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TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausg.: 239 ]


RALF FÜCKS
DAS PRINZIP VERANTWORTUNG GEGENÜBER DER ZUKUNFT IN DER FORSCHUNGS- UND STRUKTURPOLITIK


1. Vorbemerkung

Die Diskussion um die Zukunftstechnologien steht im Zusammenhang mit der seit ca. zwei Jahren in der Bundesrepublik geführten Standortdebatte. Diese Diskussion wird in jedem Konjunkturtief geführt. Die wesentlichen Argumente der Standortdebatte, die in einem Atemzug mit der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland genannt werden, sind folgende:

  1. Die Personalkosten seien zu hoch (die Lohnnebenkosten/die Lasten des Sozialstaates gingen zu Lasten der Wirtschaft).
  2. Die Innovationsfähigkeit, sprich die Technologiefreundlichkeit, in der Bundesrepublik müsse erhöht werden, Schule/Hochschule müßten technikfreundlicher ausbilden.
  3. Die Finanzierung von technologischen Innovationen durch den Staat soll erhöht werden.
  4. Die Institutionen dieser Gesellschaft, insbesondere die öffentliche Verwaltung, das Planungsrecht und die Genehmigungsverfahren, müßten reformiert werden, damit Unternehmen schneller am Weltmarkt reagieren können.
  5. Der Staat solle sich stärker aus dem Wirtschaftsprozeß zurückziehen.

So schreibt der BDI in einem neuen Thesenpapier „für eine strategische Technologiepolitik" im April 1994: Nur die Senkung der Kosten und ein Technologieschub könnten Arbeitsplätze retten, aus diesem Grunde müsse der Staat technologiefreundliche Rahmenbedingungen schaffen und die Finanzierung neuer Entwicklungen sicherstellen, indem er innovative öffentliche Beschaffung betreibt. Wobei der Staat nicht in Branchenstrukturen und Innovations- und Investitionsentscheidungen von Unternehmen eingreifen soll.

Der Staat soll als Moderator zur Förderung der technologischen Entwicklung auftreten. Es sollen die gesetzlichen Vorschriften z. B. in der Umwelt- und Gesundheitspolitik bereinigt werden, damit sich technologische Veränderungen schneller durchsetzen können. In einem Satz: Bahn frei für die Beschleunigung des technischen Wandels.

Für die Frage nach der gesellschaftlichen Verantwortung von Ingenieuren, Forschern, Managern und Technologiepolitikern bleibt da wenig Raum.

In den letzten Jahren hat es einen Trendwechsel gegeben. Eine grundlegende

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Skepsis gegenüber dem „technischen Fortschritt" artikuliert sich kaum noch. Die SPD hat Positionen geräumt. So treten technologiekritische Argumente in den Hintergrund (z. B. bei der Diskussion um die verkehrspolitisch unsinnige Magnetschwebebahn), auch Forderungen nach gesellschaftlichem Diskurs (Demokratisierung) über umstrittene technologische Entwicklungslinien (z. B. Gentechnologie) werden, wenn überhaupt, dann eher vorsichtig vertreten.

Die Erfahrungen der unreflektierten und technologiegläubigen Durchsetzung der Atompolitik in der Bundesrepublik geraten wieder in Vergessenheit. Auf ähnliche Weise wurden die Programme zur bemannten Raumfahrt politisch durchgesetzt, sie scheitern jetzt am Diktat der leeren Staatskassen.

2.
Ohne Zweifel hat die Bundesrepublik Defizite auf dem Feld der Produktionsorganisation und der technischen Innovation. Die vorliegenden Studien zum Niveau der Arbeitskosten (Prognos/DIW) in der Bundesrepublik kommen zu dem Ergebnis, daß sich die Lohnstückkosten im Vergleich zu konkurrierenden Nationen nicht nachteilig verändert haben. Es ist die Produktivitätsentwicklung, die zurückgeblieben ist. Und die bezieht sich zu ca. 60 % auf organisatorische und personalwirtschaftliche Faktoren. Das, was heute z. B. Daimler-Benz und VW mit viel öffentlicher Begleitmusik nachholen, haben Konzerne in Japan oder den USA bereits vor Jahren umgesetzt. Deren Gewinnschwelle liegt bei einer Auslastung von ca. 65 % und nicht wie bei VW vor einem Jahr bei 105%.

Die Bundesrepublik kann ihr Wohlstandsniveau nicht durch eine Niedriglohnstrategie sichern. „Unser" Taiwan beginnt heute hinter der Oder. Die industriellen Arbeitskräfte im Ostblock haben eine relativ hohe Qualifikation und die Lohnkosten betragen nur einen Bruchteil - bis zu 10 % - von denen der Bundesrepublik.

