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Jürgen Kromphardt
Der strittige Weg zu mehr Beschäftigung


Die Bundesregierung betont immer wieder, wie wichtig es ist, die Arbeitslosigkeit zu reduzieren. Sie möchte am Erfolg bei diesem Bemühen gemessen werden. Also stellt sich die Frage: Wie kann man die Beschäftigung erhöhen? Das „Passepartout" der Ökonomen beim Einstieg in die Analyse des Geschehens auf Märkten stellt das Begriffspaar „Angebot und Nachrage" dar. Dementsprechend sollte man auch bei dieser Präge Angebot und Nachfrage betrachten und nach wirtschaftspolitischen Möglichkeiten suchen, die Angebotsbedingungen und gleichzeitig auch die Nachfragebedingungen in der Volkswirtschaft zu verbessern.

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1. Gründe für eine angebots- und nachfrageorientierte Politik

Die Forderung, beide Seiten zu kombinieren, wird insbesondere auf internationaler Ebene vielfach erhoben. Einige Beispiele möchte ich nennen: Ein Team von elf renommierten internationalen Wirtschaftswissenschaftlern, darunter Nobelpreisträger Solow, hat sich mit der Arbeitslosigkeit in Spanien befaßt und bei dieser Gelegenheit betont, Angebots- und Nachfragepolitik ergänzten sich auf natürliche Weise. Eine Verpflichtung zu makroökonomischer Unterstützung der Nachfrage sei wesentlich, um die Arbeitslosigkeit zu reduzieren. Sie erleichtere zugleich angebotsorientierte Reformen (Blanchard u.a., 1995, S. 5). Der Nobelpreisträger Solow (1999) hat dazu passend in einem Vortrag in München, der sehr viel Beachtung gefunden hat, ausgeführt, Deutschland und Europa hätten neben den Angebotsproblemen auch ein Nachfrageproblem. Darin unterstützt ihn Krugman (1998), der von der „Return of Demand-Side-Economics" spricht. Weiterhin gibt es, was vielleicht wichtiger ist, ein „Manifest zur Unterbeschäftigung in der Europäischen Union" (Modigliani u.a., 1998), in dem angebots- und nachfragepolitische Maßnahmen als ein zusammengehöriges Paket bezeichnet werden. Dieses Manifest wurde von acht renommierten Wirtschaftswissenschaftlern aus verschiedenen Staaten formuliert und von vielen Ökonomen unterschrieben. Ferner hat Wolfgang Franz 1998 in der FAZ geschrieben, was sich jetzt in der Diskussion im Sachverständigenrat vollziehe, sei die längst überfällige Integration beider Aspekte, nämlich des Nachfrageaspektes und des Angebotsaspektes. Alleinvertretungsansprüche einer Seite seien zurückzuweisen.

Als Vorletztes zitiere ich eine Erklärung, die von 163 Ökonomieprofessoren in Deutschland, Österreich und in der Schweiz unterschrieben wurde, die sich für das Verbleiben von Wolfgang Franz im Sachverständigenrat ausgesprochen hatten, und zwar mit der Begründung: „Er habe durch eine differenzierte Betrachtung angebots- und nachfrageorientierter Maßnahmen zu einer neuen Akzentsetzung beigetragen" (Möller/Schettkat, S. 8).

Ich möchte diese Aufzählung mit zwei Zitaten aus dem letzten Jahresgutachten des Sachverständigenrats abschließen. In Tz 232 formuliert er: „Generell gilt, dass beide

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Politikansätze nicht notwendig im Widerspruch zueinander stehen. Sie sollten einander vielmehr ergänzen". Das klingt zwar gut, aber die Formulierung im nächsten Absatz erweckt Zweifel: „Wenn wichtige gesamtwirtschaftliche Ziele, und dazu gehört natürlich insbesondere die hohe Beschäftigung, über lange Zeit anhaltend und in erheblichem Ausmaße verfehlt werden, läßt sich dies nicht durch einfaches Gegensteuern einer auf Verstetigung gerichteten Nachfragepolitik beheben. Vielmehr deutet in der gegenwärtigen Lage in Deutschland alles auf Funktionsmängel der marktwirtschaftlichen Anpassung hin, denen mit strukturellen Reformen zu begegnen ist. Das ist mit Angebotspolitik gemeint". Damit wird Nachfragepolitik auf antizyklische Politik reduziert und spielt bei den wichtigeren mittelfristigen Überlegungen des Sachverständigenrats eben doch keine Rolle; vielmehr wird dann nur noch die angebotsorientierte Seite beleuchtet. Dieses Vorgehen findet man bei vielen anderen wirtschaftspolitischen Beratern, insbesondere in Deutschland.

Insofern gibt es nach wie vor Streit über den richtigen Weg zur Beschäftigung. Der eine Weg besteht darin, sich, wie es der Sachverständigenrat und viele andere wirtschaftspolitische Berater empfehlen, auf die Angebotsseite zu konzentrieren und eine konsequente Angebotspolitik zu betreiben, d.h. die Angebotsbedingungen sowie die Kostenbedingungen in der Volkswirtschaft bei den Unternehmen zu verbessern. Immer dann, wenn Angebotsaspekte und Nachfrageaspekte kollidieren, also im Widerspruch zueinander stehen, indem eine bestimmte Maßnahme gut ist für die Angebotsseite, aber schlecht für die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen, dann muss die Nachfrageseite zurücktreten und auf ihre Berücksichtigung verzichtet werden, denn als entscheidend gilt die Angebotsseite.

Der andere Weg besteht darin, Maßnahmen zu ergreifen, die beide Seiten positiv beeinflussen (davon gibt es natürlich nur eine begrenzte Zahl) oder zumindest auf keiner der beiden Seiten Schaden anrichten, und Maßnahmen zu unterlassen, die nur die eine Seite auf Kosten der anderen begünstigen. Wenn man also eine Verbesserung der Nachfragebedingungen in Kauf nehmen muss (oder umgekehrt), sollte man auf die entsprechende Maßnahme verzichten. Dieser Weg berücksichtigt beide Seiten und wendet sich nicht der einen Seite auf Kosten der anderen Seite zu.

