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[Seite der Druckausg.: X ]


Hans Eichel
Bundesminister der Finanzen

II. Neue Prioritäten setzen – Strukturpolitik für Innovation und Beschäftigung

Sehr geehrte Damen und Herren,

wie schaffen wir mehr Arbeitsplätze? – Das ist die zentrale Frage nationaler wie internationaler Politik.

Ohne einen hohen Beschäftigungsstand gibt es auf Dauer keine soziale Gerechtigkeit, keinen sozialen Zusammenhalt und keinen sozialen Frieden.

Die Finanz- und Steuerpolitik der Bundesregierung ist deshalb voll und ganz auf das Ziel der Schaffung von Arbeitsplätzen ausgerichtet. Wir schaffen die Rahmenbedingungen für mehr Wachstum, für Investitionen und Arbeitsplätze. Wir legen die Grundsteine für Innovation und Modernisierung in unserer Gesellschaft.

Hierzu haben wir im vergangenen Jahr unsere neue Finanzpolitik eingeleitet. Leitplanken dieser Politik sind die Haushaltskonsolidierung auf der einen und Steuersenkungen auf der anderen Seite. Unsere Politik ist langfristig angelegt und bietet so die notwendige Planungssicherheit. So setzen wir wichtige Impulse für mehr Investitionen, für Wachstum und Beschäftigung.

Dabei können wir aber nur Erfolg haben, wenn wir die nationalstaatlichen Maßnahmen immer stärker auf Europa ausrichten und sie gleichzeitig um Lösungsansätze auf europäischer Ebene ergänzen.

Denn zunehmend mehr werden die wirtschaftliche Entwicklung und damit auch die Chancen für Wachstum und Beschäftigung durch den europäischen Markt bestimmt.

Auch der Europäische Rat hat im vergangenen Jahr unter deutscher Präsidentschaft der Schaffung von Arbeitsplätzen oberste Priorität eingeräumt. Entsprechend steht die europäische Strukturpolitik ganz im Zeichen der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der Innovation.

Nationale Steuer- und Finanzpolitik europäisch ausrichten

Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit als nationale und als europäische Aufgabe - für die Bundesregierung heißt dies: Unsere gesamte Steuer- und Finanzpolitik muss die europäische Ebene immer mitdenken. Es macht zukünftig einfach kei-

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nen Sinn mehr, eine Politik zu machen, die vielleicht für die nationale Ebene genügt, aber für Europa untauglich ist.

Was das bedeutet, möchte ich an einigen Beispielen verdeutlichen. Nehmen wir zunächst einmal die Haushaltspolitik. In der Bundesrepublik bleibt uns angesichts des enormen Schuldenberges keine Alternative zu einer konsequenten Sparpolitik. Denn nur ein stabiler Haushalt ist eine gute Basis für Wachstum und mehr Arbeitsplätze. Aber dies hat auch eine europäische Dimension.

Da sind erstens die Maastricht-Kriterien. Es wäre ein fatales Zeichen für den europäischen Einigungsprozess, wenn diese ausgerechnet von Deutschland als wichtiger Wirtschaftskraft in Europa nicht eingehalten würden.

Zweitens müssen wir auch den Vergleich mit anderen europäischen Ländern sehen. Wenn zum Beispiel Dänemark in einigen Jahren keine Schulden mehr haben wird, kann es nicht angehen, dass wir unsere Kinder auf einem Schuldenberg sitzen lassen.

Auch in der Steuerpolitik müssen wir „europäisch" denken. Gerade deshalb ist ein wichtiger Bestandteil unserer Steuerreform 2000 ein Systemwechsel, mit dem wir das deutsche Steuerrecht endlich international wettbewerbsfähig machen und es den europäischen Anforderungen anpassen. Zusammen mit den deutlichen Steuersenkungen geben wir so wichtige Impulse für mehr Investitionen und damit für mehr Arbeitsplätze.

Modernisierungspotentiale erschließen

Gleichzeitig haben wir einen deutlichen Modernisierungsprozess eingeleitet. Der Konsolidierungskurs ist dabei die Initialzündung für einen Prozess, der wegführt von einem fürsorgenden hin zu einem aktivierenden Staatswesen.

Wir wollen das Engagement und die Eigeninitiative der Bürgerinnen und Bürger unterstützen. Wir fördern Arbeit statt Arbeitslosigkeit. Wir fördern innovative Projekte, Forschung und Wissenschaft.

