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Zusammenfassung und Schlussfolgerungen


Der Flugverkehr in Deutschland, Europa und der Welt wächst mit ungebremster Dynamik. Der Frankfurter Flughafen, Deutschlands wichtigste internationale Luftverkehrsdrehscheibe, geht von rund 90 Millionen Passagiere im Jahre 2010 aus - im vergangenen Jahr waren es noch knapp 50 Millionen. Der Flughafen London-Heathrow rechnet mit einer Verdoppelung der Passagierzahlen alle 15 Jahre. Die zunehmende Globalisierung der Wirtschaft, der Druck, hochwertige Produkte über Nacht in die entferntesten Winkel der Erde zu liefern und die stetig anschwellenden Touristenströme sorgen für eine unaufhörlich steigende Nachfrage nach nationalen, europäischen und interkontinentalen Flugverbindungen. Die rasche Erreichbarkeit von Regionen, Städten und Firmenstandorten ist zu einem entscheidenden Schlüsselfaktor für die wirtschaftliche Entwicklung geworden. Gleichzeitig gehören Flughäfen zu den größten Arbeitgebern. Die Zahl der direkten, indirekten, induzierten und katalysierten Arbeitsplätze in Zusammenhang mit dem Flugverkehr wird auf über 600.000 geschätzt.

Dabei spielen in Deutschland neben den 17 internationalen Verkehrsflughäfen auch die 21 Regionalflughäfen und die mehr als 130 Verkehrslandeplätze für den Zubringerverkehr eine immer größere Rolle. Gleichzeitig stößt die Kapazität der Flughäfen und der Flugsicherung an Grenzen. Immer häufigere Ver-spätungen, immer mehr sinnlos in Warteschleifen verflogenes Kerosin, immer mehr Beschwerden der Anwohner über den Lärm und eine immer größere Belastung der Atmosphäre mit klimaschädlichen Abgasen sind die Schattenseiten der Entwicklung.

In ihrem Flughafenkonzept, dessen Entwurf im August vorigen Jahres vom Bundeskabinett verabschiedet wurde, unterstreicht die Bundesregierung die Bedeutung des nationalen und internationalen Flugverkehrs für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Auf der Basis einer detaillierten Situationsanalyse wird ein komplexer Maßnahmenkatalog erarbeitet, dessen Realisierung zu

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einer nachhaltigen Entwicklung des multizentralen Flughafensystems in Deutschland beitragen soll. Vorgesehen ist, die flughafenbezogenen Infrastrukturmaßnahmen bei Schiene und Straße in den Bundesverkehrswegeplan (BVWP) aufzunehmen. Der Kurzstreckenflugverkehr unter 500 km soll möglichst umfassend von der Schiene übernommen werden. Allerdings warnen sowohl die Industrie wie auch die Flughäfen hier vor zu großen Erwartungen. Solche Verkehrsverlagerungen könnten den weiteren Ausbau der Flughäfen nicht ersetzen. Außerdem stößt die Ausschöpfung der Umverteilungspotenziale derzeit noch auf erhebliche technische und organisatorische Probleme bei der Deutschen Bahn AG. Vor allem für das durchgehende Einchecken des Gepäcks für die gesamte Reise, das entscheidend für die Akzeptanz entsprechender Schienenangebote ist, gibt es noch keine attraktiven Lösungen.

Weiter werden im Flughafenkonzept neue Regelungen für den Lärmschutz vorgeschlagen. Die Vorschriften, die spätestens im Jahr 2002 vorliegen sollen, zielen auf einen besseren Schutz der Flughafenanwohner vor der Belastung durch Fluglärm. Gleichzeitig sollen Flughafen- und Luftverkehrsgesellschaften hierdurch aber finanziell nicht überfordert werden.

Zu den wichtigen Bereichen mit Handlungsbedarf gehört für die Bundesregierung auch die Schaffung eines einheitlichen europäischen Luftraums. Ein Großteil der Verspätungen im Luftverkehr ist auf die mangelnde Ausstattung und Zusammenarbeit der 69 Flugkontrollzentralen zurückzuführen. Neben technischen Problemen spielt dabei auch das Souveränitätsdenken vieler Staaten einer Rolle. Diese halten große Teile ihres Luftraums für den militärischen Flugverkehr reserviert. Immerhin hat die für Verkehr zuständige EU-Kommissarin Loyola de Palacio angekündigt, das Projekt einheitlicher europäischer Luftraum werde bis zum Jahr 2005 realisiert.