Soweit die allgemeine Beschreibung dieser beiden Wege. Nun muss man natürlich fragen: Was bedeutet das konkret für die einzelnen möglichen Maßnahmebereiche? Dabei möchte ich zwei Ebenen unterscheiden. Auf der einen liegen die Maßnahmen, die sich auf die Gesamtwirtschaft beziehen; jene auf der zweiten Ebene haben mit der Struktur der Volkswirtschaft zu tun.

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2. Konsequenzen für die gesamtwirtschaftliche Politik

Auf der gesamtwirtschaftlichen Ebene gibt es drei traditionelle Bereiche der Wirtschaftspolitik: die Geldpolitik, die Fiskalpolitik und die Lohnpolitik. Für alle drei Bereiche kommt man zu unterschiedlichen Einschätzungen, je nach dem Weg, den man für den besseren hält.

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2.1 Geldpolitik

Das vorrangige Ziel der Geldpolitik besteht unstrittig darin, die Preisstabilität zu sichern. Ein Entscheidungsspielraum ergibt sich daher erst dann, wenn man Preisstabilität erreicht hat. Das ist erfreulicherweise in Europa zur Zeit der Fall: Die Europäische Zentralbank hat festgelegt: Wenn der Lebenshaltungskostenindex um weniger als 2% pro Jahr steigt, dann reden wir nicht mehr von Inflation, sondern von einer geringfügigen Preissteigerung, die sich schon aus Strukturverschiebungen ergibt und kaum zu vermeiden ist. Wir befinden uns dann unterhalb der Inflationsschwelle.

Da dieses erreicht ist, stellt sich die Frage: Wie nutzt man diese Situation aus? Soll man sie ausnutzen, um durch weitere Zinssenkungen günstigere Bedingungen zu schaffen? Eine Zinssenkung ist günstig auf der Angebotsseite, denn niedrigere Zinsen bedeuten niedrigere Zinskosten und haben daher eine Kostenentlastung bei all den Unternehmen zur Folge, die einen Teil ihrer Investitionen über Kredite finanzieren. Und auf der Nachfrageseite besteht immerhin die Hoffnung, dass durch niedrigere Zinsen mehr Investitionen rentabel werden und dadurch mehr investiert wird, neue Arbeitsplätze geschaffen werden und die gesamtwirtschaftliche Nachfrage ansteigt. Eine Zinssenkung schafft daher auf beiden Seiten Vorteile. Trotzdem sind die beiden Richtungen in dieser Frage unterschiedlicher Meinung, weil nämlich die Angebotsökonomen, die das Angebot in den Vordergrund stellen, meistens auch gleichzeitig Monetaristen sind. Und Monetaristen sind überzeugt, dass eine Zinssenkung über eine Erhöhung der Geldmenge auf verschiedenen Wegen auf Dauer zu einer höheren Inflationsrate führt. Man habe daher zwar kurzfristig Vorteile, aber langfristig nicht. Also sind die Angebotsökonomen dafür, auf die Zinssenkung zu verzichten, auch wenn sie möglich ist, weil das Inflationsziel bereits erreicht ist. Sie verschenken damit Möglichkeiten, die Nachfrage zu steigern.

Die Anhänger der anderen Richtung meinen dagegen, man sollte diese Situation nutzen, denn der Zusammenhang zwischen Zinssenkung, Geldmengenentwicklung und Inflationsrate enthält keine Automatik. Ein Beispiel dafür ist die Entwicklung in den USA. Die USA haben seit neun Jahren einen langen Aufschwung mit ständig steigender Beschäftigung sowie deutlich rückläufiger Arbeitslosenquote, und seit mindestens fünf Jahren fragen viele Ökonomen immer wieder: Wann kommt denn nun endlich der Anstieg der Inflationsrate, denn eigentlich müssen ein Zuwachs an Beschäftigung und ein Rückgang der Arbeitslosigkeit mit steigenden Preisen verbunden sein? Bis heute stellen diese Ökonomen erstaunt fest, weil es ihrer Prognose widerspricht, dass in den USA die Inflationsrate noch immer nicht steigt. Sie rechnen natürlich damit, dass sie demnächst steigen wird und fordern dann, nun müsste doch endlich etwas getan werden. Aber bislang sind die Preise erfreulicherweise nicht gestiegen. Es gibt offenbar keinen automatischen Zusammenhang. Insofern lohnt es sich, Zinssenkungen zu versuchen. Wenn man dann feststellt, es gibt doch eine Beschleunigung der Preissteigerungsrate, dann muss man leider diesen Schritt wieder zurücknehmen. Aber man sollte es wenigstens versuchen. Soviel zur Geldpolitik.

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2.2 Fiskalpolitik

Der zweite Bereich umfaßt die Fiskalpolitik. Hier stellen sich zwei Fragen: Welche Maßnahmen sind auf der Seite der Besteuerung möglich? Wie soll man es mit den staatlichen Ausgaben halten? In Deutschland ist jetzt ein großes Programm auf den Weg gebracht worden, die Steuersätze bei der Einkommensteuer deutlich zu reduzieren (mit vielen Komplikationen). Mit der Steuerentlastung der Bürger und der Unternehmen wird die Hoffnung verbunden, dass dadurch die Privaten leistungsbereiter werden, weil sie mehr von ihrem Bruttoeinkommen übrig behalten. Außerdem verbessern sich die Wettbewerbsbedingungen für die Unternehmen: Wenn sie weniger Steuern bezahlen müssen, können sie bei gleichen Kosten niedrigere Preise verlangen. Zugleich steigt das verfügbare Einkommen der Haushalte und der Unternehmen, so dass diese Maßnahme auch von der Nachfrageseite her günstig ist. Von beiden Seiten her ist eine Steuersenkung daher positiv zu bewerten, wenn man das Ziel verfolgt, die Beschäftigung zu erhöhen und die Arbeitslosigkeit zu verringern.

