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TEILDOKUMENT:




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Dr. Ute Klammer,
Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut (WSI) in der Hans-Böckler -Stiftung.


Muß Niedriglohnarbeit in Deutschland attraktiver gestaltet werden?
Eine Analyse ausgewählter Vorschläge der aktuellen Diskussion


Unser Thema, in das uns Ulla Schmidt schon kurz eingeführt hat, lautet „Geringfügige Teilzeit-beschäftigung und soziale Sicherungssysteme - Trends und Anpassungserfordernisse". In diesem Rahmen fällt mir die Aufgabe zu, die aktuellen Trends ein wenig zu beleuchten, vor allem aber, Sie in neuere Modelle zur Förderung eines Sektors von Niedriglohnbeschäftigung einzuführen und diese mit Ihnen zu diskutieren.

Ich will dabei wie folgt vorgehen: Ich werde zunächst kurz die empirische Entwicklung beleuchten sowie in den gesamten Diskussionskomplex „Niedriglohnarbeitsverhältnisse" einzuordnen versuchen. Anschließend werde ich mich auf einige aktuelle Vorschläge zur Förderung niedrig qualifizierter bzw. niedrig entlohnter Arbeit konzentrieren. Da wir uns auf einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung befinden, liegt es nahe, als Ausgangspunkt diejenigen einschlägigen Konzepte zu wählen, die letztes Jahr in der Studie der Zukunftskommission der FES („Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, sozialer Zusammenhalt, ökologische Nachhaltigkeit. Drei Ziele – ein Weg") vorgeschlagen wurden. Ins Zentrum meiner Überlegungen werde ich aber zwei aktuelle bzw. überarbeitete Modellversionen stellen, nämlich das aus den Kreisen der SPD stammende „Mainzer Modell" sowie die neueste Version des Modells von Fritz W. Scharpf zur Subventionierung von Sozialbeiträgen, mit dem sich auch die Benchmarking-Gruppe des „Bündnis für Arbeit" zur Zeit intensiv beschäftigt.

Teilzeitarbeit und Niedriglöhne - Fakten aus der Empirie

Zunächst, wie angekündigt, einige Worte zu den empirischen Trends bezüglich Teilzeitarbeit und Niedriglöhnen. Über welches Volumen und welche Art von Arbeitsplätzen reden wir hier überhaupt?

Sehen wir uns vor dem Hintergrund des „frauenpolitischen" Interesses der Veranstaltung zunächst einmal die geschlechtsspezifische Entwicklung der Teilzeitquoten an.

Bis heute ist Teilzeit in Deutschland – anders als in einigen anderen europäischen Ländern – weitgehend ein Frauenphänomen. Allein zwischen 1991 und 1997 hat es bei den sozialversicherungspflichtig erwerbstätigen Frauen ein Anwachsen der Teilzeitquote von 30,2 Prozent auf 35,4 Prozent gegeben, d.h. mehr als ein Drittel aller sozialversicherungspflichtig erwerbstätigen Frauen sind zur Zeit Teilzeitbeschäftigte (vgl. Tabelle 1). Allerdings existieren Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland. So liegt die entsprechende Quote in Ostdeutschland etwa bei 20%, in Westdeutschland dagegen bei rund 40%. Interessant ist aber, daß im Westen nur rund 4%, im Osten sogar

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weniger als 3% aller erwerbstätigen Männer Teilzeitbeschäftigte sind. Dies hat natürlich entsprechende Implikationen für die individuelle Einkommensverteilung.


Tabelle 1



Der Titel der heutigen Veranstaltung lenkt die Aufmerksamkeit auf diesen Zusammenhang zwischen Teilzeitbeschäftigung und niedrigen, nicht oder kaum existenzsichernden Einkommen. Allerdings ist festzuhalten, daß Niedrigeinkommen keineswegs auf Teilzeitbeschäftigungen beschränkt sind. Auch heute noch gibt es eine ganze Reihe von tariflichen Niedriglöhnen mit Stundenlöhnen um und unter 10,- DM. Hierzu gehören z.B. HilfsarbeiterInnen, Haushaltshilfen und ungelernte VerkäuferInnen. Eine ungelernte Bäckereiverkäuferin im Saarland erhält im ersten Tätigkeitsjahr einen tariflichen Stundenlohn von 10,04 DM, ein Hotelpage 10,14 DM (vgl. Tabelle 2). In diesen und ähnlichen Arbeitsbereichen wird auch bei Vollzeiterwerbstätigkeit nur ein Niedrigeinkommen erreicht, das kaum zur Armutsvermeidung ausreicht.

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Tabelle 2
Tätigkeiten mit niedriger tariflicher Grundvergütung - in ausgewählten Tarifbereichen und Vergütungsgruppen

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Die aufgezeigten Entwicklungen bzw. Tatbestände treten zumeist auch noch gleichzeitig auf: Gerade diejenigen Bereiche, in denen niedrige Tariflöhne zu finden sind, sind zugleich die, in denen häufig Frauen arbeiten und zugleich die, in denen der Anteil von Teilzeitbeschäftigten hoch ist, so daß es in diesem Fall noch zu besonders prekären Arbeitsverhältnissen kommt. Hier ist vor allem der Dienstleistungsbereich zu nennen; so gibt es im Handel zur Zeit rund 35 Prozent Teilzeitbeschäftigte, im Bereich Verkehr/Nachrichtenübermittlung etwa 33 Prozent. Die Fragen nach dem zukünftigen Umgang mit „geringfügiger Teilzeitbeschäftigung" wie auch mit Niedriglöhnen insgesamt sind insofern von erheblicher frauenpolitischer Relevanz - auch wenn die Geschlechterperspektive in den zur Zeit diskutierten Ansätzen zumeist ausgeblendet bleibt.

