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TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausg.: 150 ]


5.2 Informatios- und Kommunikationstechnik

HANS SCHÜSSLER
STAND UND ENTWICKLUNG DER I + K-TECHNIK


1. Einleitung

Ich könnte an dieser Stelle über viele erregende Entwicklungsergebnisse und Trends berichten, die dieses Gebiet vorzuweisen hat. Ich möchte im Kontext dieser Tagung meinem Beitrag eine etwas andere Zielsetzung zugrunde legen. Ich stelle in den Mittelpunkt meiner Ausführungen neun Aussagen in Form von Thesen, die das Szenario der I + K-Technik und deren Zukunftsentwicklung deutlich machen sollen. Anhand dieser Thesen möchte ich wesentliche Gesichtspunkte andiskutieren, die die technische Entwicklung, die Einführung von neuen I + K-Leistungen in Wirtschaft, Verwaltungen und im Privatleben sowie die damit zusammenhängenden Fragen der Einführungsstrategien und der Akzeptanz in der Gesellschaft betreffen.

2. Situation der deutschen Industrie

Eine erste These möchte ich durch zwei kürzlich erschienene Graphiken des ZVEI belegen:

These 1:
Die deutsche I+K-lndustrie ist traditionell stark in Arbeitsgebieten, die zukünftig eher stagnieren, und schwach in solchen, die zukünftig erheblich expandieren werden.

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Abbildung 1: Wachstumsmarkt I + K-Technik



Die Abbildung 1 stellt das Wachstum in den einzelnen Sektoren der I + K-Technik dar. Neben der Technik sind auch die Dienstleistungen aufgeführt, die eine dominierende Rolle haben. Es wird aber auch deutlich, daß die Kommunikationstechnik im Ganzen gesehen, eher stagnierend sein wird und heute bereits von den Aufwendungen in der Informationstechnik überholt worden ist. Innerhalb der Informationstechnik ist eine Verschiebung von der Hardware zur Software und den Diensten zu erkennen. Beurteilen wir nun die Lage für Deutschland auf diesem Gebiet, dann erkennen wir, daß ein deutliches Ungleichgewicht im Außenhandel besteht (Abbildung 2). Auf dem Gebiet der Informations- und Bürotechnik ist ein hoher Importüberschuß von über 12 Mrd. DM im Jahr aufgezeigt. Dieser Importüberschuß wird bei weitem nicht aufgewogen durch den mit 2 Mrd. wesentlich geringeren Exportüberschuß bei den Kommunikationstechniken. Ich glaube, diese Zahlen sind als Ausgangsposition wichtig, wenn wir nun uns überlegen, wie sich die Systeme und die Anwendungen weiter entwickeln werden.

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Die Abbildung 3 zeigt für die drei Anwendungsschwerpunkte den geschätzten Aufwand, der für die jährliche Beschaffung von Systemen zu treiben ist, ein Punkt, den die herstellende Industrie stark interessiert. Für die drei Hauptanwendungsgebiete Kommunikation, Verteilung und Informationstechnik sind die Investitionen in den Jahren 1990, 2000 und 2010 angegeben. Dabei ist der Aufwand 1990 für die Kommunikation als Bezugszahl gewählt (100 % entspricht 20 Mrd. DM/a). Es wird bei den verteilten Systemen unterschieden zwischen dem Teilnehmergerätebereich und den Netzen. Am Ausgangspunkt 1990 sind von den Gesamtinvestitionen von 310 % in das weltweite Netz 90 % und nur 10 % in die Teilnehmergeräte des Kommunikationsnetzes investiert worden. Bei den Verteildiensten sieht das ganz anders aus. Hier sind bereits 50 %-Punkte im Teilnehmerbereich und nur 10 %-Punkte im Verteilnetz. Die überwiegend noch als lokale Systeme betriebene Informationstechnik hat bereits 1990 mit 150 % ein deutliches Übergewicht bei den Investitionen. Wie wird sich das nun für die Zukunft weiterentwickeln? Man erkennt überraschenderweise, daß die Netze kaum in ihren Aufwendungen zunehmen. Dagegen wächst der Teilnehmerbereich erheblich, wobei allerdings eine Verschiebung von den lokalen Systemen in die weltweiten vernetzten Systeme und in die Kommunikation erwartet wird. Insgesamt wächst der Beschaffungsmarkt nur schwach wegen der erwarteten starken Verbesserung des Leistung/Preis-Verhältnisses. Es handelt sich hier um eine persönliche Schätzung meinerseits, die eine Vielzahl von Diskussionsmöglichkeiten bietet. Aber ich glaube, damit ist ein gewisser Trend korrekt beschrieben, den wir alle bereits täglich erkennen.



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3. Forschung und Entwicklung

Um dem negativen Trend in der internationalen Handelspolitik für Deutschland zu begegnen und weiterhin erfolgreich am Markt zu operieren, ist die in meiner zweiten These niedergelegte Aussage wichtig:

These 2:
Zielgerichtete Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen in verschiedenen Gebieten bleiben die Basis des Erfolges am Markt.

Ich möchte an dieser Stelle nun einiges über Forschung und Entwicklung und hier insbesondere zu den zwei wesentlichen Punkten sagen (vergleiche Abbildung 4):

  • Trends der technologischen Entwicklung und
  • Einführung neuer Systemtechniken.


