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WOLF-MICHAEL CATENHUSEN
Kann die Politik einen Beitrag zur Gestaltung der technischen und gesellschaftlichen Zukunft leisten? Diese Frage der Veranstalter will ich gleich zu Anfang unmißverständlich beantworten: ja, Politik kann an der Gestaltung einer lebenswerten Zukunft mitwirken, und sie steht auch in der Verantwortung, diesen Beitrag zu erbringen. Gerade im Bereich von Forschung und Technologie brauchen wir auch Mut zur Politik, die vorhandenen Spielräume auszuschöpfen. Politikerinnen und Politiker können und sollen sicher nicht alles regeln, aber sie sollten auch nicht den falschen Eindruck von Ohnmacht und Einflußlosigkeit wecken. Der Bedarf an Politik ist enorm:
[Seite der Druckausg.: 84 ] Diese Problemfülle verlangt nach umfassenden politischen Initiativen. Technik ist für diese Herausforderungen, für eine neue Etappe des gesellschaftlichen Fortschritts nur" ein Instrument - nicht mehr, aber auch nicht weniger. Technik ist ebensowenig Allheilmittel wie tödliche Bedrohung. Sie ist gerade auch für eine ökologisch verträglichere Produktion, für menschlichere Arbeitsbedingungen in Industrie- und Dienstleistungsbetrieben, für die Bekämpfung von Krankheiten und die Bewältigung von Katastrophensituationen unverzichtbar. Doch natürlich entfaltet Technik nie aus sich selbst heraus eine positive gesellschaftliche Wirkung, sondern immer nur durch intelligente Anwendungen und im Kontext umfassender Lösungsstrategien. Dennoch ist es eine unbestreitbare Tatsache, daß die Gestaltungsmöglichkeiten der Politik begrenzt sind - nicht nur durch die persönlichen Fähigkeiten des jeweiligen Amtsträgers, sondern auch durch eine Vielzahl von strukturellen Einflußgrößen innerhalb und außerhalb der Politik. Ich will hier nur kurz auf einige dieser Begrenzungen hinweisen:
Verschiedenste Faktoren begrenzen also die Handlungsspielräume der Politik. Diese Begrenztheit mag man beklagen; man kann jedenfalls nur eine Schlußfolgerung daraus ziehen: Gestaltung von Zukunft ist nur in Kooperation mit allen relevanten gesellschaftlichen Akteuren möglich, die wichtigste Grundlage politischer Kompetenz und Handlungsfähigkeit heißt heute Diskurs- und Kooperationsfähigkeit. Für die Ebene der Forschungs- und [Seite der Druckausg.: 85 ] Technologiepolitik bedeutet das: wir Politikerinnen und Politiker müssen in einem ständigen, offenen Zukunftsdialog mit Wirtschaft und Wissenschaft, Gewerkschaften, Verbänden und Umweltschutzorganisationen und anderen an Technologieentwicklung Interessierten versuchen, gemeinsam Leitbilder für Forschung, Entwicklung und Technikanwendungen zu finden und die förderungswürdigen Technologieansätze für morgen und übermorgen zu definieren. Damit relativiert sich das Ja" auf die mir gestellte Frage ein wenig: ja, Politik kann einen Beitrag zur Gestaltung der technischen und gesellschaftlichen Zukunft leisten, aber nicht im Alleingang, schon gar nicht gegen starke Kräfte in der Gesellschaft. Zur Dialogfähigkeit gehört auch Aufgeschlossenheit, Gelassenheit und Sensibilität im Umgang mit Menschen, die skeptisch an neue Technologien herangehen oder konkrete technische Vorhaben kritisieren. Die aufgesetzte Debatte über eine angebliche Technikfeindlichkeit", hinter der sich Defizite der eigenen Politik scheinbar gut verstecken lassen, hat keine Grundlage in der Bevölkerung. Alle sozialwissenschaftlichen Untersuchungen, gerade auch solche im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft, bestätigen, was ich auch in Diskussionen und persönlichen Gesprächen erlebe: es geht nicht um abstrakte Bekenntnisse pro oder contra Technik, sondern immer um konkrete Anwendungsfälle. Selbst in einem so sensiblen und umstrittenen Bereich wie der Gentechnik gibt es klare Meinungsmehrheiten in der Bevölkerung für sinnvolle Forschungen und Anwendungen in der Medizin und für Grundlagenforschung, bei gleichzeitigem Mißtrauen bis hin zur deutlichen Ablehnung des Einsatzes in der Landwirtschaft und Lebensmittelherstellung. Diese differenzierte, problembezogene Herangehensweise spricht eher für gesunden Menschenverstand als für dumpfe Technikfeindschaft, und sie wird sich selbst dort durchsetzen, wo heute noch Parteitagsbeschlüsse für einen illusorischen Ausstieg aus der Gentechnik" gefaßt werden. Eine Ausnahme bildet dauerhaft die Kernenergie aufgrund eines unvergleichlich hohen Risikopotentials. Aber auch Kernkraftgegner plädieren nicht für technologischen Stillstand, sondern für den intensiven Einsatz modernster Technik für die Erschließung regenerativer Energiequellen und eine verbesserte und sauberere Nutzung fossiler Energieträger. Deshalb sollte die irreale Debatte über Technikfeindlichkeit" schleunigst ad acta gelegt werden, damit wir uns der wirklich spannenden Frage nach den Anwendungs- und Gestaltungspotentialen zuwenden können. Die Anforderungen der Menschen an einen sinnvollen Technikeinsatz gehören jedenfalls nicht zu den Dingen, die Politikerinnen und Politiker an erfolgreicher Arbeit hindern. Für eine handlungs- und erfolgsfähige Forschungspolitik muß sich strukturell etwas tun in diesem Bereich.
