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WOLF-MICHAEL CATENHUSEN
KANN DIE POLITIK EINEN BEITRAG ZUR GESTALTUNG DER TECHNISCHEN/GESELLSCHAFTLICHEN ZUKUNFT LEISTEN?


Kann die Politik einen Beitrag zur Gestaltung der technischen und gesellschaftlichen Zukunft leisten? Diese Frage der Veranstalter will ich gleich zu Anfang unmißverständlich beantworten: ja, Politik kann an der Gestaltung einer lebenswerten Zukunft mitwirken, und sie steht auch in der Verantwortung, diesen Beitrag zu erbringen. Gerade im Bereich von Forschung und Technologie brauchen wir auch Mut zur Politik, die vorhandenen Spielräume auszuschöpfen. Politikerinnen und Politiker können und sollen sicher nicht alles regeln, aber sie sollten auch nicht den falschen Eindruck von Ohnmacht und Einflußlosigkeit wecken.

Der Bedarf an Politik ist enorm:

  • Die globalen ökologischen Probleme verlangen gewaltige Anstrengungen und ein abgestimmtes Handeln auf nationaler und internationaler Ebene. Die Verpflichtungen, die die Bundesrepublik Deutschland in Folge der Konferenz in Rio eingegangen ist, sind nur bei einem Umsteuern in Energieerzeugung, Produktion und Konsum zu erfüllen. Ökologische Erfolge sind aber nur beim ressourcenschonenden Einsatz neuester Technologien zu erzielen.
  • Auch bei einer Wiederbelebung der wirtschaftlichen Entwicklung, wie sie sich jetzt abzuzeichnen beginnt, wird es nach allen Prognosen keinen Rückgang der Massenarbeitslosigkeit geben. Unser Land braucht deshalb dringender als alles andere neue Arbeitsplätze, die nur in zukunftsträchtigen Branchen geschaffen werden können. Nur durch Investitionen in Zukunftstechnologien, nicht durch Sozialabbau können strukturelle Schwächen des Standorts Deutschland überwunden werden.
  • Die Herstellung gleicher Lebensbedingungen in allen Teilen Deutschlands bleibt auf absehbare Zeit eine der Hauptaufgaben der deutschen Politik. Gerade in Ostdeutschland liegt die Chance in der Innovation: nur mit moderner Infrastruktur und Produktionskapazitäten für die Märkte der Zukunft können die neuen Bundesländer Anschluß an die Entwicklung in Europa finden.

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Diese Problemfülle verlangt nach umfassenden politischen Initiativen. Technik ist für diese Herausforderungen, für eine neue Etappe des gesellschaftlichen Fortschritts „nur" ein Instrument - nicht mehr, aber auch nicht weniger. Technik ist ebensowenig Allheilmittel wie tödliche Bedrohung. Sie ist gerade auch für eine ökologisch verträglichere Produktion, für menschlichere Arbeitsbedingungen in Industrie- und Dienstleistungsbetrieben, für die Bekämpfung von Krankheiten und die Bewältigung von Katastrophensituationen unverzichtbar. Doch natürlich entfaltet Technik nie aus sich selbst heraus eine positive gesellschaftliche Wirkung, sondern immer nur durch intelligente Anwendungen und im Kontext umfassender Lösungsstrategien.

Dennoch ist es eine unbestreitbare Tatsache, daß die Gestaltungsmöglichkeiten der Politik begrenzt sind - nicht nur durch die persönlichen Fähigkeiten des jeweiligen Amtsträgers, sondern auch durch eine Vielzahl von strukturellen Einflußgrößen innerhalb und außerhalb der Politik. Ich will hier nur kurz auf einige dieser Begrenzungen hinweisen:

