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TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausg.: 235 ]


CHRISTIAN LENZER
MIT FORSCHUNG UND INNOVATION ZUKUNFT GESTALTEN


Deutschland kann im globalen Wettbewerb nur erfolgreich sein, wenn es im High-Tech Bereich, speziell in den Schlüssel- und Schrittmachertechnologien weltweit eine Spitzenposition einnimmt. Moderne Technologien und Produkte sind deshalb für die Erhaltung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit unverzichtbar. Die Devise kann für Deutschland nur „Wachstum aus Intelligenz" heißen. Als rohstoffarmes Land sind die gut ausgebildeten Menschen, die klugen Köpfe die entscheidende Ressource.

Technik ist nicht um ihrer selbst willen da, sondern sie muß dem Menschen nutzen, muß seine Bedürfnisse aufgreifen und intelligent, d. h. ressourcensparend und umweltfreundlich befriedigen! Nur mit Forschung und Hochtechnologie werden wir die Herausforderungen der Zukunft bewältigen. So ist es z. B. eine wesentliche Zukunftsaufgabe, den Menschen ein gesundes Leben in einer gesunden Umwelt zu ermöglichen. Dabei geht es um die Besiegung von heute noch unheilbaren Krankheiten, wie Krebs und Aids, es geht aber auch um eine größtmögliche Gesundheitsvorsorge, gesunde Lebensmittel und eine saubere Umwelt sowie um eine umweltfreundliche Energieversorgung.

Ein weiteres Beispiel für eine solche Herausforderung ist das Thema „Mobilität" für unser dicht besiedeltes Land im Herzen Europas. Neben den intelligenten Lösungen im Verkehrsbereich gehören dazu im weiteren Sinne Entwicklungen im Kommunikations- und Informationsbereich (Datenautobahnen, Multimedia).

Der Schlüssel zur Bewältigung all dieser Aufgaben sind die Technologien des 21. Jahrhunderts (Bio/Gentechnologie, Informationstechnik/Mikroelektronik, neue Werkstoffe, Lasertechnik, Raumfahrt etc.), deren Erforschung und Anwendung in den nächsten Jahren deshalb höchste Priorität hat.

Es reicht nicht aus, isolierte Forschungsprojekte auf diesen Feldern zu fördern, wir brauchen ein konstruktives interdisziplinäres Zusammenwirken der einzelnen Bereiche, integrierte Problemlösungen und die schnelle und effiziente Umsetzung in marktfähige Produkte. Da, wo Deutschland stark ist, muß es seine Stärken weiter ausbauen, dort, wo Defizite sind, müssen diese beseitigt werden. Hierzu können strategische Allianzen ein hilfreiches Mittel sein.

Der strategische Dialog, den die Bundesregierung zwischen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft initiiert hat, ist ein Erfolgskonzept. Alle am Innovationsprozeß Beteiligten und Handelnden kommen über diesen Dialog frühzeitig - gerade das ist im internationalen Wettbewerb ganz entscheidend wichtig - in Kontakt. Wirtschaft, Wissenschaft und Staat können so - ohne interventionistische Technologiepolitik - ihre Kräfte bündeln, Zielsetzungen definieren und arbeitsteilig umsetzen.

Für die nächsten Jahre sind folgende Ziele vorrangig weiter zu verfolgen:

  1. Die deutsche Grundlagenforschung ist weiterhin auf hohem Niveau zu halten. Aus ihr resultierende Ansätze für mögliche Anwendungen müssen frühzeitig aufgegriffen werden. Herausragende Projekte zur Lösung konkreter Fragen und Aufgaben im Be-

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    reich der Schlüsseltechnologien sind besonders zu fördern. Dabei sollen die Anreize zu interdisziplinärer Arbeit vergrößert werden.

  2. Die Umstrukturierung und der Neuaufbau der institutionellen Forschung in den neuen Bundesländern ist qualitativ, quantitativ und strukturell gelungen. Der geglückte Übergang muß jetzt in eine konstante Entwicklung der Forschungsinfrastruktur einmünden, d. h. die Stärkung des Forschungs- und Technologiestandortes „Neue Bundesländer" hat weiterhin höchste Priorität. Dies gilt besonders für den Wiederaufbau der Forschung in der Industrie und die Steigerung ihrer technologischen Wettbewerbsfähigkeit. Der eingeschlagene Weg des Ausbaus der industrienahen Forschungsinfrastruktur, der erleichterten Gründung von Technologieunternehmen, der Personalförderung im Bereich der mittelständischen Forschung sowie der Erneuerung der Produkte ist weiter zu verfolgen.

