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2. Konzepte zur nachhaltigen Mobilität aus politischer Sicht

2.1 Die Situation in Deutschland

Als bestimmende politische Kraft auf nationaler Ebene vertritt das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (BMVBW) eine eher skeptische Haltung gegenüber der baldigen Durchsetzbarkeit von Anforderungen einer nachhaltigen bzw. integrierten Verkehrspolitik – so die Aussage des Referenten für Grundsatzfragen der Verkehrspolitik. Er verweist einleitend auf die ernüchternden Erfahrungen der letzten Jahrzehnte bei den Bemühungen um eine Verlagerung des Verkehrsgeschehens von der Straße hin zu den umweltfreundlicheren Verkehrsträgern Schiene und Wasserstraße. Ein deutlich sichtbarer Erfolg der Bemühungen zur Reduzierung der Zwänge zur Pkw-Nutzung einerseits und der Erhöhung der Attraktivität öffentlicher Verkehrsmittel andererseits sei offensichtlich ausgeblieben. Gleiches gelte auch für die Realisierung einer Siedlungspolitik bzw. Raumordnung der kurzen Wege.

Somit könne es heute realistischerweise nur darum gehen, Perspektiven aufzuzeigen, mit deren Hilfe der bestehende Antagonismus zwischen Mobilität und Nachhaltigkeit, der u.a. im prognostizierten Zuwachs des Güterverkehrs um 30% in den kommenden 15 Jahren zum Ausdruck komme, zumindest teilweise aufzulösen sei. Da einerseits Mobilität eine der wichtigsten Voraussetzungen für Wirtschaftswachstum und Wettbewerbsfähigkeit sei und andererseits vor allem die Straße als Verkehrsträger an der Grenze ihrer Kapazitäten angekommen sei, gelte es in einem ersten Schritt, die verschiedenen Ver kehrsträger und Infrastrukturen so miteinander zu verknüpfen, daß die Kapazitäten des gesamten Verkehrssystems effizienter ausgeschöpft werden.

Dies könne nur in Form eines integrierten Ansatzes geschehen, der die isolierte Betrachtungsweise einzelner Verkehrsträger ebenso obsolet mache wie er die Berücksichtigung aller Belange der Regionalplanung, des Städtebaus, der Umweltplanung und der Wirtschaft fördere. In diesem Zusammenhang könne Forderungen nach einem Mobilitätsverzicht aus ökologischen Gründen ebensowenig das Wort geredet werden - letztlich stelle auch Fahrradfahren mit Blick auf die Bodenversiegelung keine Form von umweltverträglicher Mobilität dar - wie einer Betrachtungsweise, die die Komplexität des Geschehens auf die reine Verkehrsleistung in Form von Personen- bzw. Tonnenkilometern reduziere. Realistischerweise könne es nur darum gehen, nachteilige Umweltfolgen zu minimieren und eine Balance mit der ökonomischen und sozialen Entwicklung zu finden. Insbesondere Maßnahmen ordnungsrechtlicher Natur seien

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häufig repressiv und von daher wenig geeignet - als Beispiele könnten die aktuell diskutierte zwangsweise angesteuerte Geschwindigkeit von Pkw mittels intelligenter Telematiksysteme, ein generelles Tempolimit oder die Tempolimits bei Ozonbelastungen genannt werden, wie sie das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit für die geplante Novellierung der Sommersmogverordnung vorgeschlagen habe.

Eine Absage erteilt der Vertreter des BMVBW schließlich auch all solchen fiskalischen oder ordnungsrechtlichen Maßnahmen zur Verkehrsvermeidung, die keine Rücksicht auf die Akzeptanz durch den Bürger und die Wirtschaft nehmen. Dazu zählt er beispielsweise die Forderungen nach einer drastischen Erhöhung des Benzinpreises auf 5,- DM pro Liter, aber auch Überlegungen zur Citymaut oder die Sperrung von Innenstädten für den motorisierten Individualverkehr. Als realistische Alternativen böten sich effizientes Parkraummanagement einschließlich einer angemessenen Erweiterung des Anwohnerparkens an. Mehr Nachhaltigkeit könne erreicht werden durch Verkehrsverlagerungen von der Straße hin zu den umweltfreundlicheren Verkehrsträgern Bahn und Schiffahrt, primär auf der Basis der folgenden Handlungsoptionen:

Ordnungsrechtliche Maßnahmen und Sozialvorschriften. Ge- und Verbote dienten der Gefahrenabwehr und Prävention, allgemein verbindliche Sozialvorschriften verhinderten den Mißbrauch von Marktmacht und damit soziale Spannungen. U.a. mittels Straßenkontrollen und geeigneten Sanktionsmechanismen müsse dafür gesorgt werden, die aus dem verantwortungslosem Handeln Einzelner entstehenden Risiken zu minimieren. Ihre Grenzen fänden unmittelbar auf die Regulierung des Fahrverhaltens bzw. der Verkehrsströme gerichtete Maßnahmen dort, wo es darum gehe, einen theoretisch „korrekten" Lebensstil im Sinne eines ressourcenschonenden Mobilitätsverhaltens zu erzeugen. Die beschränkte Wirksamkeit ordnungspolitischer Maßnahmen lasse sich beispielhaft an der negativen Entwicklung des Schienengüterverkehrs illustrieren. Die gesamte Politik nach dem Krieg sei unter dem Aspekt gelaufen, einen Schutzzaun um die Bahn zu bauen, und dennoch habe der Straßengüterverkehr zugenommen – den man natürlich trotz vieler Versuche zur Kontingentierung indirekt durch eine massive Infrastruktur-Ausbaupolitik auch unterstützt habe.

