Bilder gezeigt" und wenn die nationalsozialistischen Führer als „eine Galerie von Bösewichtern und Gangstern dargestellt [würden], die keinerlei verstehbare oder gar berechtigte Motive hatten." [Ebd., S. 17.] Implizit heißt das, Maßstab von Wissenschaft ist nicht die Realitätsnähe zum dargestellten historischen Gegenstand, sondern die Bereitschaft, dessen positive und negative Seiten - wie von der bereits vorliegenden Literatur vorgegeben - zur Sprache zu bringen. [Siehe dazu M. Zens, Vergangenheit, S. 110.] Dies zu gewährleisten sei Aufgabe des Historikers, der deswegen primär die Akteure selbst zu Wort kommen lassen müsse. Daraus resultiert die somit wissenschaftsethisch legitimierte Methode Noltes und mancher seiner Schüler bzw. Nachfolger, die Texte der Nationalsozialisten ausführlich zu präsentieren, um sie - ohne kritische Konfrontation mit der Realität - für sich selbst sprechen zu lassen. [Siehe dazu Hans-Ulrich Wehler , Die Kontinuität der Unbelehrbarkeit. Ernst Noltes Nationalsozialismus - nur Reaktion auf den Bolschewismus?, in: H.-M. Lohmann (Hrsg.), Extremismus, S. 135-143, hier S. 138ff.]

Die Neigung zu pseudo-juristischer Argumentation tritt noch in einer weiteren Interpretationsfigur hervor, und zwar im Begriff des „historischen Rechts", das Nolte dem Nationalsozialismus nicht absprechen zu können glaubt. Was ist damit gemeint? Nolte geht davon aus, die Frage nach dem „historischen Recht" des Nationalsozialismus stelle sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion neu: „Durch keine Auffassung ist ja der Nationalsozialismus so vollständig in den Bereich des völlig Verfehlten und des nicht bloß moralischen, sondern auch historischen Unrechts gerückt worden wie durch die sowjetische und weithin auch marxistische Überzeugung, daß er als letzter und verzweifelter Widerstand gegen den ‘Sozialismus’ zu verstehen sei, welcher seinerseits - trotz einiger temporärer ‘Deformationen’, wie man seit 1956 einzuräumen pflegte - in der Sowjetunion seinen wichtigsten und unverrückbaren Platz gefunden habe, von wo er sich über den ganzen Erdball ausbreiten werde. Diese Auffassung ist seit dem Zerfall der Sowjetunion in eine Gruppe unabhängiger Staaten endgültig unhaltbar geworden, und der Frage ist schlechterdings nicht mehr auszuweichen, ob nicht dem Nationalsozialismus zumindest insoweit ein gewisses historisches Recht zuzuschreiben ist, als er sich dem umfassenden Anspruch der Sowjetunion mit großer, wenn auch vermutlich weit überschießender Energie widersetzte." [E. Nolte, Streitpunkte, S. 19.]

Da Nolte andererseits der Auffassung, die Sowjetunion habe sich 1945 in der Position des „historischen Rechts" befunden, einen „rationalen Kern" bescheinigt [Ebd., S. 36.] , bringt dieser Begriff offenbar kaum mehr als die Überhöhung der Feststellung, ein gewisses Prinzip oder eine gewisse Macht hätten sich zu einem bestimmten Zeitpunkt erfolgreich durchgesetzt. In dieser Richtung deutet auch die bündige Antwort Noltes in einem „Spiegel"-Interview vom Herbst 1994 auf die Frage nach dem Inhalt des Begriffs „historisches Recht": „Das heißt einfach: Aus der Situation der Gegenwart heraus war das zukunftsträchtig." [Spiegel-Gespräch: „Ein historisches Recht Hitlers?", in: Der Spiegel Nr. 40, 1994, S. 83-103, hier S. 97.]

„Historisches Recht" meint also keineswegs nur die Anerkennung der Tatsache, daß sich aus einem - von den Zeitgenossen und dem Historiker - als Herausforderung begriffenen Vorgang eine verstehbare und nachvollziehbare Reaktion entwickelte. Vielmehr ist damit eine Rechtfertigung unter dem Aspekt der zukünftigen Entwicklung verbunden.

