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TEILDOKUMENT:
[Seite der Druckausg.: 96 ] HANS-JÜRGEN WARNECKE
1. Bedarf verändert sich In den sechziger und siebziger Jahren dieses Jahrhunderts vertraten Soziologen die These, daß die Erwerbsarbeit in einer modernen und sich rasch weiter entwickelnden Industriegesellschaft an inhaltlicher Bedeutung für den Menschen verliere. Die Experten stellten die These auf, daß Arbeit von den Menschen als reines Mittel zum Zweck angesehen wird. Vor allem die Überlegungen und Konzepte des US-Verhaltensforschers A. H. Maslow bildeten die Grundlage soziologischer Betrachtungen. In der Zwischenzeit gibt es eine Reihe von Untersuchungen und Einwänden, die diese strenge Struktur in Frage stellen. Die politischen, ökonomischen und technologischen Veränderungen in den letzten zehn Jahren haben auch in der Arbeitswelt ihre Spuren hinterlassen. Vor allem für die Einstellung zur Arbeit kann man von einem Wertewandel sprechen. Die heutigen Befunde des Wertewandels eröffnen für die Zukunft der Arbeitsgesellschaft keine düsteren Perspektiven. Trotz des großen Interesses an mehr Freizeit wird Arbeit als Symbol für sinnvolle menschliche Tätigkeit ihren Wert behalten, ja erhöhen. 2. Problemlösungen sind gefragt Die wirtschaftliche Entwicklung in den letzten Jahren hat allen Industrienationen deutlich gemacht, daß die Sicherung des Wohlstandes, Erhaltung der Arbeitsplätze und damit der Einkommen und die Erhaltung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit keine Selbstverständlichkeit ist, sondern daß dafür große und innovative Anstrengungen von allen am Wirtschaftsprozeß Beteiligten gemacht werden müssen. Wer bei Innovationen die Nase vorn hat, stabilisiert Wachstum und schafft neue Arbeitsplätze. Den Erfolg einer Technik oder einer neuen technologischen Entwicklung begründet nicht allein ihre Fähigkeit, Probleme zu lösen, neue Produkte oder neue Dienste anzubieten. Nicht einmal ihre objektive Fähigkeit ist entscheidend, zum Beispiel die Umwelt zu bewahren oder vor Unfällen zu sichern. Entscheidend in vielen Fällen sind subjektive Faktoren, wie die Einstellung und die Skepsis gegenüber einer neuen Technologie. [Seite der Druckausg.: 97 ] Wissen ist ein entscheidender Faktor im Wettbewerb. Es ist aber so mobil wie Kapital, so daß eine sehr gute Forschungsinfrastruktur nicht automatisch einem bestimmten Lande auch die besten industriellen Aktivitäten beschert. Als Beispiel kann hier das Land Baden-Württemberg aufgeführt werden. Seine wirtschaftliche Entwicklung galt in Deutschland als Vorbild. Eine von Ministerpräsident Teufel einberufene Wirtschaftskommission 2000 hat festgestellt, daß unsere deutschen Unternehmen zu den jeweilig weit besten Wettbewerbern einen Kostennachteil von 25 bis 30 % haben. Analysen haben dabei zu folgendem Ergebnis geführt: Ein Drittel des Kostenunterschieds ist durch die Produktentwicklung und -gestaltung bedingt. Hier sind vor allem die Probleme zu nennen, daß wir zu wenig marktgerechte und fertigungsgerechte Produkte haben. Ein weiteres Drittel sind durch ungünstige Abläufe, Hierarchien und Strukturen bedingt. Das letzte Drittel durch Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel Tarifvereinbarungen und gesetzliche Auflagen. Diese Grobanalyse zeigt aber, daß zwei Drittel des Kostenunterschiedes hausgemacht sind. Sie können deswegen von den Unternehmen selbst beeinflußt werden.
