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[SOZIAL- UND ZEITGESCHICHTE]
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[Einführung]

Kontroversen um den Nationalsozialismus sind so alt wie dieser selbst. [Siehe Gerhard Schreiber , Hitler. Interpretationen 1923-1983. Ergebnisse, Methoden und Probleme der Forschung, Darmstadt 1984.] Von Anfang an waren wissenschaftliche Analyse und moralisch-politische Wertung miteinander verwoben; das gilt auch für die historisch-politikwissenschaftliche Aufarbeitung der nationalsozialistischen Diktatur, nach deren Ende erst das ganze Ausmaß dieses „Zivilisationsbruchs" [Siehe Dan Diner (Hrsg.), Zivilisationsbruch. Denken nach Auschwitz, Frankfurt/Main 1988.] erkennbar wurde. So heftig innerhalb der historischen Zunft auch über einzelne Fragen der nationalsozialistischen Vergangenheit gestritten wurde, so bestand doch bis weit in die 1980er Jahre bei den Diskutanten - ob sie sich nun an der Kontroverse um Faschismus- oder Totalitarismus-Begriff [Siehe Karl Dietrich Bracher , Zeitgeschichtliche Kontroversen. Um Faschismus, Totalitarismus, Demokratie, 2., erg. Aufl., München 1976; Totalitarismus und Faschismus. Eine wissenschaftliche und politische Begriffskontroverse. Kolloquium des Instituts für Zeitgeschichte am 24.11.1978, München 1978. Vgl. zuletzt Bernd Faulenbach/Martin Stadelmaier (Hrsg.), Diktatur und Emanzipation. Zur russischen und deutschen Entwicklung 1917-1991, Klartext Verlag, Essen 1993, 215 S., brosch., 32,- DM; Ian Kershaw , Nationalsozialistische und stalinistische Herrschaft. Möglichkeiten und Grenzen des Vergleichs, in: Bulletin 1995/Mittelweg 36, 5, Oktober/November 1994, S. 55-64.] , um die Rolle „der" Industrie beim Aufstieg der NSDAP [Siehe Dirk Stegmann , Zum Verhältnis von Großindustrie und Nationalsozialismus 1930-1933. Ein Beitrag zur Geschichte der sog. Machtergreifung, in: Archiv für Sozialgeschichte (AfS) XIII, 1973, S. 399-482; zuletzt Henry A. Turner, Die Großunternehmer und der Aufstieg Hitlers, Berlin 1985.] , um Intentionalismus oder Funktionalismus [Siehe Gerhard Hirschfeld/Lothar Kettenacker (Hrsg.), Der „Führerstaat": Mythos und Realität. Studien zur Struktur und Politik des Dritten Reiches, Stuttgart 1981.] oder um den poly- bzw. monokratischen Charakter des nationalsozialistischen Herrschaftssystems [Siehe Dieter Rebentisch , Führerstaat und Verwaltung im Zweiten Weltkrieg. Verfassungsentwicklung und Verwaltungspolitik 1939-1945, Stuttgart 1989; Michael Ruck , Führerabsolutismus und polykratisches Herrschaftsgefüge - Verfassungsstrukturen des NS-Staates, in: Karl Dietrich Bracher/Manfred Funke/Hans-Adolf Jacobsen (Hrsg.), Deutschland 1933-1945. Neue Studien zur nationalsozialistischen Herrschaft, Bonn/Düsseldorf 1992, S. 32-56.] beteiligten - über einige Grundannahmen weitgehende Einigkeit: Der Nationalsozialismus wurde vornehmlich aus der Entwicklung der deutschen Geschichte seit dem 19. Jahrhundert erklärt; und die nationalsozialistische „Endlösung der Judenfrage" wurde wahnhaften rassenideologischen Motiven ohne „rationalen Kern" zugeschrieben.

