FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausg.: 11 ]


REINHARD STRANSFELD
ZUKUNFTSTECHNOLOGIEN IN DER GESELLSCHAFTLICHEN VERANTWORTUNG EIN BERICHT ZUM KONGRESS


1. Evolution der Themen

Läßt man die technologiepolitischen Debatten der letzten Jahre Revue passieren, begegnen einem vertraute Argumentationsmuster, in denen Begriffe wie Wettbewerbsfähigkeit, Globalisierung, Schlüsseltechnologien oder staatliche Steuerung eine dominante Rolle spielen. Dreht sich die Diskussion im Kreise?

Angesichts der relativ kurzen Spanne seit dem letzten Ingenieurkongreß vor zwei Jahren (Fricke 1992) konnte nicht erwartet werden, daß vormals drängende Probleme des Anschlusses an den internationalen Technologiewettbewerb und der strukturellen Ungleichgewichte aus der deutschen Wiedervereinigung sowie die Suche nach perspektivischen technologiepolitischen Konzepten befriedigend gelöst wären. Sie werden uns weiter beschäftigen. Gleichzeitig wird aber auch eine Verlagerung von Aufmerksamkeiten in den Debatten spürbar. Das Gefühl greift um sich, daß wir es nicht lediglich mit einem Tief in den Gezeiten der Konjunkturen zu tun haben, mit einer Krise, die durch die geeignete Auswahl bewährter Instrumente bewältigt werden könnte. Wir spüren, daß strukturelle Veränderungen stattfinden, die tief in die in Jahrzehnten gewachsene Wirtschafts- und Sozialordnung einwirken könnten. Technologien sind offensichtlich eine treibende Kraft dieser Dynamiken.

Somit dokumentiert der Übergang von industriepolitischen Schwerpunkten des letzten Kongresses zu gesellschaftlichen Fragestellungen nicht lediglich das legitime Anliegen des Veranstalters, neues Interesse zu entfachen. Darin kommt vielmehr zum Ausdruck,

[Seite der Druckausg.: 12 ]

daß die Herausforderungen gewachsen sind. Nicht mehr allein aus den Einzelpolitiken heraus können tragfähige Lösungen für die sich ausweitenden Strukturprobleme gewonnen werden, sondern letztlich nur durch die Wahrnehmung einer umfassenden gesellschaftlich-politischen Verantwortung. Die alten Fragen haben darin eine Zuspitzung erfahren, die sie in einem grelleren Licht erscheinen lassen; die sozialstrukturellen Dimensionen der Krise werden deutlicher. Dies wird nicht von allen wahrgenommen, daher bieten die bisherigen Kontroversen auch weiterhin Zündstoff. Andere sehen die Ausweitung der Problematik und die Notwendigkeit, neuartige Lösungen auf der Grundlage eines umfassenden, fundamentalen Konsenses anzustreben. Der muß erst noch erarbeitet werden, das ist der Stand der Dinge.

Page Top

2. Tendenzen

Aus dem spannungsvollen „magischen Viereck" von Technik, Ökonomie, Gesellschaft und Ökologie erwächst der Widerspruch, daß Wissenschaft und Technik ihren Nutzen im einzelnen entfalten und das gesellschaftliche und private Leben zunehmend prägen, während gleichzeitig weltweit Arbeitslosigkeit und Armut wachsen sowie Ressourcenverbrauch und Umweltbelastungen unser aller Existenz gefährden (Börner). Diese Erkenntnis ist nicht neu. Dennoch wurde lange am „kategorischen technischen Imperativ" (Petrella) der 50er und 60er Jahre festgehalten, der wissenschaftlich-technischen Fortschritt dem sozialen und kulturellen Fortschritt gleichsetzte, mehr noch, dem das Gekonnte das Gesollte war (Anders 1987). Die Globalisierung der (markt-)wirtschaftlichen Verflechtungen trug noch dazu bei, ökonomische Stärke mittels der in diesem Verständnis entwickelten Techniken zu suchen. Erst in jüngster Zeit werden z.B. auch auf europäischer Ebene Vorstellungen herausgebildet, Entwicklung und Anwendung von Technologien anhand umfänglicherer und ausgewogenerer Analysen und Debatten im Spannungsfeld von Technologie und Gesellschaft zu orientieren (Petrella).

Es wäre allerdings verfehlt, würden derartige Ansätze in ein anderes Extrem umschlagen - in den Versuch, die Zukunft an der Technik vorbei gestalten zu wollen. Die rhetorische Frage von Treptow: „Ist es ökonomisch, ökologisch und sozial vertretbar, auf die neuen Technologien zu verzichten?" kann gewiß nur mit einem „Nein" beantwortet werden. Die sehr viel schwierigere Frage, die sich aber sogleich anschließt, gilt dem „Wie?". Der bis heute vorherrschende deterministische Zugang, der in der Technik die Lösung ökonomischer und damit der beschäftigungspolitischen Probleme sucht, muß als gescheitert betrachtet werden (Petrella) [Fn.1: In Deutschland hatte das BMFT Mitte der achtziger Jahre eine umfassende Studie in Auftrag gegeben, die die vorhat denen Untersuchungen u a. zum Verhältnis von technischer Innovation und Beschäftigung auswerten sollte (META^ Studie). Ein wesentliches Ergebnis war, daß „durch Innovation aufgrund der Stärkung der Konkurrenzfähigkeit ein Anwachsen der Arbeitslosigkeit, das bei geringerem Innovationsniveau unvermeidbar wäre, begrenzt" wird (Oppenländer 1991, 3.33).].
Offensichtlich bedarf es differenzierterer Vorstellungen von Gleichgewicht und Wachstum. Dies führt wiederum zum „magischen Viereck" und zur Suche nach Möglichkeiten, inhärente Spannungen ohne Preisgabe von Entwicklungsdynamiken in einer für alle Partialziele verträglichen Weise aufzulösen. In der notwendigen Horizonterweiterung müssen komplexe Wechselwirkungen betrachtet und darüber

[Seite der Druckausg.: 13 ]

hinaus die zeitlichen Dimensionen von Entwicklung wahrgenommen werden. Denn was sich als kurzfristiger Nutzen einer eigendeterminierten Technikentwicklung darbieten mag, kann sich längerfristig als ökonomische Sackgasse und sozial wie ökologisch als verfehlt erweisen. Dies aber macht das „Prinzip Verantwortung" aus: nicht nur über die eigenen Angelegenheiten, sondern auch über die eigene Zeit hinauszudenken - die Fürsorge der jeweils existierenden Generation für die folgenden (Jonas 1979).

Die Erkenntnis hat also an verschiedenen Stellen Fuß gefaßt, daß in diesem Spannungsfeld Gesamtverantwortungen wahrgenommen werden müssen. Es stellt sich nun die Frage, wie die Orientierungen für ein erfolgreiches Handeln in diesem umfassenden Sinne zu gewinnen sind. Was in Japan seit längerem, in den USA seit einigen Jahren gehandhabt wird, ist jetzt auch in Deutschland aufgegriffen worden: die längerfristige Vorausschau wichtiger wissenschaftlich-technischer Trends und erwarteter Innovationen. Dies - und damit insbesondere über die amerikanischen Ansätze, aber auch über die Seitz'sche Angebotslastigkeit [Fn.2: K. Seitz, dessen provokatives Buch „Die japanisch-amerikanische Herausforderung" (1991) die Diskussion des letzten Kongresses stimulierte (vgl. die Einführung von E, Grande in Fricke 1992) konzentrierte das Anliegen auf den Hochtechnologiewettbewerb und die Industrieunternehmen als Anbieter auf den Weltmärkten. Die Anwendungsseite der Technik als Impuls der Entwicklung bleibt in dieser Sicht unterbelichtet.] hinausgehend - im Lichte des Bedarfs sowie der sozialen, rechtlichen, politischen, ökologischen Voraussetzungen und Konsequenzen (Meyer-Krahmer). Als ein Leitgedanke einer umfassenden Vorausschau gilt, daß Technik in frühen Entwicklungsphasen gestaltungsoffen ist. Somit kann den verschiedenen Verträglichkeitsanforderungen der Gesellschaft und der Ökologie entwicklungsseitig noch Rechnung getragen werden. Mehr und mehr verdichten sich derartige Vorstellungen inzwischen im Konzept der Kreislaufwirtschaft. Strategien gezielter normativer Einflußnahme hält Marshall für notwendig, um die positiven Wirkungen von Technik zu sichern. Bleibt die technische Entwicklung ganz den Kräften des Marktes überlassen, sei die Gefahr groß, so Marshall, daß sich eher negative Wirkungen herstellen.