Wirtschaftliche Anreizsysteme. Der Gestaltung der Preise, Steuern und Abgaben komme in der strategischen Rahmengebung für den Verkehrsbereich zwangsläufig eine entscheidende Rolle zu. Dies beschränke sich nicht auf die generelle Beeinflussung des Mobilitätsniveaus und der Marktanteile einzelner Verkehrsarten, sondern darüber hinaus ließen sich hier auch entscheidende Impulse für Effizienzsteigerungen und Innovationen setzen. Car-Sharing, das derzeit

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einen jährlichen Entlastungseffekt von rund vier Mio. Personenkilometern erreiche, stelle einen erfolgreichen, wenn auch begrenzten Ansatz im Sinne nachhaltiger Mobilität dar. Nennenswerte gesamtverkehrliche Effekte könnten generell erst durch die Bündelung verschiedener Maßnahmen entstehen. Von ungleich größerer Wirkung könne beispielsweise die Veränderung der Kosten-Nutzen-Kalküle sein, für die die EU mit ihrem Weißbuch „Faire Preise für die Infrastrukturnutzung" bemerkenswerte Denkanstöße gegeben habe. Sowohl das Verursacherprinzip als auch der Ausgleich von Wettbewerbsverzerrungen zwischen verschiedenen Verkehrsträgern wiesen in die richtige Richtung bei der Ausgestaltung von Maßnahmen. Für die Bundesregierung sei hier die streckenbezogene Autobahnbenutzungsgebühr für schwere Lkw ab dem Jahre 2002 ein wichtiger Meilenstein. [Fn.6: In der Diskussion verweist der Vertreter des Bundesver ban des Spedition und Logistik darauf, daß die Bevorteilung des Schienen- bzw. Wasserstraßen verkehrs angesichts mangelnder Harmonisi erung zu Nachteilen vor allem für deutsche Lkw führe, die im grenzüber schreitenden Verkehr lediglich noch einen Anteil von 25% hätten. In Richtung des Wett bewerbs mit Osteuropäern seien es sogar lediglich 10%.]

Die Veränderung der Angebotsgestaltung. Ein attraktiveres Angebot müsse vor allem auf der Schiene erreicht werden, u.a. durch diskriminierungsfreien Zugang neuer Bahngesellschaften im Zuge der Liberalisierung, durch die Trennung von Infrastruktur und Betrieb zwecks größerer Kostentransparenz und durch die stärkere Einbindung der verladenden Wirtschaft in Transportkonzepte. Die besondere Systemstärke der Bahn liege im Transport großer Mengen über weite Distanzen. Vor diesem Hintergrund erfordere das Zusammenwachsen der europäischen Wirtschaft eine stärkere Integration und Marktöffnung der nationalen Eisenbahnen und Eisenbahnsysteme. Insgesamt seien verbesserter Erfahrungsaustausch und das Zusammenwirken über Verkehrsträger hinweg, z.B. durch Förderung des sog. kombinierten Verkehrs, von vorrangiger Bedeutung auf europäischer Ebene. Desweiteren stelle sich die Frage, inwieweit allein aus Umweltschutzgründen der Straßenverkehr weiter verteuert werden müsse. Als wesentliches Argument für eine Verteuerung werde die bislang mangelnde Kostenwahrheit angeführt, d.h. der Straßenverkehr decke nicht die von ihm verursachten externen Kosten z.B. hinsichtlich Unfällen, Schadstoffen, Lärm, Flächenverbrauch etc.. In dieser Richtung argumentiere auch das Weißbuch der EU mit seiner Präferenz für die Abgeltung sozialer Grenzkosten. In Hinsicht auf den Umwelt- bzw. Klimaschutz entspreche die Bundesregierung derartigen Forderungen durch den Einstieg in die ökologische Steuerreform.

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Schließlich sei neben der unmittelbaren Beeinflussung des Kosten-Nutzen-Kalküls auch die Veränderung der Angebotsgestaltung durch die Förderung technischer Innovation von besonderer Bedeutung. In diesem Zusammenhang verfüge die Telematik über ein enormes Potential, die aber nur in europa- bzw. weltweit kompatiblen und interoperablen Anwendungen ihre Stärken entfalten könne. Schließlich sei die Unterstützung der Bundesregierung für die sog. Verkehrswirtschaftliche Energiestrategie (VES) zu erwähnen, die in besonderem Maße zur Ressourcenschonung beitragen solle. Diese Initiative von sieben Unternehmen der Automobilindustrie habe das Ziel, zukunftsfähige Kraftstoffe zu entwickeln, die in wesentlichen Kriterien besser als heutiges Benzin bzw. Diesel seien. Dabei fände ein breites Spektrum von Antriebssystemen Berücksichtigung, also auch Elektromotoren, Brennstoffzellen, Hybridantriebe. Die Politik erwarte als Moderator die Erfüllung gewisser Rahmenbedingungen, die konkrete Ausfüllung im Hinblick auf die technische und wirtschaftliche Gestaltung werde aber den Unternehmen überlassen.