Abbildung 1: Industriestandort Deutschland
3. Schaffen von neuem Bedarf Innovative Erfindungen und Entwicklungen und der technische Fortschritt schaffen oft einen neuen Bedarf und dadurch Nachfrage und sichern damit Arbeitsplätze. Diese Aussage wird an einem Beispiel deutlich. Die Erfindung von ABS-Systemen und der Umstand, daß heute in den meisten Automobilen diese Sicherheitssysteme eingebaut werden, hat neue Arbeitsplätze bei Kfz-Zulieferern geschaffen. Den beschwerlichen Weg von der Idee bis zum Marktführer zeigt die Bilanz der Frankfurter ITT Automotive zur Entwicklung des ABS-Systems. Die Forschung begann 1966 - damals hieß das Unternehmen noch Alfred Teves, war aber bereits in ITT-Besitz. Zweihundert Millionen Mark wurden ausgegeben, bevor nach 18 Jahren Forschung, Entwicklung und Markterschließung die ersten Gelder wieder in das Unternehmen zurückflossen. Mittlerweile arbeitet fast jeder dritte Mitarbeiter in der international tätigen ITT-Gruppe an einem ABS-Arbeitsplatz. [Seite der Druckausg.: 98 ]
4. Vorhersagen sind schwierig Deutschland hat nach Auffassung von Experten als Forschungsstandort die gleiche Qualität wie Japan. Beide Länder wurden jedoch in den letzten Jahren von den USA abgehängt. Zu diesem Ergebnis kam eine breit angelegte Studie Ende 1993 im Auftrag des BMFT. Eine solche groß angelegte Expertenbefragung nach dem Delphi-Verfahren wurde in Deutschland erstmals durchgeführt. Ziel der Umfrage war es, sich ein grobes Bild von der künftigen technischen Entwicklung in den nächsten 30 Jahren zu machen. Die wichtigsten Ergebnisse der Studie sind:
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[Seite der Druckausg.: 100 ] 5. Struktur der öffentlich geförderten Forschung Forschen und Entwickeln bedeutet vor allem auch Suchen im Hinblick auf verfügbare Kenntnisse zum Realisieren der Vorstellungen über zukünftige Produkte aufgrund von Technologie- und Marktbeobachtungen. Eine Steigerung der Effektivität und Praxisnähe der Auftragsforschung ist z. B. durch Bildung gemischter Teams aus industriellen Auftragsgebern und Institutsforschern zu erreichen. Zusätzlich müssen auf höchster Ebene Wissenschaft und Wirtschaft durch eine Industriepolitik im Dialog stehen, die den Ressourceneinsatz für Forschung und Entwicklung effektiver plant.
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Am Anfang diesen Jahres hat der Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages die vom Bundeskabinett beschlossene Kürzung des Haushalts des Bundesministerium für Forschung und Technologie für 1994 um 250 Mio. DM mißbilligt. Diese Kürzung sei um so mehr abzulehnen, so die Forschungspolitiker, als sie im Vergleich zu den meisten anderen Ressourcen überdurchschnittlich sind. Für das BMFT beträgt die Mittelkürzung 2,64 %, obwohl die gesamte Einsparungssumme von 5 Milliarden DM nur 1,04 % des Bundeshaushalts ausmacht. Die Landschaft" öffentlich geförderter Forschung ist in Deutschland sehr heterogen. Sie wird aber grundsätzlich nicht in Frage gestellt. Grundlagenorientiert arbeiten vor allem Institute an den Universitäten sowie die Institute der Max-Planck-Gesellschaft. Die anwendungsorientierten Forschungsaktivitäten der Fraunhofer-Gesellschaft haben im Innovationssystem der Bundesrepublik Deutschland eine Schlüsselposition. Ihr Leitbild ist der unternehmerische Forscher" der möglichst auf den forschenden Unternehmer" trifft. Die Industrie hat nicht hinreichend Suchstrategien entwickelt, um Ergebnisse einer - noch immer - international wettbewerbsfähigen Grundlagenforschung aufzugreifen und rasch und konsequent umzusetzen. Der lange und teure Weg von der wissenschaftlichen Erkenntnis zum wirtschaftlichen Ergebnis durch Produkt- und Prozeßinnovation wurde in der Vergangenheit durch die Förderung von Projekten zwischen Forschungseinrichtungen und Wirtschaftsunternehmen gefördert. Diese Förderung ist in den letzten Jahren rückläufig, dieses wichtige Instrument der Innovationsförderung über Verbundprojekte muß wieder ausgebaut werden. Auch andere Instrumente, mit denen die Grundlagenforschung intensiver und schneller auf die Produktentwicklung einwirken könnte (Personalaustausch, Innovationsassistenten, Tech- [Seite der Druckausg.: 105 ] nologieagenturen etc.) sind unzulänglich entwickelt. Die größere Flexibilität mittelständischer Unternehmen, innovative Angebote der Forschung zu nutzen, wird wenig gestützt. Die Bildung von Allianzen zwischen Forschungseinrichtungen, Herstellern und Anwendern zur Entwicklung und Vermarktung benötigt Anreize. 