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Zusammenfassung

Im ersten Teil des Berichts stehen die Konturen des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturwandels in den einzelnen Regionen Ruhrgebiet, Pittsburgh, Luxemburg und Lille im Vordergrund:

Die bereits Ende der 50er Jahre beginnende Strukturkrise im Ruhrgebiet dauert bis heute an und erfaßte in den 80er Jahren auch die vor- und nachgelagerten Branchen. Am härtesten traf es die Kohleförderung: Zum einen verschlechterten sich die Förderbedingungen, zum anderen drängte preiswerte ausländische Kohle ebenso auf den Markt wie andere Energieträger, vom Erdöl bis zur Kernkraft. Dementsprechend ungünstig verlief die Arbeitsmarktentwicklung, zumal die Rationalisierung weitere Arbeitsplätze überflüssig machte. Neue Stellen im Dienstleistungssektor konnten den Stellenabbau und die steigende Nachfrage nach Arbeit nicht auffangen. Die Zahl der Beschäftigten im Steinkohlebergbau ist binnen 40 Jahren von 450.000 auf unter 60.000, in der Stahlindustrie von 230.000 auf etwa 70.000 gefallen. Heute pendelt die Arbeitslosenquote im Ruhrgebiet um 14% und liegt damit ein Drittel über dem Bundesdurchschnitt. Der fast unvermeidlich folgenden Abwärtsspirale aus der „Verslumung" von Stadtteilen und sich verschlechternden Bedingungen für Neuinvestitionen versucht die Landesregierung mit ressortübergreifenden Handlungsprogrammen z.B. in Duisburg-Marxloh entgegenzuwirken. Angesichts der Vielzahl betroffener Gebiete und begrenzter Mittel dienen die Programme jedoch in der Regel eher der Abwehr einer weiteren Verschlechterung der Situation. Ein weiterer Standortnachteil ist nach Ansicht mehrerer Referenten die komplizierte Verwaltungsgliederung der Region Ruhrgebiet. Verschiedene Stimmen fordern deshalb höhere Handlungsautonomie und bessere Strukturierung für das Ruhrgebiet, z.B. in Form eines eigenen Regierungsbezirks.

Dennoch lassen sich für das Ruhrgebiet heute auch eine ganze Reihe von Beispielen für eine erfolgreiche Revitalisierung betroffener Gebiete darstellen. An den vorgestellten kommunalen Beispielen von Duisburg über Essen bis Dortmund wird die Vielschichtigkeit deutlich, an der Entscheidungen zur Standortförderung orientiert werden müssen. Insgesamt sind seit dem Beginn entsprechender Förderprogramme 1968 viele Milliarden DM von Land und Bund 1) in den Ausbau und die Modernisierung von Infrastrukturen und 2) in die zur Milderung sozialer Brüche als notwendig erachteten Subventionierungen geflossen. Auch die Technologie- und Gründerzentren (TGZ) spielen nach Einschätzung ihres Vertreters eine positive Rolle bei der Bewältigung des Strukturwandels, vor allem durch Förderung zukunftsfähiger Schlüsseltechnologien. Hier entständen überdurchschnittlich viele Arbeitsplätze und die Rate der Konkurse in den ersten drei Jahren betrage nur 5% im Vergleich zu über 50% bei Unternehmen außerhalb von TGZ. Um bestehende, vor allem klein-

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und mittelständische Unternehmen zukunftsfähig zu machen, hat das Land NRW u.a. ein Zentrum für Innovation und Technik (ZENIT) gegründet. Neben intensiver Beratungs- und Moderationstätigkeit verwaltet ZENIT einige NRW-Förderprogramme, hinzu tritt in steigendem Maße die europäische Komponente und die Unterstützung bei der Öffnung neuer Märkte weltweit. Ein weiteres Beratungsfeld sind die neuen Möglichkeiten hierarchiearmer Organisationsformen. Ein wichtiger Aspekt sind schließlich die Umweltbelastungen. Das Ruhrgebiet ist von Bergschäden in Milliardenhöhe ebenso betroffen wie von belasteten Böden. Neben nachsorgenden Aufbereitungsmaßnahmen und produktionsintegrierten Umweltschutzmaßnahmen wie z.B. Filteranlagen ist in NRW heute aber auch ein breites Spektrum an vorsorgenden, integrierten Ansätzen vorhanden. So soll z.B. die Nachfrage nach preiswertem Wohnraum mit Qualitätszielen eines nachhaltigen, d.h. gleichermaßen energie- und flächensparenden Bauens verknüpft werden. Der Grundsatz „Brache vor Freiraum", d.h. Verdichtung statt Zersiedelung ist auch über die Ausweisung von Gewerbeflächen hinaus erklärtes Ziel des Landes NRW.