Die Schätzungen zur Gesamtzahl der Arbeitsverhältnisse im Niedriglohnbereich gehen auseinander. Nach den Daten der Lohn- und Gehaltsstrukturstatistik, auf die sich z.B. auch das später zu skizzierende „Mainzer Modell" bezieht, arbeiteten 1995 nur etwa 66.000 Beschäftigte in Arbeitsverhältnissen bis 1.400,- DM. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, daß die Lohn- und Gehaltsstrukturstatistik nur wesentliche Teile der Industrie abbildet, während Dienstleistungsbereiche, in denen Frauen und Niedriglöhne vergleichsweise stark vertreten sind, nicht erfaßt werden. Auch der öffentliche Dienst wird ausgespart. Die Lohn- und Gehaltsstrukturstatistik ist daher zur Erfassung
der Beschäftigung im Niedrigeinkommensbereich nicht ausreichend.

Berechnungen des WSI auf der Basis der IAB-Beschäftigtenstatistik, die Einkommen im Niedriglohnbereich u.E. wesentlich präziser erfaßt, haben gezeigt, daß sich 1995 allein die Zahl der ganzjährig Vollzeitbeschäftigten mit unter 1.500,- DM/Monat im Westen auf etwa 286.000 summierte, im Osten auf ca. 121.000, so daß sich schon hieraus eine Summe von ca. 400.000 Erwerbstätigen mit Niedriglöhnen ergibt. Dabei sind Teilzeitbeschäftigte noch nicht erfaßt.

Die Folgen für die soziale Sicherung dieser geringverdienenden Erwerbstätigen sind bekannt: da sich gerade unser deutsches Sozialleistungssystem stärker als nahezu jedes andere europäische System an der Performanz auf dem Arbeitsmarkt orientiert und zahlreiche Sozialleistungen die Dauer der Erwerbstätigkeit und die Höhe des Einkommens spiegeln, treten konsequenterweise gerade bei diesen Beschäftigten mit dem Risikoeintritt besondere Sicherungslücken zutage. Wird dies nicht durch abgeleitete, vor allem an die Ehe gebundene Sicherungsansprüche aufgefangen, ist der Rekurs auf die Sozialhilfe als letztes Sicherungsnetz häufig unvermeidlich.

Prämissen der aktuellen Diskussion

Nun dreht sich die aktuelle Diskussion weniger um die Situation und Probleme derjenigen, die bereits Arbeitsplätze im skizzierten Niedriglohnbereich haben, sondern um diejenigen, die dort neue Arbeitsplätze haben könnten. Es geht also vor allem um die Schaffung zusätzlicher Beschäftigung, um arbeitslose Personen, von denen man annimmt, daß andere Tätigkeiten für sie nicht in Frage kommen, überhaupt in Beschäftigung zu bringen.

Dahinter steht die wohl grundsätzlich als konsensual anzusehende These, daß eine Beschäftigung besser als keine Beschäftigung ist, und daß es zunächst mal darum gehen muß, Erwerbsmöglichkeiten zu schaffen, damit aus Nichterwerbstätigen Erwerbstätige werden. Es geht insofern darum, im Bereich niedrigqualifizierter und niedrigentlohnter Erwerbsarbeit neue Potentiale zu erschließen und Anreizstrukturen zu schaffen.

Es erscheint mir wichtig festzuhalten, daß die zur Zeit in diesem Feld geführten Diskussionen und die vorliegenden Vorschläge teilweise von sehr unterschiedlichen Prämissen ausgehen. Auf der einen Seite wird konstatiert, es gäbe eine unzureichende Arbeitsnachfrage von seiten der Arbeitgeber. Stichworte dieser Argumentationslinie sind z.B. die „Dienstleistungslücke", ein „Mangel an Niedriglohnarbeitsplätzen", „unzureichende Lohnspreizung" etc. Hier liegt die These zugrunde, daß Arbeit in Deutschland „zu teuer" sei. Da durch die Sozialleistungen der Lohn faktisch nach unten limitiert sei, so die Argumentation, könnten in diesem Bereich keine Arbeitsplätze entstehen.

Demgegenüber steht die Annahme, es handle sich primär um ein Problem des Arbeitsangebots. Diese Argumentationslinie basiert auf der These, daß gewisse Personengruppen, die Sozialleistungen - vor allem Sozialhilfe und Arbeitslosenleistungen - empfangen, erst gar nicht auf dem Arbeitsmarkt als Anbieter in Erscheinung treten, weil es sich für sie nicht lohne.

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Von diesen beiden Analyseansätzen abzugrenzen ist der Diskussionsstrang, bei dem es mehr um die Frage geht, wie Personen, die jetzt schon oder zukünftig in entsprechenden Niedriglohnarbeitsverhältnissen tätig sind, besser sozial abgesichert werden könnten. Die Frage nach einer existenzsichernden Absicherung kann auch in der Niedriglohndebatte als Prüfstein für alle Vorschläge gelten und sollte insofern bei allen Initiativen zum weiteren Ausbau von Niedriglohnarbeitsverhältnissen mitreflektiert werden.

