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TEILDOKUMENT:
[Seite der Druckausg.: 210 ] UWE FAUST
1. Einleitung In meinem Beitrag werde ich mich mit der Definition des Begriffes Medizintechnik auseinandersetzen und darauf folgend die Breite des Arbeitsgebietes aufzeigen. An drei Beispielen werde ich dann aktuelle Forschungsthemen behandeln und sodann auf Strukturen und deren Defizite eingehen und versuchen, daraus den Handlungsbedarf im politischen Raum abzuleiten. Abbildung 1: Medizintechnik
[Seite der Druckausg.: 211 ] Abbildung 2: Biomedizinische Technik
Nach meiner Meinung, und ich weiß mich darin einig mit der meiner Fachkollegen, ist der Begriff Medizintechnik zu eng gewählt. Es sollte an dessen Stelle Biomedizinische Technik verwendet werden, ein Kunstwort, welches bei der Übersetzung des ursprünglichen Begriffes Biomedical Engineering entstanden ist. Es handelt sich also um eine Ingenieurtätigkeit, deren Resultate Anwendung in der Biomedizin finden. Das Wort Biomedizin wird zum Teil heute als eigenständiger Begriff benutzt und zeigt dabei noch unscharfe Konturen. Während die Anstrengungen in der Human- und Veterinärmedizin darauf gerichtet sind, krankhafte Zustände bei Mensch und Tier zu beheben oder zumindest zu lindern, weist die Verbindung zum Bios darauf hin, daß auch grundlegende Lebensprozesse, die möglicherweise zukünftig Einfluß auf das medizinische Handeln nehmen, Gegenstand der Betrachtung sind. Die Technik, gründend auf den naturwissenschaftlichen Disziplinen Physik und Chemie, stellt Methoden, Verfahren, Werkstoffe, Instrumente, Geräte und Maschinen zur Verfügung und setzt diese ein mit dem Ziel, die Grenzen der menschlichen Fähigkeit unter Ausnutzung der Naturgesetze zu erweitern. Drei Phasen sind auszumachen. Die erste befaßt sich mit der Umwandlung von Energie oder Erzeugung derselben aus primären Energieträgern. In der Biomedizinischen Technik werden diese Kenntnisse ausgenutzt z. B. beim Einsatz von Pumpen in künstlichen Organen, bei der künstlichen Beatmung und für Krankenfahrstühle. Ohne die zweite Phase, die Entwicklung von Meßwerkzeugen oder Sensoren, die daneben eine große eigenständige Bedeutung hat, wäre der ersten Phase nicht der Erfolg beschieden, welcher erreicht wurde. Hier sind die Messungen der verschiedensten Parameter zu nennen, welche die Funktion der lebenden Zelle, des Gewebes, des Organs oder des Organismus kennzeichnen und beeinflussen. Dazu zählen die Erfassung der chemischen Komponenten und der physikalischen Zustandsgrößen im lebenden Organismus und deren bildhafte Darstellung. Als dritte Phase der Entwicklung ist die technische Informationsverarbeitung zu nennen. Ohne diese wäre eine sinnvolle Interpretation der mit Hilfe von Sensoren gewonnenen Meßdaten, die in großer Anzahl anfallen, kaum noch möglich. Moderne bildgebende Verfahren setzen den Einsatz von informationsverarbeitenden Maschinen voraus. [Seite der Druckausg.: 212 ]
[Seite der Druckausg.: 213 ] Abbildung 4: These zur Technik in der Medizin
Die Entwicklung der Biomedizinischen Technik wird aus technischer Sicht durch die klassischen Disziplinen des Maschinenbaus getragen, einschließlich der Materialwissenschaften und der Elektrotechnik, der Meßtechnik sowie der moderneren Disziplinen, Verfahrens-, Regelungs- und Informationstechnik. Die entscheidenden Fortschritte in der Medizin wurden in den vergangenen 20 Jahren durch den Einsatz der Technik erzielt. Offensichtlich wird dieses an den Beispielen Bildgebung und -Verarbeitung, klinisch-chemische Analysentechnik, Endoprothetik sowie Organ- bzw. Funktionsersatz und -Funktionsunterstützung. Nach Hütten (1991) wurden bei einer Umfrage Anfang der 80er Jahre von medizinischen Experten die wichtigsten medizinischen Fortschritte innerhalb der letzten 20 Jahre durch folgende Entwicklungen wie folgt angegeben:
Dazu möchte ich folgende Ergänzungen machen:
Insgesamt kann festgestellt werden, daß die medizintechnische Ausstattung deutscher Krankenhäuser einem internationalen Vergleich durchaus standhält und daß die deutsche medizintechnische Industrie über die Hälfte des Produktionsvolumens exportiert. Anderer- [Seite der Druckausg.: 214 ] seits aber zählt die medizintechnische Forschung in Deutschland nicht zu den Schwerpunkten der Förderung durch öffentliche Geldgeber. 2. Entwicklung Wie in anderen Gebieten der Technik sind auch in der Biomedizinischen Technik zwei Entwicklungsrichtungen (vgl. IEEE 1993) erkennbar: die Minituarisierung und die Systemintegration. Zur ersten gehören sowohl die minimalinvasiven Behandlungsmethoden als auch die sogenannte Nano-Technologie". Minimalinvasive Untersuchungs- und Behandlungsmethoden sind nicht neu. Mit Spekulum oder Endoskop, versehen mit Instrumentenkanal, werden Eingriffe in Körperhöhlen durch natürliche Öffnungen schon seit über 100 Jahren vorgenommen. Die Anwendungsbreite hat sich in den letzten Jahren erheblich ausgedehnt. Ein erster Schritt in diese Richtung war die Gefäßdilatation mit Ballonkathetern. Der Eingriff erfolgt nun nicht mehr durch natürliche Körperhöhlen, sondern durch kleine Inzisuren. Erweitert wird der Methodenvorrat durch Laser- und Hochfrequenzsonden und die Diagnostik durch die intravasale Ultraschall-Katheteruntersuchung. Operationen im Bauchraum und an Gelenken werden zunehmend unter endoskopischer Kontrolle durchgeführt. Aber auch für Eingriffe am Gehirn werden vergleichbare Methoden eingesetzt. Voraussetzung für einen Erfolg war die Bereitstellung der entsprechenden Technik. Diese Entwicklung ist in vollem Gange und wird über die nächsten Jahre anhalten. Abbildung 5: Forschungsgegenstand
Die Nano-Technologie erstreckt sich sowohl auf den medizinischen Ansatz als auch auf den Einsatz der Mikrosystemtechnik in der Medizin. Die medizinische Grundlagenforschung befaßt sich vermehrt mit dem Verständnis der Krankheit auf zellulärer Ebene unter Einschluß der Biochemie. Auch hier hat die Technik Methoden bereitzustellen, welche die Forschung unterstützen und möglicherweise in Zukunft neue Behandlungsmethoden erlauben. Im anglo-amerikanischen Schrifttum ist diese Technik unter dem Begriff Cellular Engineering zusammengefaßt. In diesen Bereich gehört auch das grundlegende Wissen von der Wechselwirkung zwischen Fremdkörper und Zelle und in diesem speziellen Falle [Seite der Druckausg.: 215 ] Abbildung 6: Informationsverarbeitung
eines Materials, welches als Implantat verwendet werden soll zum dauerhaften Verbleib im Körper bzw. welches unter Beibehaltung seiner Eigenschaften für eine bestimmte Zeit anschließend vom Körper abgebaut und ohne Schädigung desselben resorbiert wird. Desweiteren gehören hierher Forschungen, die sich mit der gezielten Besiedelung mit Zellen von körperfremdem Material befassen. Dieses dient einerseits der Verbesserung der Körperverträglichkeit oder zur Herstellung biohybrider Organe. Darunter versteht man z. B. die Herstellung einer künstlichen Bauchspeicheldrüse, in welcher Inselzellen auf einer Kunststoffmembran angesiedelt sind und nach Implantation in den Körper ihre natürliche Funktion wahrnehmen können. Von der Mikrosystemtechnik werden andere Impulse erwartet. Die Sensortechnik ist hier an erster Stelle zu nennen. Eine verbesserte biochemische Diagnostik soll dazu führen, Krankheiten frühzeitig und mit großer Treffsicherheit, d. h. Kosten sparend, zu erkennen. Eine Kombination eines solchen Sensors mit Enzymen oder Zellen führt zum Biosensor, dem große Bedeutung beigemessen wird. Miniaturisierte Antriebstechnik und Rückmeldungen, d. h. Meßtechnik, sind für die Verbesserung der mikrochirurgischen Technik erforderlich. Auf allen diesen Gebieten wird ein großes Entwicklungspotential gesehen. Die Systemintegration hat ihre Wurzeln in der Intensivüberwachung Schwerkranker, die vor etwa 40 Jahren begann. Mehrere Körperfunktionen wurden simultan gemessen und konnten auf einem Oszillographen oder Registriergerät gleichzeitig ausgegeben werden. Die Anzahl der erfaßbaren Meßgrößen stieg in den darauffolgenden Jahren, was dazu führte, daß vor etwa 20 Jahren eine Zusammenfassung der Daten und deren Präsentation mit Hilfe von Rechnern erfolgte. Eine Parameterextraktion mit nachfolgender Datenverdichtung gelang damals noch nicht. Die Intensivüberwachung, zunächst nur am Krankenbett durchgeführt, wurde bald darauf auch für die Dauer der