Maßnahmen der Ausbildung, Aufklärung und Information. Hierher gehörten die Abstimmung von Ausbildungsinhalten in betroffenen Branchen, aber auch die bessere Berücksichtigung von Fragen der Umweltauswirkungen im Rahmen der Bundesverkehrswegeplanung. Modernisierte Bewertungsverfahren berücksichtigten weitergehend Umwelteffekte als bisher, einschließlich netzbezogener Umweltrisiken. Zur stärkeren Verbreitung des Nachhaltigkeitsgedankens trage auch die Finanzierung des Forschungsprogramms Stadtverkehr (FOPS) im Rahmen des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes bei. Hier würden regelmäßig umweltschonende Nahverkehrskonzepte wissenschaftlich untersucht. Weiter seien auch die zunehmende Einführung ökologischer Themen im Rahmen der Ausbildung von Verkehrsberufen sowie die Vermittlung umweltschonenden Verhaltens im Rahmen der Verkehrserziehung und an Fahrschulen erwähnenswert.

Integrierte Verkehrsplanung in der Raumordnungspolitik. Alle genannten Handlungsbereiche und Maßnahmen müssen stärker als bisher gebündelt werden, und zwar bereits in der konzeptionellen Phase der Verkehrsnetzgestaltung. Belange der Raumordnung, des Freiraumschutzes bzw. moderner, nachhaltigkeitsorientierter städtebaulicher Ansätze müßten auf allen Planungsebenen von vornherein berücksichtigt werden. Verkehrs- und Siedlungsstrukturen müßten kompatibel gestaltet werden, u.a. durch eine Orientierung der weiteren Siedlungsentwicklung auf zentrale Orte und durch Erleichterung des Übergangs zwischen den Verkehrsträgern an strukturellen Knotenpunkten. Es müsse aber akzeptiert werden, daß die Bedürfnisse nach Urbani-

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tät einerseits sowie nach grünen Wohnlagen andererseits unterschiedlich seien. Die Politik dürfe hier nicht an den Bedürfnissen der Menschen vorbeigehen.

Insgesamt setze die Bundesregierung auf die Akzeptanz aller am Verkehrsgeschehen Beteiligten und nicht auf Repressionen. Die Erarbeitung von Konzepten für eine integrierte Verkehrspolitik sei als mittelfristige Aufgabe zu sehen, die bis zum Ende der Legislaturperiode abgeschlossen werden soll. In diesem Zusammenhang kritisiert der Vertreter des Umweltbundesamtes (UBA), daß nicht genügend für Akzeptanz aller Beteiligten gesorgt werde. So werde das milliardenschwere Konzept für die Investitionsplanung der kommenden drei Jahre keineswegs öffentlich diskutiert, obwohl aus Sicht der vielbeschworenen nachhaltigen Entwicklung gerade auch die frühzeitige Bürgerbeteiligung entscheidend sei. Derartige Defizite seien beispielsweise in Berlin zu beobachten, wo der Senat Entscheidungen pro Auto fälle, obwohl die Hälfte aller Haushalte in der Stadt gar nicht über ein Auto verfüge. [Fn.8: Vgl. G. Halbritter u.a. : Umweltverträgliche Verkehrskonzepte. Entwicklung und Analyse von Optionen zur Entlastung des Verkehrsnetzes und zur Verlagerung von Straßenverkehr auf umweltfreundlichere Verkehrsträger . Beiträge zur Umweltgestaltung A 143, Berlin 1999] , wurden Möglichkeiten einer nachhaltigen Mobilität untersucht. Die Schwerpunkte der Untersuchung lagen dabei nach Darstellung des Vertreters des Instituts für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) der Universität Karlsruhe einmal bei der Problemlösungsfähigkeit neuer Techniken - z.B. aus dem Bereich der

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Informations- und Kommunikationstechnologien (IuK-Techniken) - und zum anderen bei der Analyse preislicher Maßnahmen im Rahmen von Steuern und Abgaben. Schließlich bildeten die Optionen zur Attraktivitätssteigerung im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) einen dritten Schwerpunkt. Die Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Problemlösungsfähigkeit von IuK-Anwendungen. Im Rahmen bereits konzipierter Einsatzmöglichkeiten von IuK-Techniken, denen auch im Strategiepapier der Bundesregierung „Telematik im Verkehr" die Rolle eines zukunftsweisenden Problemlösers zugeschrieben wird, erfolgte eine Auswertung von Pilotprojekten in Frankfurt, München und Stuttgart. Eine erste Abschätzung des Verlagerungspotentials von MIV auf den öffentlichen Verkehr durch Telematikdienste ergab ein vernachlässigbar geringes Potential von unter 2%. Vergleichbare Analysen im Rahmen anderer Projekte sind zu ähnlich geringen Werten gekommen. Auch unter Berücksichtigung möglicher Synergieeffekte durch weitere Maßnahmen wird daher vermutet, daß vor allem angesichts der anhaltend hohen Zuwachsraten des MIV keine akzeptable Verlagerungswirkung hin zu einem umweltverträglicheren Verkehr zu erwarten ist.