Die Bundesregierung will die Länder beim Abbau von Engpässen in der Luftverkehrsinfrastruktur unterstützen. Zu den in diesem Zusammenhang vorgesehenen Maßnahmen zählt neben der erwähnten Verlagerung von Kurzstre-

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ckenflugverkehr auf die Schiene die Beschleunigung der Planungsverfahren. Weitere Instrumente sind Verbesserungen der Flughafenkooperation unter Einbeziehung von Satellitenflughäfen und die Fortsetzung der Privatisierung im Airportbereich.

Für die Bundesländer ist das Flughafenkonzept der Bundesregierung zwar ein Schritt in die richtige Richtung. Bemängelt wird aber, dass der Entwurf in vielen Punkten nicht konkret genug ausfalle. Insbesondere vermissen die Länder zukunftsorientierte Leitlinien und detaillierte Angaben über den Ausbau der Flughäfen und deren Anbindungen an das Schienen- und Straßennetz. Notwendig sei ein integrierter Kapazitätsentwicklungsplan für das deutsche Flughafensystem, der das Bundesinteresse an diesem Infrastrukturbereich dokumentiere und zur Beschleunigung der notwendigen Maßnahmen beitrage. Weiter wird kritisiert, dass der Bund selbst keine Verantwortung übernimmt, sondern diese auf Länder, Flughäfen und die EU verlagere.

Für die Umweltverbände greifen die Vorschläge der Bundesregierung zur Minimierung der ökologischen Auswirkungen des Flugverkehrs zu kurz. Bedauert wird, dass nicht auch über Alternativen zum weiteren Ausbau der Flughäfen nachgedacht wurde. Der Schutz der Bürger vor Fluglärm und die Verlagerung des Luftverkehrs auf die Schiene erfolgten nicht mit dem gebotenen Nachdruck. Die angekündigten Veränderungen der Lärmgrenzwerte sind für den BUND nicht ausreichend, und der Verzicht auf die Einbindung des Luftverkehrs in eine Klimaschutzstrategie sei politisch fahrlässig. In einem eigenen Handlungskonzept werden u.a.

  • Verlagerungen von Kurzstreckenflügen auf die Schiene

  • Umweltlimits und Lärmkontingente für Flughäfen

  • die engere Zusammenarbeit der Flughäfen im operativen Geschäft und

  • und ein effizienteres Luftraummanagement

gefordert. Auch müsse über Möglichkeiten der Luftverkehrsvermeidung nachgedacht werden anstatt immer wieder neue Ausbaurunden für Flughäfen einzuläuten.

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Die deutsche Wirtschaft befürchtet dagegen Beeinträchtigungen ihrer Wettbewerbsfähigkeit durch das Flughafenkonzept. Es müsse mit Wachstumsbehinderungen des Luftverkehrs in Deutschland und Verkehrsverlagerungen in Nachbarländer gerechnet werden. Notwendig sei vor allem ein bedarfsgerechter Ausbau der Infrastruktur der Flughäfen. Nur geringe Erfolgschancen werden der Beseitigung des Kapazitätsmangels durch Optimierung der Infrastrukturnutzung eingeräumt. Das gelte auch für die Abschöpfung der Potenziale von Konversionsflughäfen. Kritisiert wird weiter, dass nur die Anbindungen der Flughäfen an Schiene und Straße, nicht aber die Airports selbst direkt in die BVWP einbezogen werden sollen.

Hinsichtlich der Lärmschutzregelungen argumentiert die Industrie, dass in einer globalisierten Branche alle eventuellen Verschärfungen wettbewerbskonform gestaltet werden müssen, und betont, dass die Flugzeuge aufgrund des technischen Fortschritts bereits erheblich leiser geworden sind. Änderungen von Grenzwerten dürften die dringend erforderliche Weiterentwicklung des deutschen Flughafensystems nicht behindern und zu Einbußen bei Wachstum und Arbeitsplätzen führen. Wegen der gravierenden Folgen für Wirtschaft und Verbraucher wird auch die Einführung einer Kerosinsteuer für den Luftverkehr strikt abgelehnt.

Fest steht, dass die Steuerungsmöglichkeiten der Politik im Infrastrukturbereich Flughäfen eng begrenzt sind. Die Kompetenzen des Bundes beschränken sich im wesentlichen auf die Anbindung der Flughäfen an das Schienen- und Straßennetz sowie auf Gesetze und Verordnungen zum Schutz vor Fluglärm. Der Bund kann weder den als Wirtschaftsunternehmen betriebenen Flughafengesellschaften Weisungen hinsichtlich ihrer Ausbauplanungen und Investitionen erteilen, noch kann er modifizierend in die Raumordnungs- und Siedlungspläne der Länder und Kommunen eingreifen.