Operation sowie bei der Narkoseein- und Narkoseausleitung vorgenommen. Die Zusammenfassung relevanter biologischer Parameter und die von Narkosegeräten, Beatmungsmaschinen und Infusoren zu einem Gesamtsystem und zur Kontrolle der Geräte ist gegenwärtig nur teilweise realisiert und noch Forschungsgegenstand. Die Kontrolle von mikroinvasiven Eingriffen über Positionsmelder und andere Meßverfahren und deren Kombination mit der dreidimensionalen Rekonstruktion von Körperabschnitten oder Organen aus bildgebenden Verfahren ist ein weiteres Einsatzgebiet. Auch [Seite der Druckausg.: 216 ] hier werden zukünftig große Fortschritte durch das Zusammenwirken von Ärzten und Ingenieuren erwartet. Ein weiteres Gebiet, nicht so spektakulär wie die früheren, dennoch von großer Bedeutung, ist die häusliche Pflege. Dieses Konzept ist deshalb von großer Bedeutung, weil diese nicht so kostenintensiv ist wie die im Krankenhaus und weil der Patient länger in der häuslichen Umgebung in familiärer Atmosphäre verbleiben kann. Es ist wichtig, daß die Ingenieure diese Aufgabe annehmen und die adäquate Technik dafür entwickeln. Dieses ist keine Frage, ob dafür eine hohe oder eine niedrige Technologie einzusetzen ist, sondern vielmehr, ob es sich dabei um eine an die Bedürfnisse des einzelnen Patienten angepaßte Technologie handelt. An drei Beispielen sei etwas tiefer in die aktuelle Forschung eingeführt: Biomaterialien (vgl. Thule 1994) sind solche, die eine Körperfunktion substituieren. Nicht hinzu gerechnet werden Materialien, die als Schutzhüllen z. B. für elektronische Implantate in den Körper eingebracht werden und ebenfalls dort dauerhaft verbleiben. An solche Materialien sind Anforderungen bezüglich ihrer mechanischen Festigkeit, ihrer Korrosions-, Degradations-, Auslaug-, Abrieb- und Verschleißfestigkeit sowie ihrer Verarbeitbarkeit und Sterilisierbarkeit zu stellen. Dieser Forderung zumindest gleichgestellt ist die nach Bioverträglichkeit. Sie ist von besonderer Bedeutung für Dauer- und Langzeitimplantate. Eingesetzt werden diese u. a. als künstliche Gelenke, Wirbelknochen, Bandscheiben, Gefäße, Sehnen und Bänder. Sie befinden sich im Kontakt mit der Körperflüssigkeit, d. h. Elektrolyten, Proteinen, organischen Säuren, Blutzellen oder anderen Zellen und Geweben. Neben Thrombenbildung kommt es zu anderen Abwehrreaktionen, z. B. wandern neutrophile Granulocyten an den Implantationsort und leiten ganze Wirkungskaskaden ein, die im einzelnen bisher nicht abgeklärt werden konnten. Es kommt zum Ladungstransport zwischen Proteinen und der Oberfläche des Implantats, zur Konformationsänderung von Proteinen im elektrischen Feld des Implantats, zur Abscheidung von Stoffen auf der Oberfläche des Implantats usw. Durch die Modifizierung von körpereigenen Proteinen, die dann als Fremdproteine erkannt werden, kann die Antigen-Antikörper-Reaktion ausgelöst werden. Konstruktive Gesichtspunkte spielen eine Rolle, so z. B. die Lastverteilung zwischen Implantat und Knochen oder die Ausbildung von Totwasserzonen an Herzklappen, die eine Adhäsion von Trombozyten zur Folge hat, Weiterhin ist die Rauhtiefe der Oberfläche von Bedeutung, die verglichen mit dem Moleküldurchmesser gering sein sollte, um die Adsorption von Proteinen zu verhindern. Die Bedingung, der mechanischen Belastung im Körper standzuhalten, ist relativ einfach zu erfüllen. Eingesetzt werden Metalle und Kunststoffe mit und ohne Verstärkung. Die schwierige Aufgabe besteht darin, Oberflächenreaktionen des Implantates mit der Umgebung zu verhindern oder gezielt hervorzurufen. Die gleichzeitige Erfüllung beider Forderungen mit dem gleichen Material ist nur schwer möglich. Man modifiziert deshalb häufig die Oberfläche durch eine Beschichtung, die allerdings auch, aber unkontrolliert, erfolgt, sobald das Implantat in das Körpermilieu eingebracht wird. Die Eigenschaften der künstlich aufgebrachten Oberfläche soll die Kommunikation zwischen der Werkstoffoberfläche einerseits und der extrazellulären Flüssigkeit, den Zellen und Geweben andererseits unter- [Seite der Druckausg.: 217 ] Abbildung 7: Biomaterialien