Bedeutender hingegen fällt der mögliche Beitrag zur Verflüssigung des Verkehrs und damit zur Entlastung des Straßennetzes aus. Vor allem Simulationsrechnungen zu möglichen Reisezeitgewinnen bestätigten diese Option. Der Telematikeinsatz führt primär zu einer Kappung von Spitzenbelastungen, vor allem durch räumliche und zeitliche Verlagerung. Dabei muß allerdings bedacht werden, daß es zu zunehmenden Zielkonflikten zwischen kommunalen Verkehrsplanungskonzepten und den erwarteten Auswirkungen einer breiten Nutzung sog. individueller dynamischer Zielführungssysteme kommen kann. Um etwa zu vermeiden, daß Verkehr durch verkehrsberuhigte Wohngebiete geleitet wird, werden u.a. auch seitens der kommunalen Spitzenverbände vertragliche Vereinbarungen als notwendig angesehen, um die Einsatzmodalitäten solcher Zielführungssysteme in Ballungsräumen zu regeln.

Als Aspekt von besonderer Bedeutung wird weiter gesehen, daß der alleinige oder bevorzugte Einsatz von Telematikdiensten im Straßenverkehr dessen Attraktivität erhöht und damit zwangsläufig zu einer weiteren Benachteiligung des öffentlichen Verkehrs bzw. der Schiene führt. Hier sind nach Ansicht des Vertreters von ITAS Bund, Länder und Gemeinden gefordert, entsprechende Telematikanwendungen auch im öffentlichen Verkehr zu fördern – schon allein aus wirtschaftlichen Beweggründen sei dies dringlich, zumal sich die entsprechenden Unternehmen in der Hauptsache noch im öffentlichen Besitz befinden.

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Schließlich dürfen von IuK-Anwendungen besondere Potentiale hinsichtlich der Integration bzw. der intelligenten Verknüpfung verschiedener Verkehrsträger erwartet werden. Hier müssen aber als Voraussetzung die Organisationsstrukturen für intermodale Verkehre verbessert werden. Als erster Schritt dazu soll die Organisation eines kompatiblen, verkehrsträgerübergreifenden Datenmanagements in Angriff genommen werden.

In einem umfassenderen Ansatz müssen Verkehrsmanagementstrategien realisiert werden, die über eine Verbesserung der Informationswirkung auch eine Lenkungswirkung erreichen. Im Gegensatz zu rein informationsorientierten Strategien stößt aber die Durchsetzbarkeit von Systemen mit Eingriffsabsichten aufgrund der vorhandenen Interessenstrukturen und aufgrund der stark zersplitterten Zuständigkeiten in Deutschland sicherlich auf Hemmnisse. Studien, die daraus den Schluß ziehen, daß die Problemlösungskapazität von Verkehrstelematik eingeschränkt sei, verkennen jedoch nach Einschätzung des ITAS-Vertreters die Möglichkeiten des Bundesgesetzgebers im Rahmen der ausschließlichen und der konkurrierenden Gesetzgebung. Im Konzert mit einer gezielten Förderung von F&E und einem dialogorientierten Vorgehen können der TAB-Studie zufolge sehr wohl positive Rahmenbedingungen geschaffen werden.

In diesem Zusammenhang wird die Einrichtung leistungsfähiger, auch virtueller Informationszentralen, die verkehrsträgerübergreifende Informationen sammeln, auswerten und u.a. für das persönliche Reisemanagement zur Verfügung stellen dann als von besonderem Wert gesehen, wenn eine Orientierung hin zu ökologischeren Verkehrsformen, d.h. primär auch zum Verzicht auf den Pkw, gewährleistet ist. Derartige Zentralen benötigen allerdings Rahmenbedingungen, die eine weitgehenden Standardisierung wenigstens für alle deutschen Ballungsräume ermöglichen. Die Ergebnisse einer Forschungsinitiative des BMBF zu „Verkehr in Ballungsräumen" könnten zur Gestaltung dieses organisatorischen und rechtlichen Rahmens wesentlich beitragen.

Preisliche Maßnahmen im Straßenverkehr. Vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) wurden vor allem Straßennutzungsgebühren (in Höhe von 0,20 DM/km für Pkw und von 0,80 DM/km für Lkw) und Mineralölsteuererhöhungen (Modellwerte 2,00 DM und 4,00 DM) szenarisch betrachtet, die sukzessive über einen Zeitraum von 15 Jahren eingeführt werden. An wesentlichen Eckpunkten läßt sich festhalten,

  • daß Fahrleistungsreduktionen des MIV je nach Szenario zwischen 9% und 26% zu erwarten sind;

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  • daß damit einhergehend eine erhebliche Verringerung des Kraftstoffverbrauchs um etwa 36% bis 59% und damit verbunden eine entsprechende Reduktion der CO2-Emissionen ermöglicht wird;

  • daß die Auswirkungen zusätzlicher Kostenbelastungen generell bei Unternehmen und Selbständigen geringer ausfallen als bei den privaten Haushalten, da Transportkosten in der Regel als Vorleistungen weitergereicht werden.

  • daß die Kostenbelastungen bei privaten Haushalten aber doch in einigen Bereichen - vor allem bei Geringverdienenden - zu Einschränkungen in der Automobilität führen können.