Für die Strukturkrise in der Region Pittsburgh hingegen wird die Abwanderung großer Bevölkerungsteile als charakteristisch dargestellt. Spätestens seit Ende der 70er Jahre mündete auch hier der Strukturwandel für die klassische Stahlregion in einer massiven Krise. Dabei war der Verlust an Arbeitsplätzen massiv. Als Folge verließen in den 80er Jahren fast durchgehend rund 50.000 Menschen jährlich die Region - ein Trend, der erst Anfang der 90er Jahre in eine leicht positive Entwicklung umgekehrt werden konnte. Das jährliche Wachstum der letzten Jahre in nichtproduzierenden Sektoren für Pittsburgh reflektiert die Erholung der Region. Substantielle Fortschritte in einzelnen Sektoren, i.w. Dienstleistung, Einzelhandel, Transport und öffentliche Einrichtungen, Bausektor, aber auch in der Produktion selbst wurden erreicht, sowohl hinsichtlich der Wertschöpfung als auch der Arbeitsplätze. Nach Ansicht der Ökonomen der University of Pittsburgh haben vor allem internationale Investitionen zu dieser Entwicklung beigetragen. Eine zentrale Rolle komme auch dem Sektor Bildung und Forschung zu. Aus diesem Grund wurden mittlerweile auch in der Region Pittsburgh viele Technologiezentren eröffnet, darüber hinaus stellen die örtlichen Universitäten für sich genommen einen nicht zu unterschätzenden Wirtschaftsfaktor dar. Mit über 10.000 Angestellten in der Software-Branche, die besonders eng mit den Universitäten verknüpft ist, liegt Pittsburgh an vorderster Front in den USA. Eine weitere zentrale Institution für die Region ist die „Pittsburgh Regional Alliance (PRA)". Diese Non-Profit-Organisation hat i.w. die Aufgabe übernommen, die wichtigsten Aktivitäten zur Wirtschaftsförderung zu koordinieren, Unternehmer zu beraten und durch intensives Marketing dazu beizutragen, daß die Atmosphäre für Neuansiedlungen von Unternehmen geeignet ist.

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Neben den geschilderten wirtschaftlichen und sozialen Aspekten des Strukturwandels besitzen Umweltaspekte einen besonderen Stellenwert. In Pittsburgh, noch in den 70er Jahren wegen seiner enormen Luftverschmutzung „deadly smoky city" der USA genannt, entwickelte die örtliche Regierung strenge Emissionsvorschriften, die wesentlich zum Zustandekommen des heute in den USA allgemein gültigen „clean air act" beitrugen. Weitere, die wirtschaftliche Erholung bremsende Probleme ergeben sich vor allem durch Altlastenflächen.