In den nächsten 20 Jahren wird sich die Altersstruktur in der Bundesrepublik völlig verändern. Die auf dem Generationenvertrag beruhende Altersversorgung kann nur gewährleistet werden, wenn ein wesentlicher Teil des Sozialproduktes eine hohe Wertschöpfung hat, um die Transfers zu finanzieren. Hohe Einkommen sind eine Voraussetzung zur Finanzierung des Sozialsystems. Das setzt eine beständig erneuerte hohe Arbeitsproduktivität und technische Innovationsfähigkeit voraus,

Wenn der Staat zur höheren Arbeitsproduktivität und technischen Innovationstätigkeit beitragen soll, müssen wir vor allem die bestehende Subventionspraxis durchforsten, die bisher allzuoft die falschen Weichenstellungen zementiert.

Zur Zeit wird wieder eine Subventionierung für eine Technologie durchgesetzt, die sogar der wissenschaftliche Beirat des Verkehrsministers für unsinnig hält. Ich spreche vom Transrapid. Dieses System steht in direkter Konkurrenz zum schienengebundenen Verkehr und ist nicht mit ihm kompatibel. Die streckenbezogenen Kosten sind erheblich höher und die Exportaussichten in Europa und die USA tendieren gegen Null,

Kurz und gut: Die Diskussion über die Standortkosten in der Bundesrepublik geht am Kern des Problems vorbei, denn die Lohn- und Lohnnebenkosten sind nicht das Zentrum des Problems. In Branchen der Zukunftstechnologien nehmen sie keine wesentliche Rolle ein. Eine bedeutende Rolle spielt dagegen die staatliche Forschungs- und Strukturpolitik.

Die Hälfte des Bruttosozialproduktes von ca. 3 000 Mrd. DM (1993) wurden direkt oder indirekt über den öffentlichen Sektor neu verteilt; davon ca. 100 Mrd. DM als di-

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rekte Unternehmenssubventionen; 50 % der mikroelektronischen Forschung finanziert der Staat. Diejenigen, die die Rolle des Staates darauf reduzieren wollen, günstige Rahmenbedingungen für privatwirtschaftliche Innovationen zu schaffen, verschließen die Augen vor den heutigen Marktbedingungen. Japans Konkurrenzsituation auf dem Weltmarkt ist ohne das MITI nicht zu erklären, die traditionelle Führungsposition der USA in bestimmten Bereichen der Mikroelektronik ohne den staatsfinanzierten militärisch-industriellen Komplex nicht zu verstehen. Die Führungsposition deutscher Unternehmen im Maschinenbau wäre ohne das breitgefächerte Spektrum ingenieurwissenschaftlicher Forschung und Ausbildung nicht möglich. Das weltweite Projekt neoliberaler Politik ist überholt. Das Ergebnis sind hohe Staatsschulden, eine Konkurrenz der Länder um Steuersenkungen für Unternehmen und eine verstärkte Spaltung der Gesellschaft in Arme und Reiche. Eine der Stärken des Standortes Deutschland ist der soziale Friede und das hohe Qualifikationsniveau der Arbeitnehmerinnen. Alles das ist ohne eine aktive staatliche Politik nicht möglich.

Allerdings muß diese aktive Politik neu definiert und umgesetzt werden. Die derzeitige Politik in Deutschland verschwendet riesige Ressourcen durch Bürokratisierung, Inflexibilität durch den versäumten Umbau des Sozialstaates, eine ineffektive Arbeitsmarkt- und Qualifikationspolitik und durch den verschleppten ökologischen Umbau der Industriegesellschaft. Eine erfolgreiche Therapie kann nicht nur in aktiver Technologiepolitik bestehen, sondern in einer umfassenden Modernisierung der gesellschaftlichen und industriellen Strukturen.

3.

  • Als eine Ursache der Strukturkrise der deutschen Wirtschaft habe ich bereits die mangelnde Innovationsfähigkeit genannt, die durch den langanhaltenden Aufschwung während der achtziger Jahre verdeckt wurde. Indizien dafür sind:
    • Die deutsche Wirtschaft hat nicht nur wesentliche Defizite bei der Kommerzialisierung ihrer Patentanmeldungen, sondern auch ein hohes Defizit gegenüber Japan und den USA bei den Patentanmeldungen im Bereich der Zukunftstechnologien.
    • Die deutsche Wirtschaft hat erhebliche Schwächen bei der Umsetzung neuer Organisationsformen in der Produktion, die hektischen Aktivitäten der Automobilindustrie sind Zeichen einer Aufholjagd.
    • Im Vergleich zu Japan ist der Strukturwandel hin zu High-Tech-Industrien nicht vollzogen.

  • Wir sollten die Ausführungen von Mancur Olson von „Aufstieg und Niedergang der Nation" aus dem Jahr 1982 neu lesen. Seine These der Sklerose der Institutionen ist in der Aufschwungsphase der Konjunktur nicht ernstgenommen worden.

    Unsere Institutionen, ob Gewerkschaft oder Industrieverband, oft beide zusammen wie in der Energiewirtschaft oder im Bergbau miteinander verwoben, bilden mit Teilen der Landes- und Bundespolitik und der Verwaltung eine unheilige konservative Allianz und verschleudern große Teile des Steueraufkommens. Diese Gelder fehlen dann, um eine sinnvolle Technologiepolitik zu finanzieren. In der Energiepolitik ist das besonders deutlich. Die notwendigen Effizienzrevolution bei der Produktion und Verwendung von Nutzenergie und der Übergang zur Solarenergiewirt-

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    schaft scheitern nicht an konzeptionellen Defiziten. Konzeptionen liegen vor und sie sind auch bekannt, spätestens nach den Ergebnissen der Kernenergieenquete 1980. So verhinderte bisher die Lobby der Energiewirtschaft, der Strukturkonservatismus der Industrie und die Inkonsequenz der Bonner Regierungskoalition eine CC2- und Primärenergie-Steuer als Triebkraft der überfälligen Energiewende.