Die Meinungen gehen erst auseinander, wenn diskutiert wird, was bei den Staatsausgaben geschehen soll. Die eine Position ist: Wenn die Steuereinnahmen tendenziell durch die Senkung der Steuersätze reduziert werden, dann müssen auch die Ausgaben gesenkt werden, denn die öffentlichen Haushalte sollen konsolidiert werden. Das Problem bei dieser Reaktion besteht darin, dass der Rückgang der Staatsausgaben einen Nachfrageausfall nach Gütern und Diensten bedeutet. Dieser wird von den Angebotsökonomen als mittelfristig unwichtig in Kauf genommen.

Die andere Position hält dagegen: Die Steuersenkung wird eine Dynamik in Gang setzen, durch die die Einkommen in der Volkswirtschaft steigen. Auch die Angebotsökonomen, die besonders engagiert für die Senkung der Steuersätze eintreten, behaupten, diese fördere die Leistungsbereitschaft der Privaten. Wenn das der Fall ist und daraufhin die Einkommen steigen, dann steigt auch das Steuereinkommen des Staates, so dass ein Teil des aktuellen Verzichts auf Steuereinnahmen kompensiert wird. Es bleibt die Frage: Wie weit soll man sich auf diese partielle Selbstfinanzierung von Steuersenkungen verlassen und darauf vertrauen? Wenn man es für richtig hält, auch die Nachfrageseite zu berücksichtigen, dann ist es konsequent zu fordern, die Staatsausgaben sollten so weiter wachsen, wie es in der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen war.

Das bedeutet für die aktuelle Situation in Deutschland: Derzeit ist geplant, dass die Staatsausgaben insgesamt etwas weniger steigen als das Bruttoinlandsprodukt; demnach wird die Staatsquote im Laufe der Jahre langsam zurückgehen. Diese Finanzplanung erleichtert es, die Nachfrageseite in der Weise zu berücksichtigen, dass man das Risiko eingeht, dass die oben angesprochene Selbstfinanzierung nur in Grenzen funktioniert: Man weiß nicht genau, wie die privaten Haushalte und die Wirtschaft darauf reagieren, dass weniger Steuern gezahlt werden müssen. Bei den privaten Haushalten ist es ziemlich sicher, dass der Konsum zunimmt, wenn das verfügbare Einkommen steigt, wenn also vom Bruttoeinkommen mehr übrig bleibt. Das ist eine Erfahrung, auf die man sich ganz gut verlassen kann. Aber was die Unternehmen machen, wenn ihre verfügbaren Gewinne steigen, das ist nicht so sicher. Es kann sein, dass sie diese dazu benutzen, um noch mehr andere Firmen auf-

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zukaufen - was zur Zeit sehr populär in der Wirtschaft ist -, statt das Geld für Sachinvestitionen und neue Arbeitsplätze auszugeben. Hier liegen daher Risiken. Aber es lohnt sich, diese Risiken einzugehen. Das Fazit zur Fiskalpolitik lautet also: Es besteht grundsätzliche Einigkeit über die Senkung der Steuersätze, aber es bestehen unterschiedliche Auffassungen über die richtigen Reaktionen auf der Ausgabenseite.

2.3 Lohnpolitik

Der dritte Bereich ist die Lohnpolitik, wobei bei uns der Staat auf die Lohnpolitik eigentlich keinen Einfluß nehmen dürfte, weil er die Tarifautonomie zu respektieren hat. Die Tarifparteien sollen selbständig entscheiden (und tun das auch), wie die Löhne sich entwickeln. Aber es ist Tradition, dass der Wirtschaftsminister, welcher Partei er auch angehört, immer von den Arbeitnehmern fordert, sie sollten „Maß halten". Wie groß das Maß sein dürfte, wurde selten präzisiert. Aber Maßhalten haben alle propagiert. Eine derartige verbale Einmischung in die Entwicklung des gesamtwirtschaftlichen Lohnniveaus hat es immer gegeben, und zwar auch von wissenschaftlicher Seite. Also muss man sich darüber den Kopf zerbrechen, welche Lohnentwicklung zu empfehlen ist. Das Grundproblem der Lohnpolitik kann mit dem Begriff des „Doppelcharakters der Löhne" gekennzeichnet werden, der von Marx stammt. Man darf diesen Begriff trotz dieser Herkunft benutzen, denn die Bundesbank hat in ihrem Monatsbericht von August 1994 (S. 229) geschrieben: „Gesamtwirtschaftlich gesehen, haben Löhne und Gehälter einen Doppelcharakter: Einerseits verkörpern sie die wichtigste Einkommensquelle und bestimmen damit in erheblichem Maße die Nachfrage nach Konsumgütern; andererseits stellen sie einen für Unternehmen zentralen Kostenfaktor dar, der über die aktuellen Angebotsmöglichkeiten und über die zukünftigen - in Form von Investitionen - mitentscheiden" Löhne haben also einen Kosten- und Angebotsaspekt und einen Nachfrageaspekt. Das ist mit diesem Begriff des Doppelcharakters der Löhne gemeint.

Die Frage stellt sich nun: Wie geht man mit diesem Doppelcharakter um? Wählt man den reinen angebotsökonomischen Weg, so konzentriert man sich auf den Angebotsaspekt und tritt für Lohnzurückhaltung, also für moderate Lohnsteigerungen ein, weil das die Unternehmen auf der Lohnkostenseite entlastet und ihnen damit Spielräume gibt, entweder einen höheren Gewinn zu erzielen und daraus mehr zu investieren oder die Preise zu senken und dadurch wettbewerbsfähiger zu sein.