Abbildung 4: Forschung und Entwicklung

Trends der Technologieentwicklung

Einführung neuer Systemtechniken

  • Mikroelektronik
  • ATM
  • Glasfasertechnik
  • SDH
  • Optoelektronik
  • Quellencodierung
  • Mikrosystemtechnik
  • Übertragungsverfahren
  • Displaytechnik
  • Softwaretechniken

  • Sprachen

  • Anthropotechniken


Basis aller Fortentwicklungen ist und bleibt die Mikroelektronik, die einen ungebrochenen Entwicklungstrend zeigt mit Kennziffern, die nun schon über zwei Jahrzehnte stetig anhalten. Als Beispiel möchte ich Ihnen hier eine mikroelektronische Schaltung zeigen, wie sie für zukünftige Vermittlungs- und Übertragungseinrichtungen gebraucht wird (Bild 5). Man kann davon ausgehen, daß die Anstrengungen auf diesem Gebiet erheblich verstärkt werden müssen, um am Standort Europa an dieser Entwicklung teilzuhaben. Signale wie zum Beispiel der Aufbau der Mikroelektronik-Aktivitäten in Dresden sind hier sicherlich ermutigend.

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Abbildung 5:
Mikroelektronische Schaltung für Vermittlungs- und Übertragungseinrichtungen

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Die zweite Basis-Technologie, die wesentlich für den Entwicklungstrend ist, ist die Glasfasertechnik. Sie liegt mir besonders nahe, weil ich selbst in diesem Gebiet tätig bin (Abbildung 6). Ich zeige Ihnen eine Zusammenstellung von Kabeltypen, wie sie heute bei den Netzbetreibern, aber auch bei vielen industriellen Anwendungen bereits eingesetzt werden. Diese Technik entwickelt sich mehr im Stillen. Auch hier ist aber erkennbar, daß die technologischen Möglichkeiten, sprich Reichweite der Übertragung und Bandbreite oder Bitrate der Übertragung in dauerndem Wachsen begriffen sind.

Abbildung 6:
Lichtwellenkabel und Lichwellenleiter (Glasfaserkabel)


Das Foto auf Seite 156 der Druckausgabe kann leider in der ONLINE-Version nicht wiedergegeben werden


Die Glasfasertechnik für die Übertragung ist nur mit der Ergänzung durch die Optoelektronik vollständig, die ihrerseits erhebliche Fortschritte macht. Hier ist nicht nur der Trend zu immer besseren Sendern (Lasern), sondern auch der Trend zu einer optoelektronischen Integration von besonderer Bedeutung (Abbildung 7), denn in den heutigen Anwendungen sind aus technischer und wirtschaftlicher Sicht die optoelektronischen Sende- und Empfangselemente noch ein gewisser Engpaß.

Denkt man an wesentliche Verbreiterungen der Einführung der Informations- und Kommunikationstechnik, dann kommt dem Thema Mikrosystemtechnik für die Einführung neuer Systemtechniken ein vergleichbares Gewicht zu. Das Ziel sind massenproduzierbare Sensoren und Aktoren. Dieses Gebiet ist noch in einer Vorentwicklungsphase.

Lassen Sie mich als letztes Beispiel die Display-Technik ansprechen, weil hier mit sehr vielen Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen schon lange an neuen Systemen gearbeitet wird, jedoch die gute alte Bildröhre nach wie vor das dominierende Element in den Anwendungen ist. Es zeigt sich, daß auf technischem Gebiet nicht alle Träume reifen und daß es durchaus langjährige Anstrengungen geben kann, die nicht in eine wirtschaftliche Verwertung fließen. Dennoch bestehen Hoffnungen, daß auch in der Display- und Anzeigetechnik Fortschritte erzielt werden können, jedoch beschränken sie sich bisher auf die kleinen Bildfelder.

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Neben diesen technologischen Trends wird aber die Systemtechnik von immer größerer Bedeutung für unsere Informations- und Kommunikationssysteme.

Dabei kommt der Fortentwicklung der Vermittlungs- und Übertragungstechnik große Bedeutung zu:

ATM, ein neues Vermittlungsverfahren, wird es erlauben, komplexe Dienste z. B. auch Multimedia-Anwendungen sehr wirtschaftlich zu realisieren. Internationale Netze für diese Anwendungen sind bereits im Aufbau (Abbildung 8).

Das SDH-Übertragungsverfahren erlaubt es, hochbitratige Systeme wirtschaftlich zu realisieren und dabei auch aufwandsparende Abzweigetechniken einzusetzen.

Entsprechende Fortentwicklungen sind aber besonders bei den Teilnehmergeräten erkennbar, wo die Quellencodierung von Signalen, also die Art, wie z. B. ein Fernsehbild übertragen wird, von besonderer Bedeutung für die Qualität der Darstellung, aber auch für die Kosten ist.

Zu diesen Bündeln von technischen Fortentwicklungen gehören natürlich auch die Methoden der Übertragung.

Besonders wichtig ist aber auch die Entwicklung neuer Software-Techniken und Sprachen. Dieses Gebiet kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden, weil es sich zeigt, daß nur beim Vorhandensein solcher neuen Techniken entsprechende Dienstleistungen aufgebaut werden können.

[Seite der Druckausg.: 158 ]


Abbildung 8:
Das internationale Netz des neuen Vermittlungsverfahren Broadband ATM Network


[Seite der Druckausg.: 159 ]

Die Frage, wie der Mensch nun mit der Maschine zusammenarbeitet, wird immer wichtiger je komplexer die Dienstleistungen werden.

4. Weiterentwicklung des Marktes

Wie werden diese Entwicklungstrends umgesetzt? Die nächste These sagt:

These 3:
Die hohe Vielfalt in den technischen Möglichkeiten und die Intemationalisierung aller Arbeitsgebiete macht eine Konsensbildung über langfristige Szenarios notwendig.