Dabei geht Nolte davon aus, daß „historisches Recht" und „moralisches Recht" in der Geschichte auseinanderklaffen können. Das erläutert er mit einem Beispiel: Nolte bekennt sich als Gegner der Tötung vorgeburtlichen Lebens, aber - so fährt er fort - es sei ihm „sehr wahrscheinlich, daß man in zehn oder zwanzig Jahren mit großer Bestimmtheit sagen kann, die Befürworter der Abtreibung hätten sich im historischen Recht befunden, weil die permissive Gesellschaft allenfalls über eine Sperre verfügt, mittels deren sie dem ‘Streben nach Glück’ (pursuit of happiness) der Individuen Schranken setzen kann, nämlich den Respekt vor dem sichtbaren Leben. Schon dieses Beispiel sollte klarmachen, daß das moralische und das historische Urteil sehr weit auseinanderfallen können. Der Historiker ist auch ein moralisch empfindender und urteilender Mensch, doch er weiß, daß die Geschichte voll von unmoralischen Akten ist und daß er sich seiner spezifischen Aufgabe nicht entziehen darf, auch die schlimmsten unmoralischen Akte so weit wie irgend möglich verstehbar und unter Umständen sogar verständlich zu machen." [E. Nolte , Streitpunkte, S. 36f.; Hervorheb. im Original.]

Schon an dieser Stelle stellt sich die Frage, warum Nolte angesichts der Nichtübereinstimmung von „historischem Recht" und „moralischem Recht" nicht auf den ersten Begriff zugunsten eines weniger positiv aufgeladenen - z.B. Durchsetzungskraft oder Hegemoniefähigkeit - verzichten mag. Der Hang zu überhöhender Begrifflichkeit ist wohl Noltes Neigung zu geschichtsphilosophischer Betrachtung zuzuschreiben, könnte indessen auch als Ausdruck des Bemühens um Recht-Fertigung des Nationalsozialismus verstanden werden.

Nachdem Nolte in der Einleitung seinen methodischen und begrifflichen Zugriff erläutert hat, wendet er sich dem Spektrum der „heutigen Kontroversen" um den Nationalsozialismus zu. Dargestellt werden - um nur die wichtigsten zu nennen - die Debatten um die soziale Basis des Nationalsozialismus und um die Rolle der Eliten in Industrie, Justiz und Wehrmacht, um den sozialrevolutionären und/oder modernisierenden Charakter des Nationalsozialismus, um die poly- oder monokratische Struktur der nationalsozialistischen Herrschaft und um die Rolle Hitlers, um den Widerstand, um den nationalsozialistischen Krieg und um die „Endlösung der Judenfrage", wobei dem letztgenannten Thema noch ein eigenes Kapitel gewidmet wird: „Die ‘Endlösung der Judenfrage’ in der Sicht des radikalen Revisionismus".

Bei der Darstellung der Kontroversen verfährt Nolte nach seinem eingangs skizzierten methodischen Zugriff; d.h. die Thesen der jeweiligen Autoren werden einander gegenübergestellt, ohne daß Nolte eigene Begriffsangebote oder eigene Maßstäbe formuliert. Insofern informiert Nolte über den Stand der wissenschaftlichen Diskussion, ohne - bis auf Ausnahmen - explizit selbst Stellung zu den Kontroversen zu beziehen. Im Hinblick auf die präsentierte wissenschaftliche Literatur versteht sich Nolte offenbar eher als Moderator: Er hört beide Seiten an und gleicht zwischen den jeweiligen Extrempositionen aus. Fällt eine Extremposition, wie die marxistisch-leninistische, praktisch weg und kommt eine neue Extremposition, wie die des „radikalen Revisionismus", hinzu, so verschiebt sich für Nolte zwangsläufig das Argumentations- und damit das Kompromißfeld. Nolte reduziert seine Funktion im Rahmen dieser Darstellungsweise also mangels eigener Position auf die einer Art Zünglein an der Waage, das die Entwicklung einer Kontroverse, auch die Verlagerungen des Gewichts bestimmter Argumente anzeigt, indessen nicht explizit nach eigenen - offengelegten und begründeten - Maßstäben beurteilt.

