FES | |||||||||||||||||||||||
|
|
TEILDOKUMENT:
[Seite der Druckausgabe: 26 / Fortsetzung] 3. Anforderungen an eine nachhaltige Mobilität 3.1 Die ökonomische Perspektive Beim Prinzip der Nachhaltigkeit steht für den Leiter des Fachbereichs Handel, Verkehr, Telekommunikation, Dienstleistungen und regionale Wirtschaftspolitik des Deutschen Industrie- und Handelstages der klare Unterschied zwischen einer betriebswirtschaftlichen und einer gesamtwirtschaftlichen Sicht im Vordergrund. Die EU-Kommission habe in ihrem Weißbuch die gesamtwirtschaftliche Sicht gewählt, also einschließlich der Einbeziehung externer Kosten. Der Versuch, die daraus gewonnenen Schlußfolgerungen weit über diese Sicht hinaus wissenschaftlich zu begründen, sei allerdings aus seiner Sicht gründlich mißraten. Wenn es um das ökonomische Prinzip gehe, rede man letztlich über Zielkonflikte. Dabei gelte es, von vornherein die Betrachtungsgrenzen weit genug zu ziehen, denn Mobilität sei zentraler Bestandteil des gesamtwirtschaftlichen Geschehens, so daß jeder sektorale Lösungsansatz zwangsläufig erhebliche Auswirkungen auf alle anderen wirtschaftlichen Fragestellungen habe. Um hier einen Balanceakt zwischen den konfliktären Ansprüchen von Produktion einerseits und Ressourceneinsatz andererseits zu ermöglichen, müsse man sich zuerst die verschiedenen Sichtweisen verdeutlichen: Aus ökonomischer Sicht stelle sich die Volkswirtschaft als eine Art Produktionsmaschine dar, die einen bestimmten Mobilitätsbedarf besitze. Der Ökonom versuche, dieses Mobilitätsaufkommen sicherzustellen, weil die Produktion es erfordere, und nehme den dazu nötigen Ressourceneinsatz quasi billigend in Kauf. [Seite der Druckausgabe: 27] Die ökologische Sichtweise hingegen agiert im Verständnis des Referenten genau andersherum. Sie gebe einer Volkswirtschaft eine bestimmte Umweltkapazität vor, die aus Gründen der Ressourcenschonung schrittweise verringert werde. Erst danach würden die Auswirkungen auf die Produktion berücksichtigt. Reiche die Umweltkapazität für bestimmte Produktionen nicht mehr aus, müßten diese zurückgefahren werden. Erste Ansätze in dieser Richtung seien z.B. im Zusammenhang mit der Sommersmogverordnung zu erkennen, wo es darum gehe, den Verkehr generell, also auch den Wirtschaftsverkehr einzuschränken. Wenn man ein solches Konzept verfolge, müsse man sich darüber im klaren sein, daß damit auch Teile der Produktion stillgelegt bzw. behindert werden. Die Politik neige in diesem Zusammenhang sehr stark zur Vereinfachung. In politischen Reden höre sich das Thema immer so an, als ob es lediglich darum gehe, Güter oder Personen zwischen zwei Orten zu transportieren. Daß es aber auch darauf ankomme, mit der Dienstleistung Verkehr bestimmten qualitativen Anforderungen in einem zunehmend komplexer werdenden Geschehen gerecht zu werden, sei offenbar noch zu wenig durchgedrungen. Angesichts einer zunehmenden Arbeitsteilung nicht nur in Deutschland, sondern weltweit, bzw. einer Verringerung der Fertigungstiefe verändere sich aber das Verkehrsgeschehen weithin, und qualitative Aspekte gewännen an Bedeutung. So seien z.B. auch in Deutschland immer weniger Massengüter zu transportieren, sondern zunehmend Stückgüter in kleinen Losgrößen. Die Globalisierung der Absatz- und Beschaffungsmärkte bringe eine Erhöhung der Transportweiten mit sich, und nicht zuletzt nehme wachstumsbedingt auch die Menge der Güter zu. Vor diesem Hintergrund stelle sich die Frage, welcher Verkehrsträger dazu am besten und konkurrenzfähigsten in der Lage sei. Sicherlich sei es in dieser Hinsicht sinnvoll, verschiedene Verkehrsträger zu integrieren, allerdings bleibe offen, wie weit man dieses Feld ausreizen könne. Für Verkehrsverlagerungen auf die Schiene oder auf Wasserstraßen gebe es jedenfalls Grenzen. In politischen Reden gewinne man zwar häufig den Eindruck, als