Um Mißverständnissen vorzubeugen: Das bedeutete nicht, daß außerdeutsche Entwicklungen - vom Einfluß westeuropäischer Rassentheorien über die bolschewistische Revolution 1917 und die außenpolitischen Bedingungen „nach Versailles" bis zur Internationalität der Weltwirtschaftskrise 1929ff. und zur Appeasement-Politik der 1930er Jahre - nicht als Teile eines komplexen Bedingungsgeflechts berücksichtigt worden wären, das insgesamt, d.h. unter Einschätzung der Auswirkungen auf die - allerdings im Mittelpunkt stehenden - innerdeutschen Bedingungsfaktoren, dazu diente, die Voraussetzungen für den Siegeslauf der NSDAP und für die Etablierung der nationalsozialistischen Diktatur zu klären. Einigkeit bestand also darüber, daß die Entwicklung des Nationalsozialismus zwar als Teil eines über die deutschen Grenzen hinausreichenden Bedingungsgeflechtes, aber primär aus Kontinuitäten von Nationalismus und anti-demokratischem Denken, von Militarismus und Imperialismus, von Sozialdarwinismus und Antisemitismus in Deutschland zu erklären sei.

Dieser Grundkonsens der historisch-politikwissenschaftlichen Forschung wurde von Ernst Nolte mit seinem Aufsatz zur „Vergangenheit, die nicht vergehen will" [Ernst Nolte , Vergangenheit, die nicht vergehen will. Eine Rede, die geschrieben, aber nicht gehalten werden konnte, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 6.6.1986.] 1986 aufgekündigt, der damit den „Historikerstreit" auslöste. [Historikerstreit. Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung, München/Zürich 1987.] Noltes Thesen, die den Nationalsozialismus primär als Reaktion auf den Bolschewismus, den nationalsozialistischen „Rassenmord" als Antwort auf den bolschewistischen „Klassenmord" darstellten, stießen sofort auf entschiedene Ablehnung. Die Kritik fiel vermutlich nicht nur deswegen so scharf aus, weil Nolte mit seinen Thesen den genannten historiographischen Grundkonsens verletzt hatte. Seine eigentliche Dynamik erhielt der Streit vielmehr durch die Vermutung, Nolte gehe es letztlich um die Relativierung der nationalsozialistischen Verbrechen, um den Deutschen ein unbelastetes Verhältnis zu ihrer nationalen Vergangenheit zu eröffnen - als Voraussetzung für eine selbstbewußte nationale Politik. [Siehe Hans-Ulrich Wehler , Entsorgung der Vergangenheit? Ein polemischer Essay zum „Historikerstreit", München 1988; vgl. auch Hans Mommsen, Suche nach der „verlorenen Geschichte"? Bemerkungen zum historischen Selbstverständnis der Bundesrepublik, in: Merkur H. 9/10, Sept./Okt. 1986, S. 862-874.]

In Abwehr dieser Nolte zugeschriebenen politischen Zielperspektive wurden seine Überlegungen mit kurz zuvor publizierten Arbeiten anderer Historiker, insbesondere mit denen von Klaus Hildebrand, Andreas Hillgruber und Michael Stürmer, in Verbindung gebracht. Diesen Autoren, von manchem böswillig-polemisch als „Viererbande" apostrophiert [Elie Wiesel , in: Frankfurter Rundschau vom 14.11.1986.] , wurden ebenso unterschiedslos wie vereinfachend Bemühungen um die Revision des (bundes-)deutschen Geschichtsbildes bzw. -bewußtseins unterstellt. Den Anstoß dazu bot wohl eher die im Zuge der 1982 angekündigten „geistig-moralischen Wende" vermutete Veränderung der politischen Kultur, die sich in symbolträchtigen Aktionen (Bitburg), langfristig angelegten Bildungsmaßnahmen (Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland) und auch Politikerreden mit zum Teil erstaunlichen Fehlleistungen (Rede des Bundestagspräsidenten Philipp Jenninger) anzudeuten schien.

Bei genauerem Zusehen erweist sich die Konstruktion einer abgestimmt, also gar strategisch vorgehenden „Truppe" zur „Revision" des bundesdeutschen Geschichtsbildes rasch als falsch; die inhaltlichen und methodischen Differenzen zwischen den genannten Historikern sind ebenso unübersehbar wie die letztlich isolierte Position, die Nolte im „Historikerstreit" behauptete und mit seinem Werk über den „Europäischen Bürgerkrieg" [Ernst Nolte , Der europäische Bürgerkrieg 1917-1945. Nationalsozialismus und Bolschewismus, Propyläen Verlag, Frankfurt/Main u.Berlin 1987, 616 S., Ln., 58,- DM.] sowie in der „Antwort" an seine Kritiker [Ernst Nolte , Das Vergehen der Vergangenheit. Antwort an meine Kritiker im sogenannten Historikerstreit, Ullstein, 2., erw. Aufl., Berlin u. Frankfurt/Main 1988, 223 S., kart., 29,80 DM] bestärkte. Angesichts des Proteststurms, den die Thesen Noltes entfachten, konnte der Eindruck entstehen, der „Historikerstreit" habe zu einer weitgehend akzeptierten Zurückweisung derartiger Revisionsbemühungen geführt. Auch daß der wissenschaftliche Ertrag recht gering, wenn nicht gleich null gewesen sei, galt bald als ausgemacht.