Diese Argumentationsstruktur bricht nur bei zwei Themenkomplexen auf, bei denen sich Nolte selbst engagiert einbringt: bei der Frage der Judenvernichtung und bei der Frage des Nationalsozialismus als Antwort auf den Bolschewismus. Beide sind im übrigen, nach Nolte, aufs engste miteinander verbunden, und beide Problemkreise werden - so prophezeit er mit dem zweiten Teil seines Buches - die „künftigen Kontroversen" über den Nationalsozialismus prägen.

Auf den Spuren der in seinem Buch über den „Europäischen Bürgerkrieg" entworfenen Grundthesen betrachtet Nolte den Nationalsozialismus vor allem als Antwort auf den Bolschewismus, dessen „Machtergreifung" im Jahre 1917 „der bis dahin gewaltigste Vorstoß der ‘Ewigen Linken’ war, d.h. einer Empfindungs- und Denktendenz, die an den vorhandenen gesellschaftlichen Verhältnissen Anstoß nimmt, weil sie sie für ‘ungerecht’ hält." [Ebd., S. 324.] Nachdem Nolte die Entwicklung der „Ewigen Linken" - dieser Begriff erinnert fatal an den des „Ewigen Juden" - vom „alten Israel" bis zum 19. Jahrhundert nachgezeichnet hat [Siehe ebd., S. 327ff.] , kommt er zur bolschewistischen „Machtergreifung" 1917, die „sich sehr bald als der erste dauerhafte Sieg der Ewigen Linken in einem großen Staat und insofern als ein schlechthin einzigartiges Ereignis" erwiesen habe. [Ebd., S. 334.]

Die Erfahrung des Bolschewismus, so betont Nolte, sei konstitutiv für den Nationalsozialismus, zumindest für Hitler gewesen: „Von Adolf Hitlers Verhältnis zum Bolschewismus läßt sich jedenfalls sagen: Es kennzeichnet sein ganzes Leben von den politischen Anfängen bis zum Tode. Dabei nimmt Hitler - trotz der einen oder anderen leichtfertigen Bemerkung - seinen Feind ganz ernst, und er richtet sein eigenes Verhalten an diesem Feinde aus." Die Ansichten über den Bolschewismus seien zwar nicht identisch mit Hitlers „Weltanschauung", „aber sie sind die Basis, auf der diese Weltanschauung ruht [...]." [Ebd., S. 351.] Für Nolte gilt es als ausgemacht, „daß der nationalsozialistische Antibolschewismus eine verstehbare und in bestimmten Grenzen sogar berechtigte, aber eben überschießende und in diesem ihrem Überschießen inadäquate Reaktion war. [...] Auch der ‘praktische und gewalttätige Widerstand gegen die Transzendenz’, als welcher der Nationalsozialismus [von Nolte selbst] definiert worden ist, ist keineswegs unverstehbar und insofern nicht irrational." [Ebd., S. 373.]

Die Feindschaft gegen die Juden rühre, so behauptet Nolte, erst von der Identifizierung von Juden und Bolschewismus her. Darin, daß die Juden Gegner Hitlers waren [Siehe ebd., S. 373.] , daß Juden überproportional an der bolschewistischen Revolution beteiligt waren [Siehe ebd., S. 375.] , sieht Nolte den rationalen Kern des Antisemitismus als Antibolschewismus. „Die These vom ‘jüdischen Bolschewismus’„ - so räumt Nolte wenig später ein - „war falsch, aber" - so fährt er fort - „ihr Aufkommen war nur allzu naheliegend." [Ebd., S. 419. Vgl. dazu auch Ernst Nolte , Abschließende Reflexionen über den sogenannten Historikerstreit, in: U. Backes u.a. (Hrsg.), Die Schatten, S. 83-109; hier erläutert Nolte am Beispiel von Georg Lukács, Ernst Bloch und Max Horkheimer die Ablehnung der bürgerlich-kapitalistischen Welt und der Nation als Voraussetzung des nationalsozialistischen Vorgehens gegen die Juden.]