Allerdings liegen die Dinge nicht ganz so einfach. Wolfgang Franz hat in der Neuen Züricher Zeitung vom 29./30. Januar 2000 geschrieben: .Lohnzurückhaltung hilft viel, wenn zu hohe Lohnkosten die Ursache der Arbeitslosigkeit darstellen". Das leuchtet ein. Wenn die Lohnkosten zu hoch sind, ist Lohnzurückhaltung das Heilmittel, weil dadurch die Lohnkosten sinken. Aber er fährt fort: „Sie nützt kaum etwas, wenn ein gesamtwirtschaftliches Nachfragedefizit nach Gütern und Dienstleistungen für die Unterbeschäftigung verantwortlich ist". Daraus folgt: Die Wahl der richtigen Lohnpolitik setzt eine Situationsanalyse voraus, um die Frage zu beantworten: Sind die hohen Lohnkosten oder die fehlende Nachfrage nach Gütern und Diensten die Ursache der Arbeitslosigkeit? Und dann geht der Streit auf dieser Ebene weiter, in-

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dem die einen die Lohnkosten verantwortlich machen, die anderen die Nachfrage. Die Arbeitslosigkeit kann natürlich von beiden Seiten verursacht sein.

Die Angebotsökonomen machen es sich da meistens einfacher, weil sie üblicherweise nicht nur Monetaristen sind (das ist relevant für die Geldpolitik), sondern auch Neoklassiker und im Grunde genommen den Arbeitsmarkt so betrachten wie einen Markt für ein individuelles Gut. Betrachtet man irgendein Industrieerzeugnis, so sagt einem die Lebenserfahrung: Je höher der Preis eines Gutes ist, desto weniger wird davon gekauft. Wenn der Preis niedriger ist, dann wird mehr von dem Gut gekauft. Also führt eine Preissenkung zu einer höheren Nachfrage. Das gilt im allgemeinen. Es gibt natürlich Ausnahmen, z.B. bestimmte Luxusgüter, die man deswegen kauft, weil sie teuer sind. Wer sich z.B. einen Rolls Royce kauft, der kauft ihn, damit er demonstrieren kann, wieviel Geld er hat. Und wenn der Rolls Royce teurer wird, dann hat er einen Grund mehr, ihn zu kaufen, denn er kann nun dokumentieren, dass er sich dieses Auto immer noch leisten kann. Das sind aber Ausnahmen, die die Regel bestätigen, dass die Preissenkung einzelner Güter zu mehr Nachfrage führt.

Diese Regel, die für einzelne Güter gilt, wird dann in der neoklassischen Tradition auch auf den Arbeitsmarkt angewendet. Darauf folgt automatisch der Schluss: Wenn die Löhne gesenkt werden, wird mehr Arbeit nachfragt. Das Problem dabei ist, dass die genannte Regel mikroökonomisch, d.h. für einzelne Güter gilt, deren individueller Preis variiert wird, während der Arbeitsmarkt ein gesamtwirtschaftlicher Markt ist, auf dem die einzelwirtschaftlichen Zusammenhänge nicht notwendigerweise gelten, sondern auf dem die Zusammenhänge komplizierter sind. Die Angebotsökonomen machen es sich jedoch einfach und übernehmen diese neoklassische Denkweise. Und in diesem Rahmen kann Lohnzurückhaltung nie verkehrt sein; sie wird auf jeden Fall nicht schaden. Auch Wolfgang Franz hat nicht gesagt, sie schade, sondern nur, sie könnte u.U. nichts nützen. Aber Angebotsökonomen sind meistens der Ansicht, die Kosten seien zu hoch, also sei Kostensenkung etwas Gutes.

Geht man jedoch anders an die Sache heran und berücksichtigt die Angebotsseite und die Nachfrageseite, dann gerät man in ein Dilemma. Wenn die Löhne langsam steigen, dann entstehen Vorteile auf der Kostenseite und Nachteile auf der Nachfrageseite. Denn wenn das Einkommen der Arbeitnehmer langsamer steigt, können sie auch ihren Konsum nur langsamer ausweiten. Wenn umgekehrt die Löhne sehr kräftig steigen, dann entstehen vielleicht Vorteile auf der Nachfrageseite, aber bestimmt Nachteile auf der Kostenseite.

Was soll man in dieser Situation tun? Der Grundsatz aus dieser Position heraus lautet: Man sollte keine Maßnahmen treffen, die eine Seite auf Kosten der anderen begünstigt. Die Lösung kann dann nur darin bestehen, einen Weg zu finden, der auf beiden Seiten keinen Schaden anrichtet. Denn die Abweichung nach unten oder nach oben bringt immer auf der einen Seite Vorteile, auf der anderen Seite Nachteile. Also muss man den Mittelweg wählen und der besteht darin, in der Situation, in der wir uns erfreulicherweise befinden, indem wir nach der Definition der Europäischen Zentralbank keine Inflation haben, die Regel anzuwenden, dass die Nominallöhne so rasch steigen sollen wie die physische Arbeitsproduktivität und die Preise zusammengenommen, solange deren Anstieg unter der Inflationsschwelle bleibt. In

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diesem Fall steigen die Lohneinkommen der Arbeitnehmer genauso rasch wie der Wert ihrer Produktion.