Luxemburg betreibt nach Aussagen des Direktors von CEPS/INSTEAD schon seit den 50er Jahren eine ausgeprägte Politik zur Unterstützung der industriellen Diversifizierung, mit dem Erfolg, daß die am klassischen Stahlstandort keineswegs spurlos vorübergegangene Strukturkrise heute erfolgreich bewältigt scheint. So liegt das Bruttosozialprodukt pro Kopf an erster Stelle in der EU, und es besteht de facto ein Arbeitsplatzüberschuß. Das Land hat sich vom schwerindustriellen Standort der 60er Jahre, in dem 80% des Exportvolumens von der Eisen- und Stahlindustrie erwirtschaftet wurden, zum internationalen Finanzzentrum und zum Gastgeber bedeutender europäischer Einrichtungen gewandelt. Zur luxemburgischen Strategie gehört seit jeher eine gezielte Zuwanderungspolitik. So läßt das Land einen erheblichen Teil seiner Wertschöpfung von den sog. „frontalliers", also Grenzgängern, erwirtschaften. Der Erfolg war möglich, obwohl man sich der Stahlkrise nicht entziehen konnte. So sank auch in Luxemburg die Zahl der Stahlarbeitsplätze seit den frühen 50er Jahren von 18.000 auf heute unter 5.000. Im Gegenzug wurde die industrielle Produktion weitgehend auf andere Branchen verlagert, z.B. Reifenproduktion, Chemie, Metallverarbeitung, und der Anteil der Banken am BIP ist seit 1970 sprunghaft von 4% auf etwa 20% gestiegen.

Es stellt sich die Frage, inwieweit dieser erfolgreiche Strukturwandel übertragbar ist. Die Entwicklung sei kein Zufall, so der Direktor von CEPS/INSTEAD, sondern das Ergebnis einer traditionell engen Abstimmung zwischen allen gesellschaftlichen Akteuren, aber auch der vergleichsweise hohen Autonomie bei gleichzeitig überschaubaren Verhältnissen. Eine mit Hilfe der Politik geförderte Diversifizierung bzw. eine stetige und handlungsorientierte Auseinandersetzung mit dem Strukturwandel werde auch heute noch fortgesetzt. Die Politik fördere beispielsweise nicht nur den Dienstleistungssektor, derzeit seien sogar rund 90% der neugeschaffenen Betriebe im Bereich der industriellen Fertigung angesiedelt. Der Staatssektor sei gleichzeitig enorm geschrumpft, der notwendige Arbeitsplatzabbau sei mit Hilfe von Sozialplänen aufgefangen worden. Insgesamt habe sich das „système tripartite" mit seiner engen Kooperation von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Staat sehr bewährt. Wählt man die wesentlichen Beiträge zur Wertschöpfung in Luxemburg als Ansatz für die Einbeziehung von Umweltaspekten, dann müßten Themen wie nachhaltigkeitsorientierte Investmentfonds, Rahmensetzungen im internationalen Handel oder z.B. auch die

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Auswirkungen der IuK-Technik auf den globalen Energie- und Rohstoffverbrauch eine besondere Rolle spielen. Offenbar spielt Luxemburg auf diesem zukunftsträchtigen Gebiet aber bislang keine führende Rolle, ganz entgegen der sonst immer wieder unter Beweis gestellten Fähigkeit zu vorausschauendem Handeln.

Die klassische Industrieregion um Lille hat seit den 50er Jahren bis heute in ähnlicher Weise wie die zuvor beschriebenen Regionen eine intensive Strukturkrise durchlitten, bei der über 200.000 Arbeitsplätze verloren gingen. U.a. verlagerten sich große Teile der in Lille ansässigen Textilindustrie, hinzu kam die Strukturkrise im Montan- und Stahlbereich. Der Arbeitsplatzabbau konnte bis heute nicht aufgehalten werden, 1996 gab es in der Region 100.000 Arbeitsplätze weniger als 1976. Heute beläuft sich die Arbeitslosenrate auf über 16%, davon sind wiederum fast 40% Langzeitarbeitslose und 23% jünger als 25 Jahre. Armut und soziale Unruhe in weiten Bereichen sind die Folge. Lille ist trotz dieser dramatischen Einbrüche in relativ kurzer Zeit heute wieder zu einem der wichtigsten urbanen Zentren Frankreichs aufgestiegen. Insbesondere eine Vielzahl neuer Arbeitsplätze im Logistikbereich beruht auf der Rolle von Lille als Verkehrsknotenpunkt. Erwähnenswert sind wichtige Autobahnachsen, z.B. London-Brüssel (via Kanal-Tunnel) oder Hochgeschwindigkeitszüge, mehrere Großflughäfen sowie die Nähe zu großen Häfen tun ein übriges. Auch dem öffentlichen Personennahverkehr wird besondere Aufmerksamkeit gewidmet. So wird die Metropole von einer eigens entwickelten, vollautomatischen U-Bahn (VAL) bedient, die in naher Zukunft auch grenzüberschreitend eingesetzt werden soll. Sie wird in der Region gebaut und mittlerweile weltweit exportiert. Aus der Nähe zum Nachbarland Belgien ergeben sich weitere Einflüsse. Ziel ist die Schaffung einer „métropole lilloise transfrontalière" mit einer Bevölkerung von rund zwei Mio. Menschen im Umkreis von 30 km.