könne man alle Güter, die mit dem Lkw transportiert würden, auch mit der Eisenbahn oder der Binnenschiffahrt befördern. Aber das würde letztlich bedeuten, daß die zunehmend elektronisch gesteuerte Produktionskette einschließlich der Logistik sich am Taktfahrplan der Deutschen Bahn AG ausrichten müsse oder am Wasserstand der Flüsse eine ganz und gar unrealistische Annahme. Auch die weitere Optimierung des Schienenverkehrs selbst sei nur begrenzt möglich. Natürlich müsse Organisationsversagen, wie es sich z.B. in der geringen Durchschnittsgeschwindigkeit von 18 km/h für Gütertransporte mit der [Seite der Druckausgabe: 28] Bahn zeige [Fn.10: Der Moderator weist in der Diskussion darauf hin, daß z.B. ein Liefer wagen in London weit geringere Durchschnittsgeschwindigkeiten erreiche, so daß einige Unter nehmen inzwischen dazu übergegan gen seien, morgens zwei Lkw auf verschiedenen Routen loszu schicken, um ihre Chancen auf recht zei ti ges Erreichen der Bestimmungsorte zu erhöhen. Vgl. hierzu auch die Darstellung des Modell projekts der Bosch-Siemens-Hausgeräte (Kap. 4.5), bei dem die Bahn immerhin eine für die dortigen Zwecke ausreichende Geschwindigkeit von 30 km/h erzielt.] , abgestellt werden. Die Probleme bei der Nutzung eines entscheidenden Systemvorteils der Bahn, nämlich der Langstreckentransporte, könnten aber nicht allein der Deutschen Bahn angelastet werden. Hier sei eine europaweite Bahnreform unerläßlich, und erst wenn es mehr Wettbewerb auf der Schiene gebe, seien weitere Fortschritte zu erwarten. Letztlich bleibe als Transportalternative angesichts der vielfältigen qualitativen Anforderungen häufig nur der Lkw übrig. Durch die Liberalisierung und Grenzöffnung sei bereits eine bessere Auslastung der Transportkapazitäten auf der Straße erreicht worden. Die Preise seien gefallen, und die Spediteure müßten sich anstrengen, bei gegebenen Kosten ihre Transportgefäße möglichst optimal auszuschöpfen. Ein langsam verschwindendes Relikt sei das Festhalten mancher Betriebe am Werkverkehr, der häufig leer zurückfahre. Insgesamt bleibe festzustellen, daß es derzeit keine Alternative für den Lkw gebe. Aus diesem Grund benötige man gerade wegen des Verkehrszuwachses auf der Straße den weiteren Ausbau der Straßenkapazitäten. Sicherlich könne und müsse mit Hilfe der Telematik der Durchsatz auf den Straßen gesteigert werden. An bestimmten Stellen des Straßenverkehrsnetzes in Deutschland werde aber auch der Ausbau um eine weitere Fahrspur benötigt, ebenso wie Lückenschlüsse. Damit könnten die Fahrzeit wieder erträglicher gestaltet werden, Staus würden vermieden und auf diese Weise auch die Umwelt entlastet. Im übrigen plädiere der DIHT nicht dafür, das Straßennetz am Spitzenbedarf auszurichten, wie er etwa zu Beginn der Ferienzeit vorhanden sei. Es gebe aber Streckenabschnitte im Fernstraßennetz, die aufgrund der andauernden und hohen Belastungen unzumutbar geworden seien. Für den Abbau derartiger Engpässe und nicht für andere Zwecke [Fn.11: Solche anderen Zwecke umfassen z.B. die Entlastung der Lohnnebenkosten nach dem „Gesetz zum Einstieg in die ökologische Steuerreform", in dem in Artikel 2 das Mineralölsteuergesetz geändert wird. Die Mineralölsteuer war aber auch vor der Einführung dieser Gesetzesänderung bereits seit einigen Jahrzehnten nicht mehr zweckgebunden.] habe laut Straßenbaufinanzierungsgesetz die Mineralölsteuer ursprünglich auch gedient. Für seine Zuspitzung auf den modellhaft gewählten Gegensatz zwischen Ökonomie und Ökologie bzw. den Versuch, die etablierte ökonomische Grundhaltung darzustellen, daß bestimmte Ressourcen als frei verfügbare bzw. nicht knappe Güter angesehen und damit irrelevant würden, wird der Vertreter des [Seite der Druckausgabe: 29] DIHT in der Diskussion von verschiedener Seite kritisiert. Der Moderator der Veranstaltung nimmt diese Kritik zum