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TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausg.: 233 ]



PETER GLOTZ
TECHNOLOGIEPOLITIK UND GESELLSCHAFTLICHE BEDÜRFNISSE


  1. Die Fähigkeit zum Konsens und zur sozialen Innovation ist in einer technisch bestimmten Welt, in der sich das Lebensumfeld und die Arbeit in einem raschen Veränderungsprozeß befinden, überlebenswichtig für die Gesellschaft. Technologiepolitik für morgen muß eine Balance finden zwischen dem Angebotspotential aus Wissenschaft und Forschung und den tatsächlichen gesellschaftlichen Bedürfnissen. Eine so verstandene Politik treibt die technologische und ökologische Modernisierung unserer Volkswirtschaft voran, erhält bestehende und schafft neue Arbeitsplätze. Neben Chancen bedingt der technische Fortschritt aber auch die bekannten und künftig sicher neue Risiken. Wir brauchen beides: Eine rationale Technikbewertung mit der darauf abgestimmten Förderung und das Ernstnehmen der Sorgen der Menschen über den technischen Wandel mit einer entsprechenden Forschung zur Abschätzung von Technikfolgen.

  2. Hochtechnologiemärkte der Zukunft sind nicht vom grünen Tisch aus zu planen. Eine zeitgemäße Technologiepolitik muß sich von der unangemessenen Vorstellung verabschieden, der Staat könne jede technologische Entwicklung voraussehen und bis hin zu einzelnen Staatsinnovationen gezielt lenken. Genauso überholt ist aber auch die Vorstellung, der Staat könne sich mit der Rolle subsidiärer Forschungsförderung begnügen und die Steuerung der Technologie der Zukunft den anonymen Marktprozessen überlassen. Die Technologiepolitik am Beginn des 21. Jahrhunderts erfordert eine aktive Rolle des Staates als Moderator und Vermittler zwischen den gesellschaftlichen Akteuren (Unternehmen, Verbänden, Interessengruppen, Wissenschaft, Verbrauchern, Medien und Tarifparteien).

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  3. Alle einschlägigen Studien zur künftigen Technikentwicklung zeigen, daß die einst klar umrissenen Forschungs- und Technikgebiete ausfransen. Problemlösungen und neue Anwendungsfelder sind heute gerade da zu finden, wo sich Fachgebiete überschneiden. Der Mathematiker arbeitet zusammen mit dem Evolutionsbiologen an Strömungsmodellen für neue Flugzeugturbinen. Dieser Trend wird sich verstärken. Kombi- oder Mix-Technologien beherrschen die Entwicklungslabors von morgen. Hier hat der Staat als Förderer der interdisziplinären und transdisziplinären Zusammenarbeit und bei der Einrichtung von Querschnittsdisziplinen an Universitäten, Hochschulen und Forschungsinstitutionen eine entscheidende Aufgabe. Für die Problemlösungen von morgen müssen wir ein breites Podium für fachübergreifende Sichtweisen entwickeln.

  4. Eine interessenkoordinierende, langfristig angelegte Forschungs- und Technologiepolitik muß den Strukturwandel unterstützen und für umweltverträgliches Wachstum sorgen. Ein zukunftsorientierter Industriebegriff schließt dabei technische Dienstleistungen mit ein. Informationsgeprägte Tätigkeiten und Unternehmen folgen heute nicht mehr den klassischen Einteilungen der Wirtschaftssektoren und dominieren zunehmend den Arbeitsmarkt. Wichtiger Impulsgeber ist hierbei die Modernisierung von Aus- und Weiterbildung und eine Politik, die die gesamte Innovationskette einbezieht, den Transfer von Forschungsergebnissen in neue Produkte und Dienstleistungen aktiv unterstützt, neben Großunternehmen gleichgewichtig kleine und mittlere Unternehmen einbezieht und Unternehmensneugründungen fördert.

  5. Es muß eine Hauptaufgabe von Wirtschaft und Staat werden, eine neue Gründerwelle in Gang zu setzen. Hierzu gehören der Aufbau einer attraktiven Finanzstruktur zur Mobilisierung privaten Kapitals, die steuerliche Förderung von Risikokapital und die Entbürokratisierung von Genehmigungsverfahren in Forschung, Entwicklung und Produktion. Der Staat verfügt mit der öffentlichen Nachfrage über ein großes, in Deutschland bislang für die Technologiepolitik jedoch nur unzulänglich genutztes Potential. Zum industriepolitischen Dialog gehört daher auch die Frage, wie die öffentliche Hand, im Einklang mit den bestehenden internationalen Rahmenbedingungen, als kompetenter Nachfrager auftreten kann, um erfolgreich Innovationen anzustoßen.

© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 2001

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