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Einleitende Bemerkungen


Der neoliberale Siegeszug, der die wirtschaftspolitische Debatte des letzten Viertels des zurückliegenden Jahrhunderts bestimmt hat, ist ins Stocken geraten. Die Angebotsökonomie (supply-side-economics), die alle ökonomischen Probleme auf Störungen auf der Angebotsseite reduziert, gilt immer weniger als alleinige Leitlinie wirtschaftspolitischen Handelns. Insbesondere unter Ökonomen, die sich mit dem Problem der Arbeitslosigkeit beschäftigen, scheint sich die Auffassung durchzusetzen, dass sowohl Angebots- als auch Nachfragebedingungen ins Blickfeld zu nehmen sind, wenn es um adäquate beschäftigungspolitische Antworten auf die Krise am Arbeitsmarkt geht.

Auch auf dem politischen Terrain hat sich das Blatt gewendet. Vom Vormarsch der „konservativen Revolution" ist keine Rede mehr. Vor allem in Westeuropa regieren mit wenigen Ausnahmen - wenn auch zum Teil nur in Kooperation mit kleineren Koalitionspartnern - sozialdemokratische Parteien. Die politischen Rahmenbedingungen für Konzepte, die Beschäftigungskrise unter Wahrung sozialstaatlicher Qualitäten in den Griff zu bekommen, müssten sich damit prinzipiell verbessert haben. Begünstigt durch einen konjunkturellen Aufschwung, der mit einem allmählichen Abschmelzen des hohen Arbeitslosenbestandes einhergeht, könnten Weichenstellungen getroffen werden, die von der Teufelsspirale einer nach jedem konjunkturellen Abschwung höheren Sockelarbeitslosigkeit wegführen. Sozialdemokratische Patentrezepte zur Lösung der Arbeitsmarktkrise liegen indes nicht vor. Allein der Blick auf die europäischen Partnerländer zeigt, wie unterschiedlich die strategischen Konzepte ausfallen und wie eng sie verknüpft sind mit den national jeweils gewachsenen Sozialsystemen, industriellen Beziehungen und sonstigen institutionellen Rahmenbedingungen. Das hohe Niveau an Teilzeitarbeit in den Niederlanden wäre ohne das dortige Modell der Grundsicherung kaum denkbar.

Finnland vollzog nach der schweren Krise Anfang der 90er Jahre und einer deutlichen Abwertung der Finnmark eine massive Anpassungsbewegung, die ohne die makroökonomische Steuerung durch eine Koordination von Fiskal-, Lohn- und Geldpolitik kaum möglich gewesen wäre.

Dänemark liberalisierte seinen Arbeitsmarkt, ohne seine staatliche Verantwortlichkeit für den Einzelnen abzuschaffen. Die Liberalisierung wurde begleitet durch eine staatliche Arbeitsmarktpolitik mit individuellen Qualifizierungsplänen und durch eine fiskalische Stimulierung der Binnennachfrage. Die Einrichtung eines Niedriglohnsektors wurde mit breiter Unterstützung abgelehnt. Beide nordeuropäischen Länder konnten in der zweiten Hälfte der 90er Jahre ihre Beschäftigung erhöhen, die Arbeitslosigkeit senken und das Wachstum steigern.

Neben diesen Mischstrategien dieser relativ kleinen europäischen Länder setzte sich in Frankreich mit der überraschenden Regierungsübernahme durch die Sozialisten 1997 eine gegen den angelsächsischen Mainstream gerichtete Strategie durch, die auf dem zentralstaatlichen Selbstbewusstsein der französischen Politik beruht.

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Die fiskalische Konsolidierung wurde auch vor dem Hintergrund des damals laufenden Euro-Konvergenzprozesses auf das Nötigste begrenzt, und auch im folgenden nur gebremst zugunsten einer staatlichen Beschäftigungspolitik (Beschäftigungsinitiativen für Jugendliche und Langzeitarbeitslose, Flankierung der gesetzlichen Einführung der 35-Stunden-Woche) und einer einkommens- und konjunkturpolitischen Steuerpolitik fortgesetzt. Auch Frankreich hat sich in diesem Zusammenhang von einer europäischen Wachstumsbremse zu einer konjunkturellen Lokomotive entwickelt. Dies bei gleichzeitig anziehender Investitionstätigkeit zur Modernisierung des Kapitalstocks und entgegen der vorausgegangenen Unkenrufe der wirtschaftsliberalen „Experten".