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für den Versuch, von Staats wegen eine Technik gegen Industrie, Handel und Verbraucher durchzusetzen und sich auch nicht von Erfolgen anderer Nationen auf alternativen Entwicklungswegen irritieren zu lassen. Dieser Versuch war früher oder später zum Scheitern verurteilt, und ich fürchte, der Transrapid könnte, wenn Dimension und Auslegung der Anwendungsstrecke weiter an den Erfordernissen anderer Verkehrsträger, den Interessen betroffener Bundesländer und den Einwänden aus der Wissenschaft vorbei geplant werden, ein ähnliches Fiasko erleben. Das übergeordnete Leitbild für eine Forschungs- und Technologiepolitik, mit der wir uns den Herausforderungen am Übergang zum 21. Jahrhundert stellen können, muß ein technologischer Beitrag für die ökologische und soziale Erneuerung der Industriegesellschaft sein, das heißt Schwerpunktsetzungen und konkrete Förderprogramme müssen sich in ein Gesamtkonzept ökologischer und sozialer Entwicklung einpassen. In den Rahmen dieses Grundverständnisses ordnen sich konkrete Zielvorgaben wie das Drei-Liter-Auto, benutzerorientierte, mißbrauchsgeschützte Datennetze oder menschengerechte, computergestützte Produktionskonzepte ein. Dieses Verständnis unterscheidet sich grundlegend von einer Politik, die sich von Projekt zu Projekt hangelt und nur im Einzelfall ökologische oder soziale Fragen mit berücksichtigt. Die zentralen Themenfelder für eine solche Politik müssen sein:
Wer Fehler der Vergangenheit vermeiden will, als einzelne Technologien isoliert und bevorzugt gefördert wurden, die heute noch den Forschungshaushalt strukturell belasten, der muß frühzeitig die ganze Breite möglicher Technologien betrachten, die am Übergang zum 21. Jahrhundert und damit für die nächsten Jahrzehnte voraussichtlich strategische Bedeutung erlangen werden. Die technologische Basis der Industriegesellschaft des nächsten Jahrhunderts wird auf einer Vielfalt von miteinander intensiv vernetzten Feldern liegen. Dabei werden - soweit heute prognostizierbar - voraussichtlich insbesondere die Entwicklung neuer Werkstoffe und neue Produktions- und Managementtechniken, die Fortentwicklung der Mikroelektronik, der Einsatz von Software- und Simulationstechnik, Fortschritte in den Bereichen Nanotechnologie, Photonik und Mikrosystemtechnik sowie Anwendungen der Bio- und Gentechnologie über die technischen Vorsprünge von morgen entscheiden. Nicht nur in der Wissenschaft werden Grenzen zwischen klassischen Disziplinen überschritten, auch traditionelle Branchengrenzen werden an Bedeutung ver- [Seite der Druckausg.: 87 ] lieren. Für das Bundesministerium für Forschung und Technologie bedeutet das, daß es sich weit stärker als bisher als Moderator zwischen verschiedenen Disziplinen, zwischen Forschern und Anwendern engagieren muß und sich durch diesen Moderationsprozeß auch selbst den Überblick über die ganze Vielfalt technologischer Entwicklungen in ihrem jeweils neuesten Stand verschaffen muß. Aus dem BMFT ist zu diesen Themen bislang nicht mehr als eine Aufzählung möglicher Zukunftstechnologien zu bekommen. Die Forschungspolitik muß für diese Technologiefelder jedoch langfristige Strategien entwickeln und gleichzeitig die Rückholbarkeit von Entwicklungen sicherstellen. Förderentscheidungen werden in immer größerem Umfang komplexe Vorhaben betreffen, die nur von verschiedenen Forschungsträgern gemeinsam durchgeführt werden können. Förderentscheidungen müssen flexibel getroffen werden, um fatale Blockaden und Fehlentwicklungen wie beim Super-Computer rechtzeitig abwenden zu können. Als Instrument dafür ist eine deutliche Ausweitung der Projektförderung unerläßlich. Für die Nutzung der vorhandenen technologischen Stärken des Produktions- und Lebensstandortes Deutschland und der Qualifikationsvorsprünge der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind heute optimierte Produktionskonzepte von besonderer Bedeutung. Sie müssen gleichzeitig auf eine Humanisierung der Arbeit, auf einen optimalen Ressourceneinsatz und auf die Einbeziehung der fachlichen und sozialen Kompetenz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei der Gestaltung der Produktionsabläufe ausgerichtet sein. Sie müssen ergänzt werden um ein Konzept des lebenslangen Lernens, das allen Beschäftigten regelmäßige fachliche und allgemeine Weiterbildung ermöglicht. In einem Programm Moderne Produktion - menschliche Arbeit" könnten diese verschiedenen Aspekte integriert werden. In Japan oder anderen Ländern erfolgreiche Modelle sind dabei in der Regel nicht auf deutsche Verhältnisse übertragbar. Die technologiepolitische Diskussion in den Vereinigten Staaten wird bestimmt von der Vision von data super highways", die die Kommunikationsbedürfnisse des 21. Jahrhunderts befriedigen sollen. Mit dem Wettlauf um den Aufbau einer multimediatauglichen Infrastruktur wird eine wichtige Vorentscheidung über eine neue Qualität von Standortvorteilen getroffen. Nirgendwo jedoch ist die Akzeptanz einer Technologie von so großer Bedeutung wie im Kommunikationssektor. Deshalb müssen für das Projekt einer europäischen Datenautobahn" die Interessen der Anwender, von der Geschäftskommunikation bis zur Unterhaltungselektronik, rechtzeitig berücksichtigt werden. Angesichts der überragenden Bedeutung der Ökologie für Lebensbedingungen und Lebensqualität müssen auch in der Forschungs- und Technologiepolitik Umweltforschung und Umwelttechnik in Zukunft an erster Stelle stehen. Interdisziplinarität und internationale Kooperation sind die Hauptforderungen an eine Umweltforschung, die mehr als nur singuläre Detailergebnisse liefern will. Das Forschungsministerium muß auch mehr und mehr zu einem Frühwarnsystem für ökologische und andere wichtige gesellschaftliche Probleme werden:
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weiterentwickelt werden und koordinierende Aufgaben in einem institutionenübergreifenden Umweltforschungsverbund übernehmen kann. Die beschriebenen qualitativen Ziele lassen sich nicht durch staatliche Technologiepolitik allein erreichen. Sie stellen Anforderungen an alle gesellschaftlichen Akteure, die mit Technikentwicklung zu tun haben. Die spezifische Aufgabe des Staates ist es, [Seite der Druckausg.: 89 ]
Staatliche Technologiepolitik wird ihrer Verantwortung nicht gerecht, wenn sie sich darauf beschränkt, Gruppeninteressen aufzugreifen und bestenfalls auszugleichen. Ihre Moderationsaufgabe im technologiepolitischen Dialog schließt eine aktive, eigenständige Rolle in diesem Dialog nicht aus. Die Politik muß im Gegenteil in diesem Dialog eine übergreifende Verantwortung wahrnehmen und Impulse für eine gesamtgesellschaftlich verträgliche Entwicklung geben. Mit dieser aktiven Moderatorenrolle" kann der Staat zur Entwicklung gemeinsamer gesellschaftlicher Leitbilder beitragen. Gleichzeitig liegt es in der Verantwortung der Politik, über die Gesetzgebung die Wahrung ethischer Konsense und den Schutz vor möglichen Risiken technischer Entwicklungen zu gewährleisten. Es ist nicht im Sinne eines wissenschafts- und innovationsfreundlichen Klimas, wenn Politiker oder Wissenschaftler für die Forschung quasi normenfreie Räume einfordern. Eine Gesellschaft, die stärker als jede vor ihr von wissenschaftlicher Erkenntnis, von Forschungsergebnissen und von deren - positiven oder negativen - Auswirkungen abhängig ist, hat ein Anrecht auf die Einhaltung ethischer Mindeststandards und praktikabler Schutzvorschriften auch im Bereich Forschung und Entwicklung. Das schließt Entbürokratisierung im Einzelfall nicht aus. Die Politik muß jedoch darauf abzielen, hier mit der technologischen Entwicklung und mit wissenschaftlichen Potentialen mitzuhalten. Dazu gehört ein kontinuierlicher Prozeß der Technikfolgenabschätzung ebenso wie die Integration von Sicherheitsforschungsprojekten in die Förderprogramme des BMFT, namentlich bei der Bio- und Gentechnologie. Der Staat muß darüber hinaus ausreichende Vorsorgeforschung etwa in der Gesundheitsforschung gewährleisten. Zu einer aktiven Forschungs- und Technologiepolitik gehört auch die Schaffung innovationsfördernder Rahmenbedingungen. Die dazu erforderlichen Maßnahmen greifen weit über die Ressortgrenzen des BMFT hinaus und können nur im Rahmen eines industriepolitischen Gesamtkonzepts verwirklicht werden:
[Seite der Druckausg.: 90 ] Damit sind die Aufgaben und Instrumente der Politik für technische und soziale Innovation nur grob umrissen. Die wissenschaftliche community" ist ihrerseits aufgefordert, sich in die Diskussion um die qualitativen Zielsetzungen von Forschung und Entwicklung aktiv einzuschalten und ihre eigenen Anschauungen und Anforderungen in die politische Debatte einzubringen. Nur gemeinsam werden wir die Zukunft meistern. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 2001 |