Einige Vorschläge der aktuellen Diskussion

Welche Ansätze gibt es nun, diesen Bereich von Beschäftigung weiter zu fördern? Inzwischen ist die Fülle an Vorschlägen derartig groß, daß ich mich an dieser Stelle auf einige ausgewählte Modelle beschränken muß. Die Vorschläge unterscheiden sich z.B. im angestrebten Deckungsgrad der vorgeschlagenen Maßnahmen, sie unterscheiden sich im zeitlichen Horizont (befristet vs. unbefristet), oder auch darin, daß die Empfänger der vorgesehenen Unterstützungsleistungen differieren (Arbeitgeber, Arbeitnehmer oder direkt die Sozialversicherungen). Ich möchte an dieser Stelle ausgehen von den Vorschlägen, die im letzten Jahr von der Friedrich-Ebert-Stiftung selber bzw. durch die von ihr eingesetzte Zukunftskommission unterbreitet worden sind. [Vgl. Zukunftskommission der Friedrich-Ebert-Stif tung: Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, sozialer Zu sam menhalt, ökologische Nachhaltigkeit. Drei Ziele – ein Weg. Bonn 1998.]

Hier werden vor allem drei Modelle herausgestellt. Das erste, im Kommissionsband präferierte Modell ist das sogenannte Bürgergeld-Modell von Mitschke, das in den Diskussionszusammenhang einer „negativen Einkommensteuer" fällt. Die Kernidee einer negativen Einkommensteuer und auch des Bürgergeld-Modells ist es, den Einkommen- und Lohnsteuertarif um einen Negativbereich für auszuzahlende, steuerfinanzierte Sozialleistungen zu erweitern. Es erfolgt eine Verrechnung der Einkommensteuerschuld gegenüber dem Finanzamt mit möglichen Ansprüchen an Sozialleistungen, so daß in einem Durchgang entweder eine Steuerschuld oder ein Anspruch auf Auszahlung von Leistungen ermittelt wird.

Es wird allgemein davon ausgegangen, daß die Einführung einer negativen Einkommensteuer in Deutschland nur dann signifikante Auswirkungen auf das Arbeitsangebot im Niedrigeinkommensbereich hätte, wenn die sog. „Grenzentzugsraten", d.h. die marginale Reduktion von Sozialleistungen für hinzukommendes Erwerbseinkommen wesentlich niedriger angesetzt würden, als dies heute im Sozialhilferecht der Fall ist. Bei Beibehaltung der nahezu konfiskatorischen Besteuerung bzw. Kürzung von Sozialleistungen bei Aufnahme einer Erwerbstätigkeit - d.h. wenn Menschen einen Großteil des Einkommens, das sie neu erwirtschaften, sofort wieder weggenommen bekommen – ist nicht anzunehmen, daß der Übergang zu einer negativen Einkommensteuer nennenswerte Bewegungen im Segment einfacher Arbeit zur Folge haben würde. Zumeist wird deshalb von einer Absenkung der Transferentzugsrate auf etwa 50% ausgegangen, d.h. „nur" 50% des dazuverdienten Einkommens würden auf die Sozialhilfe angerechnet.

Der zweite Vorschlag des Kommissionsbandes bezieht sich auf Einkommenszuschüsse zu Löhnen, d.h. auf ein Kombilohn-Modell. Hier geht es darum, einen neuen Mindestlohn unterhalb der jetzigen Leichtlohntarife festzulegen, der dann aber durch lohnergänzende staatliche Zuschüsse soweit aufgestockt würde, daß das Nettoeinkommen über dem heutigen Sozialhilfesatz liegen würde. Dieser Zuschuß würde sich bei steigendem Einkommen kontinuierlich reduzieren. Ein Beispiel: Ein vom Arbeitgeber bezahlter Mindestmonatslohn von 900,- Mark würde für den Arbeitnehmer/die Arbeitnehmerin auf 1.300,- DM aufgestockt. Dabei ist an untere Einkommensgrenzen für die Förderung gedacht. Gefördert werden sollen Stundenlöhne etwa zwischen 7,- und 12,- DM. Auch dieses Konzept wird von der Zukunftskommission der FES in ihrem Bericht positiv bewertet. Als Vorteil dieses Konzepts wird vor allem herausgestellt, daß die Implementation keine grundsätzliche Änderung im System der sozialen Sicherung oder auch des Steuersystems erfordern würde.

Der dritte Vorschlag schließlich bezieht sich auf eine Ermäßigung der Sozialbeiträge für Niedrig-einkommensbezieher. Die Grundidee ist, die auf Arbeitsverhältnisse im Niedriglohnsektor entfallenden Sozialbeiträge bzw. einen mit steigendem Einkommen abnehmenden Anteil derselbigen über Steuern zu finanzieren. Dies entspräche einer Subventionierung mit degressivem Tarif, wobei Subventionen für Stundenlöhne im Spektrum von etwa 8,- bis 18,- DM vorgeschlagen werden.

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Auf die beiden erstgenannten Vorschläge möchte ich nur kurz kommentierend eingehen; da zur Zeit vor allem der letztgenannte Vorschlag – in unterschiedlichen Varianten – die Diskussion prägt, soll das Augenmerk im folgenden vor allem auf diesem liegen.