Letztlich müssen die Entwicklungschancen der Region in Abhängigkeit von der politisch-wirtschaftlichen Entwicklung in Frankreich gesehen werden. Dazu gehören z.B. die nach wie vor hohe strukturelle Arbeitslosigkeit und Jugendarbeitslosigkeit, laut eines McKinsey-Berichts aber auch unterdurchschnittliche Arbeitsleistungen im nichtöffentlichen Dienstleistungsbereich. Hinzu kommen hohe Lohnnebenkosten und ein traditionell dichtes Netz an staatlichen Regularien rund um Arbeitsmarkt und soziale Sicherung. Mit rund 10% des BSP sind zudem die Gesundheitskosten so hoch wie in keinem anderen Land der EU. Seit dem Regierungswechsel 1997 sind verschiedene Programme zur Verbesserung dieser Rahmenbedingungen initiiert worden, darunter ein allgemein als erfolgreich beurteiltes Programm zur Verringerung der Jugendarbeitslosigkeit. Die Gesamtkosten für dieses Programm belaufen sich auf über zehn Mrd. DM, und Kritiker sehen dies als Teil eines neuen, umfangreicheren Problems. Um Subventionierungen für insgesamt rund ein Viertel der Arbeitsplätze finanzieren zu können, sei das System quasi gezwungen, die Lohnneben-

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kosten ebenfalls hoch zu halten. Damit sei die französische Wirtschaft möglicherweise nicht in der Lage, flexibel auf Globalisierungseffekte zu reagieren, vor allem angesichts unterschiedlicher Lohnniveaus, z.B. im Bereich der Beitrittskandidaten aus Mittel- und Osteuropa.

Umweltaspekte schließlich sind vergleichsweise selten Gegenstand einer breiten und überregionalen öffentlichen Diskussion. Typische Problemlagen der Region wie z.B. Dioxinbelastungen in regional erzeugten Nahrungsmitteln können aber als Indiz dafür gewertet werden, daß sich die Situation nicht wesentlich von der anderer schwerindustrieller Regionen unterscheidet.

Im zweiten Teil des Berichts werden vorrangig Hemmnisse und Entwicklungspotentiale aus unternehmerischer, aus politischer und aus wissenschaftlicher Sicht beleuchtet: Aus unternehmerischer Sicht steht die abnehmende gesamtwirtschaftliche Bedeutung des verarbeitenden Gewerbes bei gleichzeitig wachsendem tertiären bzw. quartären Sektor im Vordergrund, wobei in der Gesamtbilanz einem stetigen Plus bei der Wertschöpfung regelmäßig ein Defizit bei den Arbeitsplätzen gegenübersteht. Noch aber bleibt die Industrie der Exportmotor Nummer Eins, ebenso werden nach wie vor fast die Hälfte aller Auszubildenden in gewerblich-technischen Berufen ausgebildet. Der Vertreter des RWI schlußfolgert, daß die Förderung industrieller Kerne unerläßliche Voraussetzung für ein Prosperieren des Dienstleistungssektors sei.