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Ich will diesen Gedanken durch zwei Bilder unterstützen. Bei dem technischen Fortschritt spielen eine Reihe von Arbeitsgebieten und Akteuren mit. Wichtige Zielsetzung bei einer solchen Entwicklung ist die Focussierung auf gemeinsame Ziele und das Bereitstellen der Ressourcen. Als einfaches Modell habe ich in Abbildung 9 nur fünf dieser Aspekte dargestellt und deutlich gemacht, daß nur, wenn in diesem Beispiel eine Schnittmenge für Patente und Lizenzen, das erarbeitete Know-how, die vereinbarten Standards und das Wechselspiel zwischen Anbieter und Nachfrager existiert, ein Produkt bzw. eine Leistung entstehen kann. Ich weise besonders auf diesen Punkt hin, weil dieses einfache Modell sicherlich in der Praxis durch eine weit größere Zahl von Einflußgrößen noch wesentlich komplexer ist, und weil in der gesellschaftlichen Diskussion das Element der Konsensbildung und das Erarbeiten von gemeinsamen Visionen mindestens im europäischen Umfeld zu schwach entwickelt ist.

Lassen Sie mich noch eine der Ressourcen herausgreifen, das Patentwesen. Ich stelle Ihnen eine Veröffentlichung aus den letzten Tagen vor (Bild 10), die sich mit der Zahl der Patentanmeldungen weltweit befaßt und die erkennen läßt, daß die Anmeldungen in Deutschland und Europa gegenüber Japan und Amerika wesentlich zurückliegen. Hier gilt es aufzuholen.



[Seite der Druckausg.: 161 ]

5. Standort Deutschland

Und damit komme ich zu meiner nächsten These.

These 4:
Eine Veränderung der Rahmenbedingungen für das Geschäft insbesondere im F & E-Sektor aber auch bei den Personalressourcen ist zur Verbesserung der Lage am Standort Deutschland notwendig.

Das ist eine eminent wichtige und aktuelle Diskussion. Ich habe Ihnen in Abbildung 11 Rahmenbedingungen mit nur vier Stichworten aufgeschrieben, die die augenblicklichen Diskussionen charakterisieren.

Abbildung 11: Rahmenbedingungen


Ausbildung

Hochschule - Institute - Wirtschaft

F&E-Mittel

Arbeitszeit

Ich bin aber auch der Meinung, daß wir hier nicht nur Defizite aufzeigen, sondern auch auf positive Trends hinweisen sollten. Und damit komme ich zu meiner nächsten These:

These 5:
Erfolgreiche Entwicklungen zeigen, daß auch vom Standort Deutschland bzw. Europa aus zukunftsträchtige Märkte im Weltmaßstab erobert werden können.

Abbildung 12: Erfolgreiche Entwicklungen


PAL

OPAL

ISDN

ATM

GSM

Digitales Fernsehen

Ich habe nur einige wenige Hinweise auf Abbildung 12 zusammengestellt, die ich kurz erläutern möchte: PAL, ISDN und in gewissen Grenzen auch GSM, insbesondere aber auch OPAL sind Entwicklungen, die von Deutschland ausgegangen sind und die etwas abhängig vom Einführungsgrad bereits heute erkennen lassen, daß sich daraus erfolgreiche Geschäfte ableiten. Die Einführung des PAL-Systems ist bereits Historie und hat lange Jahre das Fernsehgerätegeschäft beeinflußt. ISDN und GSM sind im Augenblick gerade aktuell. Es ist hier deutlich, daß die deutsche bzw. europäische Industrie im Weltmaßstab Vorteile gewinnt. OPAL und ATM sowie das digitale Fernsehen sind in einer Einführungsphase, wobei zumindest deutsche und europäische Initiativen eingebunden sind und mitwirken. Der Ausgang dieser Initiativen ist allerdings noch offen.

[Seite der Druckausg.: 162 ]

6. Deregulierung und Öffnung der Märkte

Mit meiner nächsten These gehe ich auf die erwartete Entwicklung auf dem Dienstleistungssektor und bei den Netzen ein.

These 6:
Die erwartete Deregulierung im Dienstleistungssektor und etwas später bei den öffentlichen Netzen ergibt einen zusätzlichen Impuls, enthält aber auch zusätzliche Risiken für die Entwicklung der Kommunikations- und Informationstechnik.

Ein erster Ansatzpunkt in der internationalen Diskussion liegt bei den Fernsehverteilsystemen, die zur Öffnung des Wettbewerbs mit den etablierten Telefongesellschaften benutzt werden sollen. Technisch ist dieses möglich. Die Entwicklung auf diesem Gebiet wird aber auch gekennzeichnet durch die beabsichtigte Einführung der Glasfasertechnik in diesem Bereich und durch die digitale Codierung für die Übertragung. Als Beispiel ist ein System vorgestellt, das kurz vor der Serienreife steht und eine erhebliche Verbesserung der Übermittlungsmöglichkeiten zum Teilnehmer bringt (Abbildung 13). Dabei ist allerdings zu beachten, daß der technische Einsatz hoch ist, denn die Übertragungsrate bis zum Teilnehmer beträgt bis zu 10 GBit/s.