  • Die Technologieentwicklung und die Märkte, auf denen sich Technik bewähren muß, globalisieren sich immer mehr. Standortentscheidungen multinationaler Unternehmen können immer stärker zwischen unterschiedlichsten Regionen getroffen werden; die Gestaltungskraft nationalstaatlicher Technologiepolitik nimmt deshalb gegenüber solchen Unternehmen ab.
  • Entscheidungskompetenzen verlagern sich, wenn auch nicht mit ungebrochener Tendenz, in Westeuropa zunehmend auf die Ebene der Europäischen Union. Technologiepolitik nationaler Regierungen und Parlamente stößt deshalb schnell an Grenzen, wenn sie die Instrumente der Unionspolitik nicht einbezieht. Gleichzeitig werden wichtige Struktur- und standortpolitische Entscheidungen heute von den Regionen getroffen, in einem föderal verfaßten Land wie Deutschland zumal.
  • Die Finanzkrise des Staates bremst die Gestaltungsmöglichkeiten von Politik zusätzlich. Gerade eine auf die Zukunft gerichtete Forschungs- und Technologiepolitik ist aber nicht möglich, ohne auch Mittel zu investieren, und das ohne Erfolgsgarantie in jedem einzelnen Falle.
  • Politik allein besitzt nicht das Know-how, über die technische Dimension gesellschaftlicher Entwicklung in den nächsten Jahrzehnten zu reflektieren und zu entscheiden. Nur der Austausch mit der wissenschaftlichen Praxis und mit den Anwendern künftiger Technologien schafft die Wissensbasis, von der aus verantwortliche Entscheidungen getroffen werden können.
  • In einem Land mit einer kritischen Öffentlichkeit, auf die wir stolz sind, kann Technologiepolitik und Technologieanwendung nicht gegen Mehrheiten in der Bevölkerung oder gegen den Bedarf von Techniknutzern entwickelt und durchgesetzt werden. Der sensible Umgang mit Technikrisiken ist ebenso wie eine marktbezogene Technikentwicklung unverzichtbar für eine demokratische Forschungspolitik, die zur Wettbewerbsfähigkeit beitragen will.

Verschiedenste Faktoren begrenzen also die Handlungsspielräume der Politik. Diese Begrenztheit mag man beklagen; man kann jedenfalls nur eine Schlußfolgerung daraus ziehen: Gestaltung von Zukunft ist nur in Kooperation mit allen relevanten gesellschaftlichen Akteuren möglich, die wichtigste Grundlage politischer Kompetenz und Handlungsfähigkeit heißt heute Diskurs- und Kooperationsfähigkeit. Für die Ebene der Forschungs- und

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Technologiepolitik bedeutet das: wir Politikerinnen und Politiker müssen in einem ständigen, offenen Zukunftsdialog mit Wirtschaft und Wissenschaft, Gewerkschaften, Verbänden und Umweltschutzorganisationen und anderen an Technologieentwicklung Interessierten versuchen, gemeinsam Leitbilder für Forschung, Entwicklung und Technikanwendungen zu finden und die förderungswürdigen Technologieansätze für morgen und übermorgen zu definieren. Damit relativiert sich das „Ja" auf die mir gestellte Frage ein wenig:

ja, Politik kann einen Beitrag zur Gestaltung der technischen und gesellschaftlichen Zukunft leisten, aber nicht im Alleingang, schon gar nicht gegen starke Kräfte in der Gesellschaft.

Zur Dialogfähigkeit gehört auch Aufgeschlossenheit, Gelassenheit und Sensibilität im Umgang mit Menschen, die skeptisch an neue Technologien herangehen oder konkrete technische Vorhaben kritisieren. Die aufgesetzte Debatte über eine angebliche „Technikfeindlichkeit", hinter der sich Defizite der eigenen Politik scheinbar gut verstecken lassen, hat keine Grundlage in der Bevölkerung. Alle sozialwissenschaftlichen Untersuchungen, gerade auch solche im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft, bestätigen, was ich auch in Diskussionen und persönlichen Gesprächen erlebe: es geht nicht um abstrakte Bekenntnisse pro oder contra Technik, sondern immer um konkrete Anwendungsfälle. Selbst in einem so sensiblen und umstrittenen Bereich wie der Gentechnik gibt es klare Meinungsmehrheiten in der Bevölkerung für sinnvolle Forschungen und Anwendungen in der Medizin und für Grundlagenforschung, bei gleichzeitigem Mißtrauen bis hin zur deutlichen Ablehnung des Einsatzes in der Landwirtschaft und Lebensmittelherstellung. Diese differenzierte, problembezogene Herangehensweise spricht eher für gesunden Menschenverstand als für dumpfe Technikfeindschaft, und sie wird sich selbst dort durchsetzen, wo heute noch Parteitagsbeschlüsse für einen illusorischen „Ausstieg aus der Gentechnik" gefaßt werden. Eine Ausnahme bildet dauerhaft die Kernenergie aufgrund eines unvergleichlich hohen Risikopotentials. Aber auch Kernkraftgegner plädieren nicht für technologischen Stillstand, sondern für den intensiven Einsatz modernster Technik für die Erschließung regenerativer Energiequellen und eine verbesserte und sauberere Nutzung fossiler Energieträger. Deshalb sollte die irreale Debatte über „Technikfeindlichkeit" schleunigst ad acta gelegt werden, damit wir uns der wirklich spannenden Frage nach den Anwendungs- und Gestaltungspotentialen zuwenden können. Die Anforderungen der Menschen an einen sinnvollen Technikeinsatz gehören jedenfalls nicht zu den Dingen, die Politikerinnen und Politiker an erfolgreicher Arbeit hindern.