Aus Sicht der Vertreterin eines Dienstleistungsunternehmens des quartären Sektors stellt sich der Strukturwandel eher als Konsequenz menschlicher Verhaltensweisen und Entscheidungen dar. Immer häufiger müsse man aber feststellen, daß die Menschen nicht in der Lage sei, sich den ständig steigenden Anforderungen neuer Technologien und des Marktes anzupassen. Wachsende Schwierigkeiten in Bezug auf die Human Resources der Unternehmen seien die Folge. In Ergänzung zu den selbstverständlichen Investitionen in technische Funktionalität müsse daher mindestens ebenso sehr in Optimierung der fachlichen und persönlichen Fähigkeiten von Mitarbeitern investiert werden. Damit werde für den Einzelnen „Jobfähigkeit" (employability) erreicht, aus makroökonomischer Sicht seien aber letztlich noch viel weitergehende Ziele zu erreichen, von einer Verringerung der Arbeitslosenzahlen über eine Senkung der staatlichen Alimentierung und eine Erhöhung der Steuereinnahmen bei steigender Kaufkraft bis hin zur Steigerung der sozialen Zufriedenheit bzw. einer allgemeinen Verbesserung der Stimmung im Land.

Diese Betrachtungsweise unterscheidet sich deutlich von den übrigen Darstellungen, in denen letztlich etablierte Ansätze einer vorbereitenden Marktforschung bis hin zur operativen Marketingplanung die entscheidenden Kriterien für den Erfolg eines Unternehmens darstellen. Auch in den Betrachtungen aus kommunalwirtschaftlicher

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Sicht dominieren klassische Indikatoren, z.B. Arbeitslosenzahlen im Vergleich zur Schaffung neuer Arbeitsplätze in bestimmten Branchen, oder die erwarteten finanziellen Effekte durch Kaufkraftbindung infolge neuer Kommerzzentren in den Innenstädten. Angesichts vergleichbarer Darstellungen aus verschiedenen Ruhrgebietsstädten stellt sich hier die Frage, inwieweit es Sinn macht, daß mehrere Standorte konkurrierend die gleichen Aktivitätsfelder zu Schwerpunkten machen. Die Stellungnahmen reichen von Appellen zur stärkeren Kooperation bis zu der Einschätzung, daß es grundsätzlich falsch sei, gleichzeitig vier bis fünf Medienstandorte etablieren zu wollen. Der Vertreter des RWI gibt zu bedenken, daß generell die Arbeitsteilung zwischen Kommunen, Ländern, dem Staat und der EU neu überdacht werden müsse. Nach Ansicht des Vertreters der TGZ ist es richtig, wenn im produktiven Bereich klare regionale Schwerpunkte innerhalb des Ruhrgebietes gesetzt werden. Zur Rolle der in dieser Hinsicht umstrittenen Regionalkonferenzen äußert er sich im Prinzip positiv, lediglich viele der dort diskutierten Inhalte seien nicht zielführend.

Ein Blick nach Pittsburgh zeigt nach übereinstimmender Auffassung aller Diskutierenden, daß die Region sehr viel homogener gegenüber potentiellen Investoren auftritt. Als wichtigste Instrumente einer erfolgreichen „Außenpolitik" werden die Förderung von Humankapital und einer regionalen „Corporate Identity" gesehen. Es wird bezweifelt, daß eine derart homogene Corporate Identity auf das Ruhrgebiet übertragbar sei. Der Vertreter der PRA gibt zu bedenken, daß es zuvorderst doch darum gehe, potentiellen Investoren ein erstes attraktives Bild zu vermitteln.

Aus politischer Sicht steht der Paradigmenwechsel in der Strukturpolitik für das Ruhrgebiet und die anderen Regionen im Vordergrund. Vielfältige Leitbilder entwickeln sich, charakteristisch ist aber auch, daß sich in der Regel bis heute lediglich einzelne Handlungsschwerpunkte verschoben haben. Weiter geht nach Ansicht des Vertreters des Arbeitsministeriums NRW das Leitbild der internationalen Bauaustellung IBA-Emscherpark, und entsprechende regional orientierte Programme hätten gezeigt, daß sich mittels ihrer zentralen Strategien „fachliche Integration" und „methodische Flexibilität" Verfahren deutlich beschleunigen und Planungsprodukte maßgeblich verbessern ließen. Generell müsse für jeden Prozeß zur Entscheidungsfindung berücksichtigt werden, daß sich nicht nur die inhaltlichen Rahmenvorgaben der Regionalplanung verändert hätten: Die finanziellen Handlungsspielräume der öffentlichen Hände seien eng begrenzt, die Entwicklungspfade der Stadtentwicklung würden in erster Linie durch private Investoren bestimmt. Damit gewännen Strategien des Public-Private-Partnership (PPP) an Bedeutung.