Anlaß, das zweifellos vorhandene Konfliktpotential zwischen einer etablierten ökonomischen und einer ökologischen Sicht dahingehend zu präzisieren, daß aus seiner Sicht Ökologie gleich Langfristökonomie sei. Die langfristige Sicherung unserer ökonomischen Lebensgrundlagen sei eben nur dadurch sicherzustellen, daß in höherem Maße als bisher Ressourcen geschont bzw. auf ein höheres Maß an Verteilungsgerechtigkeit geachtet werde. Dies müsse nicht nur zeitlich, also z.B. bezogen auf kommende Generationen, sondern auch räumlich, also zwischen den heute in verschiedenen Teilen der Erde lebenden Menschen angestrebt werden. Sicher sei es besser, z.B. fairen Handel zu betreiben bzw. generell mehr soziale Gerechtigkeit in der Ressourcennutzung herzustellen als nachträglich die Folgen - z.B. ökonomisch bedingte Wanderungsbewegungen oder Konflikte - durch schlechte Asylgesetze oder durch noch schlechtere Sozialleistungen für Asylanten zu reparieren. Der Referent des DIHT ergänzt diese Einschätzung dahingehend, daß es ihm vor allem darum gegangen sei, mögliche Zielkonflikte pointiert herauszuarbeiten. Das übliche Rollenspiel führe aus seiner Sicht dazu, daß die einen sagten, der Ressourceneinsatz interessiere sie nicht, solange die Ressourcen billig genug seien, und die anderen letztlich doch versuchten, eine bestimmte Umweltkapazität vorzugeben, nach der sich die Produktion richten müsse. Folge man der zweiten Haltung, habe man zum Schluß eben eine andere Volkswirtschaft. Zwischen diesen Extremen gelte es, Kompromisse zu finden. Beiträge der Mineralölindustrie Die Vertreterin des Mineralölwirtschaftsverbandes (MWV) verweist einführend auf die unbestreitbare Tatsache, daß Kraftstoffe aus Mineralöl Grundlage für die Mobilität des 20. Jahrhunderts waren, und erläutert die aus ihrer Sicht positiven Eigenschaften - hohe Energiedichte, gute Speicherbarkeit und Wirtschaftlichkeit. Da allerdings der wesentlich auf diese Mineralöle angewiesene Verkehr nicht nur Nutzen für die Volkswirtschaft bringe, sondern zwangsläufig auch Kosten verursache - u.a. in Form von Umweltbelastungen - sei es durchaus berechtigt zu fragen, wie Mobilitätswünsche der Gegenwart erfüllt werden könnten, ohne zu riskieren, daß zukünftige Generationen ihre Mobilitätsbedürfnisse als Folge unseres Verhaltens nicht mehr befriedigen könnten. Ein wesentlicher Aspekt ist dabei die Verfügbarkeit des Rohstoffes Erdöl. Er wird nach Einschätzung der Referentin bis weit in das 21. Jahrhundert hinein [Seite der Druckausgabe: 30] die Grundlage für den größten Teil des Kraftstoffmarktes darstellen zumal es unter Kostenaspekten kaum Alternativen gebe. Die Verfügbarkeit sei entgegen anderslautenden Vermutungen so gesichert, daß selbst unsere Urenkel ein Ende des Ölzeitalters nicht erleben würden. Zwar habe der Club of Rome 1972 vor einem Ende der Ölvorkommen binnen 25 Jahren gewarnt, heute jedoch sei die sog. Reichweite der Ölreserven mit 141 Milliarden Tonnen so groß wie nie zuvor und besitze das Potential, auch in den kommenden Jahren weiter anzusteigen statt abzunehmen. Dies sei wesentlich darauf zurückzuführen, daß mit dem Begriff Reichweite die Abschätzung verbunden sei, welche Vorkommen zu heutigen Ölpreisen und mit heutiger Technik wirtschaftlich gewonnen werden könnten. Gerade in der Förder- und Verarbeitungstechnik, aber auch in der Prospektion seien in den vergangenen zwei Jahrzehnten gewaltige Fortschritte erzielt worden, so daß sich die Reichweite der zu heutigen Bedingungen wirtschaftlich gewinnbaren Vorkommen in den vergangenen Jahren stetig erhöht und nicht verringert habe. Vor allem die sog. nichtkonventionellen Vorkommen in Ölschiefern und Ölsanden, die nach heutigem Stand nur mit höherem technischen Aufwand und dementsprechend höheren Kosten gewonnen werden können, würden die Reichweite nochmals verlängern (vgl. Abb. 1).