Was den Vorschlag eines Bürgergeldes oder einer negativen Einkommensteuer betrifft, so äußert die Zukunftskommission der FES die Überzeugung, dies sei aufkommensneutral oder zumindest ohne große Mehrausgaben zu finanzieren. Dies erfolgt mit Verweis auf Berechnungen, die allerdings bedauerlicherweise nicht näher dargestellt werden und sich insofern der Beurteilung entziehen. Alle mir bekannten Berechnungen [Exemplarisch sei auf neuere Arbeiten von Irene Becker/Richard Hauser, Bruno Kaltenborn, Werner Sesselmeier verwiesen.] zeigen statt dessen, daß die bestechende Idee eines Bürgergeldes bzw. einer negativen Einkommensteuer einen erheblichen finanziellen Mehraufwand nach sich ziehen würde, sofern man etwa an der Höhe der heutigen Sozialhilfe als garantiertem soziokulturellem Minimum festhalten möchte und zugleich das Arbeitsangebot bisheriger SozialhilfebezieherInnen durch eine mäßige Transferentzugsrate anzukurbeln versucht. „Billiger" wäre das Modell allerdings bei Einführung eines faktischen Arbeitszwangs durch deutliche Absenkung der Sozialhilfesätze – ähnlich wie z.B. in der amerikanischen Version des Earned Income Tax Credit – dies allerdings käme in Deutschland einem grundlegenden Systemwechsel in bezug auf Anspruch und Ziele sozialer Sicherung gleich.

Anders als im Falle des Bürgergeldmodells sind die Auffassungen bezüglich des zweiten Vorschlags der FES-Kommission, nämlich eines Kombilohns, bei dem die Arbeitgeber direkt einen herabgesetzten neuen Niedriglohn zahlen würden, der dann aus öffentlichen Mitteln aufzustocken wäre, prinzipiell gespalten. Während wiederholt entsprechende Vorschläge von der Arbeitgeberseite unterbreitet wurden, nehmen die Gewerkschaften eine weitgehend ablehnende Haltung ein, die sich aus der nicht von der Hand zu weisenden Befürchtung speist, daß durch den Ausbau von Kombilöhnen das gesamte Tarifgefüge ins Rutschen geraten und eine Niedriglohnspirale initiiert werden könnte. Unbeantwortet bleibt bei den entsprechenden Vorschlägen auch die Frage, was nach einem Auslaufen entsprechender Subventionen passieren würde. Das Mißtrauen resultiert z.T. auch aus einer gewissen Enttäuschung über die (schwachen) Auswirkungen der bereits im Rahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik eingesetzten, zielgruppenspezifischen Instrumente der Lohnsubvention. [Hiervon abzugrenzen ist die neoliberale Sichtweise, in der Kombilöhne gerade mit dem Argument abgelehnt werden, sie würden die konstatierte „Verzerrung" marktgerechter Entlohnung perpetuieren. ]

Nun aber zum dritten Komplex: Subventionierung von Sozialbeiträgen. Hier möchte ich vor allem zwei neuere Vorschläge diskutieren. Bei dem einen handelt es sich um das sogenannte „Mainzer Modell", das Ende 1998 von der SPD in Rheinland-Pfalz vorgestellt wurde. Zum zweiten handelt es sich um den Vorschlag von Fritz W. Scharpf,

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der bereits im Zukunftsband der Friedrich-Ebert-Stiftung vorgestellt wurde, inzwischen jedoch in einer aktuellen, überarbeiteten Fassung vom März 1999 vorliegt. Dieses Modell hat zur Zeit erheblichen Einfluß auf die allgemeine Diskussion.

Das „Mainzer Modell für Beschäftigung und Familienförderung"

Die Initiatoren dieses Modells sehen das Hauptproblem darin, daß im Rahmen des aktuellen So-zialleistungssystems eine Arbeitslosen- und Sozialhilfefalle Personen im Niedrigeinkommensbereich daran hindere, ihr Arbeitsangebot auszuweiten. Als zentral wird hier u.a. die unterschiedliche monetäre Bewertung von Familienlasten für SozialhilfebezieherInnen und sonstige (Niedrig-)EinkommensbezieherInnen angesehen. Hieraus folge, daß es z.B. für Alleinerziehende, aber auch bestimmte andere Gruppen mit Kindern kurzfristig ökonomisch rational sei, weiter Sozial- oder Arbeitslosenhilfe zu beziehen, statt sich um eine Erwerbstätigkeit zu bemühen.

Der Vorschlag – abgefaßt noch vor der inzwischen erfolgten Reform der 630,- DM-Jobs - lautet deshalb folgendermaßen: Für die bisher nicht sozialversicherten 630,- DM-Jobs sollten die Arbeitgeber, statt der bisherigen Pauschalsteuer, einen Beitrag in gleicher Höhe an die Gesetzliche Rentenversicherung zahlen; dies ist inzwischen durch das Splitten der neu eingeführten Beiträge auf Rentenversicherung (12%) und Krankenversicherung (10%) etwas anders geregelt worden. Daran scheitert aber der Vorschlag nicht grundsätzlich. Entscheidend ist, daß oberhalb der 630,- DM-Grenze die Arbeitnehmerbeiträge bzw. ein mit steigendem Einkommen degressiver Anteil derselbigen, durch Steuern finanziert werden sollen. Als Grenzwert, oberhalb dessen auch ArbeitnehmerInnen die vollen Sozialbeiträge zu zahlen hätten, schlagen die Autoren, in Abhängigkeit von der Steuerklasse, etwa 1.550,- Mark für Alleinstehende und 3.100,- für Verheiratete pro Monat vor.

