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TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausg.: 31 ]


Prof. Dr. Jerzy Hausner
Minister a.D., Kraukauer Akademie der Wirtschaftswissenschaften, Krakau, Polen

Prof. Dr. Jerzy Wilkin
Universität Warschau, Polen


Die Europäische Integration ersetzt keine Strukturpolitik.
Der Fall Polen *

*[Übersetzung aus dem Englischen und redaktionelle Bearbeitung Matthias Gerz und Wolfgang Potratz, IAT]

Dieser Beitrag basiert auf dem Buch „Three Polands: the Potential for and Barriers to Integration with the European Union". Es ist das dritte Buch einer Berichtsreihe, die im Rahmen des vom Warschauer Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung initiierten und geförderten „EU-Monitoring Projekts" erarbeitet wurde.

Mit diesem Beitrag wollen wir den oft wenig beachteten Unterschied zwischen „Beitritt" und „Integration" beleuchten; wir wollen vor allem zeigen, dass die Integration, im Sinne der Öffnung der Wirtschaft für freie Waren-, Geld- und Dienstleistungsströme, schon stattfindet, bevor der EU-Beitritt Polens formal besiegelt sein wird. Die polnische Wirtschaft ist bereits offen für den Wettbewerb mit und aus der EU. Um der damit verbundenen Herausforderung zu begegnen, wird allerdings eine nachhaltige Strukturpolitik benötigt. Beitrittsverhandlungen und Strukturfonds zur Vorbereitung auf den Beitritt sind kein Ersatz für eine solche Politik. Der „Beitritt" ist eine Abfolge formaler Verfügungen über die einseitige Integration festgelegter Normen (acquis communautaire) in das polnische Rechtssystem. „Integration", auf der anderen Seite, wird im weiteren Sinn als Konvergenzprozess verstanden. Dieser verlangt einen strukturellen Wandel, als Grundlage für Wachstum und zugleich Katalysator des Wachstumsprozesses. Dies ist ein Prozess, der in partnerschaftlicher Zusammenarbeit und auch mit Hilfe bilateraler Vereinbarungen mit den EU-Ländern organisiert werden muss.

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Wenn Integration als ein umfassender und lange andauernder Prozess wirtschaftlicher Konvergenz verstanden wird, können drei grundlegende Aspekte hervorgehoben werden:

  1. Harmonisierung, bzw. Anpassung des polnischen Rechtssystems an den „acquis communautaire".

  2. Mikroökonomische strukturelle Anpassung, um die Fähigkeit Polens zu verbessern, den Anforderungen des Wettbewerbs zu begegnen und die Kooperationschancen zu nutzen.

  3. Nominelle makroökonomische Konvergenz in Richtung auf die „Maastricht-Kriterien", d.h. Erfüllung der fiskalischen und geldpolitischen Kriterien für den Anschluss an die Europäischen Währungsunion.

Wenn man den Integrationsprozess unter diesen Aspekten betrachtet, stellen sich deutliche Widersprüche und Abhängigkeiten zwischen den Strategien in diesen Feldern heraus:

  • Eine zu schnelle Harmonisierung könnte sich nachteilig auf die strukturelle Anpassung auswirken.

  • Eine zu radikale nominelle Konvergenz könnte ebenfalls einer strukturellen Angleichung hinderlich sein.

  • Ohne strukturelle Anpassung wären die Vorteile der Harmonisierung begrenzt und die Kosten hoch.

  • Ohne strukturelle Anpassung wird die Wahrscheinlichkeit klein sein, Konvergenz zu erreichen und aufrecht zu erhalten bzw. Anschluss an die Länder zu finden, die den inneren Kern der Europäischen Union ausmachen.

Die oben angeführte Liste veranschaulicht die Schlüsselbedeutung struktureller Anpassung und einer Politik, die dies auch sicherstellen kann. Aus unserer Sicht liegen hier die grundlegenden Hindernisse für Polens Integration in die EU und die Defizite in der Vorbereitung des Landes auf den Beitritt. Diese sind nicht nur das Resultat wirtschaftlicher Faktoren, sondern auch politischer und sozialer Faktoren.