Nun, ein paar Jahre später, ist es an der Zeit, diesen Befund zu überprüfen, zumal davon auszugehen ist, daß der Umbruch 1989/90 nicht ohne Rückwirkung auch auf das Geschichtsverständnis bleiben konnte, sind doch Geschichtsverständnis und Erklärung der Gegenwart aufs engste miteinander verbunden: Gegenwärtige Probleme bieten Anstoß zu historischem Rückblick, aktuelle Veränderungen fordern neue Interpretationen historischer Ereignisse. [Siehe dazu Bernd Faulenbach , Probleme der Neuinterpretation der Vergangenheit angesichts des Umbruchs 1989/91, in: B. Faulenbach/M. Stadelmaier (Hrsg.), Diktatur, S. 9-18, hier S. 9.] Konkret bedeutet dies z.B., daß sich neue Akzentsetzungen bei der Periodisierung der Geschichte des 20. Jahrhunderts anbieten. [Siehe z.B. Klaus Tenfelde , 1914 bis 1990: Die Einheit der Epoche, in: Manfred Hettling u.a. (Hrsg.), Was ist Gesellschaftsgeschichte? Positionen, Themen, Analysen, München 1991, S. 70-80.] Nicht zu übersehen ist jedoch auch, daß - nachdem schon die „Wende" 1982ff. einer Debatte um die nationale Identität Auftrieb gegeben hatte [Siehe z.B.: Die Frage nach der deutschen Identität. Ergebnisse einer Fachtagung der Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1985; Thomas M. Gauly (Hrsg.), Die Last der Geschichte. Kontroversen zur deutschen Identität, Köln 1988.] - die Ereignisse der Jahre 1989/90 eine Wiederbelebung nationaler Ideen unterstützt haben. Daß davon zugleich die Interpretation der Vergangenheit, der deutschen Geschichte insgesamt, aber speziell des Nationalsozialismus, betroffen wurde, ist gewiß nicht verwunderlich.

Daraus folgt, daß mancher inzwischen meint feststellen zu können, der „Sieg der ‘Aufklärungs-Fundamentalisten’„ im „Historikerstreik" habe sich als „Pyrrhus-Sieg" erwiesen. Denn: „Die Diskussion verselbständigte sich und bereitete der immer lauter werdenden Forderung nach ‘Historisierung’ des Nationalsozialismus den Boden. Da hierbei jüngere Historiker eine wichtige Rolle spielen, die jenseits der alten Fraktionsgrenzen um eine neue Sicht der Dinge bemüht sind," sei - so wird frohlockend festgestellt - „der Fortgang schon absehbar." [Karlheinz Weißmann , Rückruf in die Geschichte. Die deutsche Herausforderung: Alte Gefahren - neue Chancen, Ullstein, 2., erw. Aufl., Berlin u. Frankfurt/Main 1993 (1. Aufl. 1992), 211 S., kart., 29,80 DM, hier S. 48.]