Die für eine nachhaltige Entwicklung zwingend erforderliche Langfristorientierung stehe angesichts der weltweit postulierten ökonomischen Flexibilität unter Druck. So werde auch der Erfolg regionaler Steuerungsmodelle zunehmend an konkret meßbaren, zumeist wirtschaftlichen Indikatoren gemessen. Wesentliche Produkte der Re-

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gionalplanung wie Kommunikationsfähigkeit oder Wohlergehen der Bürger ließen sich aber nur bedingt quantitativ nachweisen. Die Erfahrung zeige, daß sich auch im Ruhrgebiet immer größere zusammenhängende Gebiete in einer Wechselwirkung zwischen wirtschaftlichen Defiziten und sozialen Problemen zu einer Abwärtsspirale aggregierten. Als wesentlichster Handlungsansatz gelte diesbezüglich in NRW das Synchronisieren der unterschiedlichen staatlichen Politik- und Subventionsbereiche.

Trotz vielfältiger und überwiegend auch erfolgreicher Maßnahmen weist das Ruhrgebiet bis heute einige Defizite auf, die nach Einschätzung des Vertreters aus dem Wirtschaftsministerium NRW ursächlich für eine trotz vieler Erfolge nach wie vor unbefriedigende Lage sind und somit zu den größten Herausforderungen gehören: So sei z.B. die Zahl der Handwerksbetriebe besonders gering, in diesem beschäftigungsintensiven Sektor seien die Potentiale nicht ausgeschöpft. Auch in der beruflichen Ausbildung sei die Situation schwierig, u.a. mangele es an Ausbildungsplätzen. Aus diesem Grund habe die Landesregierung seit 1996 besondere Schwerpunktprogramme und Initiativen unter dem Dach des „Ausbildungskonsens NRW" ins Leben gerufen. Besonderer Wert werde dabei auch auf die Ausbildung in neuen Berufsbildern gelegt, vor allem unter dem Gesichtspunkt der Informations- und Kommunikationstechnik. Ungleich schwieriger erscheine die Situation der Langzeitarbeitslosen bzw. allgemein derjenigen Beschäftigten, die bislang vergleichsweise einfache Tätigkeiten ausüben oder ausgeübt haben. Auch hier könnten letztlich nur Qualifizierungsmaßnahmen helfen, eine weitere Subventionierung stelle keine Lösung dar, statt dessen seien Kombilohn-Experimente ein denkbarer Ansatz.

Aus wissenschaftlicher Sicht sieht der Vertreter des RWI neue Perspektiven für das Ruhrgebiet im wesentlichen entlang der generellen Entwicklungslinien für qualifizierte Tätigkeiten in Zusammenhang mit neuen Technologien. Das zeigten nach seiner Ansicht die sich herauskristallisierenden Schwerpunkte Softwareindustrie in Dortmund, Telekommunikation in Essen und Logistik in Duisburg. Dazu trügen entscheidend die politischen Vorgaben bei, die von einer Rekultivierung der Montanflächen über den systematischen Aufbau der dichtesten Universitätslandschaft Europas bis zur Verbesserung der Umweltbedingungen reichten.

Nach Ansicht des Referenten von der Universität Jena bleibt nur der Weg, in Richtung Hochqualifizierung weiterzugehen. Arbeitsplatzabbau werde ohnehin in der Regel primär über Migration und nicht über Strukturwandel gelöst. Diese Erfahrung sei nicht auf amerikanische Verhältnisse beschränkt, auch die von der Strukturkrise betroffenen neuen Bundesländer zeigten dies mit einem Bevölkerungsverlust von über 10%. Wichtig für das Ruhrgebiet seien unter dem Blickwinkel Forschung und Entwicklung folgende Eckpunkte: Branchen mit know-how-intensivem Charakter und hochqualifizierten Arbeitskräften seien im Ruhrgebiet nach wie vor unterdurchschnittlich repräsentiert, ebenso wie Forschungsstrukturen mit Anbindung an inter-