6. Anwendungsorientierte Forschung am Beispiel der Fraunhofer-Gesellschaft Der Forschungsaufwand der FhG beträgt etwa 1 Milliarde DM mit rd. 5.000 Mitarbeitern in 50 über die Bundesrepublik Deutschland regional verteilten Instituten. Diese Institute werden als eigenverantwortliche Profit-Center geführt. Die Gesellschaft wurde nach dem Kriege 1949 für die externe Vertragsforschung gegründet und wird heute nach dem sogenannten Fraunhofer-Modell finanziert: 1/3 Grundfinanzierung (90 % aus dem Haushalt des BMFT, 10 % aus den Ländern), 1 /3 aus der Akquisition öffentlich geförderter Projekte und 1/3 aus der Vertragsforschung direkt mit der Wirtschaft. Ihre besondere Bedeutung bekommt die Fraunhofer-Gesellschaft vor allem durch die Tatsache, daß mittelständische Unternehmen keine eigene Forschungskapazität vorhalten können, und deshalb auf die Institute der FhG zurückgreifen. Wieviel Zeit und wieviel Aufwand können wir uns leisten, um eine bestimmte Erkenntnis zu gewinnen? Diese Fragestellung ist legitim, und ich gehe davon aus, daß man sich in den verschiedenen Institutionen dieser Frage auch immer wieder annimmt. Für die Forschung brauchen wir jedoch differenzierte Bewertungsmaßstäbe, da wir ja die Legitimation durch neue Erkenntnisse und Umsetzungen erhalten, die aber zum Zeitpunkt des Aufwandes noch nicht bekannt sein können. Im Mittelpunkt aller Forschungsanstrengungen stehen für die Fraunhofer-lnstitute folgende Ziele:
In der Industrie zielt Forschung immer darauf ab, die Stellung und die Position des einzelnen Unternehmens im internationalen Wettbewerb zu sichern oder auszubauen. Diese Aufgaben werden vor allem in der kurzfristigen Geschäftsplanung eines Unternehmens definiert. Demgegenüber sind die Forschungsaktivitäten der Fraunhofer-Gesellschaft von ihrer Anlage her gemeinnützig und daher breit und langfristig konzipiert. Dabei ist die Fraunhofer-Gesellschaft sowohl der Wirtschaft und dem einzelnen Unternehmen als auch [Seite der Druckausg.: 106 ] der Gesellschaft und öffentlichen Einrichtungen zur Sicherung und Verbesserung der Rahmenbedingungen verpflichtet. Die Nutznießer der verschiedenen Forschungsergebnisse der Fraunhofer-Gesellschaft sind:
Die Fraunhofer-Gesellschaft ist der Überzeugung, daß sie durch ihre dezentrale und regional verteilte Struktur mit wissenschaftlich und wirtschaftlich eigenverantwortlichen Instituten die besten Chancen hat, die vielfältigen Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen. Eine Reihe von Anforderungen werden das Vorgehen der Fraunhofer-lnstitute in absehbarer Zukunft prägen. Dies werden sein:
Die Fraunhofer-Gesellschaft ist sich ihrer Verantwortung für die anwendungs- und ergebnisorientierte Forschung in Deutschland bewußt. Dabei arbeitet die Gesellschaft unabhängig von den Interessen einzelner Gruppen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Die Ergebnisse der Fraunhofer-Forschung basieren einzig auf dem Stand von Wissenschaft und Technik und der Verpflichtung zur wissenschaftlichen Objektivität unter der Berücksichtigung ökonomischer, ökologischer und sozialer Gesichtspunkte. Die Qualität der Forschung ist von der Qualifikation, der Motivation und der Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter abhängig. Von jedem einzelnen erwartet die Fraunhofer-Gesellschaft neben seiner wissenschaftlichen Kreativität auch unternehmerische und soziale Kompetenz. Das unternehmerische Handeln verpflichtet jeden Wissenschaftler in der Fraunhofer-Gesellschaft, seine wissenschaftliche Tätigkeit immer wieder am Kundenbedarf zu reflektieren. Ausgeprägte Kommunikations- und Teamfähigkeit sind die Voraussetzung für arbeitsteilige und interdisziplinäre Zusammenarbeit in Verbundprojekten. [Seite der Druckausg.: 107 ] Abbildung 11: Die Bedeutung der Fraunhofer-Gesellschaft für die Forschungsinfrastruktur
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Abbildung 16: Projektförderung bedarfsgerecht gestalten
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Abbildung 17: Anforderungen an ein Institut der Fraunhofer-Gesellschaft
Abbildung 18: Fraunhofer-Anwendungszentren (FhAZ)
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[Seite der Druckausg.: 113 ] 7. Zusammenfassung Flache Hierarchien, dezentrale Strukturen und die Delegation von Verantwortung und Aufgaben schaffen Motivation und Freiräume für unternehmerisches Handeln. Dies bedeutet. daß die örtlich verteilten Fraunhofer-lnstitute, es sind 50 an der Zahl, als eigenständige Geschäftseinheiten im Forschungs- und Entwicklungsmarkt tätig sind. Sie sind sowohl für ihren wissenschaftlichen Erfolg als auch für das wirtschaftliche Ergebnis selbst Verantwortlich. Dabei nützt die Fraunhofer-Gesellschaft die multidisziplinäre Vielfalt ihrer Institute und der Zusammenarbeit mit anderen Forschungseinrichtungen zur Lösung komplexer Probleme. Die rund 5.000 Wissenschaftler haben vor allem das Ziel, den Forschungsstandort und den Industriestandort Deutschland zu erhalten. Dabei sehen sie immer in dem Mittelpunkt ihrer Bemühungen den Umstand, daß sie für die Wirtschaft innovative Lösungen mit einem betriebswirtschaftlichen Nutzen liefern werden. Zur weiteren Zukunftssicherung des Innovationsprozesses plant die Fraunhofer-Gesellschaft die Verbindung mit bestehenden Forschungsaktivitäten an Universitäten und Hochschulen in Form sogenannter Fraunhofer-Anwendungszentren (FhAZ). Bedeutung gewinnt auch die Frage internationaler Aktivitäten. Zusammenfassend lassen sich folgende Parameter für die Forschungsentwicklung und die Forschungsperspektiven im wiedervereinigten Deutschland aufzeigen:
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