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Strukturfonds und Strukturpolitik

Die EU-Strukturfonds dienen dazu, strukturelle Probleme zu lösen, auch über einen langen Zeitraum (über 15 Jahre). Versuche, diese Mittel zu akquirieren, sollten aber die Probleme der eigenen Strukturpolitik nicht überlagern. Auch gewaltige von außen kommende Summen werden die strukturelle Wettbewerbsfähigkeit nicht garantieren, wenn nicht interne Ressourcen mobilisiert und innere Barrieren gegen eine strukturelle Anpassung beseitigt werden. Ohne eine effektive Strukturpolitik werden Strukturhilfen nur wenig bewirken: Sie können für kurzzeitige Erleichterung sorgen, aber keine dauerhafte Veränderung in Gang bringen. Das zeigt auch ganz deutlich der oft gegebene Hinweis auf die (begrenzte) Fähigkeit Polens, Fördermittel überhaupt zu absorbieren. Letzteres hängt von einer effektiven Strukturpolitik und folglich auch von politischen und institutionellen Faktoren ab.

Ansatz und Denkweise der Autoren stehen in deutlichem Gegensatz zu der Ansicht bestimmter Politiker und Experten, der beste Weg, strukturelle Anpassungen in Gang zu bringen, sei sicherzustellen, dass Polen der Europäischen Union so schnell wie möglich beitritt. Die Integrationsstrategie, die sie vorschlagen, besteht in der Verknüpfung von schneller Anpassung und finanzieller Hilfe aus den Strukturfonds, die durch eine entsprechende Gesetzgebung und verhandlungsstarke Diplomatie gesichert werden können. Das Ergebnis, behaupten sie, sei die Durchsetzung des Strukturwandels, und die Fonds seien nötig, um den Prozess der Restrukturierung zu beschleunigen und abzustützen.

Wir sind der Meinung, dass zwar die Anpassung nach einem harten aber realistischen Zeitplan durchgeführt werden muss, es während dieser Zeit aber von grundlegender Bedeutung ist, ein spezifisches strukturpolitisches Programm zu implementieren. Die Durchführung eines solchen Programms darf der makroökonomischen Stabilität, der schrittweisen Verringerung der Inflation und der Staatsschulden, nicht schaden. Das heißt, dass Mittel aus den Strukturfonds, die Polen erwarten darf, nicht nur für die Beitrittsvorbereitungen verwendet werden, sondern auch für Umstrukturierung und Entwicklung. Deswegen setzen wir den Schwerpunkt lieber auf die Strukturpolitik als auf diplomatische Anstrengungen, um einen schnellstmöglichen Beitritt zu bestmöglichen Bedingungen zu auszuhandeln.

Die polnische Landwirtschaft ist ein besonders gutes Beispiel für die Bedeutung dieses strukturpolitischen Ansatzes zur Integration.

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Ohne Strukturpolitik in die Subventionsfalle

Die derzeitige Landwirtschaftspolitik des Landes wird hauptsächlich auf Kosten des Konsumenten geführt. Von seiten des Staates werden relativ beschränkte Haushaltsmittel für diesen Wirtschaftszweig eingesetzt. Die Belastung für den Konsumenten ergibt sich vorwiegend durch höhere Preise für landwirtschaftliche Produkte aufgrund von hohen Importzöllen. Schutzzölle für Erzeuger von polnischen Agrarprodukten sind höher als der Durchschnitt für Mittel- und Osteuropa. Im Jahr 1997 betrugen die Zölle für Schweinefleisch- und Geflügelprodukte 60%; Zucker 68%; Butter 40% und Getreide 20%. Trotzdem haben hohe Zölle weder den Zufluss ausländischer landwirtschaftlicher Produkte noch den Verfall der inländischen Preise verhindern können. Der hohe Handelsüberschuss, den die EU mit Polen hat, ist in der Hauptsache das Resultat eines Ungleichgewichts im Handel mit landwirtschaftlichen Produkten und Nahrungsmitteln.

