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TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausg.: 77 ]


Armin Sorg
Abteilungsdirektor Wirtschaftspolitik und
Außenbeziehungen der Siemens AG, München


Erwartungen und Erfahrungen eines Großunternehmers:
Das Beispiel der Siemens AG


Siemens in der Region seit langem aktiv

Siemens ist ein weltweit führendes Unternehmen der Elektrotechnik und Elektronik mit rd. 443.000 Mitarbeitern und einem Umsatz von 134 Mrd. DM im Geschäftsjahr 1998/99.

Die Aussage „Europa ist unser Heimatmarkt" hat Mittel- und Osteuropa immer eingeschlossen. Siemens hat die Region nicht erst nach der Wende 1989/90 entdeckt. In vielen dieser Länder ist das Unternehmen seit mehr als 100 Jahren präsent. Europa stellt rd. 60% am Weltumsatz, rd. 70% der Beschäftigten sowie rd. 300 Fertigungen.

Heute beschäftigt Siemens in den Beitrittsländern rd. 29.000 Mitarbeiter in 81 Gesellschaften. Siemens hat innerhalb der letzten 5 Jahre den Export aus Deutschland in die Beitrittsländer auf knapp 2 Mrd. DM mehr als verdoppelt. Das Geschäftsvolumen vor Ort hat sich in den vergangenen 10 Jahren auf rd. 4 Mrd. DM sogar verzehnfacht. Siemens investiert in der Region derzeit rd. 200 Mio. DM p.a. mit steigender Tendenz seit 1989/90.

Herausragende Bedeutung von Direktinvestitionen

Die Region ist so differenziert zu sehen wie etwa Südostasien: Sie setzt sich aus relativ großen, aber auch aus kleinen Märkten zusammen. Es gibt Länder mit funktionierender Marktwirtschaft, aber auch solche, die erst am Anfang des Transformationsprozesses stehen. Daraus resultierend gibt es Länder mit hohen Wachstumsraten der Wirtschaft und solche, deren Entwicklung kaum vorankommt.

In den Beitrittsländern haben sich die Rahmenbedingungen (Politik, Institutionen) zunehmend gefestigt. Die Direktinvestitionen steigen, das Marktwachstum ist attraktiv. Gleichwohl sind im Trend wachsende Einkommens- und

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Wohlstandsunterschiede festzustellen. Ursache hierfür sind unterschiedliche wirtschaftspolitische Konzepte und Vorgehensweisen.

Direktinvestitionen sind die treibende Kraft der wirtschaftlichen Entwicklung der Beitrittsländer. Für die Zielländer bedeuten Direktinvestitionen:

  • attraktive Arbeitsplätze,

  • Einkommen über den Landesdurchschnitt,

  • Kapital- und Know-how-Zufluss,

  • Zugang zu den Weltmärkten,

  • höhere Umwelt- und Sozialstandards und

  • Hilfe bei notwendigen Strukturanpassungen.

Direktinvestitionen tragen ganz wesentlich zu den Transformationserfolgen bei. Es entstehen sog. „win-win"-Situationen sowohl für EU-Unternehmen als auch die Zielländer. Heute beschäftigen deutsche Unternehmen in den 3 großen Beitrittsländern Polen, Tschechische Republik und Ungarn über 350.000 Mitarbeiter.

Übersicht 1: EU-Beitrittskandidaten – „Win-Win" Situation durch
Direktinvestitionen

Nutzen für Unternehmen aus der EU

  • Erschliessung neuer Wachstumsmärkte
  • Chancen für zukünftige Expansion in den Märkten der Region
  • Zugang zu hochqualifiziertem Personal
  • Verbesserung der Effizienz

Nutzen für die Beitrittskandidaten

  • neue Arbeitsplätze
  • Zugang zu Technologien der Weltspitze
  • wettbewerbsfähigere eigene Unternehmen
  • höhere Gesundheits-, Sicherheits- und Umweltstandards

Quelle: ERT

Attraktive Kosten, hohe Produktivität

Eindeutige Wettbewerbsvorteile der Beitrittsländer liegen bei den Arbeitskosten: Die Arbeitskosten (Direktlöhne plus Personalzusatzkosten) eines Siemens-Facharbeiters in Deutschland sind etwa acht- bis zehnmal höher als die seiner Kollegen in den großen Beitrittsländern. Ähnlich sieht es bei Elektroingenieuren aus, deren Know-how mit westdeutschem Niveau vergleichbar ist.