Und in der Tat: Begünstigt von den historischen Ereignissen der jüngsten Vergangenheit und getragen von einer dadurch ausgelösten Bereitschaft zum „Umdenken", sind auf den Spuren und/oder im Umfeld Ernst Noltes einige Arbeiten vorgelegt worden, die zentrale Thesen, mit denen Nolte den „Historikerstreit" ausgelöst und die er jüngst in einem Buch über „Kontroversen um den Nationalsozialismus" erneut entfaltet hat [Ernst Nolte , Streitpunkte. Heutige und künftige Kontroversen um den Nationalsozialismus, Propyläen, 2. Aufl., Berlin u. Frankfurt/Main 1994 (1. Aufl. 1993), 493 S., kart., 58,- DM.] , aufgreifen und in Detailanalysen überprüfen bzw. untermauern. Zu berücksichtigen sind zudem Arbeiten zu Themenbereichen, die nicht im Zentrum der originären historischen Betrachtungen Noltes stehen, die er vielmehr seinerseits als seinen eigenen „Historisierungs"-Bemühungen zuträglich übernommen hat. In den Blick zu nehmen ist also nicht nur Noltes eigen-sinnige Konstruktion eines „kausalen Nexus" zwischen Bolschewismus und Nationalsozialismus, zwischen Archipel Gulag und Auschwitz, sondern auch die von Nolte damit aufgeworfene Frage nach dem Verhältnis von Kommunistischer Partei und NSDAP in der Weimarer Republik; zu beleuchten ist zudem die von Nolte aufgenommene Frage nach dem Verhältnis von Nationalsozialismus und Moderne bzw. Modernisierung. Zu einzelnen dieser Themen, die insgesamt mit dem Gestus der überfälligen „Historisierung" sowie des angeblichen Tabu-Bruchs und der Legenden- bzw. Mythenzerstörung dargestellt werden, liegen Monographien, z.T. Dissertationen, vor [Enrico Syring , Hitler. Seine politische Utopie, Propyläen, Berlin u. Frankfurt/Main 1994, 391 S., Ln., 58,- DM; Christian Striefler, Kampf um die Macht. Kommunisten und Nationalsozialisten am Ende der Weimarer Republik, Propyläen, Frankfurt/Main u. Berlin 1993, 474 S., Ln., 58,- DM.] , andere werden im Rahmen von Sammelbänden behandelt. [Uwe Backes/Eckhard Jesse/Rainer Zitelmann (Hrsg.), Die Schatten der Vergangenheit. Impulse zur Historisierung des Nationalsozialismus, um ein Nachwort erg. Ausg., Ullstein, Frankfurt/Main u. Berlin 1992, 660 S., kart., 24,80 DM; Thomas Nipperdey/Anselm Doering-Mantteuffel/Hans-Ulrich Thamer (Hrsg.), Weltbürgerkrieg der Ideologien. Antworten an Ernst Nolte. Festschrift zum 70. Geburtstag, Propyläen, Frankfurt/Main u. Berlin 1993, 598 S., Ln., 68,- DM; Klemens von Klemperer/Enrico Syring/Rainer Zitelmann (Hrsg.), „Für Deutschland". Die Männer des 20. Juli 1944, Ullstein, Frankfurt/Main u. Berlin 1994, 392 S., Ln., 48,- DM.]

„Historisierung" lautet das Stichwort, mit dem die Revision der bisherigen Geschichtsbilder - denn trotz des genannten Grundkonsenses gab es kein einheitliches bundesrepublikanisches Geschichtsbild - bezeichnet wird. Soweit damit die Anwendung der historischen Analysemethoden auf die Zeit des Nationalsozialismus wie auf jede andere Epoche gemeint ist, dürfte es kaum einen Streitanlaß geben. [Siehe Martin Broszat , Plädoyer für eine Historisierung des Nationalsozialismus, in: Merkur 39, 1985, S. 373-385; ders., Was heißt Historisierung des Nationalsozialismus, in: Historische Zeitschrift 1988, S. 1-13. Vgl. auch Friedrich Tenbruck , Zeitgeschichte als Vergangenheitsbewältigung?, in: T. Nipperdey u.a. (Hrsg.), Weltbürgerkrieg, S. 482-495.] Wenn aber das Ziel der „Historisierung" eigentlich Relativierung oder Apologie des Nationalsozialismus ist, kündigt sich eine aktual-politisch motivierte Uminterpretation der Geschichte an. Demgemäß wird abschließend die Frage zu beleuchten sein, ob und inwieweit sich in der „historisierenden" Analyse der nationalsozialistischen Vergangenheit Bemühungen zeigen, zu einer „Entschuldung" eben der Kräfte, Ideen und Begriffe beizutragen, denen bisher ganz überwiegend die Verantwortung für den verhängnisvollen Weg Deutschlands in Diktatur, Krieg und Massenmord zugewiesen wurde. Dabei geht es um die Konsequenzen aus der „Historisierung" des Nationalsozialismus für die Rehabilitierung des „gesunden Nationalgefühls" und für das „Erstarken" einer „selbstbewußten Nation". Letzteres zeichnet sich ab in den Monographien von Karlheinz Weißmann [K. Weißmann , Rückruf.] , Klaus Hornung [Klaus Hornung , Das totalitäre Zeitalter. Bilanz des 20. Jahrhunderts, Propyläen, Berlin u. Frankfurt/Main 1993, 429 S., Ln., 58,- DM.] und Rainer Zitelmann [Rainer Zitelmann , Wohin treibt unsere Republik?, Verlag Ullstein, Frankfurt/Main u. Berlin 1994, 237 S., kart., 24,90 DM.] , aber auch und besonders in der von Heimo Schwilk und Ulrich Schacht herausgegebenen Aufsatzsammlung [Heimo Schwilk/Ulrich Schacht (Hrsg.), Die selbstbewußte Nation. „Anschwellender Bocksgesang" und weitere Beiträge zu einer deutschen Debatte, Ullstein, Berlin u. Frankfurt/Main 1994, 470 S., Ln., 58,- DM.] .