Der Umfang der kommerziellen landwirtschaftlichen Produktion in Polen, ebenso wie die Marktorientierung der Produzenten zeigen an, dass die meisten Produzenten nicht in der Lage sind, auf einem Markt zu agieren. Mit anderen Worten: Sie sind unfähig, effektiv am Wirtschafts- und Kapitalverkehr teilzunehmen. Das zeigt sich auch anhand der Tatsache, dass weniger als 12% der polnischen Agrarbetriebe auf Bankkredite zurückgreifen und mehr als 80% der von den Landwirten aufgenommenen Darlehen Kurzzeitdarlehen sind – sie also keine langfristigen Investitionen tätigen.

Erst in den letzten Jahren haben mehr und mehr Landwirte Darlehen aufgenommen. Dies resultiert zum Teil daraus, dass Zinszahlungen auf Darlehen für Investitionen stark subventioniert wurden. Der Einbruch der Erträge aus landwirtschaftlicher Produktion im Jahr 1998 jedoch – begleitet von Haushaltskürzungen für die subventionierten Kredite – hatte zur Folge, dass einige Landwirte erneut nicht in der Lage waren ihre Kredite zurückzuzahlen. Das wiederum trug dazu bei, Gefühle der Unzufriedenheit und des Protests zu fördern.

Seit den frühen 90er Jahren beinhaltet das polnische System landwirtschaftlicher Unterstützung ein wichtiges soziales Element: An den Sozialversicherungsfonds der Landwirte (KRUS) gezahlte Subventionen. Im Jahr 1992 machten diese Subventionen annähernd 65% der Mittel des Landwirtschaftshaushalts aus. Die entsprechende Zahl 1999 lag über 75%. Wenn die an den KRUS gerichteten Subventionen aus dem Ausgleich weggelassen werden, nehmen die Haushaltsaufwendungen für die Landwirtschaft dramatisch ab –

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von 10,1% auf 2,3% im Jahr 1999. Wenn man über den Umfang des Problems nachdenkt, ist eine „aktive" Unterstützung in der Landwirtschaft aus dem Staatsbudget absolut unzureichend, sie könnte aber nur auf Kosten des sozialen Aufwands für die ländlichen Regionen geschehen. Dies wurde in den sozialen und politischen Gruppen, die die Interessen der Landwirte vertreten, noch nie akzeptiert, und führte Ende 1998/Anfang 1999 zu heftigen Protesten.

Abbildung 1: Landwirtschaftliche Nettoeinkommen pro Vollzeitbeschäftigtem
im Vergleich zum durchschnittlichen Nettoeinkommen in Polen
1988-1998

Undisplayed Graphic

Quelle: Berechnungen des Institute of Agriculture and Food Economy, basierend auf Daten der landwirtschaftlichen Rechnungslegung.

Abbildung 1 zeigt, wie sich die „Einkommensparität" zwischen landwirtschaftlichem und nicht-landwirtschaftlichem Einkommen pro Vollzeitarbeitskraft in den letzten elf Jahren verändert hat. Tatsächlich bestreiten die meisten Bauernfamilien ihren Lebensunterhalt jedoch aus mehreren verschiedenen Einkommensquellen: nicht-landwirtschaftliche Jobs, Altersrente und Dienstunfähigkeitsrente und andere Sozialleistungen. Der Empfängerkreis derartiger Transferzahlungen macht fast die Hälfte der „landwirtschaftlich Beschäftigten" aus. Es ist nach wie vor eine weitverbreitete Einstellung unter den Landwirten, auf die Unterstützung durch den Staat zu warten. Neben der Last ineffizienter wirtschaftlicher Strukturen, die vom früheren System geerbt wurden, wird die polnische Landwirtschaft außerdem von der Unfähigkeit der Landwirte, sich selbst zu organisieren, allmählich zugrunde gerichtet. Anstrengun-

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gen, Genossenschaften oder Produzenten-Netzwerke ins Leben zu rufen, haben gerade erst begonnen.

Allerdings hat auch die AWS-UW-Koalitionsregierung wenig für die Landwirtschaft und die ländliche Entwicklung getan. Aber außer Werbesprüchen konnte auch keine andere politische Partei oder die landwirtschaftlichen Verbände ein realistisches, detailliertes Programm vorlegen. Die landwirtschaftlichen Organisationen haben sich in der Hauptsache darauf konzentriert, ihre Ansprüche an den Staat, der sich ihrer Meinung nach vor der Verantwortung für landwirtschaftliche Probleme zu drücken versucht, stufenweise zu erhöhen.