binden. Das Verständnis dieses Prozesses ist noch relativ unvollständig, man ist deshalb auf eine Vielzahl von Experimenten angewiesen, die allerdings nur zu empirischen Ergebnissen führen. Die Vorhersagbarkeit von Eigenschaften bezüglich der biologischen Verträglichkeit ist erwünscht. Einfluß darauf nehmen die Rauhigkeit der Oberfläche, deren elektronische Struktur und die im Elektrolyten, die Oberflächenenergie und der Elektronenaustausch zwischen Festkörper und biologischer Umgebung sowie die elektrischen Felder, welche auf die Struktur der Proteine einwirken, verbunden mit einer Veränderung ihres Reaktionsverhaltens. Diese Oberflächeneigenschaften müssen darüber hinaus mechanisch stabil sein, und zwar im submikroskopischen Bereich, damit sie ihre Eigenschaften bei Relativbewegungen zwischen Körper und Implantat nicht ändern. Grundlagenforschung in interdisziplinären Forschergruppen, langfristig angelegt, ist erforderlich, um schließlich zu Materialien zu gelangen, die durch technische Gestaltung ihre Funktion im Organismus dauerhaft erfüllen können. Unter biohybriden Organen (vgl. Planck 1993) versteht man die dauerhafte Verbindung von körpereigenen oder fremden bzw. tierischen Zellen mit einem körperfremden Trägermaterial. Im Gegensatz der zuvor besprochenen Eigenschaften von Biomaterialien ist hier die Besiedelung das Ziel der Forschung, wobei die Zellen zumindest teilweise ihre Zellfunktionen beibehalten sollen, um die zuvor geschilderten Körperreaktionen zu verhindern. Die verwendeten Trägermaterialien sind Polymere. Unter biohybriden Organen im engeren Sinne sollen solche verstanden werden, bei welchen die Zellen die Funktion des zu ersetzenden Organs weiterhin ausüben. Sie sind Träger der Stoffwechselfunktionen, wie z. B. der Leber und der Bauchspeicheldrüse. Bei temporärem Einsatz kann solch ein [Seite der Druckausg.: 218 ] biohybrides Organ extrakorporal eingesetzt und durch Schläuche mit dem Körper verbunden werden. Dieses ist erst ein erster Schritt der Entwicklung. Bei Langzeitimplantaten sind höhere Maßstäbe zu setzen. Abbildung 8: Biohybrider Organersatz
Es hat sich gezeigt, daß für die Zellbesiedelung die Oberflächen nicht glatt sein dürfen, regelmäßige oder unregelmäßige Strukturen begünstigen das Anhaften der Zellen. Die Beschichtung mit Proteinen wirkt sich vorteilhaft aus. Der körperfremde Träger, eine Membran, muß permeabel sein, damit die Zellen mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt werden und sie ihre Stoffwechselprodukte an den Körper abgeben können. Die Verwendung körpereigener Zellen ist vorteilhaft, da keine Immunabwehr erfolgt, jedoch ist die Verfügbarkeit nicht beliebig gegeben. Eine der zur Lösung anstehenden Aufgaben besteht daher in der In-vitro-Vermehrung von körpereigenen Zellen, die dabei keine Veränderung erfahren dürfen. Zur Versorgung des implantierten biohybriden Organs muß der Körper ein neues System von Blutkapillaren ausbilden, welches das Organ umschließt. Große Oberflächen, d. h. kleine Diffusionswege, sind notwendig. Auf der Oberfläche dürfen keine Ablagerungen erfolgen und das Organ darf nicht durch Bindegewebe eingekapselt werden, da anderenfalls der freie Transport von Nährstoffen in das Organ hinein und von Stoffwechselprodukten aus dem Organ heraus behindert wäre. Von besonderem Interesse ist die Entwicklung eines biohybriden Pankreas, da einerseits die Anzahl der insulinpflichtigen Diabetiker zunimmt und es andererseits bisher nicht gelungen ist, eine langzeitstabile geregelte Dosiereinrichtung für Insulin herzustellen, und zwar im wesentlichen deshalb, weil kein geeigneter Sensor zur Verfügung steht. Für das biohybride Organ werden die Langerhansschen Inseln in eine Membranhülle eingebracht. Die Forderung nach einer großen Oberfläche wird dadurch erfüllt, daß die Hülle als Kapillare ausgebildet wird und einen Durchmesser hat, der dem der Inselzellen entspricht. Eine Reihe von Fragen ist zu lösen: wie kann die Ausbildung von Kapillaren um das Implantat gefördert werden; welches sind die biologischen Stimulantia, welche deren Ausbildung [Seite der Druckausg.: 219 ] fördern und welches die Materialeigenschaften, die sie gegenwärtig verhindern; wie kann die Lebensdauer der Inselzellen erhöht