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nationale Netzwerke. So betrage deren Anteil im Bereich Spitzentechnologie nur ca. 3,5%, im deutschlandweiten Durchschnitt aber ca. 13%. Parallel zu den wirtschaftlichen Entwicklungen sei auch ein Lernprozeß in der Politik zu beobachten, der vom Schwerpunkt Innovationsförderung in den 80er Jahren zur Regionalen Wirtschaftsförderung in den 90er Jahren geführt habe. Für die Zukunft sei hier seines Erachtens eine konsequente Weiterentwicklung in Richtung auf endogene Faktoren wichtig, denn exogene Faktoren wie Förderung und Investitionsbereitschaft ließen zwangsläufig angesichts neu entstehender Angebote (z.B. in mittel- und osteuropäischen Staaten) nach. Es sei daher der richtige Weg, Netzwerke und lokale Stärken zu fördern, wobei man natürlich neue Technologien stets im Auge behalten müsse.

Für die Region Pittsburgh kann nach Ansicht einiger Vertreter der University of Pittsburgh festgestellt werden, daß trotz vieler immer noch nicht verheilter Narben die Krise grundsätzlich überstanden sei. Seit 1986 gehe es langsam, aber stetig aufwärts. Der beste Beweis für die Überwindung der Strukturkrise sei das Ende der großen Abwanderung aus der Region. Für ein vorläufiges Ende der Krise bzw. eine substantielle Erholung spreche auch die makroökonomische Entwicklung. Andere Stellungnahmen hingegen lassen die Situation in einem skeptischeren Licht erscheinen: So weist die Vertreterin der Graduate School of Public and International Affairs der University of Pittsburgh darauf hin, daß sich das Beschäftigungswachstum in den letzten Jahren auf die Hälfte des US-Durchschnitts verlangsamt habe, und auch die Expansion in den Dienstleistungssektoren habe letztlich trotz einer grundsätzlich positiven Entwicklung nicht mit nationalen Trends Schritt halten können. Der Prozeß der Restrukturierung sei eben erheblich komplexer, als dies makroökonomische Eckwerte des Wechsels von der Produktions- zur Dienstleistungsökonomie suggerierten. So beinhalte der Verlust der Produktionsbasis Stahl den Verlust eines hundert Jahre gewachsenen ökonomischen und gesellschaftlichen Netzwerks und eines wichtigen Teils seiner Institutionen mit allen Konsequenzen für die soziale, wirtschaftliche und räumliche Organisation der Region. Der Strukturwandel in Pittsburgh habe gerade in den letzten Jahren an Fahrt verloren, und so rangiere Berichten zufolge Pittsburgh Ende der 90er Jahre unter den 25 größten Metropolen der USA mit Abstand auf dem letzten Platz bei der Entstehung neuer Arbeitsplätze. In diesem Zusammenhang werden vor allem unter dem Aspekt des lebenslangen Lernens große Herausforderungen für die Ausbildung von Arbeitskräften auf allen Niveaus gesehen.

Der Einfluß von Umweltaspekten auf die wirtschaftliche bzw. soziale (Re-)vitalisierung der Region werde auf zwei Wegen deutlich: Erstens durch Faktoren, die unmittelbar auf den Umweltzustand der sog. „brownfields", also belastete Industriebrachen, zurückzuführen seien. Zweitens spielten indirekte Faktoren eine Rolle, z.B. die zunehmende Nutzung sog. „greenfields", also bislang naturnaher Räume im Rahmen der zunehmenden Suburbanisierung. So sank in Pittsburgh die Bevölkerungszahl um