Ob diese Perzeption zutreffend war, ist nicht Noltes Frage; ihn interessiert, ob Hitler und andere führende Nationalsozialisten wirklich ehrlich so empfunden haben; und er kommt zu dem Ergebnis: „die Überzeugung, daß ‘die Juden’ die Urheber des Bolschewismus seien, war nicht nur bei Hitler und Himmler, bei Goebbels und Heydrich ganz aufrichtig, sondern auch in großen Teilen der Wehrmacht, der führenden Schicht und des Volkes. Der Vernichtungswille resultierte aus Vernichtungsfurcht, ganz wie der Vernichtungswille der Bolschewiki zu einem guten Teil aus der Vernichtungsfurcht entstanden war." Die Quintessenz bleibt: „Den Antisemitismus der Nationalsozialisten von ihrem Antibolschewismus ablösen zu wollen ist töricht. Kausale Verknüpfung ist in der Geschichte niemals ‘rein objektiv’, sondern sie spielt sich durch die Vermittlung von subjektivem Bewußtsein ab. In diesem Sinne läßt sich ein ‘kausaler Nexus’ zwischen GULag und ‘Auschwitz’ schlechterdings nicht bestreiten." [E. Nolte , Streitpunkte, S. 394.]

Hitler habe in den Juden überdies - und an dieser Behauptung sei „vieles richtig" - die Personifizierung der ihm verhaßten modernen Welt gesehen, die Personifizierung von Lüge und Intellektualität. [Ebd., S. 400.] Demgegenüber sei es Hitler darum gegangen, den Prozeß der „Intellektualisierung der Welt" und damit das Hervortreten eben der „Unnatürlichkeiten" aufzuhalten, die die Entfaltung des „wahren Lebens kriegerischer Tapferkeit und weiblicher Fruchtbarkeit zerstören". [Ebd., S. 401.] Die „Endlösung der Judenfrage" war also - so interpretiert Nolte die Geisteswelt des Nationalsozialismus - der Versuch, „den als Dekadenz verstandenen Geschichtsprozeß durch die Vernichtung der biologischen Basis einer kleinen Gruppe von Menschen als der angeblichen Urheber anzuhalten und umzukehren." [Ebd., S. 423.]

Spätestens an dieser Stelle muß der Sprachstil, muß der Argumentationsgestus von Nolte genauer betrachtet werden. Auffallend ist, daß sich gerade an zentralen Stellen der Argumentation komplizierte begriffliche und syntaktische Verschachtelungen zeigen, die nur scheinbar zur Präzision der Aussage beitragen, oftmals jedoch eher relativierend und verdunkelnd wirken. Um diesen Sprachgestus zu verdeutlichen, sind die relativierenden Worte hervorgehoben:

• - So wird dem Nationalsozialismus insoweit ein „gewisses historisches Recht" zugebilligt, als er sich dem Bolschewismus mit „großer, wenn auch vermutlich weit überschießender Energie" widersetzt habe. [Ebd., S. 19.]

• - Die „Frage, wer die Schuld am zweiten Weltkrieg trägt, [sei] einerseits sehr leicht und andererseits doch wieder sehr schwer zu entscheiden." Denn es sei „nicht auszuschließen, daß Hitler, der allein zu agieren glaubte, zugleich und in einem tieferen Sinne eine bloße Karte im Spiel stärkerer Mächte war [...]." [Ebd., S. 74.]

• - Auch sei „nicht von vornherein ausgeschlossen, daß dieser Krieg unter einem dritten Gesichtspunkt gleichwohl ‘auch’ - wie man hervorheben sollte - ein Präventivkrieg war, und zwar in einem engeren Sinne, als er schon mit dem Begriff ‘Entscheidungskampf’ gegeben ist." [Ebd., S. 80.]