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Angesichts der internationalen Abhängigkeit des Luftverkehrs und der enormen Bedeutung eines gut funktionierenden Flughafensystems für den Wirtschaftsstandort Deutschland wachsen die Zweifel, ob die Planungen für die Flughäfen und damit die Weichenstellungen für den Luftverkehr vorwiegend Landtagen und Kommunalparlamenten überlassen bleiben dürfen. Zwischen der globalen Dimension dieses Verkehrs und der regionalen Zuständigkeit der politischen Entscheidungen besteht ein erhebliches Missverhältnis. Aus dieser Sachlage resultieren immer deutlichere Forderungen nach einem zentral erarbeiteten, allgemein verbindlichen Konzept. Der Vorschlag der Frankfurter Flughafen AG und des Landes Hessen, eine gesamtdeutsche Flughafenholding unter Führung des FAG zu gründen, scheiterte allerdings am entschlossenen Widerstand der anderen Bundesländer und Verkehrsflughäfen, weil so nicht automatisch der Luftverkehrsstandort Deutschland gesichert werden könne.

Mittlerweile wird eine andere Strategie weiter verfolgt, die mehr auf regionale Kooperationen und Zusammenarbeit von Flughäfen gleicher Größenordnung zielt. Derartige Strukturen können helfen, den Kostendruck in der Branche zu reduzieren. Gleichzeitig zeichnet sich ein Trend zu globalen Flughafenallianzen ab. Es wird erwartet, dass in nicht allzu ferner Zukunft nur noch wenige Großkonzerne den Markt beherrschen werden. Dabei kommt es zu Konkurrenzsituationen auf den Primärmärkten, während auf Sekundärmärkten im Bereich von Dienstleistungen und Management ausländischer Flughäfen weltweit kooperiert wird. Mit der Erschließung neuer Geschäftsfelder wird auch die Abhängigkeit der Flughäfen von den großen Allianzen der Airlines verringert. Sol-che Strategien verfolgen inzwischen alle Flughäfen – allerdings mit höchst unterschiedlichem Erfolg.

Unstrittig ist, dass die in weltweiten Allianzen miteinander verbundenen Airlines, die den Verkehr über ihre internationalen Drehkreuze (Hubs) abwickeln, den größten Einfluss auf die künftige Entwicklung des Luftverkehrs haben. Diese orientieren ihre Geschäftspolitik an der Nachfrage und an bestehenden

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Unterschieden bei den Rahmenbedingungen, dagegen nicht an den Wünschen von Regierungen und Parlamenten. Ist die wirtschaftliche Basis in Form von Fluggästen und Fracht zu schmal, dann steht es schlecht um die Akzeptanz eines Flughafens. Dann sind auch die Steuerungsmöglichkeiten der Politik begrenzt. Das zeigt sich derzeit deutlich bei den Planungen der Länder Berlin und Brandenburg zu einem neuen Großflughafen in Berlin-Schönefeld. Hier wurden in der Vergangenheit bestehende Chancen verpasst. Nach den politischen Weichenstellungen soll dieser Flughafen ab 2007 den Betrieb als drittes internationales Drehkreuz in Deutschland aufnehmen. Mit den hierfür benötigten Verkehrsmengen ist aber erst Jahre später zu rechnen. Und ob die Verkehrsdrehscheibe nach Osten dann von Berlin oder beispielsweise von Warschau aus arbeitet, hängt ganz entscheidend davon ab, wo die günstigeren Wettbewerbsbedingungen geboten werden.

Einer der dominierenden Akteure im multizentralen deutschen Flughafensystem ist die Deutsche Lufthansa, für die vor allem der Frankfurter Flughafen, zunehmend aber auch der Münchener Airport wichtige Drehscheibenfunktionen übernehmen. Das Unternehmen legt als größte deutsche Fluggesellschaft und Mitglied in dem weltweit an führender Position agierenden Luftverkehrsbündnis, der Star Alliance, großen Wert darauf, dass eine ausreichende und leistungsfähige Infrastruktur am Boden und in der Luft vorgehalten wird. Hierzu und zu attraktiven Rahmenbedingungen für den Luftverkehr in Deutschland müsste ein zukunftsorientiertes Flughafenkonzept beitragen. Gewarnt wird vor zu engen Lärmgrenzwerten und Ausweitungen der Nachtflugverbote, weil dies die Situation der deutschen Flughäfen im internationalen Wettbewerb nachhaltig schwächen würde. Die Airlines dürften nicht dafür bestraft werden, dass die Kommunen immer näher an Flughäfen heranwachsen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Dezember 2001

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