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Diese Kostenvorteile bleiben noch über Jahre erhalten. Ein Beispiel ist der Bereich der Automobiltechnik, in dem eine kostengetriebene Strategie verfolgt wird: Bordnetze für Kfz enthalten einen hohen Anteil Arbeit und sind nicht automatisierbar. Es existieren heute 9 Standorte in den Beitrittsländern mit 8.200 Mitarbeitern in Fertigungsstandorten. Besonders positive Geschäftserfahrungen bestehen hinsichtlich Kosten und Produktivität, besondere Herausforderungen sind die Logistik und das Thema Sicherheit etwa für Spediteure.

Übersicht 2: Automobiltechnik (AT) – Kostengetriebene Strategie –
Geschäftserfahrungen in Beitrittsländer

+

Kosten

Logistik

Produktivität

Sicherheit

Qualifikation

Geschäftsabwicklung

Behörden

Sprachenvielfalt

Quelle: Siemens

Dynamische Märkte

Die Elektromärkte der Beitrittsländer wachsen schneller als die Elektromärkte in Westeuropa. Die interessantesten Elektromärkte der Region hinsichtlich Volumen und Wachstum sind Polen mit einem Wachstum von 7,5% p.a., Ungarn mit 6,2% p.a. und die Tschechische Republik mit 5,3% p.a. Ein wesentlicher Grund liegt in der Deregulierung und Liberalisierung sowie im Investment in IuK. Hier sind Ungarn und die Tschechische Republik weltweit führend: Die Investitionen in die Telekommunikation machten 1995-1997 2,3% bzw. 1,9% des Bruttosozialproduktes aus. Das Beispiel hier ist der große Bereich der Informations- und Kommunikationsnetze, in dem eine marktgetriebene Strategie gefahren wird: Das Geschäftsvolumen in der Region erreicht rd. 1 Mrd. DM. Siemens ist mit 2.000 Mitarbeitern im Festnetz und Mobilnetz aktiv. Die Wachstumsaussichten sind gut: Bis zum Jahr 2003 wird die Liberalisierung in der Telekommunikation durchgängig erreicht sein. Hervorzuheben ist, dass Beitrittsländer Pionieranwender etwa für high-speed-Datennetze sind. Typisch sind nationale Landesfertigungen. Die Geschäftserfahrungen von Siemens sind positiv. Hervorzuheben sind Marktvolumen und Marktdynamik, die Ertragskraft sowie das hohe Niveau von Bildung und Ausbildung. Ein besonderes Augenmerk muss auf die Themen Finanzierung und Loyalität der Mitarbeiter gelegt werden.

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Übersicht 3: Informations- und Kommunikationsnetze (ICN) – Marktgetriebene Strategie – Geschäftserfahrungen in Beitrittsländern

+

Marktvolumen, Marktwachstum

Finanzierung

Ertragskraft

Loyalität Mitarbeiter

Bildung/Ausbildung

unternehmerisches Denken

Pionieranwender

nationale Ausrichtung

Quelle: Siemens

Hohes Bildungs- und Ausbildungsniveau

Mittel-/Osteuropa mildert die Ingenieur-Engpässe in Westeuropa. Für Siemens erfüllt diese Funktion zum Beispiel das Software-Haus Bratislava in der Slowakei

Die Niederlassung wurde 1991 gegründet. Sie wird durch die Programm- und Systementwicklung der Siemens AG Österreich gesteuert. Das Software-Haus ist mit 400 Mitarbeitern Teil eines Software-Netzwerkes mit Österreich, Ungarn, Tschechische Republik, Kroatien und der Slowakei. Siemens hat sehr positive Erfahrungen gemacht, die sich ohne weiteres an Indien (Bangalore) messen lassen. Die spezifischen Vorteile: Bratislava liegt vor der „Haustüre", es gibt keine Zeitdifferenz und keine gravierenden kulturellen Unterschiede, die Kostensituation ist günstig.