Hohe strukturelle Arbeitslosigkeit ist ein weiteres Merkmal, das den Zustand der polnischen Landwirtschaft beschreibt. Die ländliche Bevölkerung stellt etwa 38% der Gesamtbevölkerung, und einen Anteil von 35% an der Gesamtarbeitslosigkeit, mit deutlich steigender Tendenz. Da überrascht es nicht, dass die höchste Arbeitslosenquote in ländlichen Gegenden bei den Familien ohne eigenen Betrieb zu finden ist: Fast 70% der Arbeitslosen in ländlichen Gegenden kommen aus solchen Familien, und 1995 betrug die durchschnittliche Arbeitslosenquote bei ländlichen Familien ohne Grundbesitz 24,3% – allerdings mit beträchtlichen regionalen Unterschieden: Die Quoten schwanken zwischen 42% in der Woiwodschaft Suwaoki und 9,5% in der Woiwodschaft Katowice. Abgesehen von der erfassten Arbeitslosigkeit ist die versteckte Arbeitslosigkeit in ländlichen Gegenden sehr hoch, insbesondere wo es um kleine Betriebe geht. Es wird geschätzt, dass sie ungefähr 900.000 Menschen umfasst.

Annähernd 30% der Polen sind in der Landwirtschaft tätig. Diese Tätigkeiten unterscheiden sich in beträchtlichem Maße: Von anspruchsvoller Arbeit bei kommerziell geführten Betrieben über Saisonarbeit auf dem Bauernhof und dem Bestellen kleiner Landparzellen für die private Nutzung bis zum Tierzüchten in kleinem Umfang (auch in den Städten). „Nur die Hälfte aller, die als mithelfende Familienangehörige in Familienbetrieben oder als Beschäftigte in Großbetrieben registriert sind, bestreiten ihren Lebensunterhalt hauptsächlich von landwirtschaftlicher Arbeit. Als eine Konsequenz ist der Anteil beider Gruppen an der Gesamtbeschäftigung sehr ähnlich und weitaus niedriger als der Anteil aller, die in der Landwirtschaft tätig sind (annähernd 12% bzw. 13%). Auf der Grundlage der obigen Daten ergibt sich, dass der Unterschied zwischen Polen und den EU-Ländern hinsichtlich des Anteils der Landwirtschaft an der Beschäftigung tatsächlich kleiner ist, als Daten zur Gesamtzahl der in der Landwirtschaft Tätigen vermuten lassen. Wenn in den EU-Ländern

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ein Landwirt in den Ruhestand tritt, erscheint er nicht mehr in der Statistik der landwirtschaftlich Beschäftigten. In Polen hingegen machen sie fast die Hälfte des gesamten landwirtschaftlichen Arbeitskräftepotenzials aus."(Ibid.)

Welcher enorme Bedarf an neuen Jobs in Polens ländlichen Regionen bis zum Jahr 2010 besteht, illustriert das folgende Rechenbeispiel: Um die ländliche Arbeitslosigkeit auf den Stand Deutschlands von 1988 zu reduzieren und versteckte und gemeldete Arbeitslosigkeit zu beseitigen, würde die Schaffung von ca. 2,8 Millionen nicht-landwirtschaftlichen Arbeitsplätzen in ländlichen Gebieten erforderlich sein (Frenkel 1998, S. 29-30). Die Probleme der polnischen Landwirtschaft und der ländlichen Regionen zu lösen, ist also wahrlich eine Aufgabe von europäischem Ausmaß.

Die Europäische Kommission veröffentlichte vor kurzem einen Bericht über die polnische Landwirtschaft, in dem die Auswirkungen von Subventionen auf das landwirtschaftliche Einkommen diskutiert wurden. Gleichzeitig wurden die Einkommensunterschiede von polnischen ud EU-Landwirten veranschaulicht. Der Bericht beinhaltet charakterisierende Vergleiche zwischen polnischen und EU-Landwirten (basierend auf den Jahresabschlussberichten; s. Tabelle 1).