Somit ist das Konzept eines „Dualen Entwurfs" zur Diskussion gestellt. Einerseits von den denkbaren, langfristigen technisch-wissenschaftlichen Entwicklungen, andererseits von der Analyse der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Tendenzen bzw. Erfordernissen ausgehend, werden zunächst unabhängige Szenarien entwickelt. Die Potentiale sich abzeichnender technischer Innovationen und die aus den gesellschaftlichen Problemlösungserfordernissen herleitbaren Anforderungen an die Technik wären dann in einer umfassenden Vorausschau zusammenzuführen.

Ein erster derartiger Ansatz wurde in der Studie „Technologien des 21. Jahrhunderts" des BMFT versucht. Dort wurden aus einer Vielzahl relevanter Themen in einer Verdichtung acht Technologie-Cluster gebildet, die unter verschiedenen Anforderungssichten als zukunftsträchtig gelten [Fn.3: Biotechnologie, Mikrosystemtechnik, Mikroelektronik, Molekularelektronik, Nanotechnologie. Neue Werkstoffe, Photonik, Software u. Simulation (Grupp u. a. 1993)].

Inzwischen wurde in Anlehnung an das japanische Vorbild auch in Deutschland eine erste Delphi-Befragung durchgeführt. Für einen Prognosezeitraum von 30 Jahren, also bis zum Jahre 2020, wurden die Einschätzungen von Experten zu denkbaren technologischen Entwicklungen gewonnen. Diese Aussagen bieten in ihrer Fülle Stoff für umfängliche Analysen. Jedoch haben die japanischen Erfahrungen, dies ließ Sakauchi anklingen, gezeigt, daß dem prognostischen Wert selbst derart ausgefeilter Methoden enge Grenzen

[Seite der Druckausg.: 14 ]

gesetzt sind [Fn.4:In einer Nachuntersuchung zur ersten japanischen Delphi-Studie vom Jahre 1971 erwies sich, daß ein Drittel der Prognosen eingetroffen waren, ein weiteres Drittel teilweise und ein letztes Drittel nicht. Als noch spannender könnten sich im übrigen erfolgreiche Entwicklungen erweisen, an die die Fragesteller gar nicht gedacht hatten. Ein konkretes Beispiel ist Telefax, andere, noch in einem frühen Entwicklungsstadium befindliche technologische Chancen verknüpfen sich mit der Hochtemperatur-Supraleitung. In den Diskussionen über das Delphi-Verfahren wird meist über die Rolle der antwortenden Experten diskutiert. Die entscheidenden Weichenstellungen, d.h. Selektionen, erfolgen jedoch in den Fragestellungen, die jeweils nur einen geringen Ausschnitt aus der Gesamtzahl der denkbaren vernünftigen Fragen bilden. Wie sich die Frage-Designer rekrutieren und von welchen Wahrnehmungsbegrenzungen oder Interessen sie möglicherweise geleitet werden, wird bisher nicht thematisiert.].
Das mag manchem unbefriedigend erscheinen. Auf der anderen Seite ist es aber auch tröstlich, daß die Verantwortung für die Zukunft nicht wiederum an eine Wissenschaft abgetreten werden kann. Technische und gesellschaftliche Entwicklungen sind nicht lediglich Abfolge vorgeprägter Muster. Die Zukunft - und somit auch die Technik der Zukunft - ist gestaltungsfähig. Sie ist aber nicht beliebig offen. Im Lichte der vielfältigen, nicht linear auflösbaren Ziel- und Wertkonflikte gilt es, geeignete Verfahren herauszubilden, die es ermöglichen, die Technologien der Zukunft und die gesellschaftlichen Bedingungen, in die sie konstruktiv eingebettet werden sollen, umfassend, langfristig und in den möglichen normativen Widersprüchen zu erkennen.

Gesellschaftliche Verantwortung kann nur wahrgenommen werden, wenn auf der Grundlage derart breit angelegter Erkenntnisprozesse entschieden und gehandelt wird. Konventionelle Verfahren einer instrumentellen Techniksteuerung (Simonis 1992) werden angesichts der Komplexität der Aufgabe und ihrer normativen Divergenzen unzureichend bleiben. „Produktive Kritik und eine intensive Diskussion" (Treptow) bedürfen eines demokratisch legitimierten, partizipativ angelegten Rahmens, um in diesem Sinne fruchtbar zu werden. In der Gestalt von Diskursen und weiteren Ansätzen sind inzwischen entsprechende Verfahren herausgebildet und erprobt worden (Stransfeld 1994a). Nicht zuletzt im Lichte des Kongresses ist es ermutigend, daß Ingenieure in diesen Verfahren eine aktive Rolle wahrgenommen und sich zur Notwendigkeit interdisziplinärer Sichten bekannt haben.

Page Top

3. Einzeltechnologien

Gesamtheitlich angelegte, normativ orientierte Sichten sind erforderlich, um die großen Linien möglicher und wünschenswerter Entwicklungen zeichnen zu können. Gleichzeitig ist der Blick in die konkreten Einzeltechnologien sowie auf wesentliche Anwendungsfelder unverzichtbar, um aus den alltäglichen Interessen der Akteure und den Belangen der Betroffenen die Bezüge zu dem real Gewünschten und Machbaren zu sichern. Auf dem Kongreß wurden vier wichtige Technologiebereiche zur Diskussion gestellt.

3.1 Energie

Nach wie vor nehmen fossile Brennstoffe (Kohle, Öl, Gas) eine überragende Rolle im Primärenergieverbrauch ein (88 %). Auch in der Stromerzeugung liegt der Anteil mit 63 % noch sehr hoch (Atomkraft 18 %, Wasserkraft 19 % - Hüttl, Lennert). Bis zum Jahre 2020

[Seite der Druckausg.: 15 ]

wird seitens des Weltenergierates ein Zuwachs bis zum Doppelten erwartet (Hüttl). Steigende Wirtschaftsleistungen und die berechtigten Ansprüche an eine verbesserte Lebenssituation in den Entwicklungs- und Schwellenländern sind die treibenden Kräfte dieser Entwicklung.

Somit kreisen die gesellschaftlichen Debatten um diese Technologien zwischen deren bleibender Unverzichtbarkeit und wachsender Unverträglichkeit. Letzteres findet in der CO2-Problematik Ausdruck und hat zur Proklamation des Bestrebens geführt, weltweit bis zum Jahre 2005 eine 25%ige Reduzierung des CO2-Ausstoßes zu erreichen.

Das Bewußtsein einer großen Herausforderung wird von allen geteilt. In den Debatten um Lösungswege tritt jedoch wie kaum bei einer anderen Technologie (die Gentechnik ausgenommen) eine letztlich emotional begründete Gegensätzlichkeit der Positionen hervor. Während beispielsweise in der Verkehrsdebatte die Suche nach Lösungen um technikzentrierte Ansätze und nach soziostrukturell angelegten Konzepten zwar konträr, aber nicht grundsätzlich einander ausschließend geführt wird, wird die heftigste Auseinandersetzung in der Energiethematik zwischen den technischen Alternativen in einer Weise geführt, die dem jeweils anderen Ansatz kaum Raum läßt.