werden, die gegenwärtig nach einer gewissen Zeit ausgetauscht werden müssen? Gelingt die kapillare Versorgung des Implantates nicht, ist zu prüfen, ob das Organ direkt in den Blutstrom einer Arterie eingebracht werden kann. Damit wird das Problem der Blutverträglichkeit hinzukommen. Auch dieses Beispiel macht deutlich, daß viele grundlegende Fragen ungeklärt sind, entsprechend langfristig angelegte Forschung notwendig und Risikobereitschaft erforderlich sind, bis die Frage abschließend zu beantworten sein wird, ob durch biohybride Organe die Organtransplantation an Bedeutung verlieren wird. Abbildung 9: These zur Biomedizinischen Forschung
Die Aufgabe der Systemintegration soll an einem Beispiel verdeutlicht werden. Zur Vorbereitung eines operativen Eingriffes werden im allgemeinen Röntgenbilder, computertomographische Aufnahmen oder Magnetresonanz-Bilder hergestellt. In besonders kritischen Bereichen werden Schnittbildserien angefertigt, so daß eine Rekonstruktion des gesamten interessierenden Volumens möglich ist. Anhand solcher dreidimensionaler Abbildungen wird die Operation vorbereitet, d. h., der Zugangsweg zum Zielgebiet, einem Tumor z. B., festgelegt. Bei sogenannten stereotaktischen Operationen, die am Gehirn durchgeführt werden, wird ein starrer Rahmen fest mit dem Schädelknochen verbunden, und zwar schon bevor die Schnittbilder hergestellt werden. Dadurch gelingt es, eine feste Zuordnung von Bilddaten und der Wirklichkeit herzustellen, d. h. zwischen Bildpunkten und den entsprechenden räumlichen Koordinaten im Operationsgebiet. Durch die Verbindung von chirurgischem Instrument mit dem Rahmen kann dann das Zielgebiet auf dem zuvor festgelegten Wege erreicht werden. Ein entscheidender Fortschritt wurde dadurch erzielt, daß in das Gesamtsystem ein Operationsmikroskop integriert wurde. Dazu ist es notwendig, daß die Bilddaten in einem Rechner während der Operation zu Verfügung stehen. Durch Anvisieren von Fixpunkten auf dem Rahmen wird eine feste räumliche Beziehung zwischen dem Blickfeld des Operationsmi- [Seite der Druckausg.: 220 ] Abbildung 10: Systemintegration
kroskopes und den Bilddaten hergestellt. Es können einerseits Bilddaten in das Gesichtsfeld des Mikroskops eingeblendet und andererseits das Operationsfeld auf dem Bildschirm des Rechners abgebildet werden. Abweichungen vom vorgesehenen Operationsweg werden angezeigt, der vorgeplante Operationsweg kann verändert werden. Zur Umgehung besonders kritischer Gebiete kann von einem gradlinigen Zugangsweg abgewichen werden. Durch Kombination von dreidimensionalen Bilddaten aus Schnittbildaufnahmen mit dem optischen Bild des Operationsmikroskops wird die Sicherheit des Eingriffes erhöht, voraussichtlich die Eingriffsdauer verkürzt und das Operationsrisiko vermindert. Eine Erweiterung des Systems ist denkbar, so z. B. durch Sprachsteuerung, durch Überlagerung von Schnittbildern, hergestellt mit unterschiedlichen Abbildungsverfahren und mit rechnergespeicherten anatomischen Atlanten sowie durch ein intelligentes" Instrumentarium, das mit Sensoren ausgestattet ist. Das führt zu Systemen unter Einschluß der Mikrosystemtechnik. Solche Systeme ermöglichen es, die Operationsplanungen durch Simulation zu überprüfen, wozu entsprechende Modelle zu entwickeln wären, und schließlich die Operation selbst rechnergestützt durchzuführen unter der Kontrolle des Operateurs. 3. Strukturen Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet der Biomedizinischen Technik wird durchgeführt in Universitätsinstituten, in speziellen öffentlich geförderten Institutionen oder Abteilungen von solchen, in den Universitätskliniken und Schwerpunktkrankenhäusern sowie in der Industrie. Mit dieser Forschung befaßt sind vornehmlich Akademiker mit einer ingenieurwissenschaftlichen Ausbildung oder einer solchen der Physik und Chemie, seltener der Medizin. Institute für Biomedizinische Technik gibt es an den Universitäten Aachen, Berlin, Dresden, Erlangen/Nürnberg, Gießen, Hannover, Homburg-Saar, Ilmenau, Karlsruhe, Lübeck, Rostock, Stuttgart, Ulm und Würzburg. Die Notwendigkeit einer engen Ver- [Seite der Druckausg.: 221 ] Abbildung 11: These zur Telemedizin