[Seite der Druckausgabe: 31] In diesem Kontext leiste die Mineralölindustrie ihre Beiträge zur Sicherung einer nachhaltigen Mobilität unter folgenden Gesichtspunkten:
[Seite der Druckausgabe: 32] Gefälle der Kraftstoffpreise zu den osteuropäischen Nachbarn, so daß u.a. Tanktourismus mit zusätzlichen, unproduktiven und umweltbelastenden Wegen wahrscheinlich werde. Aus Sicht der Vertreterin des MWV ist daher zumindest fraglich, ob dieses Maß der steuerlichen Belastung mit den Prinzipien der Nachhaltigkeit vereinbar sei. Insgesamt werde die Ablösung der Kraftstoffe auf Mineralölbasis in einem langen, allmählichen Entwicklungsprozeß erfolgen. Erst langfristig könnten alternative Energieträger dazu beitragen, die individuelle Mobilität zu gewährleisten. Dies habe den Vorteil, daß genügend Zeit zur Entwicklung von Alternativen zur Verfügung stehe, die sich allerdings ebenfalls am Leitbild der Nachhaltigkeit messen lassen müßten. 3.2 Die ökologische Perspektive Die ökologische Perspektive, so bestätigt es der Vertreter des Umweltbundesamtes (UBA), kann sich nicht länger auf die klassischen und bereits von anderen Referenten erwähnten Aspekte wie Schadstoff- bzw. Lärmemissionen oder den Benzinverbrauch von Fahrzeugen beschränken. Auch so wichtige Aspekte wie Flächenverbrauch, Stadtverträglichkeit oder die Beeinträchtigung des Naturraumpotentials durch die Zerschneidung der Landschaft gehören hierher. Generell müssen der Verbrauch aller Ressourcen - d.h. Fläche, Rohstoffe und Energie - sowie die daraus global resultierenden Boden-, Gewässer- und Luftbelastungen systematisch betrachtet werden. Für alle genannten Aspekte besteht der dringende Bedarf, konkrete Umweltziele zu formulieren, denn
[Seite der Druckausgabe: 33]
transportierenden Gütermengen wären auch mit einem weiter ausgebauten Straßennetz de facto nicht zu bewältigen. [Fn.15: Nach Einschätzung des UBA-Vertreters könnte diese Entwicklung zur Folge haben, daß etwa die Logistikverbände, die sich heute noch vehement gegen eine Einführung von Straßennutzungs gebüh ren für den gewerblichen Güterkraftverkehr zur Wehr setzen, in wenigen Jahren angesichts der massiven Konkurrenz und der Straßenauslastung selbst eine solche Gebühr fordern.] Über solche Aspekte werde aber, so kritisiert der Vertreter des UBA, in der Öffentlichkeit praktisch kaum gesprochen. Hingegen gebe es z.B. Konzepte zum Ausbau der Flughafenstruktur, ohne daß Randbedingungen aus Sicht einer nachhaltigen Entwicklung erkennbar seien. Im Gegenteil: Wenn etwa die Lufthansa einer Verlegung des innerdeutschen Verkehrs von der Luft auf die Schiene positiv gegenüberstehe und damit vordergründig eine ökologisch sinnvolle Entwicklung unterstütze, dann nur deshalb, weil sie aus Kapazitätsengpässen heraus die freiwerdenden Start- und Landemöglichkeiten für den lukrativeren - und ökologisch sehr viel belastenderen - Fernverkehr benötige. Die nach wie vor in der öffentlichen Diskussion vorherrschenden klassischen Schadstoffe sind hingegen aus Sicht des UBA nur noch ein Restthema. Zwar gebe es noch einige Bereiche mit Korrekturbedarf - z.B. Dieselruß, Rasenmäher, Baumaschinen. Im wesentlichen ständen hier aber serienreife, ausführlich erprobte technische Alternativen zur Verfügung, die aber - wie im Fall der Dieselrußfilter mit einem Minderungsgrad um mehr als 99,9% - von der Industrie im Pkw-Bereich nicht angeboten würden, nicht einmal als Option. Schwieriger sei es bei den gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch Lärm (vgl. Tab. 2), die in der Tat ein erhebliches und angesichts des steigenden Verkehrs weiter zunehmendes Problem darstellten. So liege nach heutigem Wissensstand bei häufigen Lärmbelastungen über 65 dB(A) das Risiko für Herzinfarkte mit einiger Wahrscheinlichkeit um rund 20% höher. Immerhin rund 15% der Bevölkerung seien Straßenverkehr mit mehr als 65 dB(A) ausgesetzt, und nur rund die Hälfte der Bevölkerung wohne so ruhig (weniger als 55 dB(A)), daß keine wahrnehmbaren Belastungen aufträten. [Seite der Druckausgabe: 34] Tab. 2: Gesundheitliche Beeinträchtigungen durch Lärm
