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TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausg.: 250 ]


GERO VON RANDOW
TECHNOLOGIEPOLITIK - ÜBER DEN STANDORT HINAUS


Forscher und Ingenieure klagen über die Politik. Während die Selbstverwaltung der Wissenschaft via DFG eigentlich nicht schlecht funktioniere, häufen sich die Klagen darüber,

  • daß die staatliche Forschungsförderung zu stark auf die Anwendung orientiere und die Grundlagenforschung vernachlässige - insoweit gegenläufig zum aktuellen Trend in Japan
  • daß die Technologiepolitik, insonderheit die Energiepolitik eine Linie vermissen lasse. Wahl- und Parteitagszyklen, institutionelle und föderale Gewaltenteilung verhinderten eine Politik „aus einem Guß" und erlaubten eigenartige Phänomene wie den „ausstiegsorientierten Gesetzesvollzug" im Atomrecht.

Die Kritik greift zu kurz. Was der Politik fehlt, ist etwas, das gegenwärtig der Gesellschaft als ganzer nicht gegeben ist: Eine von der Mehrheit getragene Vision. Der Staat greift durch Wissenschaftspolitik, Forschungsförderung, Risikodistribution und Kontrollmechanismen (Genehmigungsverfahren, Rechtsschutz) in die Entwicklung der Technik ein, doch nicht aufgrund eines allgemein befolgten Wertekatalogs, eines Zielbaums, einer konsistenten Sicht der Dinge. Unter dieser Bedingung sind Partikularinteressen stark: Profitinteressen, das Interesse an medialen und politischen Karrieren, ideologische Interessen. Je nach Ausprägung des lokalen oder sektoralen Kräfteverhältnisses bestimmt dann das Arbeitsplatzargument oder die Technikangst, das allfällige Wort zum Standort oder der Wunsch nach der Null-Risiko-Gesellschaft das Geschehen.

Insoweit hat die Politik tatsächlich versagt. Langfristig angelegte Technikpolitik setzt Nachdenken über die Welt der nächsten Jahrzehnte voraus, und da die Aussichten nicht gerade optimistisch stimmen, tun sich die Parteien eher schwer damit, den Wählern reinen Wein einzuschenken: In der zukünftigen Welt wird eine zahlenmäßig verdoppelte Menschheit vorwiegend im Elend leben, und diejenigen, die sich aus dem Elend herauszuarbeiten vermögen, werden dies mit aggressiver Industrialisierung und wachsendem Energiehunger tun. Es wäre nationalborniert und zugleich eine folgenreiche Selbsttäuschung zu glauben, Technikpolitik für eine solche Welt müsse primär Standortsicherung oder die Umgestaltung der Bundesrepublik in eine Mischung aus Nationalpark und Luftkurort sein. Nein, sie wird einen Beitrag leisten müssen, um die Konflikte und Zwänge einer in Arm und Reich gespaltenen 12-Milliarden-Menschheit zu mildern. Technikpolitik muß Teil einer global orientierten Umwelt- und Entwicklungspolitik sein - im wohlverstandenen Eigeninteresse der reichen Länder. Standortpolitik und nationale Umweltschutzpolitik sind sinnvolle Elemente einer übergreifenden Technikpolitik, doch wenn es nicht gelingen sollte, den internationalen Problemen der Zukunft zu begegnen, dann wird nicht die Stunde der Standort- sondern der Sicherheitspolitik schlagen. Vorsichtig ausgedrückt.

Das also wäre zukunftsorientierte Technikpolitik: Bestandteil einer politischen Verabredung mit dem Ziel, die Bundesrepublik zu einem Land zu entwickeln, das Reichtum und Ideen abgibt, das Technik und Wissen den Bedürftigen zur Verfügung stellt und sich dabei

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selbst auf hohes technisches und kulturelles Niveau begibt. Sollte eine exportorientierte Marktwirtschaft dazu nicht in der Lage sein?

Konkreter hieße dies: Die Technikpolitik fördere rationelle und emissionsmindernde Energietechniken (Sparen, regenerative Energien, katastrophensichere Kerntechnik), konzentriere sich in der Gentechnik auf Medizin und Methoden der pestizidfreien Nahrungsmittelproduktion, treibe auch weiterhin Informatisierung, Automatisierung und Strukturtechniken voran (sie sparen oder mobilisieren geistige, stoffliche und energetische Ressourcen), fördere die Entwicklung neuer Werkstoffe, rationeller Stoffkreisläufe, umweltschonender Verfahren, qualitätssichernder Analyse- und Inspektionstechniken - alles das und vieles mehr; dies natürlich, aber wer muß es noch betonen, unter Offenlegung und Diskussion der Risiken, eingeschlossen der Risiken des Nichthandelns. Und im Wissen, daß die Technik nicht die Lösung der Probleme sein kann, sondern Werkzeuge bereit stellt, nicht mehr und nicht weniger. Eine zeitgemäße, den kommenden bösen Zeiten gemäße Technikpolitik funktioniert nur als Bestandteil eines übergeordneten politischen Konzepts oder, wenn man so will, einer geistigen, kulturellen Strömung, zu deren Zielen der Transfer von Wissen und Wohlergehen zählt. Mit anderen Worten: Technikpolitik muß mehr sein als das Ersinnen neuer Verfahren zur Konsensbildung. Wer heute über die Ethik der Technik nachdenkt, sollte nicht nur prozessuale sondern ebenso materielle Fragen im Blick haben: Welche Ziele sind ethisch?

Es war ja schon ein Fortschritt, daß schädigende Seiteneffekte der Technik („Technikfolgenabschätzung") zum Thema wurden, doch der entscheidende Sprung ist erst getan, wenn Politik aus der öffentlichen Diskussion der Grundsatzfrage entsteht: Welche Techniken wollen wir den kommenden Generationen überliefern, die in einem weitaus prekäreren Weltzustand als dem heutigen leben werden? Das wohlfeile Wort von der Technikpolitik als Zukunftsgestaltung bekommt erst so einen Sinn, der der Diskussion würdig ist.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 2001

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