Ein neues sozialdemokratisches Regulationsmodell, das das Gesicht des Kapitalismus im 21. Jahrhundert ebenso prägen könnte, wie es in den letzten 50 Jahren des 20. Jahrhunderts zumindest in Westeuropa weitgehend der Fall war, steht noch aus. In der aktuellen Programmdiskussion der europäischen Sozialdemokratie ist überdies mehr Aufgeschlossenheit gegenüber angebotstheoretischen Konzepten unverkennbar. Spätestens seit dem Schröder-Blair-Papier und dem unvermittelten Abgang von Oskar Lafontaine von der Bühne der Bundespolitik werden angebotsseitige Aspekte des Beschäftigungsproblems stärker in den Mittelpunkt des deutschen Regierungshandelns gerückt (Absenkung des Spitzensteuersatzes, Abschaffung der Vermögensteuer, Haushaltskonsolidierung). Paul Krugman und Robert Solow haben in diesem Zusammenhang mehrfach kritisiert, dass die bundesdeutsche Fiskalpolitik viel zu früh einen restriktiven Kurs eingeschlagen hat, ein Umstand, der auch die im Vergleich zu anderen westeuropäischen Volkswirtschaften immer noch schwächere konjunkturelle Dynamik erklären dürfte. Viele Anzeichen deuten zudem darauf hin, dass die Vernachlässigung des Nachfrageproblems in der Vergangenheit dazu geführt hat, dass die Aufschwungphasen im Konjunkturzyklus zum Beispiel im Vergleich zu den USA kürzer ausfielen und damit der mögliche Beschäftigungsaufbau deutlich schwächer ausfiel.

In den nachfolgenden Beiträgen beschäftigt sich zunächst Jürgen Kromphardt mit dem Verhältnis von Nachfrage- und Angebotspolitik zur Realisierung von Beschäftigungszielen. In diesem Zusammenhang akzentuiert er die nachfragepolitische Komponente, die ihm in der aktuellen wirtschaftspolitischen Debatte zu kurz zu kommen scheint. Anknüpfend an diesen Beitrag verweist Hans-Jürgen Krupp auf die Spielräume der Geldpolitik zur Bekämpfung der Beschäftigungskrise. Danach zeigen insbesondere die US-amerikanischen Erfahrungen, wie durch zinspolitische Maßnahmen konjunkturelle Schwankungen gemildert und die Dauer des Konjunkturaufschwungs gestreckt werden kann. Insofern empfiehlt Krupp der Europäischen Zentralbank, sich nicht einseitig auf das Ziel der Geldwertstabilität zu fixieren („.... heute sollte man abwarten, bis man das Weiße im Auge der Inflation sieht. Erst dann ist man berechtigt, sie mit allen Mitteln zu bekämpfen", Krugman, 2000).

Abgesehen von der zurückhaltenden Behandlung des Nachfrageproblems (Solow schätzt, dass 2,5 bis 3 Prozentpunkte der Arbeitslosenquote auf eine Nachfrageschwäche in Westeuropa zurückgehen; CES Journal, 1999) wäre per se wenig dagegen einzuwenden, dass angebotspolitische Aspekte des Beschäftigungsproblems verstärkt behandelt werden. Aber einerseits ist zu fragen, was hinsichtlich der be-

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schäftigungspolitischen Probleme unter Angebotspolitik zu verstehen ist, und was andererseits als geeigneter Mitteleinsatz in ökonomischer Perspektive und unter Berücksichtigung sozialdemokratischer Grundüberzeugungen angesehen werden kann. Was ökonomisch effizient ist, muss zumindest nicht a priori mit sozialdemokratischen Grundwerten in Einklang stehen. Eine Beschäftigungspolitik etwa, die größere Ungleichheiten zugunsten der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit in Kauf zu nehmen bereit ist, ist mit sozialdemokratischen Traditionen zumindest schwer in Einklang zu bringen. Viel entscheidender ist in diesem Zusammenhang aber der Umstand, dass zumindest vielfach noch ungeklärt ist, welche Wege sich am Ende als effizient erweisen, und vielleicht führen ja auch verschiedene Wege nach Rom.