Mit diesem Hinweis möchte ich auf die Anstrengungen der bestehenden Dienstanbieter und Netzbetreiber überleiten. Durch technische Innovationen in ihrem Netz, insbesondere im Teilnehmeranschlußnetz rüsten sie sich für den zukünftigen Wettbewerb. Auch das OPAL-Projekt der DBPT, das in Abbildung 14 in seinem Zeitablauf und mit den wesentlichsten Anbietern für die technischen Leistungen dargestellt ist, läßt diesen Trend deutlich werden. Anhand dieser Abbildung sei aber auch auf die Risiken dieses neuen Trends hingewiesen. Einer der wesentlichen Anbieter für die OPAL-Technik ist die AT&T aus Amerika, die als eine vertikal integrierte Gesellschaft auch als Wettbewerber gegenüber der Telekom am Dienstleistungsmarkt und gegenüber der Industrie am Gerätemarkt auftritt. Hier stellt sich immer wieder die Frage nach fairen Wettbewerbsbedingungen.

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Abbildung 13:
Beispiel eines neuen Fernsehverteilsystems: Digitale optische BK-Technik


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[Seite der Druckausg.: 165 ]

7. Einführungsstrategien

In den Abbildungen 15 und 16 sind einige Fakten zur Entwicklung der Dienste und zur Einführungsstrategie neuer Techniken zusammengestellt.



Die Zukunftsentwicklung der Dienste geht zu größeren Teilnehmerzahlen, zu mehr Verkehr, d. h. stärkerer Nutzung, zu höherer Komplexität.

Komplizierter ist die Frage nach erfolgreichen Einführungsstrategien. Es stehen sich im Prinzip zwei Vorgehensweisen gegenüber.

Einmal geht es darum, in bestehenden Dienstleistungen Wettbewerb aufzubauen und dadurch mehr Leistungen für den Benutzer und damit eine Ausdehnung der Benutzung zu erreichen. Dieses ist eine einfachere Aufgabe, wie sich am Beispiel des Mobilfunks deutlich zeigte, wo es gelang, in kurzer Zeit mehrere im Wettbewerb befindliche Anbieter aufzubauen und funktionsfähige Dienste im Wettbewerb einzuführen.

Schwieriger ist es beim Betreten von Neuland. Es gibt hier zwei Einführungsstrategien, die miteinander konkurrieren. Die unter dem Stichwort „Vorleistung" zusammengefaßte Vorgehensweise, wie sie üblicherweise im Infrastruktursektor angewandt wurde, wird immer mehr in den Hintergrund gedrängt. „Versuch und Irrtum" gewinnt immer mehr an Bedeutung, und alle technischen Entwicklungen müssen sich darauf einstellen, mit dieser Methode zu arbeiten. Allerdings ist damit eine langfristige, zielgerichtete Vorwärtsstrategie nicht immer leicht möglich.

[Seite der Druckausg.: 166 ]

Abbildung 16: Einführungsstrategien für neue Dienste

Kopie bestehender Dienste

  • Benutzung bestehender Infrastruktur
  • Serviceprovider
  • kurzfristige Akquisition von Kunden
  • funktionierender Wettbewerb
  • normale Geschäftstätigkeit

Neuland

  • Vorleistungen:
    Feldversuche
    Erstellung der Infrastruktur
    Diensteeinführung
    Ausbauphase
    normale Geschäftstätigkeit
  • Trial and Error (Versuch und Irrtum):
    Vorleistungen der entwickelnden Industrie in F&E
    Diensteentwicklung der Diensteanbieter
    internationale Standardisierung
    Bedarfsorientierter Aufbau einer Infrastruktur
    Diensteinführung

8. Zusammenfassung

Lassen Sie mich zum Abschluß kommen mit drei Schlußthesen.

These 7:
Die Wertschöpfung in der I + K- Technik wandelt sich von der Hardware zu mehr Softwareleistungen.

Diese Aussage ist, glaube ich, unbestritten, hat aber erhebliche Auswirkungen auf die Ausbildung, die Beschäftigung, den internationalen Handel und den Markt.

Für die Systementwicklung kann folgender Trend deutlich gemacht werden (Abbildung 17):

Abbildung 17: Systementwicklungen

Anwendungen

Einfache

Komplexe

Telefon

UPT (Persönliche Universale Telekommunikation)

Fernmeldenetz

Globales Satelliten-Kommunikationssystem

Multimedia

Virtual Reality

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These 8:
Bei den Anwendungen geht der Trend von einfachen Systemen hin zu einer komplexen Informationsumwelt.

Dieses wird anhand von einigen wenigen Beispielen deutlich gemacht. Das einfache Telefonsystem wird „zur persönlichen universalen Telekommunikation" ausgebaut, d. h. jeder Teilnehmer ist weltweit permanent erreichbar und wird in dem System mit seiner Nummer und unter seiner Identität weitergereicht. Ich will hier nicht das Thema Datenschutz ansprechen, das sicherlich bei der Entwicklung dieses Dienstes berücksichtigt werden muß.

Ein anderer Trend führt weg vom konventionellen Fernmeldenetz zu den globalen Satelliten-Kommunikationssystemen, ein Vorschlag, der in allerletzter Zeit von kompetenten Erfindern und Innovatoren gebracht worden ist. Inwieweit ein solches System mit einer Vielzahl von Satelliten das bestehende terrestrische Netz ablösen kann, ist eine offene Frage.

Ich habe zu den einfachen Systemen „Multimedia" geschrieben, um zu provozieren, weil ich meine, daß der nächste Schritt, wie wir alle auf der CeBIT-Messe in Hannover so deutlich an dem Beispiel der Dresdner Frauenkirche bewundern konnten, zeigt, welches Potential in zukünftigen komplexen Diensten wie z. B. „Virtual Reality" stecken kann.