Die technologischen Pole der Debatte bilden einerseits der Modernisierungsansatz: Effizienzsteigerung und „Entschädigung" im Rahmen des gegenwärtigen Energieportfolios, gegebenenfalls mit Gewichtsverschiebung in den Anteilen einzelner Techniken (Hüttl, Lennert). Eine andere Position drängt auf den radikalen Ausstieg aus diesem Portfolio und stellt die direkte Nutzung der Sonnenenergie in den Vordergrund (Scheer). Die Umweltbelastungen durch fossile Energieträger und die Atomenergie sollen damit vermieden werden. Zwischen diesen Positionen wären wohl Ansätze zu erneuerbaren Energien (aus Biomasse) einzuordnen, die allerdings nicht in den Vordergrund traten [Fn.5: Letzteres ist durchaus zu begrüßen, denn mit dem Umweltargument einer diffus verbreiteten, möglicherweise die schädlichen Ausbeutungstendenzen einer industrialisierten Landwirtschaft nachstrebenden Form der Energiegewinnung das Wort zu reden, hieße den Bock zum Gärtner zu machen.].

Quer zum technologisch getriebenen Disput steht der Ansatz, ausgehend von der Internalisierung externer Kosten den Energieverbrauch durch steigende Steuerbelastung schrittweise zu verteuern. Auf diese Weise sollen energiesparende Anwendungen gefördert und ein Druck zugunsten umweltfreundlicher Energieerzeugungs- und Verbrauchstechniken ausgeübt werden (v. Weizsäcker).

Man kann diese Auseinandersetzungen auch in einem anderen Licht sehen, was die ideologieverdächtige Zuspitzung der Gegensätze (zunächst) relativiert: Angesichts der Unvermeidlichkeit des Energiebedarfs gibt es Lösungen, die relativ rasch zu realen Verbesserungen in der Belastungsbilanz führen. Hingegen sind die „idealen Lösungen" in sich aufwendig und können nicht so bald nennenswerte Deckungsbeiträge zum Energiebedarf erbringen. Die Unterschiedlichkeit der Positionen wäre dann nicht fundamental, sondern praktisch. Ein ebenso praktisches Argument ist die Bedeutung der gegenwärtigen Energietechnologien als wichtiger Faktor in der Exportbilanz der Bundesrepublik, die in den klassischen Energieerzeugungstechniken zu den Weltmarktführern gehört. Wenn allerdings die Forschungsaufmerksamkeit und die investive Kraft auf den Fortschritt im Rahmen vorhandener Techniken gerichtet ist, so lehrt die Erfahrung, werden die radikalen Neuerungen, die die Probleme gegebenenfalls nachhaltig beseitigen könnten, u. U. auf den Sankt-Nimmerleins-Tag hinausgeschoben.

[Seite der Druckausg.: 16 ]

Es mag bezeichnend sein, daß energiepolitische Fortschritte, die nicht zuletzt gegen vorhandene institutionell verfestigte Formen und Systeme der Energieerzeugung und des Energieverbrauchs durchgesetzt werden, nicht in Deutschland, sondern z. B. in Kalifornien erreicht werden (erzwungener Flottenanteil von Elektrofahrzeugen, dezentrale Stromerzeugung durch Gasgeneratoren). Die Schwierigkeiten, in Deutschland spürbare Fortschritte zu erzielen, werden exemplarisch sichtbar in den jahrelangen Auseinandersetzungen um die Einspeisung dezentral erzeugten Stroms in das öffentliche Stromnetz und in dem geringen Fortschritt des Wärme-Kraft-Kopplung-Konzepts. Die Gebietsmonopole der Stromerzeugung und -verteilung erschweren die Erprobung neuer lokaler oder regionaler Modelle beträchtlich. Daher wäre hier wie im Bereich der Telekommunikation oder der Bahn eine Deregulierung wünschenswert, die Energieerzeugung und Energieverteilung strikt voneinander trennt. Marktfähigen neuen Konzepten könnte so schneller zum Durchbruch verholfen werden. Innovationen werden auch aufgrund der Bindung investiver Mittel durch die Kohlesubventionierung gehemmt (Hüttl). Die Entwicklung fortschrittlicher, d. h. umweltfreundlicher Energietechniken ist insbesondere auch wegen der hohen Exportquote im Kraftwerkbau anzustreben. Um für die unterschiedlichen Verhältnisse auf den Weltmärkten gerüstet zu sein [Fn.6: Beispielsweise ist angesichts der enormen leicht abbaubaren Kohlevorräte in China ein Verzicht auf eine dortige Nutzung der Energieversorgung kaum vorstellbar. Umso größer sollte daher das Interesse sein, hochentwickelte, schadstoffarme Kohlenkraftwerke anzubieten.] , ist die Industrie an einer breiten Angebotspalette interessiert (Hüttl).

In der Energiefrage erfährt der Begriff der Verantwortung eine Ausweitung im Jonas'schen Sinne - als Verantwortung, die über die eigenen Verhältnisse hinaus die Belange künftiger Generationen wahrnimmt. Daran orientiert, wird die Atomkraft mit ihrem vielleicht künftig technisch beherrschbaren, aber gesellschaftlich prinzipiell nicht beherrschbaren Risikopotential als Option fragwürdig und damit auch öffentliche Investitionen in diese Technologien. Durch eine derartige Mittelbindung werden Technologien, die im „magischen Viereck" einen perspektivreichen Platz einnehmen könnten, u. U. gar nicht erst zur Reife gelangen. Angesichts der differierenden Interessenlagen in diesem Feld ist die Politik in besonderem Maße zu mutigen wie besonnenen Schritten gefordert.

3.2 Informations- und Kommunikationstechniken

Die Informations- und Kommunikationstechniken sind in mehrfacher Hinsicht Gegenstand innovationsstrategischer Debatten. Sie üben von allen gegenwärtig entwickelten Technikbereichen den größten Innovationsdruck aus. Durch plakative Begriffe wie „electronic village" (McLuhan) oder „information society" (Bell) wurde schon frühzeitig das Potential dieser Technologien für einen umfassenden kulturellen Wandel zur Sprache gebracht. Durch luK-Techniken verändern sich die Arbeits- und Lebensumgebungen. Sie erfordern neue Qualifikationen und Tätigkeitszuschnitte und bewirken die Umstrukturierung von Organisationen. Sie innovieren alle anderen Techniken und machen vormals entwickelte technische Lösungen obsolet. Sie sind schließlich selbst zu einem bedeutenden und weiter wachsenden Marktfaktor geworden und damit das meistdiskutierte Thema in den Debatten um die internationale Wettbewerbsfähigkeit.

[Seite der Druckausg.: 17 ]

Nicht zuletzt durch K. Seitz eingebracht, beherrscht die letzte Frage die Diskussionen. Seit langem ist die deutsche Handelsbilanz in der Computertechnik negativ. Die Bauteilemärkte werden von Japan und den USA dominiert, die Softwaremärkte von den USA, nicht zuletzt durch die frühe Entwicklung der Betriebssysteme, wobei auch extrem hohe Aufwendungen nicht gescheut wurden, um diese Schlüsselpositionen zu besetzen [Fn.7: Die Entwicklung des IBM-Betriebssystems OS/360 hat in den 60er Jahren einen Aufwand von 5.000 Mannjahren erfordert. Dem gegenüber ist beispielsweise das Leitprojekt VERBMOBIL des BMFT mit 500 Mannjahren in der ersten von zwei Phasen ausgestattet. (VERBMOBIL strebt als Fernziel die simultante Übersetzung mittels Englisch als Referenzsprache beispielsweise zwischen dem Deutschen und dem Japanischen an.)] . In den letzten Jahren hat sich auch der Telekommunikationssektor, lange eine technologische Bastion der deutschen Industrie, in den Negativtrend eingereiht. Es scheint, als könne die deutsche Industrie das hohe Innovationstempo im IT-Bereich nicht mithalten. Ihre Stärken liegen, so Schüßler, in künftig eher stagnierenden Gebieten, hingegen sei sie als schwach in den expandierenden Teilbereichen einzuschätzen.