Im Hinblick auf das Beschäftigungsproblem können unter Angebotspolitik einerseits Strategien verstanden werden, die darauf abstellen, das mittelfristige und langfristige Wirtschaftswachstum zu erhöhen. Da zwischen Wirtschaftswachstum und Beschäftigung empirisch ein gewisser Zusammenhang besteht, geht es dabei um solche Strategien, die den Wachstumspfad positiv beeinflussen. Ob hier Steuersenkungsprogramme oder staatliche Programme zur Verbesserung der Infrastruktur (Verkehr, Bildung, Wissenschaft etc.) besser geeignet sind, ist eine strittige Frage, und sie ist offenkundig mittlerweile auch innerhalb der Sozialdemokratie kontrovers. Die notwendigen Weichenstellungen z.B. im Bildungssystem, die zwangsläufig auch etwas mit der zusätzlichen Bereitstellung von Finanzmitteln für die Bildungsreformen zu tun haben (Johannes Rau), werden jedenfalls auf sich warten lassen, solange Haushaltskonsolidierung und Steuersenkungen Priorität haben. In diesem Zusammenhang könnte auf die OECD verwiesen werden, die die Auffassung vertritt, dass zur Sicherung des langfristigen Wachstums mehr nötig sein wird, als die Fortsetzung der bisherigen Fiskal-, Geld- und Regulierungspolitiken. Dagegen seien der Sozial-, Bildungs- und Umweltpolitik vor dem Hintergrund, dem Ziel einer nachhaltigen Entwicklung näher zu kommen, ein stärkeres Gewicht beizumessen.

Andererseits geht es im angebotspolitischen Kontext um die Senkung der sogenannten „Beschäftigungsschwelle". Damit ist jener Prozentsatz am Wirtschaftswachstum gemeint, der überhaupt notwendig ist, um zu einem Beschäftigungsaufbau zu kommen. So war in den 90er Jahren in Westdeutschland ein jährliches Wirtschaftswachstum in Höhe von ca. 2% erforderlich, um überhaupt per Saldo zusätzliche Arbeitsplätze zu generieren. Strategien zur Senkung der Beschäftigungsschwelle sind ebenso zahlreich wie kontrovers. Ein Ansatz ist in diesem Zusammenhang die Frage, welchen Beitrag die Lohnpolitik zu leisten vermag. Sollten sich Lohnverhandlungen am Produktivitätswachstum orientieren („produktivitätsorientierte Lohnpolitik"), wie etwa Jürgen Kromphardt meint, oder ist aus beschäftigungspolitischer Perspektive nur ein Ergebnis vertretbar, das unterhalb des Produktivitätszuwachses verbleibt? An dieser Frage setzt Wolfgang Franz seinen Beitrag schwerpunktmäßig an. Er argumentiert offensiv für eine stärkere Lohnzurückhaltung durch die Gewerkschaften in Zeiten anhaltender Massenarbeitslosigkeit. Andere Ansätze reichen von unterschiedlichen, in ihren sozialen Folgen stark divergierenden Flexibilisierungskonzepten (ein System von Arbeitszeitkonten ist gewiss sozial verträglicher als ein Regime des „hire and fire"), bis hin zur Empfehlung, ein höheres Maß an Lohnspreizungen zuzulassen (auch hier mit unterschiedlicher Akzentuierung hinsichtlich ihrer sozialen Auswirkungen: Konzepte, die ein reales Mehr an sozialer Un-

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gleichheit zulassen, und Konzepte, die einen staatlich subventionierten Niedriglohnsektor zum Ziel haben (z.B. negative Einkommensteuer)).

Auch innerhalb der sozialdemokratischen Diskussion mehren sich die Stimmen, die ein höheres Maß an sozialer Ungleichheit zulassen wollen; dies, obwohl gerade das Streben nach sozialer Gleichheit als das markanteste Unterscheidungsmerkmal zwischen „rechts" und „links" angesehen werden kann (N. Bobbio, A. Giddens). So hat Wolfgang Streeck kürzlich dafür plädiert, den im Zeitalter der Globalisierung „unvermeidlichen" Anstieg der gesellschaftlichen Ungleichheit hinzunehmen, nicht zuletzt auch, weil er zur Sicherung und Weiterentwicklung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit notwendig sei. Diese Öffnung gegenüber einem höheren Maß an sozialer Ungleichheit (nach 16 Jahren Kohl-Regierung eine bemerkenswerte Kehrtwendung) findet an anderer Stelle nicht zuletzt auch unter dem Hinweis auf beschäftigungspolitische Notwendigkeiten statt. So tritt Hans-Werner Sinn, Präsident des ifo-lnstituts, dafür ein, die Löhne für „einfache Arbeit" deutlich abzusenken und die Sozialhilfesätze nach unten zu korrigieren. Da die deutschen Sozialhilfesätze eine Prämie für Nichtbeschäftigung seien, erkläre die Sozialhilfe „einen Großteil der Massenarbeitslosigkeit".