Tabelle 1: Landwirtschaftliche Produktion und Einkommen in Polen
im Vergleich zur Europäischen Union (Polen 1996, EU 1995)


Polen

EU

Nutzfläche (ha per Betrieb)

8,7

32,1

Gesamtproduktion pro Betrieb

8,247

65,227

Einkommen pro Betrieb

2,506

17,414

Einkommen o. Subventionen

2,479

9,018

Einkommen pro ha Nutzfläche

288,00

542,00

Einkommen pro ha Nutzfläche o. Subventionen

285,00

281,00

Quelle: Agricultural 1998, S. 56.

Der obige Vergleich war die Ursache einer Kontroverse. Eine besonders überraschende Tatsache ist, dass das landwirtschaftliche Einkommen polnischer landwirtschaftlicher Betriebe pro Hektar Nutzfläche verhältnismäßig hoch war und dem landwirtschaftlichen Durchschnittseinkommen in der EU ähnelte. Nun sind die Betriebe, die vom Institut für Landwirtschaft und Nahrungsmittelwirtschaft untersucht wurden, nicht für alle polnischen Bauernhöfe repräsentativ. Die von dem Institut untersuchten Betriebe sind etwas größer, aufwendiger und kommerzieller als der polnische Durchschnittsbetrieb. Den

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noch können sie als typisch für die Betriebe gelten, die sich auf kommerzielle Produktion spezialisiert haben. Die in das Forschungsprojekt einbezogenen Betriebe sind für annähernd 80% der landwirtschaftlichen Produktion Polens verantwortlich. Durch eine höhere Konzentration der Produktion und weit großzügigerer Subventionen war das Durchschnittseinkommen pro Betrieb in der EU um das Siebenfache höher als in Polen, obwohl bis zu 48% des Einkommens eines EU-Landwirts subventioniert ist.

Staatliche Unterstützung für Landwirte – mittels direkter Zahlungen, Schutzzöllen und anderer Vorteile – spiegelt sich in der Producer Subsidy Equivalent (PSE), einem von der OECD entwickelten und benutzten Indikator. Die PSE’s für Polen, die EU und weitere zentrale europäische Länder werden in Tabelle 3 gezeigt.

Tabelle2: Producer Subsidy Equivalent (PSE) 1989-1997


1989

1990

1991

1992

1993

1994

1995

1996

1997

Polen

5

-15

1

20

15

20

19

23

22

Tschechische Rep.

55

54

51

30

27

21

15

14

11

Estland

80

72

57

-91

-30

-6

3

8

9

Litauen

78

71

-259

-113

-33

-10

5

12

18

Lettland

83

77

83

-93

-38

9

8

4

8

Slowakei

56

57

44

39

35

31

25

19

25

Ungarn

31

27

15

20

24

31

21

15

16

EU 12/15

40

47

47

47

49

48

49

43

42

Quelle: Agricultural 1998, S. 27.

Jedes der ehemals sozialistischen Länder verfolgte eine eigene Strategie zur Unterstützung der Landwirtschaft. In den frühen 90ern wurde in Polen die Unterstützung aus dem Staatsbudget erheblich gesenkt und der Handel mit landwirtschaftlichen Produkten liberalisiert. Als Konsequenz dieser Maßnahmen fiel der PSE-Indikator auf -15% (nach OECD-Schätzungen war er sogar niedriger als -20%). 1992 stieg die Unterstützung der Landwirtschaft wieder an und es kam zu einem Schutz vor ausländischem Wettbewerb, was sich in einem PSE-Stand um die 20% wiederspiegelte. Polen hatte nun einen der höchsten PSE-Stände in Zentraleuropa. Wenn man das Jahrzehnt als Ganzes betrachtet, war die staatliche Unterstützung für die Landwirtschaft jedoch ziemlich schwach.

[Seite der Druckausg.: 39 ]

Tabelle 3: Struktur der landwirtschaftlichen Subventionen in Polen,
der OECD und der EU (in %)


Anteil der Preisstützungs-
Maßnahmen (als PSE-Wert)

Anteile der direkten
Zahlungen (als PSE-Wert)

OECD

72

23

EU

57

31

Polen

91

0

Quelle: Agricultural Policies 1998.