Lassen Sie mich mit meiner letzten These noch den Bogen zurückschlagen zu meinen Eingangsbemerkungen.

These 9:
Die möglichen technischen Entwicklungen setzen voraus, daß die Menschen sich mit den neuen Techniken einlassen werden.

Diese Frage ist sicherlich ein bedeutender Diskussionspunkt für die zukünftige Entwicklung.

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DIETER KLUMPP
INFORMATIONSTECHNIK UND ÖFFENTLICHKEIT


Die internationalen technischen und ökonomischen Entwicklungen auf dem Gebiet der In-formations- und Kommunikationstechnik berühren in immer stärkerem Maße Belange der Öffentlichkeit.

  1. In der gesamten Triade sind infrastrukturelle Entwicklungen in Gang gesetzt oder angekündigt, die eine hohe Abstimmungsnotwendigkeit in einem weitgefächerten Akteursspektrum aufweisen. Die „National Information Initiative" der USA, die „Trans European Networks" der EU, aber auch Innovationen der Satellitenkommunikation (globale Mobilfunknetze) sind ohne entsprechende Gestaltungsallianzen und ohne Klärung der Rahmenbedingungen des „public interest" einem kostenintensiven und standortbelastenden „trial and error"-Prozeß unterworfen. Hierfür hat der Staat (bzw. von ihm Beauftragte) in subsidiärer Form eine zeitstabile technologiepolitische Moderationsrolle zu übernehmen. Beispiele:

    Es besteht in Europa und insbesondere in Deutschland im Vorfeld von „Data Highways" bzw. „Multimedia-Diensten" eine erhebliche Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Rollenverteilung von Herstellern, Netzbetreibern und Dienstanbietern; so ist etwa ordnungspolitisch nicht gewollt, daß Telekommunikationshersteller Betreiberaufgaben übernehmen; die Netzbetreiber von Telefonnetzen wiederum dürfen nicht ohne Einschränkungen Massenkommunikationsdienste betreiben.

    Neue Dienste im Bereich des „Infotainment" (z. B. „video on demand") sind nicht mehr eindeutig dem Bereich Individualkommunikation zuzuordnen, nicht nur in Deutschland bedeutet dies eine erhebliche Unsicherheit hinsichtlich der Zuständigkeiten für Marktinnovation und Regulierung.

    Einzelne Anbieter konkurrieren mit identischen Diensten über verschiedene Netze in nahezu ruinöser Weise zum Schaden aller, weshalb frühzeitige Abstimmungsgespräche wie derzeit in den USA eingeleitet werden sollten. Neue interaktive Dienste der Telekooperation (z. B. Fernlernen, Ferneinkauf) oder des individualisierten Programmabrufs bedürfen einer Mindestteilnehmerzahl, die insgesamt nur über mehrere Netzareale erreichbar erscheint. Deswegen haben die Amerikaner jetzt das europäische Vorbild von harmonisierten Netzinfrastrukturen übernommen: man will die gewachsenen Infrastrukturen optimieren, um einheitliche Dienste im Netz zu ermöglichen.

  2. Die Anpassung von politischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen bzw. die Rückkopplung feststehender Rahmenbedingungen in die geplanten Technikanwendungen sind eine unabdingbare Voraussetzung für Akzeptabilität und diese wiederum ist notwendige (wenngleich nicht hinreichende) Bedingung für Akzeptanz. Gesetzgebende Körperschaften sowie der rechtswissenschaftliche Sektor müs

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    sen zur Wahrung von Chancen und Risiken aus Gründen der Planungssicherheit der Wirtschaftssubjekte, aber auch der einzelnen Staatsbürger parallel zur Technikentwicklung die Rahmenbedingungen ausgestalten bzw. festschreiben. Beispiele:

    Neue Infrastrukturen, wie sie die Globale Satellitenkommunikation bietet, werden mit interaktiven Diensten international einem sich ausdifferenzierenden Käuferkreis wie Konsumprodukte angeboten und vertrieben, vergleichbar den Satelliten-TV-Diensten; der ex-post Regulierungsaufwand steigt.

    Teilweise sehen diese Systeme die Evolution in die interaktive Bildkommunikation vor, mit der ungleich sorgfältiger als mit der Sprachkommunikation umgegangen werden muß (Urheberrecht, Recht am eigenen Bild, Jugendschutz).

  3. Neue Infrastrukturen (ISDN, aber auch vermittelte Breitbandsysteme wie das europäische IBCN) bieten in der Vorausschau eine Fülle von Chancen für weite Sektoren in Industrie, Handel, Verwaltung und Lernen, also vor allem auf dem Gebiet der sogenannten „intelligenten Dienstleistungen". Die Komplexität der Möglichkeiten von Telekooperation zieht die Gefahr nach sich, daß traditionell gewachsene Strukturen (etwa Unternehmensgrößenmix) durch ungleiche Informationschancen über diese Entwicklungen ungewollt umkippen können. Gerade wegen der Situation auf dem Arbeitsmarkt müssen junge Unternehmen in die Lage versetzt werden, ihre Chancen frühzeitig zu erkennen. Hier muß aus strukturpolitischen Gründen eine „Infrastruktur-Beratung" einsetzen. Beispiele:

    Die weltweite Verfügbarkeit von „Angestellten-Arbeitsplätzen" mit erheblichen Entlohnungsdifferenzen sprengt nahezu sämtliche internen Verabredungsstrukturen („Amtsblatt aus Südafrika"; „24-Stunden-Buchhaltung" etc.)