Festzuhalten ist: Es geht hier nicht darum, die Arbeitgeberbeiträge, sondern lediglich die Arbeitnehmerbeiträge teilweise aus Steuermitteln zu übernehmen. Im Zentrum stehen Einkommenssituation und Arbeitsmotivation von Sozialhilfe- und Niedriglohnbeziehern. Ziel ist es, die bisherigen „Bruchstellen" zu eliminieren, die vor allem den Einkommensbereich oberhalb der subventionierten 630,- DM-Jobs unattraktiv gemacht haben. Solange das Überschreiten der Geringfügigkeitsgrenze zu einer empfindlichen Reduktion des Nettoeinkommens führte, war die stille Allianz von Arbeitgebern und Beschäftigten in bezug auf die Bemühungen, den Schwelleneffekten auszuweichen, mikroökonomisch (kurzfristig) rational - so kurzsichtig und verheerend sie aus Sicht der Sozialversicherungslogik auch war bzw. ist.

Der zweite Aspekt des Mainzer Modells ist eine Aufstockung des Kindergeldes für einkommensschwache Familien. Hier ist daran gedacht, bis zu 150,- Mark pro Kind zusätzlich zum eigentlich vorgesehenen Kindergeld zu zahlen, um eine Angleichung an die Sozialhilfesätze für Kinder herzustellen. Hierdurch soll für die Sozialhilfehaushalte die Schwelle, ab der eigenes Erwerbseinkommen „attraktiv" ist, herabgesenkt werden.

Die Ziele des Mainzer Modells sind mehr Beschäftigung, mehr soziale Gerechtigkeit, eine Eliminierung der Sprünge im System der Sozialversicherungsbeiträge sowie die Schaffung und Sicherung eines neuen Marktes für Teilzeitarbeit. Gleichzeitig verband sich zum Zeitpunkt der Vorstellung des Modells damit die Hoffnung, den Mißbrauch der 630,- Mark-Jobs eindämmen zu können. Dahinter stand und steht zudem die große Hoffnung der Kommunen, dauerhaft von Teilen ihrer wachsenden Sozialhilfezahlungen entlastet zu werden.

Schätzungen zu möglichen Beschäftigungswirkungen haben die Urheber des „Mainzer Modells" nicht vorgelegt. Ebenso fehlen detaillierte Prognosen zu den finanziellen Auswirkungen. Die Mehrausgaben für den Kindergeldzuschlag werden mit etwa 720 Millionen DM pro Jahr beziffert; insgesamt hoffen die Verantwortlichen jedoch sogar per Saldo auf Einsparungen im Sozialbudget. Ob dies realistisch ist, kann ohne weitergehende Berechnungen nicht abschließend beurteilt werden.

Die Subventionierung von Sozialbeiträgen nach Fritz W. Scharpf

Obwohl ebenfalls an der Subventionierung von Sozialbeiträgen ansetzend, unterscheidet sich der Vorschlag von Fritz W. Scharpf bei näherem Hinsehen beträchtlich vom Mainzer Modell. Im Zentrum steht wiederum der Vorschlag einer steuerfinanzierten Übernahme der Sozialbeiträge im Nied-

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riglohnbereich. Dabei sollen die Leistungsansprüche bzw. der soziale Schutz der entsprechenden ArbeitnehmerInnen im bisherigen Umfang gewahrt bleiben. Unterschiede zum Mainzer Modell ergeben sich jedoch bei der vorgeschlagenen Ausgestaltung; diese Unterschiede resultieren z.T. aus Differenzen bei der Ursachenanalyse und Zielrichtung. Vorgeschlagen wird eine vollständige steuerfinanzierte Übernahme der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge bis zu einem Schwellenwert, den Scharpf bei ca. 1.500,- DM/Monat ansiedelt. Für darüber hinausgehendes Einkommen ist ein degressiver Zuschuß zum Beitragstarif vorgesehen; erst oberhalb einer noch festzulegen-
den Einkommensgrenze zwischen ca. 2.500,- und 3.000,- DM hätten Arbeitgeber und Arbeitnehmer die vollen Beiträge entsprechend des aktuellen, linearen Tarifs zu entrichten. Um nicht hochbezahlte Teilzeitarbeit zu subventionieren, wird die Subventionierung des Stundenlohns vorgeschlagen; Teilzeitbeschäftigte würden insofern nur pro rata temporis gefördert. Anders als beim Mainzer Modell geht es hier also nicht um die Frage der (individuellen oder haushaltsbezogenen) Bedürftigkeit, sondern primär um die Absenkung der Lohnnebenkosten. Die Beitragssubventionen sollen flächendeckend, ohne personelle und zeitliche Beschränkung gewährt werden. In bezug auf die Zuschläge zum Kindergeld für einkommensschwache Familien wird auf die Vorschläge des Mainzer Modells verwiesen; dieser Aspekt scheint bei Scharpf allerdings nicht im Zentrum des Interesses zu stehen.