Vergleichbar intensiv wird der Innovationsdruck in der Arbeitswelt spürbar. Rechnergestützte Automatisierung läßt das Beschäftigungsvolumen in der Produktion schrumpfen. Stattdessen nehmen die Informationsberufe zu. Sie umfassen inzwischen annähernd die Hälfte der Erwerbstätigen. Diese wiederum arbeiten mehr und mehr am Bildschirm (Dostal). Durch die Digitalisierung der Kommunikationstechnik wurde der Weg zur Verschmelzung von Informationstechnik und Telekommunikation zu einem globalen Gesamtsystem bereitet, eben zum elektronischen Weltdorf.

Daraus ergeben sich u. U. noch sehr viel weiterreichende Folgen für die Beschäftigungssituation. Große, im Verbund operierende Industrie-, Dienstleistungs- und Handelsunternehmen können sich der weltweit verfügbaren Angestelltenarbeitsplätze unter Ausnutzung von Entlohnungsdifferenzen bedienen (Klumpp) - eine Globalisierung, die in den bisher diskutierten Tele-Arbeitskonzepten oft noch nicht angemessen wahrgenommen wurde. Die Softwareentwicklung deutscher Unternehmen wird bereits heute im Zuge eines globalen Outsourcing [Fn.8: Als Outsourcing wird die Vergabe von (wiederkehrenden) Aufgaben an Externe bezeichnet.] in wachsendem Umfang beispielsweise nach Indien vergeben.

Angesichts des hohen Veränderungspotentials sollten gerade auch für die Infrastruktur im Bereich der Telekommunikation die Belange der Betroffenen, z. B. zum Datenschutz oder zur EMV-Problematik [Fn.9: EMV = Elektromagnetische Verträglichkeit] , rechtzeitig wahrgenommen werden, um möglichen Akzeptanzproblemen frühzeitig zu begegnen (Klumpp), dies auch angesichts einer in Deutschland anscheinend höheren Akzeptanzschwelle (Dostal). Die gegenwärtige Diskussion um die elektromagnetische Verträglichkeit (Elektrosmog) in Verbindung mit dem Mobilfunk zeigt, daß gerade eine unzureichende, nicht durch Technikfolgenabschätzung gesicherte Aufklärung der Öffentlichkeit Akzeptanzprobleme hervorrufen kann.

Es sind also rechtzeitig Schritte zu unternehmen, um zur Konsensbildung zu gelangen (Schüßler). Nur auf diese Weise können die angemessenen Anpassungen und Rückkopplungen im Feld der politischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen erreicht werden (Klumpp). Durch eine „bedürfnisorientierte Nachfragesteuerung" hat der Staat selbst die Möglichkeiten, ökonomisch erwünschte wie auch sozial akzeptierte Orientierungen technischer Innovationen anzustoßen (Naschold).

[Seite der Druckausg.: 18 ]

3.3 Verkehr

Die Verkehrsthematik wird (wie der Energiesektor) seit längerem in der ihr eigenen Ambivalenz von bleibender Unverzichtbarkeit und wachsender Unverträglichkeit diskutiert. Darin sieht man sich dem scheinbaren Paradoxon gegenüber, daß sowohl im subjektiven Empfinden wie auch in der empirischen Beobachtung der Verkehr ständig zunimmt, im gesamtgesellschaftlichen Zeitbudget dagegen seit langem mit ca. 4 % nahezu konstant ist (Schallaböck). Die Erklärung liegt darin, daß durch Straßen- bzw. Trassenbau und verbesserte Fahrzeugtechnik die Fahrleistungen pro Zeiteinheit gesteigert wurden. Zudem ist der Anteil des motorisierten Individualverkehrs und damit die Zahl der bewegten Fahrzeuge in den vergangenen Jahrzehnten stetig angewachsen [Fn.10: Die Ausdifferenzierung des Verkehrs hat zur Optimierung von einzelwirtschaftlichen Austauschvorgängen beigetragen und war somit eine wichtige Komponente im ökonomischen Wachstum der letzten Jahrzehnte.].
Als eine primär abgeleitete Aktivität, die entsteht, wenn wirtschaftliches Handeln auf mehrere Orte bezogen ist, bindet der Verkehrssektor jährlich ein Fünftel des Volkseinkommens (Milz), Somit stehen Wirtschaft, Gesellschaft und Verkehr in einem engen wechselseitigen Zusammenhang. Heute hat die Entwicklung den Punkt erreicht, daß

  • aufgrund periodischer Stausituationen die Funktionsfähigkeit des Systems Verkehr als solches gefährdet erscheint,
  • die Umweltbelastungen (Luftverschmutzung, Flächenverbrauch) zum ernsthaften Problem herangewachsen sind,
  • aufgrund individuell erlebter Erschwernisse, Terminversäumnisse und Belastungen (Aufmerksamkeit, Lärm usw.) die vormals durchgängig hohe Statusbesetzung des eigenen Autos bei vielen Bürgern einer nüchtern-kritischen Betrachtung gewichen ist.

Mehr als in allen anderen Technikfeldern gibt es deshalb insoweit einen Grundkonsens, daß wirksame Problemlösungen entwickelt werden müssen. Diskussionsstoff bieten das Verhältnis von Verkehrsvermeidung zur Verkehrseffektivierung, das Verhältnis von Individualverkehr zum öffentlichen Verkehr und das Verhältnis von Personenverkehr zum Güterverkehr. Die Probleme des innerstädtischen Verkehrs bilden dabei einen eigenen Schwerpunkt (hier wird insbesondere der Lkw-Verkehr zu einem Belastungsfaktor).

Nahezu einhellig wird die Auffassung vertreten, daß es auf die wirkungsvolle Abwägung der verschiedenen Verkehrsträger und Handlungsorientierungen ankomme (Bärwald, Canzler, Milz, Schallaböck). Geht es dann um Prioritätensetzungen und Kostenzuweisungen, kann allerdings die Debatte aufgrund von Eigeninteressen beteiligter Gruppen oder Verbände zuweilen erstickt werden.

Lösungsansätze werden gewöhnlich in zwei Clustern diskutiert, die in Annäherung als technologisch-funktional und als sozio-strukturell bezeichnet werden können. In der technisch-funktionalen Orientierung stehen zwei Konzeptansätze im Vordergrund. Zum einen geht es um die Aufgabenverteilung zwischen den verschiedenen Verkehrsträgern. Diskutiert werden vornehmlich das Verhältnis von Schiene und Straße sowie das Verhältnis von Individual- und öffentlichem Verkehr. Scheinbar fortschrittliche Lösungen, wie etwa die Verlagerung des Individualverkehrs zum öffentlichen Verkehr können sich überraschend als suboptimal erweisen, wenn man sich vergegenwärtigt, daß etwa zwei Drittel des öffentlichen Nahverkehrs per Bus abgewickelt werden.

[Seite der Druckausg.: 19 ]

Der Schienenverkehr wird die erhofften Entlastungsbeiträge allerdings wohl nur bei einer weitgehenden Deregulierung und Modernisierung erbringen können. Dies sollte zu Lösungen führen, die die Mobilität auf der Straße, die komfortable individuelle Punkt-zu-Punkt-Verbindung als Näherungsziel konsequent verfolgen [Fn.11: Inzwischen hat die Bundesbahn als erstes Eisenbahnunternehmen der Welt das Konzept einer privaten Schienennutzung gegen Gebühr realisiert. (Zur „Individualisierung" des Schienenverkehrs vgl. auch Stransfeld 1994c, S.221).].

Ferner werden Verkehrsleit- und Fahrzeugsteuerungssysteme unterschiedlichster Natur diskutiert; der massive Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechniken spielt darin eine tragende Rolle. Letztlich wird durch Verkehrsoptimierung die Belastbarkeit eines gegebenen Netzes erhöht. In einer wachstumsorientierten Gesellschaft wird sich dann aber unvermeidbar die Stausituation auf einem höheren Auslastungsniveau wiederholen. Somit, darüber ist man sich im allgemeinen durchaus im klaren, wird das Problem nur aufgeschoben, nicht aber aufgehoben.