Damit geben wir vielen Menschen wieder eine Perspektive und unterstützen gleichzeitig die Innovationspotentiale in unserer Gesellschaft - eine gute Investition in die Zukunft. Aber wir legen damit auch den Grundstein für eine dynamische Beschäftigungsentwicklung in Deutschland.

[Seite der Druckausg.: XII ]

Nationale Beschäftigungspolitik: Bündnis für Arbeit

Unser wichtigstes beschäftigungspolitisches Instrument ist das von uns initiierte „Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit". Aufgabe des Bündnisses ist es, Reformchancen und Beschäftigungspotentiale zu identifizieren und zu aktivieren. Für uns hat dieses Bündnis – übrigens ganz im Gegensatz zu unserer Vorgängerregierung – einen hohen Stellenwert.

Es geht hier um den gesellschaftlichen Dialog, es geht um sozialen Ausgleich. Nur wenn wir die gesellschaftlichen Kräfte bündeln, haben wir eine Chance, die Arbeitslosigkeit nachhaltig abzubauen und die notwendigen Reformen zu ermöglichen. Dabei müssen sich alle Beteiligten darüber im klaren sein: Es geht nicht nur darum, die vorhandene Arbeit neu zu verteilen, sondern es ist besonders nötig, neue Beschäftigungsfelder zu erschließen.

Ergänzt wird der nationale Bündnis für Arbeit durch den europäischen Beschäftigungspakt. Mit ihm sollen alle beschäftigungspolitischen Maßnahmen der Europäischen Union gebündelt werden. Ich glaube, dies ist ein sinnvoller Schritt.

Mit seinen Komponenten - Verbesserung der Effizienz der Arbeitsmärkte, Strukturreformen und makroökonomischer Dialog zur Verbesserung der Koordinierung der Finanz-, Geld- und Lohnpolitik – ist er ein wichtiges Instrument europäischer Beschäftigungspolitik.

Meine Damen und Herren,

ich sagte eingangs, dass eine Politik für mehr Arbeitsplätze in Europa ein wechselseitiger Prozess ist: einerseits müssen wir günstige Rahmenbedingungen im nationalen Bereich schaffen und unsere nationale Politik gleichzeitig auf Europa ausrichten. Andererseits geht es um die Flankierung dieser Politik durch europäische Maßnahmen.

Zur Förderung der Beschäftigungspolitik ist die Strukturförderung aus den Mitteln der europäischen Union ein wichtiges Instrument. Dies gilt insbesondere für die Unterstützung der nationalen Arbeitsmarktpolitik durch den Europäischen Sozialfonds.

Reform der Strukturfonds

Mit der Reform der Strukturfonds im Rahmen der AGENDA 2000 ist die europäische Strukturförderung stärker als bisher auf die Förderung der Beschäftigung ausgerichtet worden. Dies halte ich für einen wichtigen Schritt.

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Denn damit sind neue Prioritäten gesetzt worden. Die wichtigsten akuten Probleme stehen jetzt noch deutlicher im Mittelpunkt:

Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, der weitere Abbau der bestehenden Disparitäten und die Stärkung der Anpassungs- und Innovationsfähigkeit der Regionen und Unternehmen.

Effizienter Einsatz strukturpolitischer Mittel

Damit diese Probleme wirkungsvoll angegangen werden können, muss auch das Förderinstrumentarium entsprechend neu ausgerichtet werden.

Ich bin sicher: Eine erfolgreiche europäische Strukturförderung erfordert, die Mittel dem neuen strukturpolitischen Ansatz entsprechend einzusetzen und zu nutzen. Das heißt, die Regionalförderung sollte sich wirklich darauf konzentrieren, zusätzliche Wachstumspotentiale zu erschließen.

So sollte es etwa bei der Auswahl der Projekte vor allem darum gehen, die Anpassungsfähigkeit der Regionen zu fördern.

Auch die Stärkung der Innovationsfähigkeit ist ein wichtiges Thema. Der Technologietransfer - insbesondere die Umsetzung von Forschungsergebnissen in marktfähige Produkte – sollte daher gezielt gefördert werden.

Besonders wichtig ist es, den kleinen und mittleren Unternehmen Zugang zum Wissens- und Informationsaustausch zu erschließen und ihnen den Weg zu den größer werdenden Märkten zu ebnen.

Dabei muss natürlich immer berücksichtigt werden, wie mit dem beschränkten Umfang an Fördermitteln der größtmögliche Effekt für Einkommen und Beschäftigung der Bevölkerung erzielt werden kann.