Im Unterschied zur Situation zu Beginn des „Historikerstreits", der letztlich allein durch die Arbeit eines einzelnen Historikers ausgelöst worden ist, kann man jetzt mit Fug und Recht von einem Forschungs- und Publikationszusammenhang sprechen, der sich durch ausdrücklichen Konsens oder Ähnlichkeit im Hinblick auf bestimmte methodische Zugriffe, bestimmte Frage- bzw. Themenstellungen und bestimmte Argumentationsweisen konstituiert. Daß es sich bei dieser Feststellung nicht um ein von außen herangetragenes Konstrukt handelt, machen die mannigfachen Hinweise auf Kontakte zwischen den in den Blick zu nehmenden Historikern und Politologen deutlich. Viele der Autoren, deren Arbeiten hier eingehender betrachtet werden sollen, beziehen sich explizit auf Ernst Nolte, der so zum „Ziehvater" der „jungen Revisionisten" stilisiert wird. Bei genauerem Zusehen zeigt sich jedoch, daß Nolte eher als eine Art Gallionsfigur für eine an Zahl zunehmende Gruppe von Historikern, Politologen und Journalisten dient, denen er methodisches Rüstzeug, thematische Anregung und Argumentationshinweise sowie vor allem wissenschaftliche Legitimation ihrer eigenen „Historisierungs"-Bemühungen liefert; diese setzen ihrerseits selbständig eigene Themenschwerpunkte, mit denen sie die „Historisierung" des Nationalsozialismus auf breiterer Basis - als dies ein einzelner vermöchte - vorantreiben, wobei die Grenzen zur Formierung einer „neuen demokratischen Rechten" aus dem Geist einer neu-interpretierten Geschichte zu verschwimmen drohen. [So umfaßt das Spektrum der Autoren des Sammelbandes von H. Schwilk u. U. Schacht neben Wissenschaftlern und freien Publizisten auch Zeitungsjournalisten der „Welt" ( Jochen Thies, Rainer Zitelmann ), der „Welt am Sonntag" ( Michael J. Inacker, Heimo Schwilk, Ulrich Schacht ), der FAZ ( Eduard Beaucamp ), des „Rheinischen Merkur" ( Peter Meier-Bergfeld ) und der „Jungen Freiheit" ( Roland Bubik) .]