Für eine handlungs- und erfolgsfähige Forschungspolitik muß sich strukturell etwas tun in diesem Bereich.

  • Ein so stark auf Anforderungen der Zukunft ausgerichteter politischer Sektor wie die Forschungs- und Technologiepolitik braucht strategische Zielsetzungen, die der Vielfalt von Programmen und Fördermaßnahmen zugrundegelegt werden, Leitbilder, die im Tagesgeschäft Orientierung geben.
  • Für eine Förderungsentscheidung muß der zu erwartende Nutzen und Bedarf ausschlaggebend sein. Die verbissene Förderung von Technologien am Markt vorbei, ohne Akzeptanz bei den künftigen Nutzern und ohne Frage nach dem vorhandenen gesellschaftlichen Bedarf können wir uns nicht mehr leisten: finanziell nicht, aber auch im Interesse der Glaubwürdigkeit der Politik und um der Zukunftsfähigkeit des Standorts Deutschland willen nicht. Das hochauflösende Fernsehen war ein klassisches Beispiel

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    für den Versuch, von Staats wegen eine Technik gegen Industrie, Handel und Verbraucher durchzusetzen und sich auch nicht von Erfolgen anderer Nationen auf alternativen Entwicklungswegen irritieren zu lassen. Dieser Versuch war früher oder später zum Scheitern verurteilt, und ich fürchte, der Transrapid könnte, wenn Dimension und Auslegung der Anwendungsstrecke weiter an den Erfordernissen anderer Verkehrsträger, den Interessen betroffener Bundesländer und den Einwänden aus der Wissenschaft vorbei geplant werden, ein ähnliches Fiasko erleben.

  • Ohne Geld läuft nichts, auch nicht in der Forschung. Der Forschungshaushalt hat in einer Zeit, in der Zukunftsinvestitionen nötiger sind denn je und durch die deutsche Einheit zahlreiche neue Anforderungen hinzugekommen sind, dem Finanzminister als Steinbruch für seine Einsparungen dienen müssen wie kaum ein anderer Einzelhaushalt. Anderthalb Milliarden DM fehlen heute jährlich in diesem Haushalt. Mit dieser strategischen Schieflage in der Forschungspolitik darf Deutschland nicht ins 21. Jahrhundert gehen.

Das übergeordnete Leitbild für eine Forschungs- und Technologiepolitik, mit der wir uns den Herausforderungen am Übergang zum 21. Jahrhundert stellen können, muß ein technologischer Beitrag für die ökologische und soziale Erneuerung der Industriegesellschaft sein, das heißt Schwerpunktsetzungen und konkrete Förderprogramme müssen sich in ein Gesamtkonzept ökologischer und sozialer Entwicklung einpassen. In den Rahmen dieses Grundverständnisses ordnen sich konkrete Zielvorgaben wie das Drei-Liter-Auto, benutzerorientierte, mißbrauchsgeschützte Datennetze oder menschengerechte, computergestützte Produktionskonzepte ein. Dieses Verständnis unterscheidet sich grundlegend von einer Politik, die sich von Projekt zu Projekt hangelt und nur im Einzelfall ökologische oder soziale Fragen mit berücksichtigt.

Die zentralen Themenfelder für eine solche Politik müssen sein:

  • die Technologien für den Übergang ins 21. Jahrhundert,
  • moderne, sozial gestaltete Produktionskonzepte,
  • eine leistungsfähige Infrastruktur für die Kommunikationsanforderungen von morgen und
  • der große Bereich der Umwelt-, Energie- und Verkehrsforschung.