Soziostrukturelle Überlegungen (Schallaböck) problematisieren die Mobilitätsanlässe, die insbesondere durch die stark arbeitsteiligen Produktions- und Wirtschaftsprozesse erzeugt werden. Die seit längerem geführte Debatte um Tele-Heimarbeit als Mittel der Verkehrssubstituierung ist allerdings bis heute kaum fruchtbar geworden, zunächst deshalb, weil Tele-Arbeit bisher nicht in nennenswertem Maß realisiert wurde.

Im übrigen ist nicht anzunehmen, daß durch derartige Maßnahmen wirklich eine deutliche Verkehrsvermeidung erreicht werden kann. Denn paradoxerweise wird Individualverkehr gerade dann wieder an Attraktivität gewinnen, wenn das Gesamtverkehrsvolumen tatsächlich spürbar sinken würde.

Statusinteressen wie auch Vitalbedürfnisse, an die die Industrie mit dem Angebot der „Rennreiselimousine" (Canzler) geschickt appelliert, werden vermutlich durch ein vernunft-(im Sinne von verzicht-)geleitetes Social Engineering kaum zu überwinden sein. Dies ist im übrigen eine Auffälligkeit in den verkehrspolitischen Debatten: Verkehr wird schwerpunktmäßig in seiner systemischen Funktionalität diskutiert, kaum aber von den Bedürfnislagen der Menschen her, die mit dem Auto das komfortabelste Mobilitätsangebot nutzen. Wer immer das Auto wirksam zurückdrängen will, muß mit dem Substitutionsangebot den komplexen Nutzen, den das Auto mittels seiner vielseitigen Verwendungsmöglichkeit für triviale Alltagsanlässe bietet, umfassend abbilden [Fn.12: Trivialerweise nutzen Bürger das Auto beispielsweise nicht nur zur Personenbeförderung, sondern auch, um auf dem Heimweg im Supermarkt noch einen Kasten Wasser mitzunehmen, oder als „Zwischenlager" beim Einkaufsbummel. Oder aber, um vor der Arbeit die Kinder zum Kindergarten im anderen Stadtbezirk zu transportieren Die verketteten Nutzungen des PKW innerhalb eines Fahrtzusammenhanges müßten auf andere Weise komfortabel und mit akzeptablem Zeitaufwand hergestellt werden, um PKW-Fahrer zum dauernden Verzicht zu bewegen.]
Bisherige Forschungsansätze sind im wesentlichen strukturell oder normativ orientiert, aber nicht handlungsorientiert angelegt. So bietet sich das überraschende Bild, daß in einem Feld, über das bereits viel geforscht, geschrieben und gesprochen wurde, wichtige Fragen noch nicht fundamental genug gestellt sind.

3.4 Medizintechnik

Medizinische Technik, die uns traditionell in Gestalt der Brille, des Röntgengerätes oder des Zahnbohrers entgegentrat, hat in den letzten 20 Jahren ihr Gesicht entscheidend verändert. Techniken der Miniaturisierung, Materialentwicklungen und vor allem der Einsatz

[Seite der Druckausg.: 20 ]

der Informationstechniken haben zu Leistungen geführt, die vormals unmöglich erschienen. Computertomographie, Ultraschall, künstliche Nieren und Gelenke sowie Faseroptik-Endoskope und vieles andere sind Ergebnisse dieser Technologisierungsphase, die inzwischen breit in die medizinische Praxis vorgedrungen sind (Faust).

Angesichts der seit langem geführten Debatte um die Kosten der medizinischen Versorgung ist der Hinweis nützlich, daß der Anteil der Großgerätekosten an den Gesamtkosten des Gesundheitssystems mit ungefähr 3 % gering sei (Arnold, Faust). Allerdings summieren sich die Kleintechniken zu deutlich darüberliegenden Anteilen auf (Arnold).

Aufgrund ihres zuweilen spektakulären direkten Aufwandes und ihrer teilweise gerade durch ihre Erfolge erhöhten indirekten Kosten ist die Medizintechnik, die sich schon immer der Debatte um den sozialen bzw. individuellen Nutzen im Verhältnis zu den sozialen Kosten bis hin zur Frage der Verantwortung stellen mußte, verstärkt in die Diskussion um die ökonomischen Probleme im Gesundheitssystem einbezogen.

Hier, in der Medizin, erfährt der Begriff der Verantwortung eine besondere Verdichtung. Der Arzt steht als Individuum einem anderen Individuum, dem Patienten, gegenüber (Jonas 1987), im Grenzfall in der Verantwortung für Leben und Tod. Kann es da überhaupt eine distanzierte Abwägung von Kosten und Nutzen geben? Unter dem Schirm dieser eher rhetorischen Frage ist die Medizin (und mit ihr die medizinische Technik) in den letzten Jahren zu Größenordnungen angeschwollen, die zunehmend die sozialen und ökonomischen Netze zu überfordern drohen. Ob dies voll zu legitimieren sei, wird durchaus in Frage gestellt. So haben die modernen Medizintechniken, wie Arnold ausführt, für die kollektive Gesundheit einen vergleichsweise geringen Nutzen. Und es gibt Stimmen, die die dramatische Steigerung der Lebenserwartung von ca. 40 Jahren am Beginn des Jahrhunderts auf gegenwärtig ungefähr 75 Jahre entscheidend auf die verbesserte Nahrungsmittelversorgung und die verbesserten hygienischen Bedingungen zurückführen (letzteres allerdings als Ausfluß medizinischen Wissens), weniger auf das direkte medizinische Wirken.

Dies alles hat jedoch keinen Bestand vor der akuten individuellen Not. Wer leidet oder einen Familienangehörigen leiden sieht, will Hilfe unter Einsatz der denkbar wirksamsten Mittel. Und in der Tat hat die medizinische Technik entscheidend zur Verbesserung von Diagnostik und Therapie beigetragen. Computertomographie und Ultraschall erlauben die Früherkennung und tragen zu sicheren diagnostischen Gesamtinformationen bei, als Voraussetzung für eine erfolgreiche Behandlung. Faseroptische Endoskope und miniaturisierte Sensoren erlauben minimal-invasive Eingriffe zugunsten einer geringen Belastung für den Patienten und bewirken gleichzeitig verkürzte Krankenhausverweildauern und somit kostenmäßige Entlastungen. Hörgeräte und Herzschrittmacher erhöhen die Lebensqualität, ja, erlauben oft überhaupt erst die fortgesetzte Teilnahme am sozialen Leben (Mali).

Ferner kann die berechtigte Frage aufgeworfen werden, ob angesichts der demographischen Entwicklung eine angemessene medizinische Versorgung der alten Menschen ohne hochentwickelte Technik in künftigen Jahrzehnten überhaupt noch aufrechterhalten werden kann (Faust). Die Abwägung aller Faktoren, des erfahrbaren individuellen Nutzens - auch unter dem wachsenden Druck, mit begrenzten Ressourcen künftig bedachtsamer umzugehen - rechtfertigt es, vom unverzichtbaren Beitrag der medizinischen Technik im Gesundheitswesen zu sprechen (Maly).

Zugleich prägt die Technik aber auch zunehmend das kulturelle Verständnis von Ge-

[Seite der Druckausg.: 21 ]

sundheit und Krankheit. Krankheit verliert die Bedeutung der unvermeidlichen körperlichen Selbsterfahrung, der zu bewältigenden Krise, aus der der Mensch gestärkt hervorgehen kann. Krankheit wird zum Objekt instrumenteller Handhabungen, in denen der Mensch sich selbst distanziert gegenübersteht. In dem Maße, wie die Technik mit ihren Methoden des Messens und des physiologischen Einwirkens akute Störungen erfolgreich beseitigt, verliert sich auch die Sensitivität für die psychosomatische Seite von Krankheiten (Arnold), für eine ganzheitliche Sicht des Menschen, der die körperliche Störung lediglich Indikator tieferliegender Unstimmigkeiten ist.