zahnung zwischen der Medizin und den Ingenieurwissenschaften ist nur in Ausnahmefällen in der Universität selbst gegeben. In den ehemaligen Technischen Universitäten ist selten eine medizinische Fakultät vorhanden und umgekehrt. Das führte dazu, daß die einzelnen medizinischen Abteilungen durch die Beschäftigung von Ingenieuren Forschungskapazität aufbauten. Diese haben jedoch, da sie von ihrer Mutterwissenschaft getrennt sind, nur schwer Zugang zu dem ganzen Arsenal der dort vorhandenen Technik und Methoden. Sie haben außerdem schlechte Perspektiven für ihre Weiterentwicklung und im allgemeinen befristete Arbeitsverträge. Andererseits wirkt sich für die Institute an Universitäten ohne medizinische Fakultät nachteilig aus, daß der ständige tägliche Kontakt zu den Problemen der Klinischen Medizin nicht in der nötigen Breite vorhanden ist, sondern nur punktuell, problemorientiert existiert. Ein weiterer Nachteil für solche Institute besteht darin, daß sie fast ausschließlich nur eine äußerst begrenzte Personalkapazität haben, höherwertige Stellen fehlen fast vollständig, so daß die Erfahrung permanent abfließt, da der wissenschaftliche Nachwuchs nicht am Institut gehalten werden kann. Die Einwerbung von Fremdmitteln ist notwendig. Eine Erweiterung der Forschungskapazität aus Industrieaufträgen ist darüber hinaus schwierig, da die Grundlagenforschung nur selten unterstützt wird und für die Durchführung der angewandten Forschung ohnehin ein klinischer Partner erforderlich ist, der in den Instituten für Biomedizinische Technik nicht zu finden ist. Das Defizit an Biomedizinischer Technik wurde in Deutschland Anfang der 70er Jahre erkannt und führte zu einem Schwerpunktprogramm der Stiftung Volkswagenwerk und einem speziellen Förderprogramm der Bundesregierung. Schrittweise wurde aus diesem Förderprogramm, das jetzt den Titel Gesundheitsforschung 2000" trägt, die Biomedizinische Technik zurückgedrängt, obwohl das Gesamtbudget gegenüber dem am Anfang ganz erheblich gestiegen ist. Hier ist eine dringende Umorientierung anzumelden, wenn Deutschland seine Position im Weltmarkt behaupten will. Im Förderungsprogramm der Europäischen Union ist hingegen die Biomedizinische Technik sehr wohl vertreten, allerdings nur in Form von sogenannten Konzertierten Aktionen". Diese dienen der Forschungskoordinierung innerhalb Europas, wobei die Forschung aus nationalen Mitteln zu bestreiten ist. Sind allerdings nur wenige nationale Ressourcen vorhanden, wie in Deutschland, so sinkt die [Seite der Druckausg.: 222 ] Chance, daran zu partizipieren. So sind nur wenige deutsche Antragsteller erfolgreich gewesen verglichen mit denen aus kleineren Ländern Europas. Die Erweiterung dieses Programms zu sogenannten Cost Shared Actions" erfolgt wahrscheinlich zum Jahre 1995. Bis dahin wird sich die Situation in Deutschland kaum geändert haben, so daß auch hier zu befürchten ist, daß die deutsche Beteiligung unterproportional ausfallen wird. Neben der Forschung sind die medizintechnischen Abteilungen in den Krankenhäusern zu erwähnen. Sie haben die Aufgabe, die dort installierten technischen Einrichtungen in Betrieb zu halten, diese an spezielle Aufgabenstellungen anzupassen und bei der Wiederbeschaffung mitzuwirken. Solche Abteilungen sind nicht fester Bestandteil unseres Gesundheitssystems, ganz im Gegensatz zur früheren DDR, vielen anderen europäischen Ländern, den USA und Kanada. Sie haben häufig nur beschränktes Mitspracherecht bei der Beschaffung von Neugeräten und sind personell schlecht ausgestattet. Hier liegt meiner Ansicht nach noch ein großes Rationalisierungspotential. Eine unterschiedliche Situation ist nur auf dem Gebiet der Einrichtungen des Gesundheitswesens, die mit ionisierenden Strahlen arbeiten, festzustellen. Aufgrund der gesetzlichen Regelung ist hier der Einsatz fachspezifischen Personals zwingend vorgeschrieben. Es ist eine Domäne der sogenannten medizinischen Physik, die meiner Ansicht nach als Teilgebiet der Biomedizinischen Technik zu verstehen ist. Eine akademische Ausbildung für die Biomedizinische Technik gibt es nur an wenigen Universitäten. Diese wird durchgeführt im Rahmen der klassischen