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[Seite der Druckausg.: 9 ]


ARNO TREPTOW
INGENIEURE UND POLITIKER IN DER VERANTWORTUNG


Im Namen des VDE danke ich der Friedrich-Ebert-Stiftung, daß wir die Tagung „Zukunftstechnologien und gesellschaftliche Verantwortung" gemeinsam mit ihr veranstalten konnten. Tagungen zum Thema Gesellschaft und Technik haben im VDE Tradition. Diese war die zweite im Rahmen der Reihe „Politik und Technik in der Verantwortung" - die erste fand 1992 gemeinsam mit der Konrad-Adenauer-Stiftung statt. Davor lagen insgesamt fünf weitere Veranstaltungen mit kirchlichen Akademien.

Noch vor wenigen Jahren hätten viele mit unserem Tagungsthema vor allem die Frage assoziiert: „Ist die jeweilige Technologie ethisch, ökologisch und sozial vertretbar?" und nicht die Frage: „Ist es ökonomisch, ökologisch und sozial vertretbar, auf die neue Technologie zu verzichten?"

Heute, da angesichts konjunkturellen Gegenwinds das Schiff aus dem Ruder zu laufen droht, der Standort Deutschland ins Wanken gekommen ist und andere Länder vorbeigezogen sind, sind die Rufe nach Zukunftstechnologien als Retter in der Not wieder deutlicher zu vernehmen - und oft klingen sie wehmütig oder gar vorwurfsvoll. Im Extremfall wird an die Zeiten der großen innovativen Ingenieure und Wissenschaftler erinnert und behauptet, der Erfindergeist hierzulande sei auch nicht mehr das, was er einmal war.

Sollte das ein Grund der Misere sein? Sollte es tatsächlich an Know-how-Defiziten oder an der mangelnden Initiative von Hochschul- und Industrieforschung liegen? Keineswegs. An herausragenden Forschungs- und Entwicklungsleistungen mangelt es nicht.

Es gibt sogar wichtige Perspektiven. Gerade in den letzten Jahren hat sich einiges getan, so z. B. in der Mikrosystem-, Medizin- und Verkehrstechnik oder der Telekommunikation, allesamt Schlüsseltechnologien, die vom VDE vertreten und gefördert werden. Im Mobilfunk haben Deutschland und Europa die Technologieposition inne, die sie in vielen Bereichen haben könnten und müßten: sie stehen mit an der Spitze.

Aber ein, zwei Schwalben machen noch keinen Sommer. Leider ist es immer noch so, daß die Ausnahme die Regel bestätigt: Innovation in Deutschland - Produktion im Ausland. Und für dieses Defizit sind gesellschaftliche und politisch Rahmenbedingungen mit verantwortlich. Lassen Sie mich zwei Beispiele nennen.

Beispiel Gentechnologie. Hier gehörte deutsches Know-how zur Weltspitze. Eine zu langwierige Diskussion führte jedoch dazu, daß heute nicht in Deutschland geforscht und produziert wird, sondern z. B. in Frankreich und natürlich in Amerika. Unser Anschluß an die Weltspitze ist verloren, Deutschland ist Importland.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Produktive Kritik und eine intensive Diskussion sind notwendig und ein unverzichtbares Element unserer Demokratie. Ebenso notwendig und unverzichtbar ist es aber, daß sich die Diskussion nicht verselbständigt, daß sie nicht emotional und ideologisch geführt wird und letztlich die politische Entscheidungsfähigkeit und damit die Fortentwicklung von Schlüsseltechnologien paralysiert. Diesen Luxus können wir uns nicht mehr leisten.

Ein zweites Beispiel: Hochgeschwindigkeitszüge. Zu lange Planungs- und Realisierungszeiten, wechselnde Mehrheiten und Positionen auf der politischen Entscheidungsebene haben diese nicht nur verzögert, sie haben zu einer Verunsicherung von Industrie

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und Wirtschaft geführt. Die Folge: International gesehen drohen die Märkte für ein deutsches Paradestück, für innovative Verkehrssysteme, wegzubrechen.