Etwa 10% der Haushalte werden der Studie zufolge erheblich, weitere 25% merkbar in ihrer Finanzlage belastet, während die preislichen Maßnahmen für die verbleibenden 65% der Haushalte nur zu geringen oder vernachlässigbaren Auswirkungen auf die finanzielle Haushaltssituation führen sollen. Von daher wird empfohlen, eine mögliche Umsetzung der preislichen Optionen an entsprechende Kompensationsmaßnahmen für die wahrnehmbar belasteten Haushalte zu koppeln. Die dafür erforderlichen Mittel dürften angesichts der aus den Steuern und Abgaben zu erwartenden zusätzlichen Einnahmen zur Verfügung stehen. Zumindest teilweise sollten solche Kompensationen, der Zielrichtung der Studie entsprechend, in bessere Nutzungsmöglichkeiten und eine Attraktivitätssteigerung des öffentlichen Verkehrs fließen. Somit soll u.a. sichergestellt werden, daß solche Maßnahmen auch der erheblichen Anzahl an Haushalten zugute kommen, die keinen Pkw besitzen.

Für den Bereich des Güterverkehrs ergibt sich, daß durch die Einführung von Straßennutzungsgebühren, flankiert durch eine stetige Erhöhung der Mineralölsteuer, vor allem im Fernverkehr wirksame Anreize zur Entlastung des Verkehrsnetzes gesetzt werden können, ohne daß damit eine wesentliche Erhöhung der Güterpreise verbunden wäre. Sinnvollerweise müßten derartige Maßnahmen aber von weitergehenden Angebotsverbesserungen der Bahn flankiert werden.

Attraktivitätserhöhung des ÖPNV. Erfolgsmodelle wie das Züricher Verkehrskonzept oder auch die überzeugende Angebotspolitik des Karlsruher Modells zeigen nach Ansicht der Verfasser, daß ein gut organisierter und attraktiver ÖPNV viel zur Verbesserung der Verkehrssituation in Ballungsräumen beitragen und gleichzeitig mit einem überdurchschnittlichen Grad an Kostendeckung arbeiten kann. In Karlsruhe etwa sei die Zahl der mit dem ÖPNV zurückgeleg-

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ten Wege um rund 50% gestiegen, wobei die auf den ÖPNV verlagerte Pkw-Fahrleistung immerhin knapp 10% erreicht habe. Es habe sich auch bestätigt, daß ein Teil der Verlagerung auf den ÖPNV auf Kosten des Fußgänger- und Fahrradverkehrs gehe, und daß zum Teil neuer Verkehr induziert worden sei, dennoch habe aber der Rückgang des Pkw-Verkehrs zu beträchtlichen Emissionsminderungen geführt. Auch unterstütze die Stadtbahn eine achsenorientierte Siedlungsentwicklung mit geringerem Landschaftsverbrauch - im Gegensatz zu einer durch den MIV begünstigten dispersen Siedlungsentwicklung.

Dennoch, so die TAB-Studie, besteht aber nach wie vor der Bedarf, die politisch-rechtlichen Rahmenbedingungen zugunsten einer breiten Einführung und langfristigen Sicherung von attraktiven ÖPNV-Konzepten zu verändern. Dazu gehören u.a. die Anpassung der Bauleitplanung durch Novellierung des Baugesetzbuches, z.B. hinsichtlich ÖPNV-gerechter Erschließung, Beachtung der geltenden Nahverkehrspläne, Schaffung eines Gesamtverkehrsplans. Weiter wird auch die Erhöhung der Bindungswirkung von Nahverkehrsplänen in Richtung Gesamtplanung für erforderlich gehalten, z.B. durch einheitliche, länderübergreifende Regeln für regionale Nahverkehrsverbünde. Generell wird die Verbesserung der Planung und Kontrolle hinsichtlich Konsistenz und Zielkonfliktfreiheit der verschiedenen Planungen auf den höheren Planungsebenen empfohlen.

Um derartigen Verbesserungen ein realistische Chance auf Umsetzung zu geben, müssen mögliche Hemmnisse, die Interessenlage einzelner Akteure usw. frühzeitig erkannt und in der strategischen Planung berücksichtigt werden. Besonderen Wert habe man daher, so der Vertreter von ITAS, auf die Ermittlung typischer Hemmnisfaktoren gelegt. Auffälligstes und alle Bereiche umfassendes Hemmnis sei immer wieder das Phänomen des weitgehenden Konsenses auch verschiedener politischer Gruppierungen in bezug auf die grundsätzlichen Ziele einer nachhaltigkeitsorientierten Verkehrspolitik, bei gleichzeitigem Dissens in bezug auf die Konkretisierung gewesen. Diese Dissense seien häufig auf pauschale Voreinschätzungen zur Notwendigkeit und Durchführbarkeit von Maßnahmen zurückzuführen, die oft vordergründig plausibel erschienen und darum schnell akzeptiert würden. Diesen Effekt machten sich Interessengruppen zunutze, die solche Argumente gezielt in ihre Informationspolitik einbezögen. Bei genauerem Hinsehen allerdings stellten sich viele dieser Voreinschätzungen als irreführend oder schlicht falsch heraus. Ein Beispiel für solche Voreinschätzungen seien übertrieben optimistische Erwartungen in die Problemlösungsfähigkeit neuer Techniken, z.B. hinsichtlich der Abgasregelungen Euro 3 und 4, mit denen schnell die Erwartung verknüpft werde, daß die Um-

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weltproblematik des Verkehrs damit gelöst sei. Betrachte man aber die relative Umweltfreundlichkeit verschiedener Verkehrsträger, so zeigt sich, daß der ÖPNV bzw. die Bahn trotz aller Maßnahmen bei Pkw und Lkw weiterhin einen erheblichen Emissionsvorteil besitzen, der teilweise um Größenordnungen günstiger sei als die Werte des motorisierten Individualverkehrs.