Der Vorschlag, Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichzeitig und gleichgewichtig durch die Übernahme der Sozialversicherungsbeiträge zu entlasten, beruht auf der Überzeugung, daß es sich sowohl um ein Arbeitsangebots- als auch ein Arbeitsnachfrageproblem handele. Für beide Seiten, Arbeitnehmer und Arbeitgeber, soll die Attraktivität von niedrigbezahlter Arbeit erhöht werden. Zugleich geht es um die Ermöglichung einer neuen Dienstleistungskultur. Die hohen Grenzwerte für die vorgesehene Subventionierung sowie die Forderung, auf jegliche Form von Programmbefristung sowie zielgruppenspezifische und regionale Einschränkungen zu verzichten, werden als Voraussetzung für einen grundlegenden Einstellungswandel gegenüber dem Niedriglohnbereich betrachtet. Gerade die bisherigen Beschränkungen der im BSHG vorgesehenen Subventionen auf Zielgruppen habe zu unbefriedigenden Ergebnissen geführt.

Auch Scharpf macht keine quantitativen Angaben über mögliche Beschäftigungswirkungen. Das müsse man einfach abwarten, so heißt es. Was die Kosten betrifft, so ziehen es die vollständige Subventionierung von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträgen sowie die hohen Grenzwerte für die Subventionierung nach sich, daß das erforderliche Subventionierungsvolumen in völlig andere Dimensionen vorstößt, als dies beim Mainzer Modell der Fall ist. Scharpf selbst bezifferte das Finanzvolumen im März in Anlehnung an erste SPD-Berechnungen auf der Basis des momentanen Beschäftigungsstandes auf ca. 15 Mrd. DM pro Jahr.

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Tabelle 3
Synopse der beiden Vorschläge zur Subventionierung der Sozialbeiträge

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Eine Diskussion der Konzepte

Ich will nun zur Diskussion und Bewertung der beiden vorgestellten Modelle kommen. Zunächst ist festzuhalten, daß die Vorschläge zur Subventionierung von Sozialbeiträgen grundsätzlich in den Gewerkschaften mehr Akzeptanz erfahren, als z.B. die Lohnsubventions- bzw. Kombilohnmodelle, die in den letzten Jahren u.a. von Arbeitgeberseite in die Diskussion gebracht worden sind. Ein wichtiger Aspekt ist hier natürlich die unmittelbare Erhöhung des verfügbaren Einkommens bei den Niedrigeinkommensbeziehern durch die partielle oder vollständige Übernahme der Sozialbeiträge. Im Scharpf-Modell tritt dieser Effekt für Arbeitgeber und Arbeitnehmer in gleicher Weise ein; diese beidseitige Entlastung spricht zunächst, zumindest, solange man die Frage nach Art und Inzidenz (Lastenverteilung) der Gegenfinanzierung nicht stellt, für eine gewisse Konsensfähigkeit des Vorschlags.

Als Pluspunkt ist von seiten der Gewerkschaften auch wiederholt der Umstand ins Feld geführt worden, daß eine Subventionierung der Sozialbeiträge ein anderes lohnpolitisches Signal setzt als eine Herabsetzung und anschließende Aufstockung der Löhne selbst. Bei aller berechtigter Kritik an der deutschen Trennung von Lohn- und Lohnnebenkosten: Werden Versicherungsbeiträge subventioniert, so wird das Tarifgefüge – anders als bei Kombilöhnen – nicht direkt angetastet. Die Gefahr einer Abwärtsspirale im Niedriglohnbereich wird insofern hier geringer eingeschätzt.

Was die vor allem im Mainzer Modell in den Mittelpunkt gestellten Anreizprobleme beim Übergang von der Sozialhilfe in eine niedrig entlohnte Erwerbstätigkeit angeht, so gibt es zwar unterschiedliche Einschätzungen bezüglich des Ausmaßes und des Gewichts der Probleme; daß aber vor allem die unterschiedliche Bewertung und Unterstützung von Kindererziehung überdacht und verbessert werden muß, dürfte kaum strittig sein.

Welche Gefahren und Probleme stehen diesen positiven Aspekten gegenüber?

Wenn auch die Frage nach den Kosten eines Vorschlags nicht immer an erster Stelle stehen und als „Totschlagargument" aller arbeitsmarkt- und so-zialpolitischen Debatten benutzt werden sollte: In diesem Fall wird man sie wohl kaum umgehen können. Allerdings unterscheiden sich das Mainzer Modell und der Vorschlag von Scharpf hier ganz erheblich, insofern der Finanzbedarf für das Scharpf-Modell um ein Vielfaches höher liegen würde als derjenige für das Mainzer Modell.

Die hohen Kosten des Scharpf-Vorschlags resultieren zum einen aus der Höhe der gewählten Subventionierungsgrenzen und der Berücksichtigung von sowohl Arbeitnehmer- als auch Arbeitgeberbeiträgen. Zum anderen ist das Modell deshalb so finanzintensiv, weil es auf sämtliche Befristungen und zielgruppenspezifische Einengungen verzichtet. Bevor ein einziger neuer Arbeitsplatz entsteht, würden alle Personen in schon bestehenden Niedriglohnbeschäftigungen Nutznießer dieses Modells sein. Aus sozialpolitischen Motiven kann eine solche Besserstellung von Niedrigeinkommensbeziehern durchaus als wünschenswert erscheinen. Verteilungspolitisch sind die zu erwartenden Ergebnisse allerdings skeptisch zu beurteilen: Insofern die Subventionen, anders als beim Mainzer Modell, unabhängig von Bedürftigkeitsprüfungen gewährt werden, andererseits Teilzeitbeschäftigte nur anteilig bezuschußt werden, kommen die Subventionen nicht unbedingt den bedürftigsten ArbeitnehmerInnen zu.