Ingenieurstudiengänge Elektrotechnik, Maschinenbau und Verfahrenstechnik. Dieses ist sinnvoll, da die Anforderungen an einen Ingenieur, der seine Kenntnisse in die Medizin einbringt, nicht geringer sind, als die für andere Bereiche einer Ingenieurtätigkeit. In Form eines Vertiefungsfaches kann er sich zusätzliche Kenntnisse erwerben, die ihm helfen, die Kluft zwischen exakten Naturwissenschaften und Technik einerseits sowie Biologie und Medizin andererseits zu überwinden bzw. enger zu machen. Weitere Fachkenntnisse aus der für ihn fremden Disziplin sich anzueignen, fällt leichter, wenn gewisse Grundlagen bereits gelegt sind. Darüber hinaus wird an einer Reihe von Fachhochschulen, die Ingenieure ausbilden, ein eigenständiger Studiengang angeboten oder ebenfalls wie an den Universitäten innerhalb der klassischen Studiengänge Zusatzwissen vermittelt. 4. Schlußbemerkung Eine wirkungsvolle Medizin ist ohne eine moderne Technik nicht denkbar. Die Grundlagen für die Bereitstellung dieser Technik schafft die Forschung auf dem Gebiet der Biomedizinischen Technik. Die wesentlichen Fortschritte in Diagnose, Therapie und Rehabilitation der letzten 20 Jahre wurde durch die Biomedizinische Technik erreicht. Diagnostische Aussagen sind präziser geworden und können schneller erhoben werden. Dadurch können therapeutische Maßnahmen früher ergriffen werden und sind dann häufig schonender für den Patienten durchzuführen, wozu auch eine bessere Technik in der Therapie beiträgt, Erst die technische Entwicklung hat für gewisse Erkrankungen eine Therapie ermöglicht. Die Folge daraus ist eine höhere Lebenserwartung und eine geringere Morbidität. Die Investitionskosten (vgl. Stehr 1994) für die Medizintechnik sind sehr gering, verglichen mit den Gesamtkosten des Gesundheitswesens und auch mit denen für Pharmaka. Dennoch sind die therapeutischen Erfolge nur durch den Einsatz der Technik und der da- [Seite der Druckausg.: 223 ] Abbildung 12: These . den Kosten der Medizintechnik
bei anfallenden Personalkosten zu erzielen. Dies ist der Preis, den die Gesellschaft für eine verbesserte medizinische Versorgung zu bezahlen hat. Als Wirtschaftsfaktor fällt die medizinische Industrie mit ihrem großen Exportanteil nicht besonders ins Gewicht, vergleicht man sie mit dem Maschinen- und Automobilbau oder der Kommunikations-, Energie- und Chemietechnik. Es handelt sich jedoch um eine Hochtechnologie" mit hohem Exportanteil (vgl. Graßmann 1994), die alleine deshalb eine entsprechende öffentliche Förderung erfahren sollte. Die Forschungsstrukturen sind verbesserungsbedürftig, wobei besonderes Augenmerk auf die interdisziplinäre Ausrichtung und die klinische Anbindung von Forschergruppen zu legen ist. Eine frühzeitige Einbindung von Herstellern sollte ebenfalls erfolgen. Das Instrumentarium Förderung einer solchen langfristig angelegten Verbundforschung fehlt weitgehend. Literatur Graßmann, P. (1994): Elektromedizinische Technik in Deutschland, in: Medizinelektronik, Bd. 8, H. 2, 1994 Hütten, H. (1991): Biomedizinische Technik 1991, Berlin - Heidelberg: Springer IEEE Engineering (1993), in: Medicine and Biology - Magazine, Vol. 12, No. 2, 1993 Planck, H. (1993), in: P. Artzt u.a. (Hrsg.): Die Zukunft der Textilindustrie, Ehningen: expert Stehr, H. (1994): Zu Kosten und Nutzen der Medizintechnik, in: electromedica 62, S. 23 - 26, 1994 Thul, R. (1994): Naturwissenschaftliche Aspekte von Werkstoffen in der Medizin, in: Naturwissenschaften 1994 (im Druck) [Seite der Druckausg.: 224 ] MICHAEL ARNOLD
[Seite der Druckausg.: 228 ] WERNER MALY
STEFAN KIRCHBERGER
[Seite der Druckausg.: 230 ]
Die Tatsache, daß sie unabhängig von den übrigen Elementen der Versorgung thematisiert wird, verdankt sie vor allem drei Besonderheiten: Durch die isolierte Betrachtung wird Medizintechnik verselbständigt und ärztliches Handeln zum Beiwerk. Ein Resultat dieser Verselbständigung ist die Gleichsetzung von technischem Fortschritt und Kostensteigerung. Die Standards der Gesundheitsversorgung werden nicht durch Technik, sondern durch die hohe soziokulturelle Akzeptanz technischer Leistungen definiert. Folglich ist Medizintechnik immer nur im Kontext diskutierbar.