Ein weiteres Beispiel seien auch die angeblich mangelnden Kapazitätsreserven des ÖPNV bzw. der Bahn, die eine Verlagerung von Straßenverkehr nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand möglich mache. Eine vom Deutschen Verkehrsforum gemeinsam mit dem TAB in Auftrag gegebene Studie belege auch hier das Gegenteil. Dies wird vom Bundesverband Spedition und Logistik dahingehend eingeschränkt, daß man zwischen technischen und ökonomischen Kapazitäten unterscheiden müsse. Ökonomisch habe die Bahn derzeit keinen Spielraum mehr, denn innerhalb der erforderlichen Zeitvorgaben – Stückgutverkehr müsse in der Regel abends bis spätestens 20 Uhr ausgeliefert sein, um dann morgens spätestens bis 5 oder 6 Uhr beim Empfangsspediteur zur Feinverteilung sein – gebe es so gut wie keine Kapazitäten mehr.

Eine zentrale Annahme, die vor allem auch in den Diskussionen um Vor- und Nachteile einer weiteren Belastung mit Steuern und Abgaben (Stichwort: Ökosteuer) eine Rolle spielt, ist schließlich die Unzumutbarkeit eines weiteren Ansteigens der Kostenbelastung privater Haushalte durch den motorisierten Individualverkehr (MIV). Hier belegen die laufenden Wirtschaftsrechnungen des Statistischen Bundesamtes, daß der Anteil der Kosten für einen Pkw am ausgabefähigen Einkommen seit 1965 kontinuierlich gefallen ist, im Gegensatz zum Anteil für Mietausgaben oder für Telekommunikation.

Insgesamt muß nach Ansicht des Vertreters von ITAS festgehalten werden, daß nachhaltige Technikentwicklungen nicht das Ergebnis eines automatisch ablaufenden Marktprozesses sein können, sondern nur das Resultat zielgerichteter, aufeinander abgestimmter Bemühungen aller Akteure, d.h. der Industrie ebenso wie des Staates und engagierter gesellschaftlicher Gruppen. So wurden beispielsweise fast alle Innovationen im Bereich der Emissionsminderung von Kraftfahrzeugen aufgrund gesetzlicher Vorgaben realisiert - vom Katalysator bis hin zum sog. „zero emission vehicle" in Kalifornien, das heute eine wichtige Orientierungsmarke für die Entwicklung neuer Antriebskonzepte wie z.B. der Brennstoffzelle darstellt.

Das aus den USA bekanntgewordene Konzept der sog. public-private-partnership (PPP) bedeutet ja gerade, daß für den Bereich des Staates nicht lediglich eine Moderatorenrolle bei der Gestaltung von Rahmenbedingungen

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zur Realisierung von technischen wie gesellschaftlichen Innovationen gefordert ist, sondern daß diese Rahmenbedingungen auch Lenkungscharakter in Hinblick auf ein übergeordnetes gesellschaftliches Interesse wie z.B. nachhaltige Mobilität besitzen müssen. Um diesen Lenkungscharakter zu gewährleisten, ist die aktive Vertretung schutzwürdiger, nicht marktwirtschaftlich regelbarer Belange unerläßlich.

Diese Einschätzung hat sich nach Auskunft des Vertreters von ITAS auch im Rahmen einer Informationsreise zu ausgewählten Projekten des Einsatzes von IuK-Technik im Verkehr in den USA bestätigt. Der Staat in Form des U.S. Department of Transport engagiere sich im Bereich derartiger Projekte konzeptionell und organisatorisch. Man verstehe sich als Innovator neuer Marktpotentiale, die strategisch entwickelt würden, um so die Voraussetzungen für ein gezieltes Engagement von privater Seite zu schaffen. Das Beispiel des Internets zeige, daß eine derartige Praxis durchaus von Erfolg gekrönt sein könne.

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2.2 Der europäische Blickwinkel

Der Vertreter der EU skizziert ein ähnliches Bild über den Status Quo und die derzeitigen Herausforderungen von Konzepten einer nachhaltigen Verkehrs-politik, setzt aber andere Akzente in seinen Schlußfolgerungen. Wie auch der Vertreter des BMVBW stellt er fest, daß sich in der Umsetzung der Ansprüche an mehr Nachhaltigkeit trotz jahrelanger, teils jahrzehntelanger Bemühungen nichts getan habe. Dies gehe einher mit der Tatsache, daß das Konzept der nachhaltigen Entwicklung in der breiten öffentlichen Diskussion generell kaum präsent sei. So sei auch weitgehend unbekannt, daß die EU bereits 1995 ein Weißbuch zur nachhaltigen Verkehrspolitik verabschiedet habe, das nach langen Diskussionen im Rat wie auch im Parlament nun Teil der gemeinsamen europäischen Verkehrspolitik sei. Nachhaltigkeit sei allenfalls für wenige Tage aktuell, wenn etwa ein Minister zur Rio-Konferenz fahre. Ansonsten werde gelegentlich in den Nachrichten darüber gesprochen, daß man eventuell ein bißchen mehr für die Eisenbahn tun sollte, in den stündlichen Verkehrsnachrichten dominierten aber die Staumeldungen.