Höhere Arbeitsproduktivität bedeutet, dass jeder Erwerbstätige pro Jahr mehr produziert. Und diese Mehrproduktion muss auch irgend jemand kaufen. Wenn nun ihr eigenes Einkommen genauso rasch steigt wie ihre Produktivität, dann können sie wenigstens ihren Anteil weiterhin kaufen. Das reicht natürlich nicht aus. Wir brauchten auch andere zusätzliche Käufer. Aber die Arbeitnehmer können immerhin ihren Beitrag leisten, dass die höhere Produktion auch abgesetzt wird. Auf der Kostenseite führt diese Regel dazu, dass die Lohnkosten nur so langsam steigen wie die Preise, also jetzt im Moment knapp unter 2%. Daher gibt es keinen zusätzlichen Inflationsdruck. Steigen nun die Lohnkosten ebenfalls um knapp 2%, dann bleibt man bei dieser Entwicklung der Preissteigerung. Es können natürlich immer Einwirkungen von außen kommen, aber die Lohnentwicklung selbst kann nicht zu höherer Preissteigerung und damit zur Inflation führen. Diese Überlegungen zeigen, dass die Lohnpolitik der Tarifparteien zwar negative Wirkungen auf die Beschäftigung vermeiden, aber nicht selbst die Beschäftigung erhöhen kann.

Insgesamt kommt man zu dem Schluss, dass unter den heutigen Rahmenbedingungen von einer auf der gesamtwirtschaftlichen Ebene ansetzenden Beschäftigungspolitik wenig zu erhoffen ist. Die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank ist - ähnlich wie bei der Deutschen Bundesbank - auf die Vermeidung von Inflation ausgerichtet, die Fiskalpolitik setzt auf Haushaltskonsolidierung, und der Lohnpolitik der Tarifparteien gelingt es erst neuerdings, wenigstens keinen beschäftigungspolitischen Schaden anzurichten. So müssen sich die Hoffnungen auf Umstrukturierungen im Bereich der Fiskalpolitik und der Lohnpolitik richten (die Geldpolitik ist notwendigerweise gesamtwirtschaftlich ausgerichtet).

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3. Umstrukturierungen bei den öffentlichen Finanzen und bei den Löhnen



3.1 Strukturreformen bei den öffentlichen Finanzen

Die Finanzpolitik des Staates beeinflußt die Kosten der Arbeit in erheblichem Maße; denn die Lohnkosten der Unternehmen werden von den Bruttolöhnen bestimmt, die Höhe der verfügbaren Einkommen der Arbeitnehmer dagegen von den Nettolöhnen. Zwischen diesen beiden Größen treiben Lohnsteuer und Sozialversicherung einen „Keil", der den Einsatz von Arbeit für die Unternehmen verteuert, ohne dass die verfügbaren Einkommen der Arbeitnehmer steigen. Mittlerweile müssen Arbeitgeber und Arbeitnehmer für alle Sozialversicherungszweige zusammen 42% der Lohnsumme abführen. Wenn man etwas tun will für die Senkung der Lohnkosten, dann muss man das Steuersystem und das Abgabensystem umbauen. Eine Maßnahme in dieser Richtung ist die ökologische Steuerreform, gegen die im Detail viele Kritikpunkte geäußert werden können, die aber im Grundsatz richtig ist. Sie belastet den Einsatz von Energie und benutzt die zusätzlichen Steuereinnahmen, um die Belastungen mit Sozialabgaben zu verringern, indem die Erträge aus den höheren Energiesteuern auf dem Umweg über den Bund an die Rentenversicherungen gehen, so dass diese ihre Rentenbeiträge etwas senken können.

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Die vorangehende Bundesregierung hatte auch schon diesen Weg durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer beschritten. Aber noch sinnvoller ist es, wenn man die Nachfrage nach Arbeit durch die Unternehmer vergrößern will, andere Produktionsfaktoren zu belasten. Bei der ökologischen Steuerreform ist dies die Energie. Man könnte dann in dieser Richtung fortfahren und darüber nachdenken, ob es richtig ist, daß durch unser Steuersystem der Einsatz von Sachkapital viel weniger belastet wird als der Einsatz von Arbeit. Für den Unternehmer wird es nämlich durch die hohen Sozialbeiträge sehr lohnend, Arbeitskräfte freizusetzen und dafür lieber mehr Sachkapital, also kompliziertere und effizientere Maschinen einzusetzen, die zwar teurer sind, aber auf denen nicht diese Sozialbeiträge lasten.

Dies legt nahe, den Einsatz von Sachkapital ebenfalls zu verteuern. Ein Weg dahin ist die Senkung der Abschreibungssätze. Diese Maßnahme ist gerade jetzt in der Diskussion; durch sie wird der steuerliche Vorteil der Investitionen verringert, der sich ergibt, weil der Unternehmer die Ausgaben für Investitionen sukzessive in Form von Abschreibungen von seinem Gewinn absetzen kann und nur den verbleibenden Rest besteuern muß. Während bei der ökologischen Steuerreform dem angestrebten Substitutionseffekt (der Ersatz von menschlicher Arbeitskraft durch Energieeinsatz wird verlangsamt) kein negativer Einkommens- und Nachfrageeffekt entgegenwirkt (die Steuer- und Abgabenlast wird nur anders verteilt), tritt bei schwächerer Begünstigung der Sachkapitalbildung das Problem zweier entgegengesetzt wirkender Effekte, das bei der Tariflohnpolitik eine so große Rolle spielt, erneut auf: Auf der einen Seite werden durch großzügige steuerliche Abschreibungsregelungen die Investitionen begünstigt, wie auch durch Investitionszulagen oder Investitionsprämien. Mit ihnen ist immer die Hoffnung verbunden, daß die Unternehmer Investitionen vornehmen, mit denen sie mehr Arbeitsplätze schaffen. Allerdings muß sich diese Hoffnung nicht erfüllen, sondern es kann der gegenteilige Effekt eintreten. Es kann nämlich sein, daß die Unternehmer zwar feststellen, daß es steuerlich lohnend ist, Sachinvestitionen zu tätigen, daß sie aber keinen Grund sehen, Erweiterungsinvestitionen zu tätigen, also ihre Produktionsstätten zu erweitern und mehr Leute einzustellen. Denn dafür müßten sie das, was sie mehr produzieren, auch absetzen können. Und wenn sie da keine Möglichkeiten sehen, dann weichen sie auf Rationalisierungsinvestitionen aus, die das Ziel verfolgen, Arbeit durch Kapital zu ersetzen, also Arbeitskräfte freizusetzen, indem man neuere oder modernere Maschinen kauft, die mit weniger Arbeitseinsatz auskommen.