Wer Fehler der Vergangenheit vermeiden will, als einzelne Technologien isoliert und bevorzugt gefördert wurden, die heute noch den Forschungshaushalt strukturell belasten, der muß frühzeitig die ganze Breite möglicher Technologien betrachten, die am Übergang zum 21. Jahrhundert und damit für die nächsten Jahrzehnte voraussichtlich strategische Bedeutung erlangen werden. Die technologische Basis der Industriegesellschaft des nächsten Jahrhunderts wird auf einer Vielfalt von miteinander intensiv vernetzten Feldern liegen. Dabei werden - soweit heute prognostizierbar - voraussichtlich insbesondere die Entwicklung neuer Werkstoffe und neue Produktions- und Managementtechniken, die Fortentwicklung der Mikroelektronik, der Einsatz von Software- und Simulationstechnik, Fortschritte in den Bereichen Nanotechnologie, Photonik und Mikrosystemtechnik sowie Anwendungen der Bio- und Gentechnologie über die technischen Vorsprünge von morgen entscheiden. Nicht nur in der Wissenschaft werden Grenzen zwischen klassischen Disziplinen überschritten, auch traditionelle Branchengrenzen werden an Bedeutung ver-

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lieren. Für das Bundesministerium für Forschung und Technologie bedeutet das, daß es sich weit stärker als bisher als Moderator zwischen verschiedenen Disziplinen, zwischen Forschern und Anwendern engagieren muß und sich durch diesen Moderationsprozeß auch selbst den Überblick über die ganze Vielfalt technologischer Entwicklungen in ihrem jeweils neuesten Stand verschaffen muß. Aus dem BMFT ist zu diesen Themen bislang nicht mehr als eine Aufzählung möglicher Zukunftstechnologien zu bekommen. Die Forschungspolitik muß für diese Technologiefelder jedoch langfristige Strategien entwickeln und gleichzeitig die Rückholbarkeit von Entwicklungen sicherstellen. Förderentscheidungen werden in immer größerem Umfang komplexe Vorhaben betreffen, die nur von verschiedenen Forschungsträgern gemeinsam durchgeführt werden können. Förderentscheidungen müssen flexibel getroffen werden, um fatale Blockaden und Fehlentwicklungen wie beim Super-Computer rechtzeitig abwenden zu können. Als Instrument dafür ist eine deutliche Ausweitung der Projektförderung unerläßlich.

Für die Nutzung der vorhandenen technologischen Stärken des Produktions- und Lebensstandortes Deutschland und der Qualifikationsvorsprünge der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind heute optimierte Produktionskonzepte von besonderer Bedeutung. Sie müssen gleichzeitig auf eine Humanisierung der Arbeit, auf einen optimalen Ressourceneinsatz und auf die Einbeziehung der fachlichen und sozialen Kompetenz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei der Gestaltung der Produktionsabläufe ausgerichtet sein. Sie müssen ergänzt werden um ein Konzept des lebenslangen Lernens, das allen Beschäftigten regelmäßige fachliche und allgemeine Weiterbildung ermöglicht. In einem Programm „Moderne Produktion - menschliche Arbeit" könnten diese verschiedenen Aspekte integriert werden. In Japan oder anderen Ländern erfolgreiche Modelle sind dabei in der Regel nicht auf deutsche Verhältnisse übertragbar.

Die technologiepolitische Diskussion in den Vereinigten Staaten wird bestimmt von der Vision von „data super highways", die die Kommunikationsbedürfnisse des 21. Jahrhunderts befriedigen sollen. Mit dem Wettlauf um den Aufbau einer multimediatauglichen Infrastruktur wird eine wichtige Vorentscheidung über eine neue Qualität von Standortvorteilen getroffen. Nirgendwo jedoch ist die Akzeptanz einer Technologie von so großer Bedeutung wie im Kommunikationssektor. Deshalb müssen für das Projekt einer europäischen „Datenautobahn" die Interessen der Anwender, von der Geschäftskommunikation bis zur Unterhaltungselektronik, rechtzeitig berücksichtigt werden.

Angesichts der überragenden Bedeutung der Ökologie für Lebensbedingungen und Lebensqualität müssen auch in der Forschungs- und Technologiepolitik Umweltforschung und Umwelttechnik in Zukunft an erster Stelle stehen. Interdisziplinarität und internationale Kooperation sind die Hauptforderungen an eine Umweltforschung, die mehr als nur singuläre Detailergebnisse liefern will. Das Forschungsministerium muß auch mehr und mehr zu einem Frühwarnsystem für ökologische und andere wichtige gesellschaftliche Probleme werden:

  • Die interdisziplinäre Erforschung komplexer Zusammenhänge von Umweltschädigungen, Klimaveränderungen, Artenrückgang und Erkrankungen beim Menschen ist nur durch übergreifende Kooperation verschiedener Forschungsträger möglich. Aufgabe des BMFT ist es, ökologische Verbundforschung gezielt zu fördern. Deshalb ist zu prüfen, ob eine weitere Großforschungseinrichtung zu einem Umweltforschungszentrum

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    weiterentwickelt werden und koordinierende Aufgaben in einem institutionenübergreifenden Umweltforschungsverbund übernehmen kann.