Quelle: eigene Darstellung, nach Angaben des Vertreters des UBA Daraus abgeleitete Minderungsziele gingen von einer durchschnittlichen Senkung um insgesamt bis zu 13 dB(A) an Hauptverkehrsstraßen und 5 dB(A) an Nebenstraßen aus, um wenigstens einen Mittelungspegel von 65 dB(A) einhalten zu können. Man sei sich allerdings bewußt, daß diese Ziele nicht einfach zu erreichen seien. Da die Dezibelskala logarithmisch angelegt sei, würde bereits eine Senkung um 3 dB(A) in etwa eine Halbierung des Verkehrs erfordern. Die technischen Potentiale zur Lärmminderung (z.B. Schallschutzwände, leisere Fahrzeuge) seien begrenzt. Daran zeige sich, daß weder mit einer Reduzierung des Verkehrs noch mit technischen Maßnahmen allein das Problem nicht zu lösen sei, beides werde gebraucht. Unter dem Anspruch einer nachhaltigen Entwicklung müßten aber auch ganz andere Aspekte angegangen werden. Ein zentrales Problem sei der Flächenverbrauch. Mit Blick auf Forderungen nach mehr Verkehrsflächen (vgl. Kap. 3.1.1) sei hier die Belastungsgrenze bereits erreicht, da man in Deutschland bezüglich des prozentualen Anteils der Verkehrsflächen an der Gesamtfläche auch im internationalen Vergleich bereits extrem hoch liege (Abb. 2). [Seite der Druckausgabe: 35]
Quelle: Umweltbundesamt Solche Entwicklungen, wie etwa auch der von verschiedenen Seiten beklagte Bestandszuwachs bei den Pkw, seien nicht vom Himmel gefallen, sondern die Folge einer langjährigen konsequenten Rahmensetzung. So sei z.B. seit 1953 die Kfz-Steuer von damals 14,40 DM pro 100 cm 3 auf einen Regelsatz von heute etwa 10 DM gesunken. Inflationsbereinigt sei dies nur noch ein Bruchteil, und dementsprechend habe die Steuer heute bei der Haltung des Fahrzeuges de facto keine Bedeutung mehr, so daß u.a. aufgrund des Verwaltungsaufwandes Überlegungen laut würden, sie abzuschaffen. Aus Sicht des UBA sei dies der falsche Weg. Statt dessen sollte man sich wieder auf die Lenkungswirkung der Steuer besinnen und sie deutlich erhöhen. Konsequent äußert sich der Vertreter des UBA aus ökologischer Sicht enttäuscht über die Ansätze des BMVBW (vgl. Kap. 2.1), zumal europäische Nachbarländer wie Großbritannien oder Schweden hier bereits viel weitergehende Konzepte entwickelt und erfolgreich eingesetzt hätten. Zwar gebe es eine beliebige Anzahl allgemein positiver Formulierungen zur nachhaltigen Verkehrsentwicklung, von einer konkreten Trendwende z.B. auch beim Flächenverbrauch sei man aber weit entfernt. Dabei könne sich aus seiner Sicht das BMVBW mit verbindlichen Raumplanungskonzepten gleichermaßen in Richtung nachhaltiger Verkehr wie auch nachhaltiges Bauen und Wohnen mü- [Seite der Druckausgabe: 36] helos profilieren. Auch andere Aspekte im Bereich Bauen und Wohnen könnten zu einer nicht nur ökologisch positiven, sondern auch sozial und ökonomisch verträglichen Entwicklung des Verkehrsge- schehens beitragen. Dazu gehöre eine nachhaltigkeitsorientierte Änderung der Wohnungsbauförderung, bei der derzeit die Gesetzgebung dem Nachhaltigkeitsprinzip entgegenstehe. Die immer wieder angesprochene Integration sektoraler Aspekte, wie sie ja auch im Vertrag von Amsterdam gefordert werde, sei ohne Ziele völlig unbestimmt. Deswegen müßten auch für den Verkehrsbereich sektorspezifische Ziele festgelegt werden. Aus Sicht des UBA sei es enttäuschend, daß sich auch der deutsche Verkehrsminister in Brüssel maßgeblich dagegen ausgesprochen habe, solche Zielsetzungen überhaupt zu entwickeln, geschweige denn festzulegen obwohl einige Staaten wie z.B. Finnland, Schweden oder Dänemark dies bereits anstrebten. Beispielsweise könne eine Festlegung dahingehend getroffen werden, die CO2-Emissionen im Verkehrssektor bis zum Jahr 2005 wieder auf den Stand von 1990 zu bringen; ein sehr vorsichtiges Ziel, das klar hinter der generellen Verpflichtung der EU zurückbleibe, die Emissionen um 10% zu reduzieren. Weitere Zielsetzungen müßten für folgende Bereiche formuliert werden: Keine neuen Verkehrswege in ökologisch sensiblen Gebieten - auch darüber gebe es einen Beschluß der Ministerkonferenz und keine Überschreitung des Lärmpegels von 65 dB(A). Die Richter am Bundesverwaltungsgericht hätten deutlich festgestellt, daß ein solcher Pegel einer Enteignung gleichkomme. Auch die leicht zu erreichende Minderung der Dieselpartikel um 99%, die auch