Die Struktur der Produktion und der landwirtschaftlichen Betriebe ist ein entscheidender Faktor bei der Verteilung von Subventionen. Bis heute genießen große Betriebe die größten Vorteile, sowohl in der EU wie auch in Polen, obwohl der Durchschnitt pro Betrieb in der EU weitaus höher liegt. Eine derartige Situation wird unter sozioökonomischen Gesichtspunkten in der Regel als unangebracht und ungerechtfertigt gesehen.

Eine Reihe von Großbetrieben können im Rahmen der Marktförderungsmittel, die von der Gemeinsamen Agrarpolitik eingeführt wurden, profitieren. Diese Betriebe waren andererseits bei der Organisation von Protesten wegen der sinkenden Erträge landwirtschaftlicher Produktion die aktivsten. 1998 betrug das Verhältnis zwischen verkauften Produkten und gekauften Gütern und Dienstleistungen 92,3%. Dies ist das schlechteste Verhältnis zwischen landwirtschaftlichen Preisen und den Preisen der Produkte, die von den Landwirten seit 1990/91 gekauft wurden. Bei einem im Oktober 1997 durchgeführten Forschungsprojekt über den Zustand des landwirtschaftlichen Marktes erklärten lediglich 17,9% der Besitzer eines Bauernhofs, dass ihr Einkommen den täglichen Bedürfnissen der Familien genüge und die weitere Entwicklung ihrer landwirtschaftlicher Produktion ermögliche. Der Prozentsatz dieser Bauernhöfe steigt im Verhältnis zu ihrer Größe. Im Fall der Betriebe mit mindestens 15 Hektar Fläche beträgt der Prozentsatz 38,2% (Zróonicowanie 1998, S. 51).

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Engpass Qualifikation

Ein weiterer Grund für die Schwäche der polnischen Landwirtschaft ist der unterdurchschnittliche Bildungsstand der ländlichen Bevölkerung, was verhindert, dass sie die Vorteile der neuesten technischen Innovationen und biologischen Fortschritte nutzen können. Sie haben traditionell auch nur ein begrenztes Interesse an Bildung und Weiterbildung. Das untergräbt ihre Fähigkeit, sich an die sich verändernde Wirtschaft anzupassen; es beschränkt ihr

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Potential, ihre Interessen durch andere Methoden als nur durch kollektiven Protest zu vertreten, und schließlich verringert es ihre Chancen, Stellen außerhalb der Landwirtschaft zu finden.

Die Verschlechterung der Bildung junger Menschen aus bäuerlichen Familien (auch der Familien, die früher für staatliche Betriebe gearbeitet haben), ist mit der höchste Preis, den das Land für die systematische Umwandlung zahlen muss. Die momentane Vernachlässigung der Bildung auf dem Land wird die sozialökonomische und kulturelle Entwicklung der ländlichen Regionen und der polnischen Gesellschaft als Ganzes für viele weitere Jahre behindern. Diese Situation ist einfach das Resultat eklatanter Fehler aller politischen Gruppierungen – auch der Bauernpartei – neue Ideen zu entwickeln. Deshalb müssen alle landwirtschaftlichen und ländlichen Entwicklungsprogramme und -projekte die radikale Verbesserung der ländlichen Bildung als oberste Priorität betrachten und behandeln. Wissen und Bildung der Landwirte ist eine Voraussetzung für die Verbesserung anderer Bereiche der Landwirtschaft und der ländlichen Regionen.

Die Komplexität der Struktur- und Entwicklungsprobleme der polnischen Landwirtschaft und der ländlichen Regionen, wie die Bedeutung der Landwirtschaft für die polnische Wirtschaft insgesamt, rechtfertigt die Behandlung dieser Bereiche als wichtigste Probleme der sozioökonomischen Strategie des Landes im nächsten Jahrzehnt. Die Landwirtschaft sowie die ländliche Entwicklung sollten im Mittelpunkt der Politik stehen.