Schließlich werden die Grenzen von Leben und Tod in Frage gestellt. Ein kulturelles und ethisches Selbstverständnis, das angesichts dieser ehemals als ehern erfahrenen Grenzen eine gemeinsam getragene Würde entfalten konnte, gerät in den Strudel pharisäerhaften Auslegungsgezänks. Dies wird noch überschattet von der beunruhigenden Frage, was es für den Menschen und für die Welt bedeutet, wenn Prozesse des Alterns immer wieder hinausgeschoben werden - bis angesichts einer grotesk verzerrten Alterspyramide die ökonomischen und sozialen Einrichtungen unter der Last der vielen uralten Menschen nur noch konservierende, nicht aber mehr entwickelnde Perspektiven wahrnehmen können. So hat eine Technik, die konsequent die Erkenntnisse der Biologie, der Medizin und der Gentechnologie nutzt, vor allen anderen das Potential, die Gesellschaft und das Erscheinungsbild des Individuums in eine Welt zu überführen, die uns sehr fremd erscheinen könnte und die mit einem an unserem klassischen Menschenbild geprägten Verantwortungsverständnis nicht mehr beurteilt werden kann.

Page Top

4. Verantwortung der Politik

In der Fülle der Einzelfragen, der verschiedenen Fachtermini und der unterschiedlich strukturierten Interessenlagen werden in der näheren Betrachtung nichtsdestoweniger Ähnlichkeiten und Muster erkennbar, die sich in den Rahmen allgemeiner Kategorien fügen. Technik, Ökonomie, Ökologie und Gesellschaft bilden die zueinander oftmals in Spannungsverhältnissen stehenden Pole, zwischen denen Auffassungen und Interessen kontrastieren.

In der Verantwortung der Politik liegt es, Rahmenbedingungen zu schaffen sowie Methoden und Instrumente bereitzustellen, die die gesellschaftliche Handlungsfähigkeit sichern. In den unvermeidbar normativen Abwägungsprozessen müssen nicht nur Ordnungs-, sondern auch Orientierungsmuster erzeugt werden. Es ist nicht leicht, dabei die gesellschaftliche Gesamtverantwortung gegenüber den sich nach vorn drängenden Partikularinteressen wahrzunehmen (Schmidt); und es gibt kritische Stimmen, die ein Versagen der Politik in dieser Aufgabe konstatieren (von Randow). Angesichts der Problemlagen ist der Bedarf an einer solchen gesamtverantwortlichen Politik hoch:

  • Die globalen ökologischen Probleme verlangen nicht zuletzt ein abgestimmtes Handeln auf nationaler und internationaler Ebene.
  • Die Massenarbeitslosigkeit wird nicht durch Abwarten auf wirtschaftliche Wiederbelebung, die durch Wachstum ohne Arbeitsplätze gekennzeichnet sein wird, „ausgesessen" werden können.
  • Im Zuge der Herstellung gleicher Lebensbedingungen in Deutschland muß durch mo-

[Seite der Druckausg.: 22 ]

    derne Infrastrukturen und Produktionskapazitäten für die Märkte der Zukunft die Anschlußfähigkeit der Neuen Bundesländer gesichert werden (Catenhusen).

Der Industrie fällt es ihrerseits immer schwerer, angesichts der sich verkürzenden Planungshorizonte für Forschung und Entwicklung die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit herzustellen und sich gleichzeitig auf ungewiß bleibende technologische Langzeitentwicklungen einzustellen (Pohr). Insbesondere aber muß sie die Kostenstrukturen verändern, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Neuen Technologien wird für die Überwindung der Probleme eine Schlüsselrolle zugewiesen (Warnecke, Glotz).

Die Politik steht angesichts dieser vielfältigen Problemlagen vor teilweise widersprüchlichen Anforderungen. Sie soll

  • auf der einen Seite Initiative entwickeln, auf der anderen Seite durch eigene Zurückhaltung Handlungsspielräume für innovative Akteure eröffnen,
  • durch geeignete Rahmenbedingungen für innovative Bereiche wie Umwelttechnologien verbesserte Startvoraussetzungen schaffen und langfristige Investitionssicherheit gewährleisten, gleichzeitig durch Deregulierungen bzw. den Abbau von Vorschriften Innovationshemmnisse beseitigen [Fn.13: Untersuchungen zu möglichen Innovationshemmnisseh durch gesetzliche Regeluhgen im Bereich der Gentechnologie (Hohmeyer, FhG-ISI 1993) sowie zur Informationstechnik (Stransfeld, Vopel 1994b) haben indessen gezeigt, daß derartige Hemmnisse in den öffentlichen Debatten insgesamt überschätzt werden und insbesondere Wettbewerbsnachteile nur unter spezifischen Bedingungen auftreten.] ,
  • einerseits eine Moderatorenrolle einnehmen und den maßgeblichen gesellschaftlichen Gruppierungen in Technologieräten u. ä. die Richtungssuche überlassen, andererseits im Rahmen einer anwendungsorientierten Technologieförderung notwendigerweise selektieren.

Eine Technologiepolitik, die versucht, allen widersprechenden Ansprüchen zu genügen, liefe Gefahr, konturenlos zu werden. Sie würde damit letztlich „Alle-verlieren-Lösungen" herbeiführen [Fn.14: Ein Beispiel ist die Subventionspolitik in der Landwirtschaft, die zum Nachteil der Verbraucher, zu Lasten der öffentlichen Haushalte und zum Schaden der landwirtschaftlichen Strukturen gewirkt hat.].

So wird Technologiepolitik (wie jede Politik) ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nur gerecht werden können, wenn sie ein klares Profil herausbildet, wenn sie

  • sich selbst in einen deutlichen normativen Horizont einbettet und Schwerpunkte setzt, also Selektionsentscheidungen trifft,
  • klar akzentuierte Vorgehensweisen entwickelt, die im Sinne der Ziel-Mittel-Kongruenz mit dem normativen Horizont im Einklang sind,
  • im Wissen um die begrenzte Gültigkeit der Vorausschau offene Strukturen bildet, in denen sie selbst als ein adaptions- und lernfähiges System agiert,
  • angesichts der sich abzeichnenden Unabweisbarkeit tiefgreifenden Strukturwandels von der Infragestellung des vormals Bewährten, aber heute Verkrusteten, nicht zurückschreckt,
  • den Versuchungen elitärer, korporativer Abkapselungen entgeht und nicht nur den Beteiligten, sondern auch den Betroffenen technologischer Entwicklungen und Anwen-

[Seite der Druckausg.: 23 ]

    dungen Gehör schenkt, somit zur Vertrauensbildung beiträgt und den Konsens so erst ermöglicht.

In einem solchen Rahmen könnte eine der Zukunft verpflichtete Technologiepolitik realisiert werden. Die technologische Orientierung hat durch die in der Studie zu den Technologien des 21. Jahrhunderts ermittelten Technologiecluster eine zunächst tragfähige Basis gefunden. Informations- und Materialtechniken, Bio- und Gentechnologien können als Schlüsseltechnologien der nächsten Jahre und Jahrzehnte gelten, um nur einige zu nennen. Die Technikentwicklungen ihrerseits sind in den Dienst von erforderlichen Problemlösungen zu stellen (Warnecke), die mit dem Leitbild der Kreislaufwirtschaft einen neuen paradigmatischen Rahmen gefunden haben (Meyer-Krahmer, Lobboda, Catenhusen). Durch steuerliche Maßnahmen könnte beispielsweise die Effizienz der Energienutzung gesteigert, durch Anreizsysteme Impulse für umweltfreundliche Produkte gegeben werden.