der Sachverständigenrat für Umweltfragen gefordert habe, müsse umgesetzt werden. Von besonderer Bedeutung sei aber die Festlegung eines Instrumentariums für eine strategische Umweltverträglichkeitsprüfung. Es sei unumgänglich, daß die Planung der Infrastruktur verkehrsträgerübergreifend auch mit ökologischen Zielen in Einklang gebracht werde zumindest dort, wo entsprechende Planungen den allgemein akzeptierten Forderungen nach Klimaschutz und Ressourcenschonung diametral entgegenliefen. Man dürfe keinen Bundesverkehrswegeplan entwickeln und dabei lapidar feststellen, daß sich damit die CO2-Emissionen um 7% erhöhten, wie das beim derzeit gültigen Plan aus dem Jahr 1992 der Fall gewesen sei. Die Einführung einer verbindlichen Prüfung der Auswirkungen von verkehrlichen Maßnahmen auf alle Bereiche, aber auch umgekehrt der Auswirkungen z.B. von gesetzlichen Maßnahmen in anderen Bereichen auf das Verkehrs- [Seite der Druckausgabe: 37] geschehen sei für die Entwicklung und Verwirklichung von Mobilitätsstrategien unerläßlich. Wenn beispielsweise heute jemand eine Kreislaufwirtschaft einführe, erzeuge er damit Verkehr. Ebenso könnten Änderungen des Schulgesetzes verkehrliche Effekte auslösen. Diese Zusammenhänge seien den meisten Menschen aber gar nicht klar, und so habe der Verkehr dann oft das auszubaden, was in anderen Bereichen beschlossen wurde. Ein weiterer wichtiger Aspekt sei schließlich die Festlegung von Zwischenzielen für langfristige Strategien. Hier seien allerdings in der Regel Politiker aller Parteien geschlossen gegen Festlegungen, die noch vor den nächsten Wahlen überprüfbar seien. Das Thema Überprüfbarkeit bringe im übrigen mit sich, daß Indikatoren festgelegt werden müßten, mit denen die Erreichung der Ziele transparent und nachvollziehbar zu messen sei. 3.3 Die soziale Perspektive Die üblicherweise unter dem Begriff soziale Perspektive subsumierten Aspekte umfassen vorrangig das Thema Arbeitsplatzsituation. Im Rahmen der durchgeführten Veranstaltung wurde ein anderer Ansatz gewählt, indem man sich vorrangig mit den Grundlagen des sozialen Miteinander, sozialer Ansprüche und Widersprüche auseinandersetzte. Der Grund dafür, so betonte der Moderator der Fachtagung, sei u.a. darin zu suchen, daß es schwierig sei, mit der Diskussion um Arbeitsplatzeffekte im Verkehr und durch den Verkehr zu befriedigenden Ergebnissen zu kommen. Dies sei sicher auch ursächlich dafür, daß man die Arbeitsplatzproblematik in den Indikatorensystemen für eine nachhaltige Mobilität eigentlich nicht vorfinde. Es greife zu kurz, sektorale Ziele zu formulieren; statt dessen müsse man die Diskussion um Beschäftigungseffekte in einem gesamtgesellschaftlichen bzw. gesamtwirtschaftlichen Zusammenhang sehen. Aus soziologischer Sicht, so der Vertreter des Wissenschaftszentrums Berlin, sei die Wahrung des Unterschieds zwischen den Begriffen Mobilität und Verkehr von zentraler Bedeutung. Mobilität repräsentiere vor allem die gedankliche Modellierung von Bewegungen. Verkehr finde vereinfacht gesagt auf der Straße statt und repräsentiere damit die materielle Umsetzung von Mobilität einschließlich ihrer Auswirkungen auf die Umwelt. Nutze man beide Begriffe synonym, wie es heute in der öffentlichen Diskussion sei, so verschenke man [Seite der Druckausgabe: 38] analytisches Potential und begebe sich eines zentralen Ansatzpunktes zur Problemlösung [Fn.16: Der Vertreter des Umweltbundesamtes unterstützt diesen Ansatz mit einem praktischen Beispiel: Baue man ein Squash-Center vor der Stadt statt in der Stadt, so habe man die gleiche Mobilität, aber eine höhere Verkehrsleistung. Mit solchen Entscheidungen werde eben gerade keine Mobilität erzeugt, im Gegenteil werde sie oft zerstört, sei es aus Zeitmangel oder aus einem Mangel an dem okra tischen Entscheidungsstrukturen.] . Betrachte man hingegen beide Begriffe getrennt, so stelle man schnell fest, daß es sich um ein dialektisches Verhältnis handele Mobilität und Verkehr bedingen einander und sind zwingend voneinander abhängig. Das, was man im Kopf als Bewegung modelliere, z.B. auch in Form eines Szenarios für nachhaltige Mobilität, sei u.a. sehr stark abhängig davon, welche Verkehrsangebote zur