Vollends deutlich wird dieser Argumentationsstil in den Passagen, in denen sich Nolte „seinem" Thema widmet. Die befremdliche Mischung aus knappen Bekundungen kritischer Distanz und wortreichen Überlegungen verständnisvollen Nachvollzugs nationalsozialistischer Grundüberzeugungen läßt sich nur in einem längeren Zitat illustrieren: „Die Endlösung der Judenfrage ist also im Kontext des nationalsozialistischen und zumal des Hitlerschen Denkens keineswegs nur eine besonders radikale Form der ‘negativen Bevölkerungspolitik’ [...], sondern sie ist ein direkter Angriff gegen jenen Fundamentalvorgang, den die Geschichtsdenker des 19. Jahrhunderts den ‘Fortschritt’ genannt haben und der für Hitler und Himmler der ‘Zivilisationstod’ war. Zu behaupten, wie es die radikalen Revisionisten tun, die ‘Endlösung’ habe als intendiertes und systematisches Geschehen überhaupt nicht stattgefunden und sei eine bloße Erfindung der alliierten Kriegspropaganda, heißt nicht nur, handgreifliche, wenngleich längst noch nicht bis ins letzte geklärte Tatbestände abzuleugnen, sondern es heißt auch, aus Hitler einen bloßen Biedermann zu machen, der von ganz normalen Ideen geleitet wurde, während seine Feinde ihm zu Unrecht Wahnideen zuschrieben. Aber Hitlers Ideen und Handlungen sollten ernst genommen und weder zu Normal- noch zu Wahnideen verharmlost werden. Erst dann wird einsichtig, inwiefern er, jenseits der selbstverständlichen moralischen Verurteilung von Terrorismus und Massenmord, in einem doppelten Sinne historisch unrecht hatte, obwohl er in einigen wesentlichen Punkten richtig sah: Der Prozeß der Intellektualisierung sowie der damit verbundene Emanzipationswille können nicht zugunsten einer fixierten Hierarchie von Schichten, Nationen und Rassen aus der Welt gebracht werden; dieser Prozeß, letzten Endes der Geschichtsprozeß selbst, ist viel zu fundamental, als daß er auf konkrete Urheber zurückgeführt werden dürfte, obwohl bestimmte Gruppen oder Völker in seinem Rahmen eine hervorstechende Rolle spielen mögen. Nur angesichts dieses doppelten, metabiologischen Unrechts erweist sich die ‘Endlösung’ als singulär, nicht aber nach Opferzahlen und bloß äußerlich nach Verfahrensweisen. Nur so wird das angebliche ‘Detail’ zu einem Ereignis, das der Fülle der Vorgänge auf den Schlachtfeldern und in den Generalstäben als einzelnes gleichgewichtig ist." [Ebd., S. 87f.]

Sehen wir einmal von den merkwürdigen Vorbehalten ab, Hitler zum ‘bloßen Biedermann’ zu machen, so zeigt sich ein Argumentationsstil, in dem die distanzierenden Bemerkungen durch einschränkende Hinweise im Nachsatz zumindest teilweise dementiert werden:

• - „Zu behaupten, [...] die Vernichtung der Juden habe überhaupt nicht stattgefunden", heiße, „handgreifliche, wenngleich längst noch nicht bis ins letzte geklärte Tatbestände abzuleugnen [...]." [Ebd., S. 87.]

• - Hitler hatte „historisch unrecht [...], obwohl er in einigen wesentlichen Punkten richtig sah." [Ebd., S. 87.]

• - „Der Prozeß der Intellektualisierung sowie der damit verbundene Emanzipationswille [...] ist viel zu fundamental, als daß er auf konkrete Urheber zurückgeführt werden dürfte, obwohl bestimmte Gruppen oder Völker in seinem Rahmen eine hervorstechende Rolle spielen mögen." [Ebd., S. 87f.]