Hinweise auf einen Gruppenzusammenhang enthalten nicht nur die Vorworte der Bücher mit ihren Danksagungen und Freundschaftsbekundungen; gestärkt wird der Konnex durch vielfältige Herausgeber- und Mitarbeiter-Affiliationen sowie durch die ausgeprägte Neigung, die Arbeiten von ähnlich argumentierenden Kollegen - unter Hinweis auf den „Historisierungs"-Zusammenhang - wohlwollend zu rezensieren; auch an die Selbststilisierung zu einer „neuen Denkfamilie" [K. Weißmann , Rückruf, S. 190.] ist zu denken. Begünstigt wurde die Herausbildung einer Gruppe von Historikern, die sich - laut Selbst- bzw. Verlagsetikettierung - als Angehörige der „jüngeren Generation" anschickten, die „Tabus","Legenden" und „Mythen" einer (angeblich) in „volkspädagogisch" ausgerichteten „Bewältigungs-Ritualen" befangenen Geschichtsschreibung zugunsten einer allein wissenschaftlichen Maßstäben angemessenen „Historisierung" des Nationalsozialismus zu brechen, von den Publikationsmöglichkeiten eines ebenso erfolgreichen wie renommierten Verlagshauses. Gemeint sind die Verlage Ullstein und Propyläen, in denen Nolte seine Bücher publizierte; daß bald weitere Arbeiten zur „Historisierung" des Nationalsozialismus hier ihren Platz fanden, dürfte auch und vor allem mit dem Wirken von Rainer Zitelmann zusammenhängen, der, nachdem er 1986 in Darmstadt über Hitler als Sozialrevolutionär [Siehe Rainer Zitelmann , Hitler. Selbstverständnis eines Revolutionärs, Hamburg usw. 1987 (2., erg. u. überarb. Aufl., Stuttgart 1989); vgl. auch ders., Adolf Hitler. Eine politische Biographie, 2., durchges. Aufl., Göttingen/Zürich 1989.] promoviert hatte und dann Forschungsassistent an der Freien Universität in Berlin war, 1992 Cheflektor von Ullstein und Propyläen wurde, bevor er 1994 als Leiter des Ressorts „Zeitgeschichte" zur Tageszeitung „Die Welt" wechselte.

Ullstein und Propyläen gehörten zum Springer-Konzern, bevor sie 1984 von der Fleissner-Verlagsgruppe übernommen wurden. Nun soll hier nicht das Imperium Herbert Fleissners mit seinen vielgestaltigen Verlagen interessieren. [Siehe dazu Hans Sarkowicz , Rechte Geschäfte. Der unaufhaltsame Aufstieg des deutschen Verlegers Herbert Fleissner, Frankfurt/Main 1994; Maria Zens , Vergangenheit verlegen. Zur Wiederherstellung nationaler Größe im Hause Ullstein, in: Hans-Martin Lohmann (Hrsg.), Extremismus der Mitte. Vom rechten Verständnis deutscher Nation, Frankfurt/Main 1994, S. 105-122.] Nur so viel sei gesagt: Neben den Publikationen von Autoren wie Léon Degrelle, David Irving, Armin Mohler, Hans Ulrich Rudel und Franz Schönhuber haben Verlage des Fleissner-Konzerns auch Bücher von Willy Brandt, Elie Wiesel und Simon Wiesenthal publiziert. Auch wenn sich um die Jahreswende 1994/95 bekannte Autoren - Karin Struck und Lutz Rathenow - vom Ullstein-Verlag mit der Begründung gelöst haben, dieser sei ihnen zu rechtslastig, kann also weder dieser Verlag noch die Verlagsgruppe insgesamt eindeutig als „rechtsextrem" etikettiert werden. [Siehe Armin Pfahl-Traughber , Der konservative Fleissner-Konzern bietet Rechtsextremisten ein Forum, in: AVS-Informationsdienst Nr. 9, 1994.] Vielmehr ist festzuhalten, daß der Fleissner-Konzern und auch die Verlage Ullstein und Propyläen zwar „rechten" Autoren ein Forum bieten, dessen Reputation - angesichts der Publikation von Büchern prominenter „Linker" - durch ein als ausgewogen geltendes Verlagsprogramm gesichert bleibt.

Ebensowenig wie den Verflechtungen des Fleissner-Konzerns soll hier persönlichen Kontakten sowie Rezensions- und Zitierkartellen nachgespürt werden, die vom Verlag im übrigen in der Werbung eingesetzt wurden und die das „Wir-Gefühl" des „Forschungszusammenhangs" gewiß illustrieren und vielleicht auch stärken. [Siehe H. Sarkowicz , Rechte Geschäfte, S. 79f.; M. Zens, Vergangenheit, S. 112f.] Vielmehr geht es darum, das „Neuartige" der aktuellen „Historisierungs"-Bemühungen anhand bestimmter Themenfelder genauer zu beleuchten, um damit zugleich nach dem Ertrag der „neuen" Forschungen zu fragen.


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