Die Förderung von Investitionen kann also für die Beschäftigung auf Dauer von Nachteil sein. Ein Blick auf die USA ist geeignet, dieses Skepsis zu untermauern. Dort ist die steuerliche Investitionsförderung wesentlich weniger ausgeprägt, und die Investitionsquote, also der Anteil der Investitionen am Sozialprodukt, ist deutlich kleiner als bei uns. Dort werden also weniger neue Maschinen installiert, und damit unterbleiben auch Rationalisierungsinvestitionen. Dies dürfte ein Grund dafür sein, daß in den USA so ein kräftiger Beschäftigungszuwachs zu beobachten ist.

Diese Überlegungen sprechen dafür, durch Verschlechterung der Abschreibungsbedingungen Investitionen weniger als bisher zu begünstigen. Man könnte noch weiter gehen und erwägen, statt Investitionszuschüsse zu zahlen, Zuschüsse für neu be-

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setzte Arbeitsplätze zu geben. Denn deren Schaffung ist ja die eigentliche Zielsetzung. Ein wichtiges Hindernis für eine derartige Umstellung ergibt sich daraus, daß Investitionszuschüsse auslauten, wenn eine Investition abgeschlossen ist. Bei dem Zuschuß für neu geschaffene Arbeitsplätze gibt es diese sachlich unvermeidliche zeitliche Begrenzung nicht.

3.2 Reformen bei der Lohnstruktur

Hier geht es um die Verringerung jenes Teils der Arbeitslosigkeit, der sich daraus ergibt, daß die Qualifikationen, die die potentiellen Arbeitnehmer, also die Arbeitslosen und auch die, die neu ins Erwerbsleben eintreten, anbieten, andere sind als die, die von den Unternehmern gerade gesucht werden. Das aktuelle Beispiel ist bekannt: Zur Zeit werden sehr viele Informatiker und andere Leute, die mit den modernen Informations- und Kommunikationstechniken umgehen können, dringend gesucht, und der Markt ist ziemlich leer gefegt. Auf der anderen Seite gibt es sehr viele ungelernte Arbeitskräfte, für die es keine entsprechend einfachen Arbeitsplätze gibt. Besonders dann, wenn diese Personen schon älter sind und man ihnen nicht mehr zutraut, daß sie noch viel dazulernen können oder wollen, sind ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt sehr gering. Es bestehen also Unterschiede zwischen der Qualifikation derer, die arbeiten wollen, und den Anforderungen für freie Stellen. Frage: Was tun?

In einem Punkt sind sich alle einig: Man muß versuchen, die Arbeitskräfte so gut wie möglich, also besser als bisher, zu qualifizieren. Das ist sicherlich unstrittig. Genauso unstrittig ist aber auch, daß sich nicht alle Personen für die moderne Wirtschaft genügend qualifizieren lassen. Deren Ansprüche werden immer höher, und es sind nicht alle dafür geeignet. Vorsichtiger formuliert: In ihrer Jugend, wenn sie geeignet wären zu lernen, sehen sie nicht ein, warum sie so viel lernen müssen, und später, wenn sie merken, sie hätten doch mehr lernen sollen, dann ist es zu spät. Denn die Lernkapazität nimmt leider sehr rasch ab. Wenn man allein bedenkt: Ein Kleinkind, ein Jahr alt, lernt die eigene Muttersprache in einem Jahr perfekt, aber wenn es später eine Fremdsprache lernen will, dann hat es viel mehr Mühe und es dauert länger. Die Lernkapazität geht auch auf anderen Gebieten mit den Jahren leider zurück, und für viele kommt die Einsicht zu spät, sie hätten sich besser qualifizieren sollen. Aber auch diese Personen sollten möglichst nicht arbeitslos sein.

Ein Lösungsvorschlag besteht darin, durch stärkere Lohndifferenzierung, also eine stärkere Lohnspreizung, mehr Beschäftigung zu erreichen, indem die Hochqualifizierten relativ mehr verdienen und die wenig Qualifizierten entsprechend weniger. Dadurch könnte es z.B. im Dienstleistungsbereich für Unternehmen attraktiv werden, Arbeitsplätze einzurichten, auf denen, weil ihre Produkte auf dem Markt nicht zu hohen Preisen zu verkaufen sind, niedrige Löhne gezahlt werden. Man nehme zum Beispiel den Fall der Altenbetreuung. Man kann die Dienstleistungen an den Alten nicht beliebig teuer machen. Die Leute, die diese Dienstleistungen erbringen, können dann auch leider nicht so viel verdienen, wie sie vielleicht möchten. Bezüglich der niedrigen Löhne ergibt sich in Deutschland, aber auch anderswo, ein Problem, weil wir erfreulicherweise ein akzeptables Sozialhilfeniveau haben, so daß niemand

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bei uns menschenunwürdig leben muß. Diese Sozialhilfe hat nun eine Besonderheit, daß Sozialhilfeempfänger für jedes Kind ungefähr 450 DM erhalten (wenn man das zusätzliche Wohngeld noch einrechnet, ergeben sich sogar ca. 600 DM pro Kind), also deutlich mehr als Erwerbstätige in Form des Kindergeldes. Dieses beträgt derzeit 270 DM für das erste und zweite Kind, also deutlich weniger. Folglich bringt es für eine Familie mehr, Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen, als auf einem schlecht bezahlten Job erwerbstätig zu sein.