Wichtig scheint mir deshalb die Feststellung: Die Krise, in der wir uns befinden, hat neben konjunkturellen und strukturellen auch mentale Gründe. Es gibt hierzulande keinen positiven Grundkonsens in Sachen Technikakzeptanz. Es gibt kaum eine feste Entscheidungsbasis, an die sich die Industrie halten könnte, und es gibt - quer durch alle Parteien - keine konsequente und kontinuierliche Innovationspolitik, auf die man sich verlassen könnte.

Was es gibt, sind halbherzige Ad-hoc-Entscheidungen von Fall zu Fall, wie das Beispiel Transrapid eindrucksvoll dokumentiert. Was wir brauchen, ist das genaue Gegenteil: ein positiver Grundkonsens pro Zukunftstechnologien, eine kurze, intensive Diskussion in Einzelfragen und klare, belastbare und nachhaltige Entscheidungen.

Der VDE hat bereits vor Jahren vor den Konsequenzen dieser Versäumnisse gewarnt und versucht, gegenzusteuern. Und auch aus der Partei, der die Friedrich-Ebert-Stiftung nahesteht, hat es nicht an warnenden Stimmen gefehlt. So forderte Dr. Peter Glotz 1988 bei einer Fachkonferenz der Friedrich-Ebert-Stiftung eine Technologiepolitik für die Mikroelektronik - zu einer Zeit, in der diese wohl immer noch das Image des Job-Killers hatte. Die Stimme verhallte quer durch alle Parteien weitgehend ungehört.

Anstatt hier die Weichen richtig zu stellen, subventionierte man weiter Bereiche wie Kohle oder Landwirtschaft. Hier gab es eine Lobby, hier gab es Mehrheiten und - das will ich gar nicht bestreiten - ohne Zweifel auch politische Sachzwänge. Dennoch: Politische Willensbildung ist kein Selbstläufer, sie sollte zumindest keiner sein. Auch Parteien sind dazu aufgerufen, den Meinungsbildungsprozeß aktiv zu beeinflussen - und warum nicht für die essentiellen Zukunftstechnologien?

Man muß meines Erachtens den Bürgern draußen ganz klar sagen, wo die wirtschaftlichen Chancen der Zukunft liegen, welche Technologien den Standort Deutschland sichern können und was passiert, wenn wir die Chancen nicht nutzen.

Deutschland ist kein Rohstoffland; die wenigen Rohstoffe, über die wir verfügen, werden andernorts billiger gefördert. Deutschland ist kein Billiglohnland; selbst wenn wir den Arbeitslohn um ein Vielfaches senken würden, würde dies allein nicht ausreichen, um auf lange Sicht mit klassischen Industrien konkurrenzfähig zu bleiben. Deutschland ist kein Agrarland, und Subsistenzwirtschaft kann nicht im Ernst unsere Perspektive sein.

Aber: Deutschland kann, ja, es muß ein High-Tech-Land sein, wenn wir den Lebensstandard und die Lebensqualität sichern wollen, wenn wir gesellschaftlichen Fortschritt, sozialen Frieden und politische Stabilität wollen, wenn Ökologie finanzierbar und technisch machbar sein soll, wenn Ökonomie und Ökologie Hand in Hand gehen sollen. Unser „Rohstoff" ist das Wissen von Ingenieuren und Naturwissenschaftlern.

Eine Steigerung der Akzeptanz von Zukunftstechnologien, eine sichere Entscheidungsgrundlage, eine konsequente Innovationspolitik und die Förderung von zukunftsweisenden Infrastruktur-Investitionen - darin liegt meines Erachtens ein großes Stück gesellschaftlicher Verantwortung. Von unserer Tagung und der Veröffentlichung der Beiträge erhoffe ich mir - auch über den Tag hinaus - die Intensivierung eines ernsthaften und dauerhaften Dialogs zwischen Politik und Technik. Es ist höchste Zeit, gemeinsam Wege zu suchen, um die Aufgaben der Zukunft im Bewußtsein unserer gesellschaftlichen Verantwortung zu meistern; und ich bin sicher: Mit gemeinsamem Engagement werden wir es auch schaffen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 2001

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