Gegen diese Argumentation zugunsten größerer Ungleichheit wendet sich Gerhard Bosch mit seinem Beitrag über „Beschäftigung und Ungleichheit". Dabei geht es ihm weniger um eine moralisch-normative Perspektive, die sich am Leitbild sozialer Gerechtigkeit festmachen könnte, sondern vielmehr um handfeste ökonomische Argumente, die auf die volkswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Relation einer auf soziale Kohärenz verpflichteten Gesellschaft sowie auf die Anreizstruktur eines auf hohe Investitionen in Ausbildungskapital angewiesenen Produktionsmodells abstellen. Die Bereitschaft, in zusätzliche (allgemeine, aber auch betriebsspezifische) Qualifikationen zu investieren, dürfte in einer Welt des deregulierten Kapitalismus geringer ausfallen als unter Bedingungen relativ stabiler Beschäftigungsverhältnisse und sozialer Bindungen, die unter dem Vorzeichen wachsender gesellschaftlicher Ungleichheit und deregulierter Arbeitsmärkte ihre reale Basis verlieren würden. Derartige Investitionen in Ausbildungskapital sind aber gerade angesichts von Arbeitsbeziehungen erforderlich, die durch komplexe Arbeitsabläufe gekennzeichnet sind, die Sorgfalt und Kreativität erfordern. Das deutsche, stark auf Facharbeiterqualifikationen aufbauende Produktionsmodell ist in dieser Hinsicht hochgradig sensibel und sollte nicht mit den wenig intelligenten Methoden eines entfesselten Kapitalismus (K. Polanyi) traktiert werden. Einzelne Konzepte, die zum Beispiel in den USA funktionieren mögen, müssen daher noch lange nicht Vorbild für eine europäische oder deutsche Beschäftigungspolitik sein. Das Aufpfropfen einzelner Elemente auf die deutsche Wirtschaft wird aufgrund der gewachsenen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Institutionen eher zu Reibungen und Konflikten führen als zu notwendigen Entkrustungen und Belebungen.

Auf der Suche nach „der" Strategie zur Lösung der Beschäftigungsprobleme in Deutschland sollte das Augenmerk auf neue Erfahrungen und neue Ideen gerichtet werden. Soweit diese mit den institutionellen Arrangements Deutschlands kompatibel bzw. entsprechend zu gestalten sind, sollte mehr Mut zu praktischen Experimenten aufgebracht werden. Dies schließt selbstredend auch eine sozialverträgliche

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Umgestaltung institutioneller Rahmenbedingungen mit ein (Re-Regulierung). Die Beschäftigungslage einer Volkswirtschaft wird von einer Vielzahl von Variablen bestimmt. Hier gibt es viel Raum für Phantasie, um auf der Angebots- oder auf der Nachfrageseite anzusetzen.

Alle in dieser Broschüre veröffentlichten Beiträge waren Gegenstand einer Vortragsreihe der Friedrich-Ebert-Stiftung und des „Forums für Politik und Kultur e.V." zum Thema „Strategien für mehr Beschäftigung" im Frühjahr 2000 in Hannover. Das .Forum für Politik und Kultur e.V." ist ein Zusammenschluss von rund 150 Personen aus dem Raum Hannover, die um offene, politische Diskurse und Interventionen jenseits der Zuschauerdemokratie bemüht sind. Zu danken ist insbesondere der Friedrich-Ebert-Stiftung, ohne deren Unterstützung die Veranstaltungsreihe nicht zustandegekommen wäre.

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Literatur

CES Journal, München, 1999

Krugman, Paul, Der Spiegel, 33/1999

Krugman, Paul, FAZ, 17.7.2000

Krugman, Paul, Peddling prosperity, economic sense and nonsense in the age of diminished expectations, New York/London, 1994

Nutzinger, Hans; Eger, Thomas, Arbeitsmarkt zwischen Abwanderung und Widerspruch, FAZ, 5.4.1997

Sinn, Hans-Werner, Damit die Arbeitslosigkeit verschwindet, muss die Kostenkrise überwunden werden, FR, 29.1.2000

Solow, Robert, Markt und Mittelstand, 9/1999

Streeck, Wolfgang, Zwei Seelen wohnen, ach, in der staatsfreien Brust. Der Kanzler und sein Lernziel von der zivilen Bürgergesellschaft, FR, 10.7.2000

Hannover, August 2000

Arno Brandt
Torsten Windeis

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