    Große im Verbund operierende und frühzeitig informierte internationale Industrie-, Dienstleistungs- und Handelsfirmen können - gleichsam über Nacht - lokalen oder regionalen Klein- und Mittelunternehmen bedeutsame Marktanteile abnehmen.

    Das globale Bildungssystem ist auf die denkbare Einrichtung einer übernationalen Satelliten-Fernhochschule nicht vorbereitet. Aufklärungsarbeit tut not: Die Pädagogen in Deutschland assoziieren „Telelernen" allgemein eher als „Bildschirmlernen" denn als „telekooperative Unterstützung" ihrer Arbeit; hier werden Chancen übersehen.

  4. Wegen der anhaltenden Rückstandsposition nationaler und europäischer Innovationspioniere im luK-Sektor (z. B. Schlüsseltechnologien) werden zunehmend importierte, technologiegetriebene luK-Anwendungen zum Einsatz gebracht, die nur zufällig einmal tatsächlich Antworten auf die Herausforderungen der hier vorfindbaren gesellschaftlichen Problemlagen sind. Es gilt, der probleminduzierten Technikgestaltung durch klare gesellschaftspolitische Vorgaben mit Hilfe wirtschaftspolitischer Instrumente neue Chancen zu eröffnen. Beispiele:

    Das Modell des Ferneinkaufs im Flächenstaat USA ist u. a. wegen der verkehrsinduzierenden Wirkung nicht ohne weiteres auf das dichtbesiedelte Zentraleuropa über-

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    tragbar; weder aus USA noch aus Japan sind bis heute verkehrssubstituierende kommunikationstechnische Ansätze zu erkennen.

    Sicherheits- und Überwachungssysteme der USA sind wegen der dort viel höheren Gefährdungssituation oft so entworfen, daß sie Einschränkungen der „Privacy" für die Bürger in Kauf nehmen, was in Europa (und noch viel weniger in Japan) im Hinblick auf das Rechtsgut des Persönlichkeitsschutzes nicht akzeptabel erscheint.

  5. Neue Möglichkeiten der Vernetzung und der interaktiven Dienste bieten national und international unerkannte entwicklungspolitische Potentiale der globalen Demokratisierung, aber auch der Beeinflussung der öffentlichen Meinung. Die positiven Möglichkeiten neuer luK-Strukturen werden in der Politik eher dilatorisch behandelt, die negativen Seiten fast ausschließlich an die Rechtsprechung bzw. übernationale Gremien oder Geprächskreise wegdelegiert. Beispiele:

    Das in der Wissenschaft schon weltweit verbreitete Internet hat im ehemaligen Jugoslawien als Nachrichtenquelle heute schon eine dem Amateurfunk vergleichbare Funktion, nur mit dem bedeutsamen Unterschied, daß es sich nicht um eine Punkt-zu-Punkt-Verbindung, sondern eine Verbindung zu „vielen Punkten" handelt,

    Die Einrichtung globaler Funkdienste hat in Ländern der Dritten Welt absehbar eine vergleichbare Wirkung wie das allgegenwärtige Transistorradio, mit Hilfe dessen die Welt (und deren Werte) ins Land kommt; die Länder des Nordens sind auf die Faktenflut (insbesondere Bilddokumente) aus diesen Ländern überhaupt nicht vorbereitet. Friedenspolitische, völkerrechtliche, humanitäre, entwicklungspolitische Konsequenzen und entsprechende Handlungslinien sind nur rudimentär angedacht.

  6. Die wichtigen Themen und Handlungsansätze zur verträglichen Gestaltung künftiger Infrastrukturen, aber auch neuer Kommunikationsdienste sind seit Jahren erkannt, ihre Behandlung in den verschiedenen Gremien des Staates, der Wirtschaft und der Verbände ist diskontinuierlich und deswegen überwiegend dysfunktional. Lediglich die Wissenschaft hat relativ konsistente und zeitstabile Projekte in Gang gesetzt. Die Koppelung zur interessierten Öffentlichkeit ist wegen Mangel an Ressourcen und Legitimation, vor allem aber Koordination in hohem Maße defizient. Beispiele:

    Bei den Überlegungen zu einer Elektronisierung des Verkehrs („Verkehrs-Telematik") stehen sehr viel konkurrierende Werte zur Diskussion, deren Abwägung gegeneinander nur in diskursiven Verfahren erfolgen kann. So ist inzwischen klar, daß Mobilitätsdaten ungleich sensibler zu behandeln sind als etwa Kommunikationsdaten; für den Benutzer steht die Chance der Preisgabe seines Aufenthaltsorts für Not- und Rettungsfälle in hartem Kontrast zum Risiko einer mißbrauchseinladenden Mobilitätsdatenspur.

    Während beispielsweise in einem Verband die Behandlung solcher Themen durch Einspruch beim staatlichen Finanzier blockiert wird, fördert ein anderer Verband und das gleiche Ministerium dasselbe Projekt mit den gleichen Akteuren an anderer Stelle; während die eine Landesregierung alle namhaften Befürworter einer Verkehrselektronik zusammenruft, finanziert die andere Landesregierung Versammlungen von namhaften Gegnern solcher Vorhaben.

[Seite der Druckausg.: 171 ]

    Die meisten Technik- und Wirtschaftsverbände sehen sich außerstande, auf die neuen diskursiven Herausforderungen anders als mit „Diskussionsgefahrenabwehr" und „Akzeptanzbeschwörung" zu begegnen.