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9%, während der Flächenverbrauch gleichzeitig um 33% stieg. Infolge einer an Emissionen orientierten, ordnungspolitischen Umweltgesetzgebung würde die Entwicklung unbelasteter Flächen gegenüber belasteten Flächen bevorzugt. Der Besitz belasteter Flächen sei kostenintensiv und risikobehaftet, und das mache es naheliegend, vorrangig unbelastete Flächen zu entwickeln. Auch spiele die Energiepolitik der USA eine entscheidende Rolle: Vor allem der politische Rahmen für niedrige Benzinpreise, von Steuervergünstigungen für die Exploration neuer Vorkommen bis zu massiven Rüstungsausgaben zum Schutz der Einflußsphäre, verschleierten die wahren Kosten. Auch werde die Exploration in sensiblen Naturschutzgebieten erlaubt, und die Kosten für Umweltschäden durch Verkehr würden den Verursachern nicht angelastet. Staatliche Förderprogramme seien zudem auf das Bauen auf der grünen Wiese ausgerichtet, Umbau und Renovierung von Altbauten hingegen würden nicht bedacht. Sei jemand trotzdem willens, sich im Bestand zu engagieren, müsse er damit rechnen, möglicherweise aufgrund des als höher eingeschätzten Risikos schlechtere Kreditbedingungen zu erhalten. Es gebe zweifellos eine Vielzahl isolierter, überwiegend kommunaler Anstrengungen, sich in der Revitalisierung von Industriebrachen zu engagieren. Angesichts der Rahmenbedingungen seien diese Bemühungen aber nicht geeignet, den Trend zur Suburbanisierung aufzuhalten.

Im dritten und letzten Teil des Berichts werden schließlich Ziele und Perspektiven für eine nachhaltige Regionalpolitik zusammengefaßt und kommentiert. Vor allem gilt es, Verfahrensregeln und Kommunikation zu optimieren und zu lernen, mit der verwirrenden Vielfalt und Komplexität von Information besser als bisher umzugehen. Der Erfolg des Luxemburger Modells sollte Anlaß sein, sich die Frage zu stellen, inwieweit die dortigen Rahmenbedingungen, also größtmögliche regionale Souveränität, Überschaubarkeit und Dialogdruck, grundlegende Voraussetzungen für einen erfolgreichen Strukturwandel auch im Ruhrgebiet sein können und welche Anforderungen sich daraus ggf. für deutsche Verhältnisse ableiten lassen. Der sog. tertiäre Sektor entpuppt sich zumindest teilweise als Chimäre, und er verstellt den Blick auf den „Produktionsfaktor Information", der vor allem bei komplexeren wirtschaftlichen Tätigkeiten ungleich wichtiger wird. Vor allem die neue Dimension des globalen Wettbewerbs bzw. der Einfluß der technisch revolutionierten und globalisierten Möglichkeiten der Finanzmärkte auf regionale Strukturen müssen besser als bisher berücksichtigt werden. Alle neuen Technologien haben hier eines gemeinsam: Die Produktion bleibt bestehen, aber der wirtschaftliche wie soziale Erfolg hängt zunehmend von persönlichen Fähigkeiten bzw. von Wissenskomponenten ab.

Es wird daher in Zukunft unerläßlich sein, selbst Dinge zu hinterfragen, von denen man immer gewußt hat, daß sie wahr sind und sich in Dialoge mit möglichst verschiedenen Denkansätzen einzulassen. Die Grenzen sektoraler Politikansätze müssen ebenso überschritten werden wie die Optimierung einzelner Sektoren etwa

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durch einzelfallorientierte Förderprogramme. Dazu ist es von besonderer Bedeutung, integrative Elemente einer nachhaltigen Entwicklung in der staatlichen Förderpolitik zu etablieren.

Regionen und KMU ihrerseits tun angesichts begrenzter Ressourcen gut daran, altes Konkurrenzdenken über Bord zu werfen und sich gemeinsam um die Sichtung und Strukturierung ihrer Förderkompetenz zu bemühen, denn leider nutzen die durchaus berechtigten Abqualifizierungen der Globalisierung als „Zockerwirtschaft" den betroffenen Menschen oder Regionen wenig: Geschichte wiederholt sich aufgrund allzumenschlicher Eigenschaften, und so regiert bei der Eroberung von Neuland – sei es technologischer oder regionaler Natur – allzuleicht in Wild-West-Manier das Recht des Stärkeren, dem sich die Schwächeren nur durch Zusammenschluß entgegenstellen können.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 2001

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