Wie reagieren die Betroffenen darauf? Es gibt auf der einen Seite eine große Zahl von Personen, die sowohl erwerbstätig sind als auch Sozialhilfe beziehen. So stellten bei 10% der 1,5 Mio Haushalte, die am 31.12.1997 in Deutschland Sozialhilfe bezogen, die Einkünfte aus unselbständiger Arbeit die Haupteinkommensquelle dar, die durch Sozialhilfe ergänzt wurde (s. Statistisches Bundesamt, Fachserie 13, Reihe 2, Heft 1997, S. 38/39). Diese Personen stellen kein beschäftigungspolitisches Problem dar; sie sind ja bereit, erwerbstätig zu sein. Aber man hat natürlich den Verdacht, daß es auch Leute gibt, die sich sagen: Wenn ich die Sozialhilfe auch ohne Arbeit bekomme, wieso soll ich dann eigentlich erwerbstätig sein? Hier besteht ein Anreizproblem. Man bekommt die Sozialhilfe auch ohne Arbeit, und es fehlt der pekuniäre Anreiz erwerbstätig zu sein. Zwar hat für viele die Erwerbstätigkeit einen positiven immateriellen Wert, weil man in das Beschäftigungssystem integriert ist; aber gerade Ökonomen sind der Ansicht, daß die pekuniären Anreize sehr wichtig sind und daß man die Anreize so setzen muß, daß sie in die gewünschte Richtung gehen.

Wie könnte man die Anreize gestalten? Heute ist es so, daß einem Sozialhilfeempfänger, der die Chance erhält, erwerbstätig zu sein, bis auf einen geringen Freibetrag das Erwerbseinkommen auf die Sozialhilfe angerechnet wird. Er bekommt also brutto nicht wesentlich mehr als vorher. Um dies zu ändern wird vorgeschlagen, das Erwerbseinkommen immer nur zu 50% anzurechnen: Die Hälfte des zusätzlichen Erwerbseinkommens darf man behalten, die andere Hälfte wird auf die Sozialhilfe angerechnet.

Die Zukunftskommission der Friedrich-Ebert-Stiftung (1998), in der ich auch Mitglied war, hat diese Lösung vorgeschlagen. Allerdings wird ihre Umsetzung eine sehr teure Angelegenheit. Denn die Sozialhilfe wird so lange teilweise bezahlt, bis das Erwerbseinkommen das Doppelte der Sozialhilfe beträgt. Nimmt man an, die Sozialhilfe beträgt 1.500 DM, und das Erwerbseinkommen wird zu 50% angerechnet: Bei dieser Regelung bekommt man erst dann keine Sozialhilfe mehr, wenn man mehr als 3.000 DM verdient. Das heißt: Leute, die einen ganz normalen Job haben, den sie derzeit auch ohne Sozialhilfe ausfüllen, die bekämen auf einmal einen gewissen Betrag an Sozialhilfe. Das wird sehr teuer. Man subventioniert normale Einkommensbezieher, die man gar nicht subventionieren muß.

Eine bessere Lösung besteht darin, das Kindergeld für alle zu erhöhen. Das soll zwar angeblich auch teuer sein, aber es kann nicht so teuer sein wie der Vorschlag der Zukunftskommission. Sie hätte den großen Vorteil, diejenigen zu begünstigen, die man eigentlich auch begünstigen will. Denn wir wollen, gerade in Anbetracht der schrumpfenden Kinderzahl, Familien mit Kindern begünstigen. Dann sollte man ih-

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nen ein entsprechend hohes Kindergeld zahlen, und man würde zugleich die Entstehung von Niedriglohnarbeitsplätzen wesentlich erleichtern. Bei dieser Frage spielt übrigens der Unterschied zwischen Angebots- und Nachfragepolitik keine große Rolle.

3.3 Höhere Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt

Bei den beiden vorangehenden Strukturreformen ging es um die Schaffung geeigneter pekuniärer Anreize. Hier werden institutionelle Regelungen angesprochen, die als beschäftigungshemmend angesehen werden. Derzeit liest man in den Zeitungen immer wieder: Wir brauchen mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt; denn die deutschen Unternehmen stellen deswegen wenig Leute ein, weil sie meinen, sie könnten sie später, falls sie sie doch nicht brauchen, schwer wieder los werden. Als Gegenbeispiel werden hier häufig die USA angeführt. Dort gilt „hire and fire"; man stellt Leute ein und locker schmeißt man sie wieder raus. Dabei treten weder juristische Probleme auf, noch ist es offenbar für die amerikanischen Unternehmer ein Problem, Personen, die man eingestellt hat, nach gewisser Zeit zu sagen: Tut mir leid, ich kann Dich nicht mehr finanzieren, Du kannst wieder nach Hause gehen. In Deutschland liegen die Dinge anders. Also muß man darüber nachdenken, ob man da etwas ändern kann oder muß. Die Antwort hängt davon ab, für wie rigide man den deutschen Arbeitsmarkt hält, also wie schwierig es in Deutschland ist, Arbeitskräfte einzustellen und wieder zu entlassen. Nun zeigt eine Statistik der OECD (Employment Outlook 1996, S. 166), daß in Deutschland bereits jetzt sehr viele Arbeitsplatzwechsel stattfinden. Wenn ich diese Statistik richtig interpretiere, dann wechseln ungefähr 30% der Erwerbstätigen ihren Arbeitsplatz im Laufe eines Jahres. Die OECD berichtet nämlich, daß sich die jährliche Summe von Einstellungen und Entlassungen auf 62% der Erwerbstätigenzahl beläuft. Darin sind einige Personen enthalten, die mehrfach pro Jahr betroffen sind. Ein Teil der Wechsel des Arbeitsplatzes erfolgt auf die Weise, daß jemand entlassen wird, arbeitslos wird, später einen neuen Arbeitsplatz findet. Bei dem anderen Teil handelt es sich um direkte Wechsel, d.h., man bewirbt sich von einem Arbeitsplatz um einen anderen, und wenn man ihn bekommt, wechselt man auf den neuen, ohne dazwischen arbeitslos zu sein.