    Der Wissenschaft gelingt es nur in Ausnahmefällen, partnerschaftliche Diskurskonstellationen mit der Praxis einzurichten.

Die internationalen technischen und ökonomischen Entwicklungen auf dem Gebiet der In-formations- und Kommunikationstechnik müssen durch problemorientierte Gestaltungsallianzen in Form einer Public-Private-Partnership zur Wahrung der Chancen am Standort gesteuert werden. Wir brauchen nicht eine immer höhere Anzahl von komplizierten Spielregeln, sondern wir brauchen einige wenige Spielregeln, die aber nachvollziehbar und verbindlich sind. Die Öffentlichkeit ist in der Informationstechnik keine Bedrohnung, sondern - weil sie gleichbedeutend mit dem Benutzer, als dem Markt, betrachtet werden muß -eine unverzichtbare Gestaltungsinstanz.

[Seite der Druckausg.: 172 ]

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WERNER DOSTAL
INFORMATIONSTECHNIK UND ARBEITSMARKT


  1. Die Informationstechnik (dieser Begriff umfaßt auch die Kommunikationstechnik) hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten stürmisch entwickelt. Sie zeigt sich heute in einer Vielzahl von Produkten, in weltweiten Netzen und in einem bereits kaum noch überschaubaren Dienstleistungsangebot.

  2. Beschäftigung ist immer schon informationsbezogen gewesen. Viele Berufe lassen sich als „Informationsberufe" klassifizieren, da sie schwerpunktmäßig mit Informationen umgehen. Heute sind knapp die Hälfte der Erwerbstätigen in Informationsberufen zu finden (Abbildung 1).

  3. Programmgesteuerte Arbeitsmittel, also Werkzeuge und Maschinen, die mit Computern verknüpft sind, werden heute von vielen Erwerbstätigen genutzt. Nach einer neueren Studie arbeiten 16 % der Erwerbstätigen überwiegend, 21 % gelegentlich mit derartigen Arbeitsmitteln. Insgesamt geben 37 % der Erwerbstätigen an, daß sie von programmgesteuerten Arbeitsmitteln in ihrer beruflichen Arbeit betroffen sind (Tabelle 1).

Tabelle 1: Verbreitungsgrad computergesteuerter Maschinen/Anlagen in Deutschland

Nutzungsintensität

1979

West

1985

1992

Ost

1992

Gelegentliche Verwendung

Hauptsächliche Verwendung

8%

6%

14%

7%

21%

16%

15%

9%

Verbreitungsgrad

14%

21 %

37%

24%

Quelle: BIBB/IAB-Untersuchung 1992/93





  1. Diese Techniken wirken aber nicht allein im Arbeitsleben: Computer prägen auch das private Umfeld, vom computerisierten Spielzeug bis zum Selbstbedienungssystem im Handel, bei Banken und Sparkassen. Telefon und Telefax sind mittlerweile selbstverständliche Kommunikationsgeräte nicht nur am Arbeitsplatz, sondern auch im privaten Bereich. Allgemeinqualifikationen und Berufsqualifikationen wachsen im Bereich der Anwendung der Informationstechnik wieder zusammen.

  2. Wie hat sich diese Technik nun auf die Beschäftigung und auf den Arbeitsmarkt ausgewirkt? Wie auch bei anderen Techniken ist diese Frage eindeutig nicht zu beant

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Abbildung1:
Das Vier-"Sektoren"-Modell 1882-2010 - Erwerbstätige (%)

[Seite der Druckausg.: 174 ]

    worten. Traditionelle Meß- und Zurechnungsmethoden greifen offenbar nicht. Beispielsweise zeigen Produktivitätsuntersuchungen die Bedeutung der Informationstechnik nicht, da sie traditionell auf die klassischen Techniken zugeschnitten sind. Auch die Wirkungsfelder dieser Technik sind nicht abzugrenzen: Sie diffundiert in alle Bereiche und ihre Wirkungen sind meist vermischt mit denen anderer Techniken und Ablaufstrukturen.

  1. In der weltweiten Arbeitsteilung haben sich besondere Zentren für die Herstellung der Komponenten entwickelt: Die Chips als die technischen Kerne dieser Techniken kommen vor allem aus Fernost und den USA, die Software aus USA und Europa, die Geräte und Netze aus allen Industriestaaten, die Dienste schwerpunktmäßig aus den USA. Deutschland ist vor allem Anwenderland, in manchen Feldern auch Herstellerland. Weltweite Konkurrenzfähigkeit ist nicht in allen Gebieten erreichbar, es ist aber heute noch nicht endgültig bestimmt, wo die Schwerpunkte liegen werden. Dies ist auch eine Frage des Arbeitskräfteangebots und der zulässigen und tolerierten Rahmenbedingungen der Erwerbsarbeit.

  2. In dieser weltweiten Vernetzung läßt sich der Arbeitsmarkt im Umfeld der Informationstechnik nicht auf Deutschland begrenzen. Heute schon sind die Belegschaften international zusammengesetzt. Nationale Arbeitskräftebilanzen sind nicht mehr aussagefähig. Quantitativ zeigt sich in Deutschland bei der Technik und bei Diensten ein Importüberschuß und eine Tendenz, daß Deutschland in der konventionellen Informationstechnik eher stark, in der innovativen Informationstechnik eher schwach ist. Dies hat gravierende Konsequenzen für die Beschäftigung: In der Verschiebung der Märkte gehen Arbeitsplätze verloren, neue entstehen nur vereinzelt und auch nur in Nischen. Die großen Märkte sind meist schon aufgeteilt, der spätere Einstieg entsprechend schwer.