  3. Das Investitionsklima ist konsequent zu verbessern. Nur so können sich Forschung und Technologie in der Wirtschaft entfalten. Die Fortführung der Unternehmenssteuerreform ist dafür vorrangig. Bei dieser muß das Steuersystem insgesamt innovations-fördernd ausgestaltet werden. Eine besondere steuerliche Forschungsförderung mit Sonderabschreibungen für Forschungsinvestitionen und Forschungspersonal ist erforderlich.

  4. Junge Technologieunternehmen und kleinere und mittlere Unternehmen mit überproportionalem Forschungs- und Entwicklungsaufwand brauchen mehr als günstige steuerliche Rahmenbedingungen. Neben zinsverbilligten Darlehen und Zuschüssen des Staates gilt es, vermehrt neue, möglichst private Finanzierungsquellen für Forschung und Entwicklung zu erschließen (Risikokapital). Investitionsfonds und Stiftungen sind geeignete Ansatzpunkte. Es sollten z. B. Vermögende und Erben mit Steuervergünstigungen ermutigt werden, Geld in risikoreichere Forschungsprojekte zu stekken. Es wäre auch zu überlegen, den Lebensversicherern zu erlauben, einen kleinen Teil ihres Kapitals (wenige Prozent) als Risikokapital einzusetzen. Ein weiterer Vorschlag könnte die Errichtung einer Börse für risikoreichere Papiere im Bereich forschungsintensiver Projekte sein. Zusammen mit den Banken müssen hier schnellstmöglich geeignete Strategien zur Bereitstellung von Risikokapital entwickelt werden. Es fehlen dafür allerdings ausreichende Maßstäbe zur Beurteilung von Forschungsprojekten. In diesem Zusammenhang muß mit einer Bewertung von Forschung in Deutschland begonnen werden.

  5. Wir brauchen weiterhin den Energiemix aus fossilen Brennstoffen, Kernenergie und erneuerbaren Energien und auch entsprechende Forschung in allen Bereichen. Die Weiterverarbeitung der Rohstoffe steht bei den fossilen Brennstoffen im Vordergrund. Die Ansätze im Bereich der erneuerbaren Energien sind auf den wirklichen Forschungsbedarf zu konzentrieren - Markteinführungsprogramme sind Aufgabe des Wirtschaftsministers. Die Kernenergieforschung soll nicht ganz eingestellt werden -der Staat muß das Wissen über die Technik, insbesondere im Sicherheitsbereich, behalten und ausbauen, Gleichwohl müssen die EVU's in Zukunft mehr Verantwortung für die Energieforschung übernehmen.

    [Seite der Druckausg.: 237 ]

  6. Das Thema militärische Forschung muß aufgearbeitet werden. Es ist zu prüfen, ob und inwieweit die faktische Trennung zwischen ziviler und militärischer Forschung beseitigt werden kann. Dies erscheint sinnvoll auch im Hinblick auf die anstehende Rüstungskonversion in weiten Teilen der bisher im militärischen Bereich agierenden Industrie. Dringend notwendig ist auch die Harmonisierung der Ausführbestimmungen in der Europäischen Union. Nur so kann Deutschland eine faire Chance im internationalen Wettbewerb bekommen, an gemeinsamen europäischen Projekten teilnehmen und international partnerschaftsfähig bleiben.

  7. Eine flexible, leistungsfähige Forschungsinfrastruktur in Deutschland zu gewährleisten, die die Forschungsfördermittel mit hoher Effizienz einsetzt, ist weiterhin ein prioritäres Ziel. Damit Deutschland seine Spitzenstellung im Bereich von Forschung, Technologie und Innovation erhalten und ausbauen kann, müssen alle Initiativen im privatwirtschaftlichen und im öffentlichen Bereich ineinandergreifen. Vorschläge dazu sind:
    • Die Forschungsförderung auf staatlicher Ebene ist konsequent zu koordinieren. Die einzelnen Bundesressorts müssen ihre Forschungsförderung stärker und frühzeitiger abstimmen. Gleiches gilt für Bund und Länder. Dem Bundesministerium für Forschung und Technologie kommt hier eine Koordinationsfunktion zu.
    • Die Grundfinanzierung von Forschungseinrichtungen sollte zugunsten der Projektförderung zurückgeführt werden, um mehr Spielraum für neue Aufgaben zu gewinnen.
    • Gleichzeitig sind die Vielzahl der Projekte und Projektträger vorrangig auf Projekte im Bereich der Schlüsseltechnologien zu konzentrieren.
    • Die staatliche Forschungsförderung ist bundesweit zu evaluieren. Doppelförderungen müssen in Zukunft vermieden werden. Es geht nicht um die Verminderung von Forschungseinrichtungen und/oder Personal, sondern um deren effizienten und wirkungsvollen Einsatz.
    • Die arbeitsrechtlichen Bedingungen bei den Forschungsinstituten sind zu prüfen und in Richtung größere Flexibilität zu ändern. Dies gilt vorrangig sowohl für die Mobilität innerhalb von staatlichen Forschungseinrichtungen als auch für den Wechsel in die Industrie.
    • Gerade bei den Großforschungseinrichtungen sind die Möglichkeiten von Ausgründungen auszuloten.
    • An der Finanzierung der Großforschungseinrichtungen müssen sich die Sitzländer, für deren Struktur diese Institute eine große Rolle spielen, stärker beteiligen.
    • Privates Kapital muß verstärkt in öffentliche Forschungseinrichtungen fließen.
    • Die Gründung von Forschungseinrichtungen auf Zeit ist zu ermöglichen. In diesen könnten Wissenschaft und Industrie gezielt auf die Erreichung eines konkreten und zeitlich befristeten Forschungziels hin zusammenarbeiten.