Und zur Auseinandersetzung mit den Thesen des „radikalen Revisionismus", speziell um das Leuchter-Gutachten [Siehe dazu die detaillierte Auseinandersetzung: Werner Wegner , Keine Massenvergasung in Auschwitz? Zur Kritik des Leuchter-Gutachtens, in: U. Backes u.a. (Hrsg.), Die Schatten, S. 450-476. ] , bemerkt Nolte: „Aber das letzte Wort ist bei den Auseinandersetzungen zwischen den technischen Experten noch längst nicht gesprochen, [...]." Und nachdem er Arno J. Mayers Feststellung zitiert hat, nach der die Zeugnisse über die Existenz der Gaskammern „rar und unzuverlässig" seien, versteigt er sich zu folgendem Raisonnement: „So wird eine merkwürdige Parallele zur Kontroverse um den Reichstagsbrand sichtbar: wenn den technischen Experten der Nachweis gelänge, daß die ‘Tatwaffe’, van der Lubbes Kohleanzünder, nicht imstande war, das Feuer während der zur Verfügung stehenden Zeit zu entfachen, würden alle Zeugenaussagen, welche auf die Alleintäterschaft van der Lubbes hindeuten, von vornherein wertlos sein. Dasselbe muß für die ‘Tatwaffe’ der Räume und des Zyklon B bzw. der Abgase von Dieselmotoren gelten. In jedem Falle muß aber den radikalen Revisionisten das Verdienst zugeschrieben werden - wie Raul Hilberg es getan hat, - durch ihre provozierenden Thesen die etablierte Geschichtsschreibung zur Überprüfung und besseren Begründung ihrer Ergebnisse und Annahmen zu zwingen." [E. Nolte , Streitpunkte, S. 316. Zur Reichstagsbrand-Kontroverse als Beispiel für die Folgen „volkspädagogischer" Ambitionen siehe bes. Uwe Backes , Objektivitätsstreben und Volkspädagogik in der NS-Forschung. Das Beispiel der Reichstagsbrand-Kontroverse, in: U. Backes u.a. (Hrsg.), Die Schatten, S. 614-635.] Durch die Behauptung der Notwendigkeit, längst Bewiesenes erneut überprüfen und belegen zu müssen, wird die Tatsache des fabrikmäßigen Massenmords - trotz Noltes gegenteiliger Bekundungen - letztlich mit einem Fragezeichen versehen. So kann im Hinblick auf diese abstruse Argumentation nur festgehalten werden, daß sich die „radikalen Revisionisten" über die ausdrückliche Anerkennung durch Nolte und die damit verbundene Aufwertung ihrer Positionen gewiß gefreut haben. [Siehe dazu Armin Pfahl-Traughber , Revisionismus. Die Geschichtsfälscher in den Augen der Fachwelt, in: AVS-Informationsdienst Nr. 2, Februar 1995, S. 8f.]

Und eine weitere charakteristische Argumentationsfigur ist hervorzuheben; geschützt durch Konditional-Konstruktionen, in die nicht belegte Voraussetzungen der dann folgenden Stellungnahme verlagert werden, kann Nolte seine (?) Meinung zur Diskussion stellen, ohne dazu stehen zu müssen. Auch dafür einige Beispiele:

• - „[...] wer glaubt, daß um eine neue politische Weltordnung gekämpft werden mußte, weil sich das System von Versailles mit seinen Stützpfeilern Frankreich und Polen als viel zu schwach erwiesen hatte, der wird um die Feststellung, so unsympathisch sie ihm sein mag, nicht herumkommen, daß Deutschland an diesem Kampf nur wesentlichen Anteil haben konnte, wenn es ‘totalitär’, d.h. kommunistisch oder faschistisch, organisiert war." [E. Nolte , Streitpunkte, S. 83; Hervorheb. im Original.]

• - „Wenn ‘Vermehrung der soldatischsten Naturen im Volk’ ein legitimes oberstes Ziel ist, dann muß man zugeben, daß die SS mit ihrer ‘positiven Bevölkerungspolitik’ den einzigen ernsthaften Versuch darstellte, eine Entwicklung zu verhindern, die heute übermächtig erscheint." [Ebd., S. 368f.]

• - „Wenn das Selbstverständnis [der Juden], das ‘Licht der Völker’, das ‘Volk Gottes’ oder auch eine ‘kräftigere Rasse’ zu sein, richtig oder auch bloß aufrichtig ist, dann ist verbreitete Feindschaft eine unumgängliche Konsequenz, und zwar gerade die Feindschaft der Dumpfen, der einfachen Menschen, der Nicht-Intellektuellen. Wenn dieses Selbstverständnis jedoch nur aufrichtig, aber in der Realität mit banalen Eigenschaften wie Egoismus und Machtwillen verknüpft ist, dann ist auch die Feindschaft nicht ohne Recht, und die unterschiedslose Stigmatisierung des ‘Antisemitismus’ muß als bloßes, wenngleich erstaunlich erfolgreiches Kampfmittel gelten." [Ebd., S. 396; Hervorh. im Original.]