    Der Umbau unseres Industriesystems in diesem Bereich scheitert nicht an fehlenden technischen Alternativen, sondern an verkalkten politischen und institutionellen Strukturen.

  • Man stelle sich vor, in den letzten 15 Jahren wären jährlich von den 10 Mrd. DM in den Bergbau 7 Mrd. DM für den ökologischen Umbau unseres Energiesystems eingesetzt worden. Damit hätte ein Mehrfaches an zukunftsträchtigen Arbeitsplätzen gesichert und zugleich der Energieverbrauch der Volkswirtschaft drastisch gesenkt werden können.

  • Wenn neue Technologien gefördert werden, sollten Kriterien der Reversibilität und das Versicherungsprinzip Grundlage des Einsatzes sein.
    Die Erfahrungen mit der Atomtechnologie sind für mich prägend. Keine der ursprünglich selbst definierten Ziele sind erreicht worden. Weder sind die atomaren Risiken beherrschbar, noch ist die Endlagerung geklärt. Keine Versicherung trägt das Risiko!
    Auch bei der weitgefächerten Anwendung der Gentechnologie sind diese Fragen zu stellen. Jens Reich hat kürzlich ein Glasnost für die gentechnologische Diskussion gefordert, also eine offene Diskussion über Risikopotentiale und ethische Grenzen der Manipulation an den Kernstrukturen des Lebens. Eine Zauberlehrlingsmentalität können wir angesichts der ungeheuren Reichweite unserer technologischen Eingriffe in die natürlichen Kreisläufe nicht verantworten. Risiken dürfen nicht vergesellschaftet oder in die Zukunft verlagert werden. Dieses „Prinzip Verantwortung" erfordert auch die „Internalisierung" ökologischer Folgekosten neuer Produkte und Technologien, um die Fehlallokation von Ressourcen zu vermeiden. Wenn der Benzinpreis auch nur annähernd die volkswirtschaftlichen Gesamtkosten des Autofahrens abbilden würde, hätte die Entwicklung der Verkehrstechnologien längst eine andere Richtung genommen.

4.
„Was grün ist, wächst", so eine Überschrift aus der ZEIT. Unbestritten, so die Ergebnisse von DIW und IAB, der Umweltsektor wächst. Der Umsatz, so der BDI, liegt mit 40 Mrd. DM nur wenig hinter der schrumpfenden Stahlbranche.

670000 Menschen sind im Umweltbereich tätig. Im Jahre 2000 sollen es 1 Mio. sein. Allein 6 % des Exports der Industrie werden im Umweltschutz erzielt, mit steigender Tendenz. Doch überwiegend sind dies end-of-pipe-Produkte. Der Dreck der Produktion wird gefiltert, geklärt oder stofflich umgewandelt.

Dem integrierten Umweltschutz, der an den oben genannten Zahlen nur 20 % Anteil hat, gehört die Zukunft. Das Fraunhofer-lnstitut für Innovationsforschung und Systemtechnik hat ausgerechnet, daß bei der Umsetzung der Ergebnisse der Enquetekommission zum Klimaschutz allein 400 000 neue Arbeitsplätze entstehen würden, wenn im Energiebereich die vorhandenen Erkenntnisse umgesetzt würden. Dazu gehören

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Energiesteuern, eine Wärmeschutzverordnung, die den Namen verdient, und eine Wärmenutzungsverordnung. Alles liegt in den Schubladen der Bonner Ministerien, nur umgesetzt wird nichts davon.

Zukunftstechnologien und gesellschaftliche Verantwortung dürfen keine Gegensätze sein, aber auch keine harmonischen Synonyme. Was „Zukunftstechnologien" im Sinne einer tragfähigen gesellschaftlichen Entwicklung sind, welche Techniken die Zukunft sichern helfen und welche sie verbauen, läßt sich nur in einem kritischen Selektionsprozeß ermitteln, Wir können einige elementare Kriterien für Zukunftstechnologien definieren:

z. B. rohstoff sparend, abfallarm, fehlerfreundlich, dezentralisierbar. Wir müssen ein Preis- und Steuersystem etablieren, das solche Zukunftstechnologien fördert und gegenläufige Entwicklungen bremst. Vor allem aber brauchen wir Reformen im Bildungswesen, in der Forschung, in Unternehmen und Politik, die das „Prinzip Verantwortung" gegenüber der Zukunft stärken. Dazu gehört u. a. eine wache, kritische Öffentlichkeit und der Mut, Entscheidungen an langfristigen Folgen statt bloß an kurzfristigen Vorteilen auszurichten.

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© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 2001

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