Verfügung ständen. Aufbauend auf dieser Erkenntnis lasse sich das Geschehen besser differenzieren und in seinen wechselseitigen Abhängigkeiten verstehen. So bringe etwa das vom Referenten der ITAS als Erfolg dargestellte Karlsruher Modell (vgl. Kap. 2.1) nicht nur die positiv bewertete Verlagerung des Verkehrs auf den ÖPNV (hier: Straßenbahn) mit sich, sondern habe auch dazu geführt, daß sich in Karlsruhe die Mobilität bzw. die Bewegungsräume im Kopf erweitert hätten und auf diese Weise die wenig nachhaltigen Zersiedlungstendenzen in der Karlsruher Umgebung durch die neue Straßenbahn letztlich doch unterstützt worden seien. An solchen dialektischen Beziehungen werde klar, daß man immer darauf acht geben müsse, welchen Maßstab man wie an welches Erfolgskriterium anlege, und daß man sich immer wieder die jeweiligen Wechselwirkungen ansehen müsse. Ein weiterer, für das Verständnis der derzeitigen Entwicklungen entscheidender Aspekt ist die Frage, in welcher Gesellschaft wir leben, und wie wir in Zukunft leben möchten. Will man Maßnahmen zur Umgestaltung Richtung nachhaltige Mobilität ableiten, so macht es wenig Sinn, sich in der Diskussion auf materielle bzw. ökonomische Aspekte, auf Stoffkreisläufe bzw. auf physikalische Kenngrößen zu beschränken. Der Vertreter des WZB erinnert daran, daß räumliche und soziale Mobilität eine zentrale Grundlage unserer modernen demokratischen Gesellschaft sei: Durch sie seien die Zugänge zu materiellem und kulturellem Kapital gewährleistet, und diese gesellschaftliche Teilhabe werde vor allen Dingen ohne lokale Begrenzung organisiert. So ermögliche z.B. als typisches Beispiel für den Einfluß der Mobilität auf die Entwicklung des Einzelnen die Finanzierung von Schulbussen auch denjenigen Schülern den Besuch von Gymnasien, an deren Wohnort es diesen Schultyp nicht gibt. Spart die öffentliche Hand solche Gelder ein, könnten weniger Menschen die entsprechenden Bildungschancen wahrnehmen. Daraus ergäben sich wieder- [Seite der Druckausgabe: 39] um weitere Konsequenzen, z.B. in Hinsicht auf Siedlungsstrukuren bzw. generell für das gesellschaftliche Miteinander. Man müsse sich im übrigen darüber im klaren sein, daß jede arbeitsteilig funktionierende Demokratie Verkehr erzeuge. Diese Erkenntnis werde im Rahmen der Nachhaltigkeitsdiskussionen immer gerne beiseite geschoben. In der Soziologie werde aber schon seit längerem die Entwicklung der Nachkriegsgesellschaft in Deutschland mit der Metapher des Wechsels von der Eisenbahngesellschaft zur Autogesellschaft umschrieben. Eisenbahn stehe in diesem Zusammenhang für feste (Lebens-)Fahrpläne, klare Biographien, fest formierte gesellschaftliche Strukturen, klassische sinnstiftende Institutionen. Kirche, Parteien, Staat, alles sei klar strukturiert. Diese Gesellschaft sei in Auflösung begriffen. Wir lebten heute in fraktalen bzw. offenen und vielfältigen Teilgesellschaften; Lebensplanungen liefen zunehmend nicht mehr nach Fahrplan. Von den Menschen werde erwartet, sich eigenständig zu organisieren. Traditionelle Selbstverständlichkeiten der Lebensentwürfe seien weg und nur eingeschränkt durch neue ersetzt. Gemeinsame, gesellschaftsübergreifende Ziele seien lockerer gekoppelt, man sei ein individueller Pluraler", und Begrifflichkeiten wie Eigenzeiten, eigene Räume, Eigensinnigkeiten charakterisierten dieses Geschehen. Sie stellten letztlich auch die Benchmarks dar, an denen jegliche verkehrliche Gestaltung gemessen werde. Angesichts dieses strukturellen Wandels helfe es aus Sicht des WZB-Vertreters wenig, die Rückkehr zum öffentlichen Verkehr, so wie wir ihn kennen, zu propagieren. Die Art von Öffentlichkeit, für den der öffentliche Verkehr konzipiert war, funktioniere bzw. existiere immer weniger. Öffentlicher Verkehr müsse heute mit einer viel distanzierteren Öffentlichkeit rechnen, mit einem veränderten Raumbedarf, mit einem ganz anderen Differenzierungsbedarf. Nachhaltigkeitskonzepte müßten diesen Entwicklungen von vornherein Rechnung tragen, ein Zurück zu den klassischen Formen des öffentlichen Massenverkehrs werde es angesichts des gesellschaftlichen Wandels wohl kaum geben. Die stetigen Verluste an Marktanteilen für etablierte Angebote im öffentlichen