• - „Wenn dem [Ersten Welt-]Krieg selbst eine immanente Vernunft zuzuschreiben war, dann mußte seine Folge die Einigung Kontinentaleuropas unter der Führung seines stärksten Staates, eben Deutschlands, sein." [Ebd., S. 409.]

• - „Aber wenn historische Größe im Abweichen vom Weg der Vernunft, der immer der Weg des Maßes und damit des Mittelmaßes und damit oft genug der Mittelmäßigkeit ist, oder im ideologischen Überschießen über einen rationalen Kern besteht, dann konnte es in Deutschland die der bolschewistischen entgegengesetzte ‘Größe’ nur als radikalfaschistische oder nationalsozialistische geben." [Ebd., S. 416.]

Gelingt es Nolte mit den bisher angeführten sprachlichen Mitteln, seine eigene Meinung sozusagen in der Schwebe zu halten, also zu räsonnieren, ohne sich eindeutig festzulegen, so streift er an einigen Stellen diesen Gestus wohlabgewogenen Argumentierens ab und kommt zu verkürzten Formulierungen, deren Vorurteilscharakter zum Teil frappierend ist. Zu erinnern ist an den Begriff der „asiatischen Tat", dem die Formeln der „‘asiatischen’ Wildheit" [Ebd., S. 345.] und des „verschlagenen Asiaten" [Ebd., S. 271. Nolte berichtet (ohne Kommentierung), für Viktor Suworow (Der Eisbrecher. Hitler in Stalins Kalkül, Stuttgart 1989) sei Stalin „nicht in erster Linie ein verschlagener Asiate" gewesen.] an die Seite zu stellen sind. Daß Nolte, wenn auch beides in Anführungszeichen, von „Wirtsvölkern" der Juden [Ebd., S. 419.] und von den heutigen „Wirtschaftsflüchtlingen" als „‘Parasiten’schicht" [Ebd., S. 430.] spricht, kann nur als sprachliche Entgleisung bezeichnet werden. Angesichts der assoziativen Nähe zum Begriff des „Ewigen Juden" gilt das wohl auch für den Begriff der „Ewigen Linken".

Diese Entgleisungen sind vor allem darauf zurückzuführen, daß Nolte sein Buch durchaus als Beitrag zu aktual-politischen Auseinandersetzungen begreift. Er selbst macht deutlich, daß es ihm nicht um Verzicht auf „Volkspädagogik", sondern um den Inhalt derselben geht, habe er seine „Streitpunkte" doch untersucht, um auf die Frage zu antworten, „wie die Rolle des Nationalsozialismus im Rahmen der Weltgeschichte bestimmt werden kann und ob daraus jenseits der bekannten ‘national-pädagogischen’ Trivialitäten etwas ‘zu lernen’ ist." [Ebd., S. 88.]

Wie sieht es mit den Lehren aus? Zunächst will Nolte Denkanstöße an die Geschichtsschreibung geben: „[...] wer die Untaten des Nationalsozialismus nicht als Gegenbilder zu den früheren Untaten des Bolschewismus verstehen will, wer in der Größe und in der Tragik des Nationalsozialismus nicht späte und angestrengte Gegenzüge zu der ursprünglicheren und genuineren Größe und Tragik des Bolschewismus erkennen will, der macht sich von der Geschichte des 20. Jahrhunderts ein grob verzerrtes Bild." [Ebd., S. 417.] Daß gerade jemand, der antrat, Mythen zu zerstören, von „Größe" und „Tragik" spricht, ist erstaunlich.