Das Problem des Entwurfs und der Durchsetzung einer ländlichen Entwicklungspolitik liegt, neben anderem, darin, dass eine solche Politik nahezu alle anderen Bereiche sozialen und wirtschaftlichen Lebens berührt. Bisher gab es keine Einrichtung in Polen, die eine integrierte Politik ländlicher Entwicklung hätte effektiv koordinieren und beschleunigen können. Die herrschende Meinung war, dass das Ministerium für Landwirtschaft und Nahrungsmittel für die ländliche Entwicklung verantwortlich sein sollte. Obwohl die Landwirtschaft sehr wichtig bleibt, ist sie ein kontinuierlich schrumpfender Teil der ländlichen Wirtschaft. Die Mehrheit der ländlichen Bevölkerung bestreitet ihr Leben mit nicht-landwirtschaftlicher Arbeit, oder sucht Zuflucht in anderen nicht-landwirtschaftlichen Einkommensquellen – es geht also nicht nur um Landwirtschaftspolitik.

[Seite der Druckausg.: 41 ]

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Schlussfolgerungen

Die Probleme der ländlichen Regionen, einschließlich der Arbeitslosigkeit, werden niemals nur durch die Agrarpolitik gelöst. Die verkümmerte ländliche Entwicklung wird für viele weitere Jahre einen negativen Einfluss auf die Wirtschaft und die Gesellschaft als Ganzes haben. Insofern ist die polnische Landwirtschaft ein gutes Beispiel für die Bedeutung einer Strukturpolitik für die Integration in die Europäische Union:

Der Argumentationsansatz, der auf Gesetzesharmonisierung und schnellen Beitritt setzt, ist im Fall der polnischen Landwirtschaft keine angemessene Lösung. Die Integration der mitteleuropäischen Länder in die EU wird nicht gelingen, wenn sie in der Art und Weise vorheriger Erweiterungen der EU durchgeführt wird. Das Problem liegt nicht nur in der Tatsache, dass sich die Länder, die sich um eine Aufnahme in die EU bewerben, ganz offensichtlich schwächer entwickelt haben, und die Kluft zwischen ihnen und den Mitgliedsstaaten viel größer ist, als es bei früheren Erweiterungen der EU der Fall gewesen ist. Dieses Mal sind die Antragsteller post-kommunistische Länder, die – ungeachtet ihrer Transformationserfolge – lange Zeit Kommandowirtschaften waren und von daher noch einige strukturelle Besonderheiten mit sich tragen. Eine Reihe wirtschaftlicher Sektoren haben in diesen Ländern einen komplizierten, erschöpfenden und kostenverschlingenden Umstrukturierungsprozess durchmachen müssen. Zusätzlich findet dieser Prozess in einer Zeit sich vertiefender Globalisierung und zunehmender internationaler Arbeitsteilung statt.

Aus diesen Gründen erscheint der „technokratische Beitrittsansatz" mit seinen technischen Problemen und Erfordernissen nicht der angemessene zu sein. Es ist vernünftiger, einen „Konvergenzansatz" zu verfolgen, der den Diskurs, strategisches Denken und die Kreativität zur Grundlage macht. Die traditionelle Sprache der europäischen Diplomatie mit Begriffen wie „Überprüfung", „Abstufung" und „Direktiven" sollte verbunden werden zu einer Sprache echten Dialoges mit Begriffen wie Gleichheit, Unterstützung, kultureller Verschiedenheit und Zugänglichkeit, sozialem Zusammenhalt und europäischem Bürgerrecht.

Damit Polen ein gleichberechtigtes Mitglied der Europäischen Gemeinschaft wird, genügt es nicht, wie manche Eurokraten glauben, rechtzeitig die Hausaufgaben zu machen. Selbst wenn sie so den Beitritt als solchen sicherstellen, wird dies auf Kosten zweier großer, in der Zukunft entstehender Gefahren, geschehen:

  • die Gefahr sozialer Ernüchterung, die die demokratische Ordnung untergraben wird;

  • die Gefahr der Peripherisierung einer Wirtschaft, die nicht in der Lage sein wird, dem europäischen und internationalen Wettbewerb standzuhalten.

© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2001

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