  • Es ist eine Aufgabe von nationaler Bedeutung, im Bereich der Energieforschung Schritte hin zu einer umwelt- und klimaverträglichen Energieversorgung zu gehen. Die Reduzierung des Energieverbrauchs und die Reduzierung des Schadstoffausstoßes bei der Energieerzeugung sind Schlüsselprobleme für ein ökologisches Umsteuern. Die Praxis sieht jedoch anders aus: für 1994 sind die geringen Mittel für erneuerbare Energiequellen und rationelle Energieverwendung im Forschungshaushalt erneut zusammengestrichen worden. Wollen wir die Schadstoffbelastung der Umwelt deutlich verringern, bleibt uns aber keine Alternative zu umweltfreundlicher Energieerzeugung. Energieeinsparung und die Förderung regenerierbarer Energiequellen, insbesondere von Wind- und Sonnenenergie, sind für CO2-Reduzierung von wesentlich größerer Effizienz als jeder Kernkraftwerksbau. Die Entwicklung und Förderung von Sonnen- und Windenergieanlagen muß deshalb Vorrang haben, Forschungs- und Wirtschaftsministerium müssen gemeinsame Anstrengungen zur breiten Markteinführung entsprechender Anlagen unternehmen. Erfolgreiche Beispiele dafür gibt es in anderen Ländern - Dänemark, Kalifornien, neuerdings auch Japan - genug. Wir sollten uns als Ziel setzen, im Jahr 2000 eine Kapazität von mindestens 50 MW durch Photovoltaik zu erreichen. Dazu brauchen wir die Zusammenarbeit mit den Energieversorgungsunternehmen, die mit einem eigenen Fonds zu diesem ehrgeizigen Projekt beitragen könnten.
  • Unser Verkehrssystem ist an erster Stelle mitverantwortlich für die Belastung der Umwelt mit CO2. Es ist in dieser Form aber nicht nur ökologisch nicht mehr länger vertretbar, sondern stößt auch an die Grenzen seiner Belastbarkeit und damit seiner Tauglichkeit für eine moderne Industriegesellschaft. Seine Fortschreibung nach alter Logik ist für Mensch wie Umwelt unzumutbar. Für eine Umorientierung des Verkehrssystems auf Verkehrsvermeidung und eine Verlagerung von Verkehrsströmen in den öffentlichen Sektor sind zwar in erster Linie Verkehrs-, umwelt- und steuerpolitische, also ordnungspolitische Maßnahmen erforderlich; Forschungs- und Technologiepolitik kann aber unterstützend wirksam werden: bei der Entwicklung moderner Rad-Schiene-Systeme, auf der Suche nach Alternativen zum Verbrennungsmotor, durch Initiativen für schadstoffarme Automobiltechnik, in begrenztem Maße sicher auch durch die Entwicklung von Verkehrsleitsystemen sowie durch die Förderung von Alternativen zu „Just-in-time". Die Magnetschwebebahn Transrapid stellt - als Fremdkörper im europäischen Verkehrssystem - zunächst keinen Beitrag zu einer ökologisch verträglichen Mobilität dar. In dichtbesiedelten Gebieten in Mitteleuropa kann sie ihre spezifischen Fähigkeiten (Beschleunigung, hohe Reisegeschwindigkeit) praktisch nicht entfalten. Das schließt nicht aus, daß in einigen Jahrzehnten unter veränderten Rahmenbedingungen die Verkehrspolitik auch aus ökologischen Gründen auf die Magnetschwebetechnik zurückgreifen muß. Deshalb sollte die Option einer kurzen Anwendungsstrecke ergriffen, aber nicht aus kurzsichtigen politischen Motiven mit Schäden für den ökonomisch erfolgreichen ICE durchgesetzt werden.