Nach überschlägigen Schätzungen des WSI auf der Basis der Beschäftigtenstichprobe des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit (IAB) würden allein für die heutigen Vollzeitbeschäftigten im Niedriglohnbereich Kosten von ca. 21 Mrd. DM pro Jahr entstehen. Hinzu kämen die Subventionen für die gemäß ihres Stundenlohnes zu subventionierenden Teilzeitbeschäftigten. Danach stellt sich erst die Frage, welche zusätzlichen Beschäftigungseffekte zu erreichen wären, und wie diese zu Buche schlagen würden. Bei einem Teil der Personen, die aus der Arbeitslosigkeit in ein neues Arbeitsverhältnis wechseln würden, wäre zweifellos mit Einsparungen im Bereich des Arbeitslosengeldes, der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe zu rechnen. Ob es damit zumindest bei den erhofften neuen Arbeitsplätzen zu einer Kostenkompensation kommen würde, kann nicht abschließend beurteilt werden. Erste Schätzungen kreisen um einen Finanzbedarf von insgesamt ca. 30 Mrd. DM pro Jahr bei der Realisierung des Vorschlags von Scharpf. Profunde Berechnungen mit unterschiedlichen Prämissen und Szenarien stehen allerdings bisher noch aus und sollten abgewartet werden. Zur Zeit ist u.a. das IAB mit entsprechenden Berechnungen beschäftigt. In jedem Fall wird die Frage zu be-

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antworten sein, ob es sich hier um die optimale Mittelverwendung handelt, oder ob – in Zeiten knapper Kassen – die noch verfügbaren Mittel auf anderem Wege besser eingesetzt werden könnten. Bei einer Abwägung der Vor- und Nachteile der diskutierten Modelle zur Beitragssubventionierung spielen neben dem erforderlichen Finanzvolumen auch die folgenden Überlegungen eine Rolle:

  • Es ist davon auszugehen, daß nicht unerhebliche Substitutionseffekte eintreten werden. Zwar sehen sowohl das Mainzer Modell als auch das Scharpf-Modell eine Glättung der bisherigen sozial- und steuerrechtlichen „Sprungstellen" im Niedrigeinkommensbereich vor. Welche Auswirkungen könnten entsprechende Änderungen nach sich ziehen?
    Bezüglich des Arbeitsangebots steht zu vermuten, daß die ArbeitnehmerInnen - bzw. die potentiellen ArbeitnehmerInnen - tatsächlich einen Anreiz erhalten, ihre Erwerbstätigkeit über das Niveau geringfügiger Beschäftigung hinaus auszudehnen. Für die Arbeit nachfragenden Arbeitgeber allerdings wird, zumindest im Scharpf-Modell, keinesfalls der Anreiz zur Aufsplittung von (Vollzeit-)Arbeitsplätzen beseitigt. Solange ein bestimmtes Segment von Arbeit bzw. Einkommen subventioniert wird, ist es für sie rational, ihre Nachfrage stärker auf dieses Segment zu verlagern. Der Unterschied zur gerade erst beseitigten Schieflage würde voraussichtlich darin liegen, daß sich im Falle der vorgeschlagenen Subventionierung die Massierung von Arbeitsplätzen von den 630,- DM-Jobs auf 1.500,- DM-Jobs verlagern würde. Das wäre mehr als ein „Zuverdienst", aber bei weitem noch kein existenzsicherndes Einkommen.
  • Auch mögliche Mitnahmeffekte sind zu bedenken. Dies betrifft nicht nur diejenigen, die jetzt schon in Niedriglohnarbeitsverhältnissen tätig sind und zukünftig NutznießerInnen der Unterstützung würden. Zu rechnen wäre auch damit, daß z.B. Selbständige ihre gesamten Familienmitglieder als mithelfende Familienangehörige melden würden und diese damit auf Kosten der Solidargemeinschaft in den vollen Genuß der sozialen Sicherung kämen. Die Frage ist, ob dies politisch gewollt sein kann.

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  • Schließlich ist zu betonen, daß das Niveau der sozialen Sicherung für die Beschäftigten
    in Niedriglohnarbeitsverhältnissen gegenüber dem Status quo nicht verbessert wird. Zwar würden ihre Beiträge nun (gegebenenfalls anteilig) aus Steuermitteln bezahlt, wodurch ihr verfügbares Nettoeinkommen ansteigen würde; eine Steigerung der gegebenenfalls z.B. bei Arbeitslosigkeit, Invalidität oder im Alter zu erwartenden Geldleistung wäre damit jedoch nicht verbunden. Gerade aus frauenpolitischer Sicht ging es bisher aber immer auch um das Anliegen, den sozialen Schutz dieser oft prekären Lebensformen zu sichern und zu verbessern. Gerade diese Gruppen sind es ja, bei denen sich die Lücken des bestehenden Systems im Falle des Risikoeintritts – Krankheit, Arbeitslosigkeit, Alter etc. – in der Vergangenheit immer wieder gezeigt haben. Hier setzt das Modell von Scharpf nicht an, und auch dies ist bei der oben gestellten Frage nach der optimalen Mittelverwendung zu berücksichtigen.