Folgerichtig ist nach Ansicht des EU-Vertreters eine merkliche Bereitschaft zu nachhaltiger Mobilität nicht vorhanden, und dementsprechend Fortschritte in toto marginal. So führt z.B. der stetig wachsende Verkehr auf der Straße oder die Tendenz in der Bevölkerung, größere Fahrzeuge mit mehr Komfort, z.B. mit Aircondition, zu kaufen, dazu, daß der CO2-Ausstoß trotz der Effizienzmaß-

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nahmen, die die Automobilindustrie unternimmt, eher nur stabilisiert wird. Angesichts dieser Entwicklungen erscheint es sehr unwahrscheinlich, das anläßlich der Rio-Konferenz 1992 formulierte Ziel einer Reduzierung des CO2-Ausstoßes um 25 Prozent bis zum Jahre 2005, zu erreichen.

Die dahinter zu vermutende Trägheit des Systems spiegelt sich auch in einem weiteren wichtigen Aspekt, der Sicherheit im Straßenverkehr. Seit rund einem Jahrzehnt spricht man in der EU von jährlich rund 50.000 Toten im Straßenverkehr. Zwar ist die Verkehrsleistung durchaus gestiegen, aber man muß eben doch feststellen, daß das Sicherheitsproblem bis heute nicht gelöst ist. Die neue Kommissarin der Generaldirektion VII „Verkehr" hat daher dieses Thema für ihre Amtszeit zu einem der Hauptthemen gemacht. Es soll möglich werden, eine scharfe Reduzierung der Personenschäden im Straßenverkehr zu erreichen, d.h. nicht nur wenige Prozent, sondern möglicherweise eine Halbierung. Im übrigen, so der EU-Vertreter, habe sich auch bei den Eisenbahnen gezeigt, daß es in Verbindung mit marktwirtschaftlichen Ansätzen passieren könne, daß notwendige sicherheitstechnische Vorschriften eventuell nicht genügend beachtet würden. [Fn.9: Der Referent nimmt Bezug auf das große Eisenbahnunglück in Großbritannien 1999, für das nach allgemeiner Einschätzung Sicherheitsmängel aufgrund von Kosteneinsparungen ursächlich waren.]

Um insgesamt den Weg in Richtung nachhaltige Mobilität zu ebnen, setzt die Europäische Union Rahmenbedingungen, die der Vertreter der Generaldirektion VII „Verkehr" vier Blöcken zuordnet:

  1. Konzeptionelles Arbeiten. Hierher gehört z.B. das Weißbuch über die nachhaltige bzw. im Sprachgebrauch der Europäischen Kommission so genannte „auf Dauer erträgliche" Mobilität. Dieses Basiskonzept enthält i.w. drei Elemente, nämlich einmal Effizienz, worunter sowohl technische wie ökonomische wie finanzielle Effizienz verstanden wird, dann das Ziel, die Auswirkungen des Verkehrs im Rahmen der Umwelt so niedrig und so positiv wie möglich zu halten, und schließlich das Konzeptelement Sicherheit, ebenfalls mit einem außerordentlich hohen Stellenwert.

  2. Gesetzgebung. Anhand des Acquis Communitaire, also der Beschreibung der gesamten verkehrstechnischen bzw. verkehrspolitischen Gesetzgebung, wird ersichtlich, daß rund 140 Gesetze relevant für den Verkehrsbereich sind. Sie umfassen ein breites Spektrum unterschiedlicher Ansätze, von Leitlinien für die Gestaltung der transeuropäischen Verkehrsnetze bis hin zur Ausbildung von Inspektoren im Bereich der Hafenkontrolle, also von

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    sehr speziellen Aspekten bis hin zu konzeptionellen Vorgaben mit großer Relevanz hat im Bereich der nachhaltigen Mobilität.

  1. Technische Regelungen zur Harmonisierung der europäischen Standards. Hier existiert eine Vielzahl einzelner Vorschriften, z.B. im Rahmen des Eisenbahnwesens über die Interoperabilität von Hochgeschwindigkeitszügen. Es wird angestrebt, die Aufsicht und Fortentwicklung über diese teils sehr detaillierten Regelwerke im Rahmen der Liberalisierung des Verkehrswesens in stärkerem Maße durch die Standardisierungsgremien, i.w. also durch die europäische Normenagentur CEN wahrnehmen zu lassen, die ja auch für den Bereich der Informationstechnologie zuständig ist, so daß hier zukünftig weitere Synergieeffekte zu erwarten sind.

  2. Innovationen durch Forschung und Entwicklung. Im fünften Forschungsrahmenprogramm, das gerade angelaufen ist, besitzen das Verkehrswesen und seine nachhaltige Entwicklung eine wesentlich größere Bedeutung als bisher. Dies schlägt sich u.a. im finanziellen Rahmen nieder. Die gemeinsame europäische Verkehrspolitik wird in etwa mit 1,5 Mrd. Euro pro Jahr unterstützt.