Angesichts schrumpfender Etats tritt die Frage der Prioritätensetzung im Einsatz öffentlicher Mittel verstärkt in den Vordergrund. Von der Subventionierung alter Strukturen wie der Landwirtschaft sowie Kohle und Stahl sollten die öffentlichen Ressourcen in die zukunftsträchtigen Schlüsseltechnologien umgewidmet werden (Schmidt). Zunehmende Aufmerksamkeit ist auf die Tatsache zu richten, daß Innovationen an den Grenzflächen zwischen den Disziplinen auftreten (Glotz). Dies verlangt, verkrustete Strukturen nicht nur in Verwaltung und Industrien (Fücks, Pohr), sondern auch an den Hochschulen aufzubrechen. Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen werden sich mehr und mehr auch mit technologischen Aspekten beschäftigen müssen, die nicht in den Kernbereich ihrer Kompetenz fallen (Meyer-Krahmer). Den erforderlichen übergreifenden Sachverstand kann ein Einzelner, auch ein einzelnes Unternehmen, oft nicht mehr erbringen. Deshalb sind Kooperationen anzustreben (Catenhusen), wie sie heute bereits in Verbundvorhaben realisiert werden (Warnecke).

Staatlicherseits gilt es weiterhin, durch Rahmensetzungen verbesserte Bedingungen für die Entwicklung von Hochtechnologien zu schaffen. Zuweilen stehen (z. B. Bau von Infrastruktureinrichtungen) lange und unübersichtliche Genehmigungsverfahren einer zügigen Technikentwicklung im Wege (Fücks, Pohr) [Fn.15: Solche Hemmnisse können auch in Technikfeldern mit kurzen Innovationszyklen zum Problem werden (Stransfeld, Vopel 1994b, S. 64f.)].

Zudem wirken die starren Bedingungen der Arbeitsmärkte und Beschäftigungsverhältnisse hemmend. Eine Flexibilisierung der Arbeitsmöglichkeiten gilt als eine wesentliche Voraussetzung sowohl in FuE-Bereichen wie auch für die Wettbewerbsfähigkeit in den Kosten (Pohr).

Ferner darf die gesamtwirtschaftliche Durchmischung großer und kleiner Unternehmen nicht zuungunsten der letzteren preisgegeben werden (Glotz). Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) können insbesondere in Verbundvorhaben einbezogen werden, um die volkswirtschaftliche Diffusion technischer Innovationen zu beschleunigen. Gerade für diese Unternehmen ist eine Unterstützung technischer Entwicklungen bis zu Marketingkonzepten erforderlich (Lenzer).

Ein immer wieder beeinträchtigender Engpaß ist zudem das fehlende Risikokapital für kleine Unternehmen (Berger). Die Banken verhalten sich gegenüber kreativen Jungunter-

[Seite der Druckausg.: 24 ]

nehmern unverhältnismäßig absichernd [Fn.16: Es gibt keine rechtlichen Vorschriften, die Banken Risikobeteiligungen verwehren, dies zeigt eine Untersuchung zu Innovationshemmnissen (Stransfeld, Vopel 1994b, S. 67).] und tragen darin wenig zum innovationsorientierten Wandel in der Industrie bei.

Die Industrie selbst ist ebenfalls zu einem zukunftsgerichteten Strukturwandel aufgefordert. Flache Hierarchien und kurze Entscheidungsabläufe kennzeichnen die neuen Konzepte (Pohr, Warnecke). Dies kann jedoch nur fruchtbar werden, wenn damit eine Delegation der Verantwortung einhergeht (Lobboda, Warnecke). Voraussetzung ist die Aufrechterhaltung des Know-how der Mitarbeiter sowie Qualifizierungsmaßnahmen zur Anpassung an die neuen technologischen Anforderungen (Pohr). Die Unternehmen bedürfen allerdings zur Realisierung des Konzepts des lebenslangen Lernens (Catenhusen) der Unterstützung durch öffentliche Infrastrukturmaßnahmen im Bereich der Weiterbildung.

Auf der instrumentellen Ebene strategischer Technikpolitik bietet sich also, wie sich zeigt, ein umfassendes Portfolio von Maßnahmen an, die eine breite Zustimmung erwarten können. Widerstand regt sich jedoch zuweilen, wenn Technikentwicklung einer kritischen Betrachtung durch Technikfolgenabschätzung ausgesetzt ist - ein unverzichtbares Instrument, um angesichts der unübersichtlichen, vielfach verketteten und indirekten Wirkungszusammenhänge neuer Technologien Handlungsunsicherheiten zu verringern (Catenhusen, Glotz). Polemiken über angebliche Technikfeindlichkeit, die kritischen Stimmen die Suche nach dem Weg zurück in die Steinzeit unterstellen, sind wenig hilfreich. Alle Beteiligten sollten aus der Atomdebatte gelernt haben, in der gerade die fehlende bzw. verweigerte Dialogbereitschaft mit den kritischen Stimmen die Zuspitzung bewirkt hatte (Fücks, Warnecke).

Daher sollten Diskurse als Verfahren der Technikfolgenabschätzung in frühen Stadien der Technikentwicklung regelmäßig durchgeführt werden. Auf diese Weise können umwelt- und sozialverträgliche Wege der Technikgestaltung erkundet werden, bevor erfolgte Investitionen die Wahl anderer Optionen faktisch unmöglich machen (Catenhusen). Dem Staat könnte dabei eine aktive Moderatorenrolle zufallen; er sollte zugleich dafür sorgen, daß diese Diskurse in „machtverdünnten Räumen" (Hubig) durchgeführt werden. Interessante Außenseiterstimmen, die gewöhnlich auf dem Altar der Interessen etablierter Institutionen geopfert werden, können dadurch zu Wort kommen. Derartige Diskurse werden unvermeidlich normative Gehalte haben. In der Zwecksetzung unseres Handelns gibt es aber keine Laien (Hubig). Somit wäre nicht zu rechtfertigen, wenn es sich lediglich um elitäre, geschlossene Gruppen handeln würde, die über die Köpfe der Betroffenen hinweg verhandeln. Konzepte der Partizipation der unterschiedlichen Gruppen führen allerdings keineswegs selbstverständlich zum Konsens (Stransfeld 1994a). Um so wichtiger ist es, Maßnahmen für ein geeignetes „Dissensmanagement" zu entwickeln. Hubig schlägt ein Netzwerk von „Zwischeninstitutionen" vor, die ohne Herrschaftsanspruch als Träger von Gemeinsinn agieren und den gesellschaftlichen Umgang mit dem Dissens konstruktiv gestalten sollen.

Was auch immer geschehen soll - wir können nicht mehr freihändig agieren. Deshalb müssen die Schritte und Maßnahmen in die gesamteuropäischen Strategien eingebettet sein. Nur durch die Wahrnehmung der „europäischen Dimension" (Berger) kann angesichts der Globalisierungstendenzen eine volle Durchschlagskraft technologiepolitischer Maßnahmen erreicht werden. Allerdings können fehlende eigene Orientierungen nicht

[Seite der Druckausg.: 25 ]

durch Richtungsangaben aus Europa kompensiert werden, denn dort hat man im „Weißbuch" gerade eben die Dimension der Probleme erkannt, ohne bereits einen Weg weisen zu können [Fn.17: „The Commission underlines the fact that the current development model in the Community is leading to a suboptimal combination of two of its main ressources, i.e. labour and nature." (Petrella)].

Page Top

5. Jenseits der Technologiepolitik - Verantwortung durch und in Visionen

Die Herausforderungen sind groß, und die Notwendigkeit, einer schwierigen Zukunft auf der Grundlage gemeinsamer Überzeugungen und Handlungsansätze vorausschauend gestalterisch entgegenzutreten, ist unübersehbar. Im Geflecht der verschiedenen Teilsichten schälen sich durchaus übergreifende Auffassungen heraus: Einer „Entkrustung" der Institutionen und verbesserten Flexibilität der verschiedenen operativen Netze in Wirtschaft und Gesellschaft wird, so allgemein formuliert, niemand widersprechen. Überdies sind viele scheinbar fundamental und leidenschaftlich geführte Debatten auf der politischen Bühne als Ausfluß der „Arbeit der Zuspitzung" alltäglicher Kontroversen zu betrachten, wie es Peter Glotz einmal an anderer Stelle formulierte.