Verkehr sprächen für sich. Dem wird in der Diskussion entgegengehalten, in der Schweiz sei dies durchaus anders. So habe z.B. die Bahn dort einen Anteil an der Nutzung der Verkehrsträger (sog. Modal Split), der doppelt so hoch wie in Deutschland sei. Der Vertreter des WZB entgegnet, die teilweise besseren Nutzungsgrade im öffentlichen Verkehr der Schweiz seien vor allem auch darauf zurückzuführen, [Seite der Druckausgabe: 40] daß man hiesigen Verhältnissen hinsichtlich der verkehrlichen Integration um einiges voraus sei. Im Züricher Modell würde z.B. alles einheitlich dargestellt, abgestimmt und alle Verkehrsträger seien auf einer Karte abrechenbar. Der Moderator der Veranstaltung weist ergänzend darauf hin, daß der Schweizer Staat sich dies viel kosten lasse, daß aber die spezifischen Bedingungen der Schweiz nicht ohne weiteres übertragbar seien. Insgesamt sei bemerkenswert, daß die Schweizer mit die höchste Pro-Kopf-Mobilität in Europa hätten. Die weitere Entwicklung des Mobilitätsbedürfnisses sei ohnehin nicht auf die nationalen Verhältnisse zu beschränken - das raumgreifende und damit verkehrstreibende Modell der Demokratie als möglichst für Alle garantierte Teilhabe gelte für die gesamte EU und seit Maastricht auch darüber hinaus. Markträume und damit Anspruchsräume dehnten sich insgesamt weit über nationale Grenzen hinaus aus. Beispiele seien nicht auf die bekannte Tatsache beschränkt, daß deutsche Rentnerinnen und Rentner das gesetzlich verbriefte Recht hätten, sich die Rente auf Mallorca oder auf den Kanaren auszahlen zu lassen. Generell, so der Vertreter des WZB, seien soziale Transferzahlungen immer weniger an nationale Grenzen gebunden [Fn.17: Weitergehend muß sogar festgehalten werden, daß zumindest für das wohlhabendere Drittel der Gesellschaft die gesamte lebenslange Erzielung von Einkommen angesichts von Erbschaften, zunehmenden Gewinnen aus Geldgeschäften (Aktien, Fonds etc.) immer weniger durch den räumlichen Zwang einer abhängigen Beschäftigung bestimmt sein wird. Hinzu kommt die zuneh mende Flexibilisierung durch Telearbeit etc.] . Dabei sei das Geschehen jedoch keineswegs nur von erweiterten Möglichkeiten bestimmt. Optionserweiterungen schlügen regelmäßig sehr schnell auch in Erwartungshaltungen bzw. weitergehend auch in Verpflichtungen um. So sei keineswegs auszuschließen, daß etwa ein deutscher Arbeitsloser, für den das Arbeitsamt schon heute die Grenze der zumutbaren Fahrzeit bei rund zweieinhalb Stunden täglich ansetze, demnächst auch seine Arbeitsplatzsuche bis Dublin ausdehnen müsse bzw. triftige Gründe für die Ablehnung einer Vermittlung nach Dublin anführen müsse, um seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld zu erhalten. Das, was mit Maastricht oder Euro nur notdürftig umschrieben werde, seien ausgedehnte politische Räume, die letztlich zwangsläufig auch Verkehr nach sich zögen. Ein solcher Verkehr müsse anders organisiert werden. Entscheidend sei, daß er nicht mehr von der Technik, sondern von den Funktionen her dargestellt werde. Derzeit müsse man sich nach seiner Einschätzung vor allem mit dem Dilemma auseinandersetzen, daß man entweder den Anspruch auf unbeschränkte Teilhabe am gesamten materiellen und kulturellen Kapital für alle Bürger als elementares Merkmal einer modernen demokratischen Gesellschaft beibehalte; dann müsse man auch den Verkehr akzeptieren. Die andere [Seite der Druckausgabe: 41] Möglichkeit sei, die durchaus plausiblen wissenschaftlichen Fundierungen ernst zu nehmen, daß die natürlichen Lebensgrundlagen bereits überstrapaziert wären. Dann müsse man eine andere Art von Demokratie definieren, eine andere Art von Menschenrechten. Dazu gehöre dann letztlich auch ein anderes Menschenbild. Beides zusammen, so die leider unbequeme Botschaft der Soziologie, gehe nicht. Man könne natürlich auch auf die Stunde der Ingenieure hoffen. Eines aber könne man sicher nicht: Normative Stoffkreisläufe basteln und hoffen, daß sich doch alles irgendwie auf natürliche Art und Weise einpendele oder daß sich alle ein bißchen zusammenreißen und nicht mehr so viel fahren. Das werde sicher nicht funktionieren. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 2001 |