Wenn so viele Arbeitsplatzwechsel stattfinden, wie die OECD-Statistik behauptet, dann kann der Kündigungsschutz keine so große Rolle spielen. Insofern bin ich nicht so sicher, daß man unbedingt die Kündigungsregelungen erleichtern muß. Man muß auch fragen: Was bringt das für die Beschäftigung, wenn die Unternehmer leichter den einen Arbeiter durch den anderen ersetzen können? Dadurch hat sich an der Summe der Beschäftigten gar nichts geändert! Das einzige Argument besteht darin, die Unternehmen stellten von vornherein niemanden ein, weil sie denken, irgendwann müßten sie ihm vielleicht wieder kündigen, und veranlassen die Arbeitnehmer zu Überstunden.

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4. Fazit

Aus diesen Überlegungen folgt: Deutschland hat seit langem den ersten Weg gewählt, nämlich den angebotsorientierten Weg. Man hat sich bei allen Maßnahmen, bei denen Angebots- und Nachfragewirkungen kollidierten, für jene entschieden, die gut für die Angebotsseite sind, und hat die negativen Wirkungen auf der Nachfrageseite in Kauf genommen. Solange die Bundesbank erst einmal dafür sorgen mußte, daß bei uns die Inflationsrate auf akzeptable Werte sank, hat dieses Verhalten sich auch auf die anderen europäischen Länder ausgewirkt, die sich - wie Frankreich und andere Kontinentalstaaten - dem Weg der Bundesbank angeschlossen haben und sich genauso restriktiv verhalten haben wie die Bundesbank.

Aber das ist im Grunde genommen Vergangenheit. Wir haben jetzt keine Inflation mehr gemäß der Definition der Europäischen Zentralbank, und damit ist der zweite Weg frei. Man kann jetzt Angebots- und Nachfrageseite berücksichtigen. Aber gerade von den deutschen Ökonomen und in der deutschen wirtschaftspolitischen Diskussion wird im alten Szenario argumentiert. Man tut so, als gäbe es nur die Möglichkeit der Angebotspolitik. Daher wäre es hilfreich, wenn man über die Grenzen schaut. Ich hatte schon einmal die USA genannt, wo nicht nur der Arbeitsmarkt flexibler ist, sondern wo auch die Nachfragebedingungen viel günstiger sind als in Europa. Die amerikanische Notenbank hat immer eine viel flexiblere Politik betrieben. Sie hat immer dann, wenn sie die Möglichkeit sah, expansiv zu wirken, also die Zinsen zu senken, sehr rasch gehandelt. Die Deutsche Bundesbank hat Zinssenkungen fast immer in Trippelschritten, verteilt über 1 ½ Jahre, vollzogen. Die amerikanische Notenbank hat schneller und mutiger reagiert. Dazu paßt die These von Stiglitz, der in einem Zeitungsinterview (Der Tagesspiegel vom 26.2.2000) gesagt hat: „Mit Inflationsangsthasen hätten wir in den USA keinen solchen Aufschwung gehabt."

Die USA haben noch einen weiteren großen Vorteil: Gerade aufgrund der günstigen Erfahrungen mit der Beschäftigungsentwicklung sind die amerikanischen Privathaushalte offenbar davon überzeugt, daß sie auch in Zukunft Beschäftigung finden werden. Und das führt bei ihnen dazu, daß sie ihre Einkommen fast vollständig wieder ausgeben. Die Sparquote der amerikanischen Haushalte liegt nach letzten Berechnungen ungefähr bei 2%. In Deutschland sind wir ungefähr bei 10%. Der Deutsche ist eben sparsamer (das bringt man auch den Kindern schon bei), aber mehr sparen bedeutet weniger Güter kaufen. Die amerikanischen Haushalte dagegen geben ihr Geld zu 98% wieder aus. Der Erfolg der Beschäftigungsentwicklung, der den amerikanischen Haushalten offenbar das Gefühl gibt, sie werden auch weiterhin beschäftigt sein, gebiert weiteren Erfolg, da die Haushalte ihr Einkommen wieder ausgeben und dadurch für günstige Nachfragebedingungen sorgen. Dies zeigt, daß die Nachfrageentwicklung für die Gesamtentwicklung sehr wichtig ist, und daß man bei den USA nicht nur beachten muß, was dort alles flexibler ist, sondern auch, daß sie sehr günstige Nachfragebedingungen haben. Auch wir werden nur dann beschäftigungspolitischen Erfolg haben, wenn wir nicht nur auf der Angebotsseite gut dastehen, sondern auch günstige Nachfragebedingungen haben.

[Seite der Druckausg.: 19]

Zitierte Literatur

Blanchard, Oliver u.a. (1995), Spanish Unemployment: Is there a Solution? London (CEPR)

Franz, Wolfgang (1998), Wirtschaftspolitik jenseits der Dogmen. FAZ vom 16.6.1998

Krugman, Paul (1998), The Return of Demand-Side-Economics. Vortrag an der FU Berlin (Freie Universität Berlin), S. 22-40

Modigliani, Franco u.a. (1998), An Economists' Manifeste on Unemployment in the European Union. „Banca Nazionale di Lavoro Quarterly Review", Vol. 51, S. 1-19

Möller, Joachim/Schettkat, Ronald (1999), Wirtschaftspolitik braucht unabhängigen Sachverstand. In: Ordnungspolitische Positionen Nr. 79 (1/1999) (herausgegeben von der Ludwig-Erhard-Stiftung)

Solow, Robert (1999), Spotlight on Unemployment in Europe. Vortrag beim 1. CESifo Symposium in München. Zusammenfassung in: „CES-Journal", No. 35, Summer/Fall 1999

Zukunftskommission der Friedrich-Ebert-Stiftung (1998), Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, sozialer Zusammenhalt, ökologische Nachhaltigkeit: Drei Ziele - ein Weg. Bonn (Dietz)


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