Die beschriebenen qualitativen Ziele lassen sich nicht durch staatliche Technologiepolitik allein erreichen. Sie stellen Anforderungen an alle gesellschaftlichen Akteure, die mit Technikentwicklung zu tun haben. Die spezifische Aufgabe des Staates ist es,

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  • den technologiepolitischen Dialog aktiv zu moderieren und gemeinsam mit allen Beteiligten Leitbilder der technischen und gesellschaftlichen Entwicklung zu skizzieren,
  • Entscheidungen über ethische Grundlagen und Grenzen der Forschung zu treffen und den Schutz vor möglichen Risiken zu gewährleisten sowie
  • innovationsfreundliche Rahmenbedingungen zu schaffen.

Staatliche Technologiepolitik wird ihrer Verantwortung nicht gerecht, wenn sie sich darauf beschränkt, Gruppeninteressen aufzugreifen und bestenfalls auszugleichen. Ihre Moderationsaufgabe im technologiepolitischen Dialog schließt eine aktive, eigenständige Rolle in diesem Dialog nicht aus. Die Politik muß im Gegenteil in diesem Dialog eine übergreifende Verantwortung wahrnehmen und Impulse für eine gesamtgesellschaftlich verträgliche Entwicklung geben. Mit dieser „aktiven Moderatorenrolle" kann der Staat zur Entwicklung gemeinsamer gesellschaftlicher Leitbilder beitragen.

Gleichzeitig liegt es in der Verantwortung der Politik, über die Gesetzgebung die Wahrung ethischer Konsense und den Schutz vor möglichen Risiken technischer Entwicklungen zu gewährleisten. Es ist nicht im Sinne eines wissenschafts- und innovationsfreundlichen Klimas, wenn Politiker oder Wissenschaftler für die Forschung quasi normenfreie Räume einfordern. Eine Gesellschaft, die stärker als jede vor ihr von wissenschaftlicher Erkenntnis, von Forschungsergebnissen und von deren - positiven oder negativen - Auswirkungen abhängig ist, hat ein Anrecht auf die Einhaltung ethischer Mindeststandards und praktikabler Schutzvorschriften auch im Bereich Forschung und Entwicklung. Das schließt Entbürokratisierung im Einzelfall nicht aus. Die Politik muß jedoch darauf abzielen, hier mit der technologischen Entwicklung und mit wissenschaftlichen Potentialen mitzuhalten. Dazu gehört ein kontinuierlicher Prozeß der Technikfolgenabschätzung ebenso wie die Integration von Sicherheitsforschungsprojekten in die Förderprogramme des BMFT, namentlich bei der Bio- und Gentechnologie. Der Staat muß darüber hinaus ausreichende Vorsorgeforschung etwa in der Gesundheitsforschung gewährleisten.

Zu einer aktiven Forschungs- und Technologiepolitik gehört auch die Schaffung innovationsfördernder Rahmenbedingungen. Die dazu erforderlichen Maßnahmen greifen weit über die Ressortgrenzen des BMFT hinaus und können nur im Rahmen eines industriepolitischen Gesamtkonzepts verwirklicht werden:

  • Die staatliche Regulierung von Produktion und Konsum über Umweltschutz-, Sicherheits- und Produktnormen trägt zu innovativen Anstrengungen bei und führt mittelfristig zu einer verbesserten Wettbewerbsfähigkeit. Vor allem in der Umwelttechnik, im Gesundheitswesen, im Verkehrswesen und bei der Telekommunikation können solche Normensetzungen Innovationen induzieren und neue Arbeitsplätze schaffen.
  • Im Rahmen einer ökologischen, auf die Steigerung der Energieeffizienz gerichteten Steuerreform sollten über eine steuerliche Begünstigung von Forschung und Entwicklung Innovationen gezielt gefördert und Wettbewerbsnachteile ausgeglichen werden.
  • Es kann heute nicht mehr das Ziel der Technologiepolitik sein, „nationale Champions" zu züchten und durch protektionistische Instrumente vor internationalem Wettbewerb abzuschotten. Deutschland muß für innovative Unternehmen aus dem In- und Ausland ein attraktiver Forschungs- und Produktionsstandort sein.

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Damit sind die Aufgaben und Instrumente der Politik für technische und soziale Innovation nur grob umrissen. Die wissenschaftliche „community" ist ihrerseits aufgefordert, sich in die Diskussion um die qualitativen Zielsetzungen von Forschung und Entwicklung aktiv einzuschalten und ihre eigenen Anschauungen und Anforderungen in die politische Debatte einzubringen. Nur gemeinsam werden wir die Zukunft meistern.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 2001

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