Diagnostische Technik dient dazu, die ernst zu nehmende, zu behandelnde Krankheit zu identifizieren und dadurch von der subjektiven Befindlichkeitsstörung zu unterscheiden. Da diese Trennung für die Gesundheitsversorgung konstitutiv ist, ist - auch unter Kostengesichtspunkten - die diagnostische Technik unverzichtbar. Entsprechendes gilt für therapeutische Technologien. Nicht nur der moralische Druck des Live-saving-lmperativ scheint unabweisbar, auch die entscheidenden Erfolge bei dem Erhalt oder der Verbesserung von Lebensqualität stellen einen Standard dar, auf den die Gesellschaft nicht verzichten kann und will.
Die Qualität der technischen Infrastruktur definiert zwar Versorgungsmöglichkeiten. Doch die Qualität der Versorgung impliziert eine Reihe weiterer Parameter: [Seite der Druckausg.: 231 ] Erst die Evaluation der Versorgungsergebnisse im Gesamtzusammenhang besagt etwas über die Qualität der Gesundheitsversorgung.
Diese Entwicklung macht sich insbesondere auf zwei Ebenen bemerkbar:
Der Indikationsbereich einer innovativen Technologie läßt sich nur sukzessive über deren Anwendung klären. Zwangsläufig wird die Versorgung zum Experimentierfeld. Je rascher und zahlreicher sich eine neue Technik verbreitet, desto weniger kann gewährleistet werden, daß gesammelte Erfahrungen allen Anwendern auch bekannt werden. Darüber hinaus lassen sich bestimmte Anwendungsprobleme nur über eine große Zahl an Fällen bzw. über follow-up-Beobachtungen während eines längeren Zeitraumes klären.
Ein wesentliches Problem der Kostenentwicklung ist die Medikalisierung der Bevölkerung. Diese Feststellung bezieht sich im allgemeinen auf Arzneimittel, gilt jedoch in gleichem Maße für die Technik. Ebenso wie die Rezeptur ist die Technikanwendung in den letzten 30 Jahren zum Signum der Beschäftigung des Arztes mit dem Leiden des Patienten geworden. Dadurch hat sich bei den Patienten als soziokultureller Standard eine Art Erwar- [Seite der Druckausg.: 232 ] tungshaltung herausgebildet. Wenngleich die Behandlung einer mittelständischen Neurose durch Ultraschall oder Gastroskopie nicht unbedingt ineffektiv ist, ist diese Entwicklung gefährlich, weil sie auch angesichts der Kostenentwicklung zu Leistungseinschränkungen und sogenannten Selbstbeteiligungen" führt, die ein Grundprinzip unseres Gesundheitssystems, den einkommensunabhängigen gleichen Zugang aller Bürger, in Frage stellen.
Budgets und Mengenvorgaben oder - wie im Falle der Großgeräte - Kontingentierungen sind vergleichsweise einfach zu kontrollieren, führen jedoch zu gesundheitspolitisch unerwünschten Leistungsverzerrungen. Medizinische Versorgung beruht auf Wissenschaft. Wissenschaftlich exakt ist sie aber nur in ihren Theorien und Modellen. Das erschwert die Entwicklung von Standards. Welche Diagnostik zweckmäßig, welche Therapie wirksam ist, kann nur in Bezug auf den Einzelfall entschieden werden. Dennoch gibt es Erfahrungswerte von denen normalerweise nicht abgewichen zu werden braucht. Die Durchsetzung von Anwendungsstandards würde nicht nur Kosten senken, sondern vor allem Versorgungsqualität verbessern, indem sie unnötige Diagnostik und Therapie vermeiden hilft. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 2001 |