Zusammenfassend müßten zumindest bei dem Finanzvolumen, das für die Realisierung eines so umfassenden Subventionsmodells erforderlich wäre, wie es Scharpf vorgeschlagen hatte, folgende Fragen beantwortet werden: Welche Konsequenzen würden sich für den Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik und die gezielte Förderung bestimmter Problemgruppen – die Scharpf durchaus nicht für entbehrlich hält – ergeben? Wieviel Mittel müßten hier zusammengestrichen werden? Welcher Spielraum würde für Qualifizierungsmaßnahmen verbleiben und damit für den „alternativen" Ansatz, die Chancen Niedrigqualifizierter durch Weiterbildung zu verbessern anstatt sie dauerhaft auf einen Niedriglohnsektor festzulegen? Birgt die Fokussierung auf niedrigqualifizierte Arbeit nicht die Gefahr, die Entwicklung in innovativen, zukunftsträchtigeren Bereichen zu verpassen? Würde eine entsprechend massive Subventionierung von Niedriglöhnen u.U. sogar dazu führen, daß andere Ansprüche, mit denen die rot-grüne Regierung angetreten ist – z.B. Ansprüche auf eine steuerfinanzierte soziale Mindestsicherung, auf eine Sockelung von Leistungen in den Sozialversicherungen – bei einer solchen Prioritätensetzung im Niedriglohnbereich der Mittelkonkurrenz gänzlich zum Opfer fallen würden?

Eine seriöse Beantwortung dieser Fragen setzt zunächst einmal solide ökonometrische Schätzungen voraus. Dies schließt auch die zentrale Frage ein, mit wievielen neuen Arbeitsplätzen wohl zu rechnen sein würde. Ausschlaggebend sind hierfür u.a. die (Real-) Lohnelastizitäten der Arbeitsnachfrage und des Arbeitsangebots unterschiedlicher Personengruppen und Haushaltstypen. Erste Ergebnisse eines Gutachtens, das zur Zeit vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, Mannheim (ZEW ) im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung erstellt wird, sind eher ernüchternd. Den partialanalytischen Simulationen zufolge würden demzufolge bestenfalls wenige hunderttausend neue Arbeitsplätze geschaffen. Ein nicht unerheblicher Teil würde zudem aus der „Stillen Reserve" besetzt, ohne daß die Arbeitslosenzahlen sinken würden. Diese Schätzungen sprechen dafür, Beitragssubventionen – sollte sich für diese Reformvariante in der laufenden Diskussion tatsächlich ein mehrheitliches Interesse etablieren – zunächst einmal regional einzuführen und zu testen, ob sich die angepriesene Dienstleistungskultur und die erhofften Beschäftigungseffekte tatsächlich entwickeln, ehe man zu einer bundesweiten, unbefristeten Regelung greift. Im Falle des Mainzer Modells, das sehr sinnvolle Ansätze für den Übergangsbereich zwischen Sozialhilfe und Erwerbstätigkeit enthält, wäre der finanzielle Aufwand für die vorgesehene Beitragssubventionierung sehr viel überschaubarer. Kritisch zu hinterfragen ist hier allerdings die dem gesamten Vorschlag zugrundeliegende Annahme, daß das wesentliche Problem die „Arbeitsunwilligkeit" von Sozialhilfeempfängern sei. Unterschlagen wird dabei die miserable Lage auf dem Arbeitsmarkt, die durch ein großes Defizit an Arbeitsplätzen gekennzeichnet ist. Ein tatsächliches Motivationshemmnis in bezug auf die Aufnahme niedrig bezahlter (Teilzeit-)Tätigkeiten ist allerdings die Steuerklasse V, die auch nach der Neuregelung der geringfügigen Beschäftigung vielen Ehefrauen erwerbstätiger Männer aufgrund der konfiskatorischen Grenzsteuersätze kaum mehr als die Wahl zwischen Hausfrauendasein und 630,-DM-Job läßt. Ihre Abschaffung ist überfällig. Daß diese Forderung im Zusammenhang mit der Diskussion um fehlende Arbeitsanreize wenig Interesse und Unterstützung findet, dürfte darauf zurückzuführen sein, daß hiervon weder eine Vermehrung von Arbeitsplätzen noch eine nennenswerte Einsparung von Sozialhilfeausgaben zu erwarten wäre.

Welcher Vorschlag sich auch durchsetzen wird: In jedem Fall müssen Alternativmöglichkeiten und die hieraus resultierenden Opportunitätskosten stets

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mitbedacht werden. Bei den sinnvollen Alternativen ist durchaus auch an eine Weiterentwicklung und Optimierung bereits bestehender zielgruppenspezifischer Fördermaßnahmen im Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik zu denken. Mit einem Finanzvolumen, wie es z.B. eine flächendeckende Subventionierung von Niedriglöhnen erfordern würde, wäre alternativ auch einige Bewegung in die oft festgefahren wirkenden Arbeitsumverteilungsdebatten zu bringen. Zu erinnern ist an die nicht zuletzt aus frauenpoltischer Sicht formulierten Forderungen nach einer Unterstützung und besseren sozialpolitischen Abfederung „begründeter" Teilzeitarbeit, z.B. in Verbindung mit Kindererziehung, Pflege, Weiterbildung. Auch neue Modelle von „Jobrotation", wie sie z.B. in Dänemark seit einiger Zeit recht erfolgreich erprobt werden, erscheinen hier vielversprechend. Die bedrückende Lage auf dem Arbeitsmarkt drängt nach Reformen. Dies sollte uns aber nicht dazu verleiten, unser Blickfeld vorschnell einzuengen. Ich hoffe in diesem Sinne, daß auch die Debatte über niedrigqualifizierte und niedrigbezahlte Arbeit in der nächsten Zeit noch neue Impulse erhält.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 1999

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