  3. Woran liegt diese mangelnde Konkurrenzfähigkeit? Auch diese Frage läßt sich nur andeutungsweise beantworten:

    8.1 An Erfindungen und Innovationen ist offenbar kein Mangel. Viele heute prosperierende Informationstechniken wurden in Deutschland erfunden und entwickelt, produziert und vermarktet wurden sie aber in anderen Ländern. Offenbar sind in Deutschland die Risikobereitschaft und die Aktivitäten in der Innovations- und Diffusionsphase nicht ausreichend.

    8.2 Die Akzeptanz neuer Informationstechnik scheint in Deutschland geringer zu sein als bei den Konkurrenten, möglicherweise ist in Deutschland das Verantwortungsbewußtsein größer. Dies beginnt in einer geringeren öffentlichen Akzeptanz des Ingenieurberufs und geht bis hin zur Verhinderung von Modellversuchen. Die Bedenken gegen unausgereifte Technik sollten zwar ernstgenommen werden, sie sollten aber nicht in die grundsätzliche Ablehnung führen, sondern innovativ in Verbesserungen umgesetzt werden, wie dies bei ergonomischen und umweltbezogenen Problemstellungen immer wieder erfolgreich praktiziert werden konnte.

    [Seite der Druckausg.: 175 ]

    8.3 Informationstechnik erfordert große Märkte, Deutschland ist möglicherweise zu klein für isolierte Aktivitäten. Dies haben die Unternehmen in diesem Feld bereits erkannt und kooperieren weltweit. So besteht die Möglichkeit, auch Produktion weltweit dorthin zu verlagern, wo die Kosten am geringsten sind. Damit ergibt sich eine weltweite Konkurrenz der Arbeitskosten, in der es die deutschen Arbeitskräfte schwer haben, sich durchzusetzen. Allerdings sollte dabei nicht zu eng auf Lohn- und Lohnzusatzkosten gestarrt werden. Gute Leistungen werden weltweit auch entsprechend honoriert und bei der Umrechnung über die Wechselkurse gibt es manche Fehlschlüsse.

  4. Eher als die quantitativen sind die qualitativen Beschäftigungseffekte abzuschätzen. Informationstechnik ändert Arbeitsinhalte und die Struktur der Arbeit selbst weit folgenreicher als dies andere Techniken bisher konnten. Informationstechnik schiebt sich zwischen den arbeitenden Menschen und die übrige Technik.

    9.1 Die Arbeitsinhalte werden abstrakter und werden sich noch weiter von Produkt oder Dienstleistung entfernen. Die bereits laufende Höherqualifizierung bis hin zur Akademisierung paßt recht gut zu den zukünftigen Anforderungen modell- und systembezogenen Denkens. Arbeitsmärkte sind heute weitgehend Qualifikationsmärkte, in denen der kompetente Umgang mit Informationen und mit Informationstechnik hoch bewertet wird.

    9.2 Auch die Struktur der Arbeit insgesamt wird sich entscheidend ändern. Informationstechnik und -netze erlauben eine räumliche und zeitliche Entkopplung der Erwerbsarbeit, in der dann Telearbeit, Telekooperation und im Gefolge dieser lockeren Arbeitsformen eine Auflösung abhängiger Arbeit hin zu selbständiger Arbeit und freier Mitarbeit zu erwarten ist. Die Akzeptanz dieser neuen netzwerkorientierten Arbeitsformen bei den Betroffenen wird von ihrer sozialen Einbindung und Absicherung abhängen bzw. davon, ob langfristig soziale Sicherungssysteme auch oder nur außerhalb abhängiger Arbeit aufgebaut und betrieben werden.

  5. Der Arbeitsmarkt selbst wird sich wandeln: Einerseits werden die Aggregate transparenter und über Informationssysteme nutzbar, andererseits werden offene Arbeitsstrukturen zu neuen Anforderungen an die Arbeitsmärkte führen. Computerunterstützte Arbeitsvermittlung wird ergänzt werden müssen durch die Auftragsvermittlung und Betreuung selbständiger Erwerbstätiger. Aktive Arbeitsmarktpolitik wird notwendigerweise auch den Umstieg in selbständige Arbeit beinhalten müssen.

[Seite der Druckausg.: 176 ]

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FRIEDER NASCHOLD
VON DER ANGEBOTS- ZUR NACHFRAGESTEUERUNG DER TECHNISCH-INDUSTRIELLEN ENTWICKLUNG?


  1. Technologie- und Industriepolitik ist üblicherweise in Deutschland wie in vergleichbaren OECD-Ländern staatliche Angebotspolitik. Mit Hilfe rechtlicher, finanzieller und informationeller Instrumente versucht dabei der Staat, die Angebotsbedingungen der Firmen resp. Sektoren im Sinne verbesserter Wettbewerbsfähigkeit zu beeinflussen.

  2. Mit der zunehmenden Einschätzung von den Risiken rein quantitativer Wachstumsstrategien geht ein Wandel in der Rolle staatlicher Technologie- und Wachstumspolitik einher. Im verstärkten Interesse steht deshalb die Frage, wie weit der marktliche Mechanismus zur Lösung gesellschaftlicher Probleme eingesetzt werden kann.

  3. Zu fragen ist, wie weit eine solche „bedürfnisorientierte Nachfragesteuerung" der staatlichen Technologie- und Industriepolitik instrumentell und von den anderen Anreizmechanismen her umsetzbar ist und wo die Grenzen eines solchen Politikmodus' liegen.

© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 2001

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