Zum zweiten wird dann - ebenfalls mit Blick auf die Geschichtswissenschaft - offenbar mahnend festgestellt: „Von den ‘Hitlerschen’ oder den ‘nationalsozialistischen’ oder den ‘deutschen’ Verbrechen und der ganzen Geschichte des nationalsozialistischen Regimes kann man sagen, daß noch niemand versucht hat, sie ‘mit Herzblut’ zu schreiben, sondern daß auch die Inländer [...] so gut wie ausschließlich moralische Empörung und historische Verdammungsurteile an den Tag gelegt haben, sofern sie nicht zu den bloßen Apologeten zählen. Erst sehr langsam und eher im Bereich allgemeiner Postulate wie der Zurückweisung von ‘Schwarz-Weiß-Malerei’ macht sich seit einiger Zeit [...] eine Änderung bemerkbar." [Ebd., S. 423f.] Daß die Ablehnung von Schwarz-Weiß-Malerei sowie das Bekenntnis zum Gebot der wissenschaftlichen Objektivität mit dem Schreiben „mit Herzblut" identifiziert werden, ist ebenfalls befremdlich.

Wie sieht es nun mit den durchaus aktual-politisch akzentuierten Lehren aus? Nolte konstatiert, daß in der Bundesrepublik die Reaktion auf den Nationalsozialismus in das „universalistisch-humanistische Gegenteil und mehr und mehr zur Verdrängung des Nationalbewußtseins" geführt habe. Konkreten Ausdruck habe diese Position in der Asylrechtsgarantie (Art. 16 GG) gefunden, die indessen, „als Einladung an alle Armen der Welt verstanden werden konnte, in Deutschland mindestens temporär Aufenthalt und Hilfe zu erhalten." [Ebd., S. 426.] Der Zustrom von Asylbewerbern habe eine Beunruhigung hervorgerufen, die zu Brandanschlägen führte. Die Demonstrationen gegen „Ausländerfeindlichkeit" und „Fremdenhaß" hatten jedoch, so befürchtet Nolte, „nicht ganz wenige" Teilnehmer, die „unter dem Deckmantel der Gegnerschaft zu dem angeblich wiederaufkommenden Nationalismus in Wahrheit das allmählich hervortretende, aber durch die Erfahrungen des Jahrhunderts tief veränderte Nationalbewußtsein und ein objektiveres Verhältnis zu der eigenen Geschichte im Keim [...] ersticken" wollten. [Ebd., S. 427.] Deutschland soll - so vermutet Nolte - „nicht bloß zu einem Einwandererland, sondern zu einer ‘multikulturellen Gesellschaft’„ gemacht werden, um „dadurch endlich jene Schichten und Gruppen in Deutschland auszuschalten, denen man die Schuld am Ausbruch des Ersten Weltkriegs und am Sieg des Nationalsozialismus zuschreibt." [Ebd., S. 428.]

So sei denn die „Konzeption der Verwandlung der deutschen Nation in eine gemischtnationale Bevölkerung [...] ja nicht zuletzt deshalb abzulehnen, weil ein kaum verhülltes Motiv darin besteht, sich einer Fortentwicklung der Interpretation des Nationalsozialismus, d. h. der Überwindung der isolierenden Betrachtungsweise, in den Weg zu stellen und eine seit langem etablierte Auffassung für immer zu fixieren." [Ebd., S. 431.]

Nolte führt mit dieser Argumentation exemplarisch vor, wie aus der „Historisierung" des Nationalsozialismus eine Revision des Geschichtsbildes folgt, aus der wiederum aktual-politische Konsequenzen gezogen werden. Dabei wird die Schilderung realer Prozesse und Probleme mit einer politischen Interpretation verwoben, in der das Verhältnis von Geschichtsbild und politischer Aktion geradezu auf den Kopf gestellt wird, wenn den Demonstranten gegen Ausländerfeindlichkeit und den Befürwortern einer multikulturellen Gesellschaft die Intention zugeschrieben wird, sie wollten ein bestimmtes Geschichtsbild zementieren. Hier zeigt sich eine Überschätzung der Bedeutung des Geschichtsbewußtseins für die reale Politik [Siehe dazu Hans-Ulrich Wehler , Angst vor der Macht? Die Machtlust der Neuen Rechten, Bonn 1995, S. 9.] , die sich auch in der weiter unten anzusprechenden Kritik an der angeblichen Medien-Dominanz „der 68er" spiegelt.


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