  8. Entbürokratisierung und Deregulierung sind Daueraufgaben staatlicher Forschungs- und Technologiepolitik. Geplante gesetzliche Bestimmungen und auch das Handeln der Verwaltung müssen auf innovationshemmende Konsequenzen hin untersucht

    [Seite der Druckausg.: 238 ]

    werden, um möglichst schon im Vorfeld Behinderungen von Innovationen zu vermeiden (Stichwort: Rechtsfolgenabschätzung).
    Es ist zu prüfen, wie Innovationshemmnisse in bestehenden Gesetzen ohne Rechts- und Sicherheitsverluste abgebaut werden können.
    Die Genehmigungspraxis der Behörden ist zu verbessern. Zuallererst gilt es, die Genehmigungsverfahren für Forschungsinvestitionen und technologische Pilotvorhaben zu beschleunigen. Zum Beispiel könnte eine verantwortliche Verwaltungsstelle die Koordination übernehmen (Genehmigungen aus einer Hand).

  9. Deutschland ist kein grundsätzlich technologiefeindliches Land. Oft gibt es aber Vorbehalte aus Unkenntnis. Als Grundlage für ein besseres naturwissenschaftliches und technisches Verständnis in Deutschland ist die Ausweitung des naturwissenschaftlichen Unterrichts an den Schulen anzustreben. Die Wissenschaftler selbst bleiben aufgerufen, ihre Forschung der Öffentlichkeit darzustellen und über ein besseres Technologiemarketing für mehr Verständnis und Interesse zu sorgen.
    Die Bedeutung der Technik als „Wohlstandslieferant" muß gesellschaftlich bewußter werden. Objektive Information seitens Wissenschaft und Politik sowie objektiver Transport dieser Information über die Medien sind eine wesentliche Voraussetzung dazu. Andernfalls ergeben sich aus Unwissen diffuse Technikangst und als Konsequenz davon Technikablehnung bzw. Technikfeindlichkeit.

  10. Angesichts der Herausforderung, auf den internationalen Märkten, z. B. den Wachstumsmärkten im südostasiatischen Raum, erfolgreich zu sein, müssen wir unsere Kräfte im technologischen Bereich in Europa bündeln. Doppelentwicklungen, wie der TGV in Frankreich und der ICE in Deutschland, sollten in Zukunft nicht mehr stattfinden. Wir brauchen in Europa eine konsequente Zusammenarbeit auf staatlicher wie auf privatwirtschaftlicher Ebene. Deutschland muß dabei bereits im Vorfeld von Projekten und Programmen seine technologischen und wirtschaftlichen Interessen verstärkt einbringen.
    Zudem muß die europäische Forschungsförderung effizienter und effektiver werden. Auch kleinere und mittlere Unternehmen müssen einen vereinfachten Zugang zu den Programmen bekommen. Dafür ist das Antragsverfahren einfacher und vor allem kostengünstiger zu gestalten.

  11. Unseren hochqualifizierten Nachwuchswissenschaftlern muß der Berufseinstieg erleichtert werden. Die Industrie bleibt aufgefordert, auch in Zeiten geringen Wirtschaftswachstums jungen Wissenschaftlern Arbeitsmöglichkeiten zu geben. Der Staat sollte dies mit Personalkostenzuschüssen unterstützen. Darüberhinaus sind Möglichkeiten der praxisorientierten Weiterqualifizierung anzubieten, die die Chancen der Hochschulabsolventen auf dem Arbeitsmarkt erhöhen.

In Forschung zu investieren heißt, in Zukunft zu investieren! Wir müssen die Chancen neuer Technologien nutzen, mögliche Risiken frühzeitig erkennen und beherrschen. Dabei kommt es entscheidend darauf an, daß die meist komplexen Zusammenhänge verstärkt in interdisziplinärer Zusammenarbeit angegangen werden, daß vernetzt gedacht und gehandelt wird - und zwar auf allen Ebenen, in Politik, in Wirtschaft, in Wissenschaft und untereinander -, und daß die Gesellschaft in den Dialog mit einbezogen wird.

[Seite der Druckausg.: 239 ]


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 2001

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