Dennoch bleibe als Problem bestehen, daß das Beharrungsvermögen des etablierten Systems bis heute echte Fortschritte nicht ermöglicht habe. Ein echtes Gesamtkonzept für eine auf Dauer erträgliche Mobilität, das reale Chancen auf Umsetzung haben wolle und damit vor allem tragfähig auch in der Öffentlichkeit sein müsse, komme an einem Paradigmenwechsel nicht vorbei. Diskussionen z.B. über die Nutzung jedes Verkehrsträgers entsprechend seiner kompatiblen Vorteile, würden aber nach wie vor - auch auf EU-Ebene - nur in kleinsten Kreisen stattfinden. Die Logistikoptimierung sei ebenfalls ein Thema, das nach wie vor überwiegend in Spezialzirkeln diskutiert werde. Dies sei mitentscheidend dafür, daß der Straßenverkehr weiter steigt, obwohl immer wieder versucht werde, das Gegenteil zu erreichen. Dabei muß zwar nicht der Eisenbahnverkehr substantiell reduziert werden. Aber der Zuwachs an Transportvorgängen wird im wesentlichen vom Straßenverkehr aufgesogen.

Auch im Bereich der Konzepte für eine nachhaltige Entwicklung bestehen Defizite. Diese werden u. a. daran deutlich, wie man bislang Erfolge bei der Umsetzung von Nachhaltigkeit meßbar und nachvollziehbar machen wolle. Der Moderator der Veranstaltung habe auf Versuche der Vereinten Nationen (UNCSD) verwiesen, Nachhaltigkeit durch 134 Parameter zu definieren bzw. zu kontrollieren. Als Physiker lerne man bereits in den Grundvorlesungen, daß ein Modell mit mehr als fünf Parametern nicht mehr ernstzunehmend sein kön-

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ne. Man müsse sich also fragen, woran es liege, auf diese Art und Weise die gängigen Nachhaltigkeitsmodelle so komplex zu machen, daß sie nur noch in kleinen Kreisen von Experten behandelt werden könnten und ihnen demzufolge die Politikfähigkeit - zumindest auf demokratischer Grundlage - entzogen würde.

Das Problem falscher oder irreführender Indikatoren bzw. Maßstäbe sei allerdings nicht auf die Nachhaltigkeit beschränkt. Beispielsweise habe man auch in den heute üblichen Betrachtungen des Güterverkehrs das Problem, daß die Transportmengen - z.B. von Kohle und verschiedenen anderen Massengütern - stark abnähmen. Somit stelle sich die Frage, ob das gängige Maß „Tonnenkilometer„ die richtigen Informationen liefere. So transportiert ein Lkw z.B. bei der Auslieferung von Computern nur einen Bruchteil des Gewichts, das bei einer Fahrt mit Schüttgut wie Sand oder Kohle über die gleiche Entfernung bewegt wird. Hier müsse man deshalb zu einer neuen Bewertungsart kommen, also nicht mehr mit Tonnenkilometern rechnen, sondern z.B. einen Bezug zur Wertschöpfung oder anderen geldlichen Indikatoren herstellen.

Insgesamt fehlt es nach Einschätzung des Vertreters der Generaldirektion Verkehr an Instrumenten für eine integrierte Bewertung. Man sei leider bis heute nicht in der Lage, die soziologischen, sicherheitstechnischen, ökonomischen und ökologischen Aspekte mittels einer harmonisierten Bewertungsmethode zu einer strategischen Analyse zusammenzuführen. Hier sei vor allem die Wissenschaft gefordert, statt verschiedener Methoden, die isoliert neben- oder gar gegeneinander verwendet würden, ein Gesamtkonzept zu erarbeiten und den unsäglichen Streit zu beenden, wie man denn nun ein integriertes Verkehrskonzept oder andersherum ein Verkehrskonzept integriert zu bewerten habe.

Die integrative Leistung eines Konzepts für eine auf Dauer erträgliche Mobilität bestehe wesentlich darin, den Konflikt zu lösen, der zwischen dem an sich engen Regelungsbedarf eines sicheren und umweltverträglicheren Verkehrssystems auf der einen Seite und der unumgänglichen Einführung marktwirtschaftlicher Prinzipien auf der anderen Seite zutage trete. Das erfordert u.a., daß es für jede Art von Verkehrsleistung dem Nutzer überlassen bleiben muß, welches Verkehrsmittel er auswählt. Die Antwort auf die Frage, ob dieses Prinzip der freien Verfügbarkeit von Verkehrsträgern für jede Art von Verkehrsleistungen auf Dauer durchgehalten werden kann, sei derzeit offen.

In der Diskussion wurde festgestellt, daß beispielsweise im Güterverkehr an der deutschen Ostgrenze für Lkw häufig Wartezeiten von mehreren Tagen auftreten. Dennoch werden Lkw in immer stärkerem Maße für den grenzüber-

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schreitenden Verkehr genutzt, während die Bahn stagniert. Vor allem auch angesichts der EU-Osterweiterung stelle sich die Frage auch nach Verkehrskonzepten der EU. Einen weiteren Problembereich stellen Subventionen der EU dar, die in Einzelfällen zu ungezielt seien bzw. mit denen das angestrebte Ziel nicht erreicht werde. So sei beispielsweise in den neuen Bundesländern mit zweistelligen Millionenbeträgen ein Güterverkehrszentrum für die Bahn eingerichtet worden, das seit Jahren nicht mehr genutzt werde. Die Bahn biete keine Züge dort an, und die Ressentiments der verladenden Wirtschaft seien ebenfalls erheblich. Dieses Ergebnis führen sowohl der Vertreter der EU als auch des BMVBW wesentlich auf das Verhalten der Deutschen Bahn zurück.


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