Einbindung der Region in europa- und weltweite Wertschöpfungsketten

Siemens denkt und handelt in europa- und weltweiten Wertschöpfungsketten und –netzen, wie typischerweise etwa in den Bereichen

  • FuE und Engeneering in Europa und USA,

  • Einkauf in Südostasien,

  • Fertigung in Osteuropa,

  • Verkauf und

  • Service via Internet und mit Hilfe von call centers national vor Ort.

In derartige Wertschöpfungsketten sind auch die Beitrittsländer eingebunden.

Die Regionalisierung des Geschäftes trägt zu einer deutlichen Effizienzsteigerung bei. So wurde Österreich die Geschäftsverantwortung für die Länder

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Slowakei, Slowenien, Kroatien, Bosnien, Herzegowina und Jugoslawien übertragen. Von Finnland aus wird das Geschäft in Estland, Lettland und Litauen geführt.

Noch substantielle Aufgaben zu bewältigen

Wichtige Problembereiche in einer Reihe von Beitrittsländern sind verkrustete Wirtschaftsstrukturen, eine leistungsschwache Infrastruktur, komplexe Steuersysteme sowie eine unzureichend transparente und effiziente Gesetzgebung.

Übersicht 4: Beispiele für Problembereiche in den Beitrittsländer

  • komplexe Steuersysteme
  • hohe Importzölle und bürokratische Verfahren
  • unzureichend transparente Gesetzgebung
  • Beschränkungen ausländischer Unternehmen beim Grunderwerb
  • Verzögerungen im Privatisierungsprozess
  • mangelnde Klarheit bei Umweltthemen
  • schlechte Qualität der lokalen Versorgung
  • unzulängliches Bankensystem
  • leistungsschwache Infrastruktur
  • mangelnder Wettbewerb in Schlüsselmärkten
  • Bevorzugung eigener Unternehmen
  • ineffiziente Absatzkanäle

Quelle: Siemens

Vom ERT (European Round Table), einem Zusammenschluss führender europäischer Industrieunternehmen, werden u.a. folgende Themenbereiche für die Beitrittsländer als prioritär angesehen:

  • Öffentliches Auftragswesen,

  • Geistiges Eigentum,

  • Standards und Zertifizierung,

  • Staatsbeihilfen,

  • Umweltgesetzgebung,

  • Rechtswesen, Sozialpolitik, Gesundheitswesen,

  • Agrarstruktur.

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Ein möglicher Engpass einer raschen EU-Osterweiterung liegt aber nicht nur in einer mangelnden Beitrittsfähigkeit verschiedener Kandidaten, sondern auch in der Aufnahmefähigkeit der EU.

Siemens setzt auf möglichst rasche EU-Osterweiterung

Die deutsche Industrie und darunter auch Siemens haben die Osterweiterung trotz aller bestehenden länderspezifischen Schwierigkeiten de facto bereits vorweggenommen: Deutschland ist fast überall Exporteur Nr. 1. Die Marktposition von Siemens in den jeweiligen Elektromärkten liegt zwischen 3 und 8%.

Unser „Wunschzettel": Wir treten für einen möglichst raschen Beitritt von „reifen" Kandidaten ab dem Jahr 2003 ein, um die Vorteile eines einheitlichen Marktes mit gleichen Spielregeln in ganz Europa nutzen zu können. Um dieses Ziel zu erreichen, sollten die Beitrittsländer sich selbst ehrgeizige Termine setzen. Nur so wird der notwendige Handlungsdruck erzeugt. Die Prüfung der tatsächlichen Reformfortschritte durch die EU-Kommission wird zeigen, ob es sich dabei um realistische Perspektiven handelt. Das Beispiel der Südländer, wie etwa Portugals, sollte ermutigen.

Eine moderne Infrastruktur ist notwendig, um ein anhaltend hohes Wachstums- und Transformationstempo zu erreichen. Dies unterstützt Siemens mit Anlagen und Systemen aus den Bereichen Telekommunikation, Energie, Industrie, Verkehr, Dv und Medizin. Siemens will auch künftig schneller als der Markt wachsen und seine Position in der Region ausbauen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2001

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