Und doch - wenn es um Fragen realer Verfügung geht, letztlich ums Geld, wird, oft mit Scheinargumenten, zäh gerungen. Begreift man aber die Herausforderung für das Wirtschafts- und Sozialsystem als fundamental [Fn.18: Unsere über Jahrzehnte erfolgreiche Wirtschafts- und Sozialordnung fußt wesentlich auf konzeptuellen Überlegungen der Freiburger Schule (Eucken 1990/1952). Das volle Ausmaß der durch technische Automatisierung und Rationalisierung herbeigeführten Freisetzungseffekte sowie die massiv wirksame Lohnkostenkonkurrenz der Schwellenländer und osteuropäischen Staaten konnte Eucken Ende der vierziger Jahre nicht vorhersehen. Inzwischen scheint sich Fourasties Vorhersage aus dem Jahr 1954 zu bestätigen. (Er hatte ein Schrumpfen des industriellen Sektors in seinen Anteilen im Beschäftigungssystem mit 10 % auf die Größenordnung der Landwirtschaft vorausgesagt.) Dieser Strukturwandel kann durch Wachstum nicht mehr abgefangen werden, zumal im bisher aufnehmenden Dienstleistungssektor ebenfalls Rationalisierungsprozesse wirksam werden. Damit ist die Wirtschafts- und Sozialordnung insgesamt zur Diskussion gestellt] , als nicht bewältigbar durch schrittchenweise Anpassung auf der Grundlage von Tageseinflüssen, wird die Bedeutung einer gemeinsam getragenen Verantwortung sichtbar, die sich über die Partikularinteressen zu schwingen und zum Verzicht auf Gewinnmitnahmen aus den Tagessiegen zu stimulieren vermag.

Was kann ein solches weitreichendes Verantwortungsgefühl erzeugen? Nach der Säkularisierung der Lebenswelt und dem damit einhergehenden Verlust von Transzendenz war es die gemeinsame Überzeugung des dauerhaften Fortschritts, die die Koordination partieller Interessen unter einer gemeinsamen Verantwortung geleistet hatte. Und es ist nicht zufällig, daß mit dem abblätternden Glanz der Fortschrittsidee, die ihre Manifestationen im quantitativen Wachstum suchte, Verteilungskämpfe entlang alter und neuer Frontlinien aufbrechen und eskapistische Tendenzen Nahrung finden. Es fehlt ein Verantwortungsgefühl über die eigene Lebensspanne hinaus. Es fehlt eine neue Vision - die Vorstellung unserer Zukunftsfähigkeit in einem wünschenswerten Sinn.

Eine solche Vision müßte in faßbarer, d. h. nachvollziehbarer Weise eine Versöhnung der auseinanderstrebenden Kräfte im magischen Viereck von Technologie, Ökonomie, Ökologie und Gesellschaft leisten. Angesichts der Globalisierungstendenzen ist der Ausgleich innerhalb der gegebenen Wirtschafts- und Sozialordnung kaum erreichbar. Eine

[Seite der Druckausg.: 26 ]

neue Ordnung, die diese Aufgabe leisten, die ein (dynamisches) Gleichgewicht unter diesen divergierenden Kräften herstellen kann, ist nicht verfügbar - aber sie erscheint vorstellbar (Stransfeld 1994c). Dies verlangt allerdings, von vertrauten Strukturen und Handlungsgewohnheiten Abschied zu nehmen. Es erfordert auch ein antizyklisches Denken, dem eine Lebenswelt neben den heute so oft beschworenen Globalisierungstendenzen als möglich gilt.

Nun wurden der Utopien schon viele gedacht. Jede Vision muß sich der Frage nach ihrer Machbarkeit stellen. Dies richtet letztlich den Blick auf „Jeder-gewinnt-Lösungen", also auf Vorstellungen, die sowohl den heute handelnden Akteuren als auch den sozial bedrohten Gruppen eine weiterhin aktive Rolle und einen lebenswerten Platz ermöglichen. Für Institutionen wird dies indes nicht in jedem Falle gelten können. Vergleichbar dem Institutionenwandel im Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft im vorigen Jahrhundert werden auch in einer Wirtschafts- und Sozialordnung jenseits der klassischen Industriegesellschaft alte Institutionen an Geltung verlieren oder ihr Gesicht drastisch verändern, neue an Bedeutung gewinnen [Fn.19: Beispielsweise scheinen die heutigen Parteien charakterisiert durch Abschirmungstendenzen gegenüber den realen Bedingungen und Entwicklungen in der Gesellschaft, durch Selbstbeschäftigungsrituale und durch „inzüchtige" Rekrutierung ihrer Funktionsträger. Angesichts der wachsenden, grundlegenden wie auch sich ausdifferenzierenden Problemlagen der Zukunft erscheinen sie nicht mehr fähig zur Konzeptbildung und Lösungssuche. Wenn nicht Wege gefunden werden, die Parteien zu öffnen und damit Realitätsnähe wie auch Perspektive zu erzeugen, werden sie ihre Rolle zur Wahrnehmung gesellschaftlich-politischer Verantwortung im Sinne des Gemeinschaftswohls an andere Institutionen verlieren.].

Wenn es aber gelingt, deutlich zu machen, daß eine zukunftsträchtige Ordnung sich neuer Schlüsseltechnologien, wie von Treptow erwartet, in einem konstitutiven Sinne bedienen wird und muß, werden sich Akzeptanzprobleme bei den Bewahrern gegenwärtiger Strukturen und Konzepte leichter überwinden lassen. Somit wären Zukunftstechnologien zum gleichzeitigen Nutzen ihrer Entwickler und Anwender in den Dienst gesellschaftlicher Verantwortung in einem umfassenden und langfristigen Sinn gestellt; die von Börner im Titel des Kongresses ausgegebene Losung wäre erfüllt.

Page Top

Literatur

Anders, Günther (1987): Die Antiquiertheit des Menschen, Bd.1. München: Beck (1956) Eucken, Walter (1990): Grundsätze der Wirtschaftspolitik. Tübingen: Mohr (1952)

Fricke, Werner (Hrsg.) (1992): Industriepolitik in Europa: Zukunftssicherung durch Förderung von Hochtechnologien? Beiträge zum zweiten internationalen Ingenieurkongreß der Friedrich-Ebert-Stiftung in Köln am 18. und 19. Mai 1992

Grupp, Hariolf, u. a. (1993): Technologien am Beginn des 21. Jahrhunderts. FhG-ISI. Heidelberg: Physica Jonas, Hans (1979); Das Prinzip Verantwortung. Frankfurt: Insel Jonas, Hans (1987): Technik, Medizin und Ethik. Frankfurt: Suhrkamp Oppenländer, K. H. (Hrsg.) (1991): Beschäftigungsfolgen moderner Technologien. Berlin/New York: Walter de Gruyter

Seitz, Konrad (1991): Die japanisch-amerikanische Herausforderung. Stuttgart/München; Bonn Aktuell Simonis, Georg (1992): Forschungsstrategische Überlegungen zur politischen Techniksteuerung. In: Grimmer, Häusler, Kuhlmann, Simonis (Hrsg.): Politische Techniksteuerung, Opladen: Leske + Budrich

[Seite der Druckausg.: 27 ]

Stransfeld, Reinhard (1994a): Diskurse zur Technikfolgenabschätzung der Informationstechnik. Teltow: VDI/ VDE Technologiezentrum Informationstechnik

Stransfeld, Reinhard (1994b) mit R. Vopel: Regelungen zur Informationstechnik und ihre Auswirkungen auf Innovationen - Innovationshemmnisse durch Recht? Teltow: VDI/VDE Technologiezentrum Informationstechnik

Stransfeld, Reinhard (1994c): Langfristige Technikentwicklung in wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Bedeutung. In: Werner Fricke (Hrsg.): Jahrbuch Arbeit und Technik 1994, Bonn: Dietz


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 2001

Previous Page TOC Next Page