Unter diesen Prämissen halte ich die EU-Strukturförderung für einen wichtigen Beitrag für mehr Arbeitsplätze und Innovation.

EU-Erweiterung

Meine Damen und Herren,

die Erweiterung der EU um die zehn Kandidaten in Mittel- und Osteuropa sowie um Zypern wird neue Probleme für die Strukturpolitik der EU aufwerfen.

Ich denke hier vor allem an die hohen Einkommensunterschieden zwischen der „alten" Gemeinschaft und den Beitrittskandidaten. Das derzeitige durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen der Beitrittskandidaten erreicht nicht einmal

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die Hälfte des Durchschnittseinkommens der vier strukturschwächsten Staaten der bisherigen Gemeinschaft. Zudem werden wir Disparitäten zwischen den einzelnen Beitrittskandidaten haben, die größer sind als diejenigen innerhalb der Gemeinschaft.

Natürlich ist das Interesse der Betroffenen an einer Ausweitung von Fördergebieten und Förderkriterien verständlich. Aber wir haben auch die Zwänge zur Haushaltskonsolidierung. Diese werden eine regionale Aufgabenkonzentration und Kosteneffizienz erzwingen.

Wir müssen deshalb die EU-Strukturpolitik für die Zeit ab dem Jahre 2006 neu überdenken. Dabei werden wir auch solche Szenarien nicht ausklammern können, die Einschnitte in die deutsche Förderkulisse mit sich bringen könnten.

Europäische Einigung

Meine Damen und Herren,

günstige wirtschaftliche Rahmenbedingungen auf nationaler Ebene durch eine verantwortungsvolle, langfristige Haushalts- und Steuerpolitik – das Bündnis für Arbeit und der europäische Beschäftigungspakt – flankierende Maßnahmen durch die europäische Strukturförderung – das ist ein wirkungsvolles politisches Paket für mehr Wachstum und Arbeitsplätze.

Aber der Weg für mehr Arbeit in Europa wird auch unterstützt durch den Fortschritt des europäischen Einigungsprozesses insgesamt. Ich denke hier natürlich besonders an die Einführung des Euro. Wir haben damit ein einheitliches Wirtschafts- und Währungsgebiet geschaffen, das mit den USA vergleichbar ist.

Das Sozialprodukt des Euro-Raums ist nach dem der USA das zweitgrößte der Welt. „Euroland" exportiert mehr als die Vereinigten Staaten. Derzeit gewinnt die Konjunktur in Europa deutlich an Fahrt. Das sind gute Vorzeichen für Investitionen und Innovation, für Wachstum und Beschäftigung.

Hinzu kommt, dass wir mit dem Euro die Zersplitterung des europäischen Kapitalmarkts überwunden haben– zum Vorteil aller Markteilnehmer. Übrigens: Ich bin, was den Euro angeht, angesichts der positiven Wirtschaftsdaten durchaus optimistisch.

Wenn wir erfolgreich im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit sein wollen, müssen wir die Vorteile des geeinten Europa aktiv nutzen. Das erfordert aber auch ei-

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ne immer stärkere Koordination. Nur so werden wir den wachsenden ökonomischen Verflechtungen gerecht.

Dies ist uns in vielen Punkten bereits gelungen, ich denke hier nur an die Maastricht- Kriterien oder den Kodex zum unfairen Steuerwettbewerb. In anderen Bereichen stehen wir noch vor großen Aufgaben, etwa bei der Koordinierung der Kapitalertragsbesteuerung.

Je besser uns die Koordinierung gelingt, um so mehr Impulse für mehr Wachstum und Beschäftigung wird es im europäischen Raum geben.

Bei aller Ausrichtung unserer Finanz- und Wirtschaftspolitik auf Europa müssen wir jedoch bedenken: Ohne eine gute beschäftigungsfördernde Wirtschafts- und Finanzpolitik auf nationaler Ebene fehlt die Basis für mehr Wachstum und Arbeitsplätze. Und im Sinne des Subsidiaritätsprinzips dürfen wir nicht auf die europäische Ebene verweisen, was wir auf nationaler Ebene besser lösen können.

Ich glaube, wenn wir dieses beherzigen, haben wir eine gute Basis, um ein modernes Europa zu schaffen und in Europa die Arbeitslosigkeit erfolgreich zu bekämpfen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2001

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