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[Seite der Druckausgabe: 38 / Fortsetzung]


4. Auf der Suche nach anderen Beschäftigungsperspektiven

Auch die verschiedenen Arbeitsanreizmodelle garantieren ebensowenig wie eine weniger gestauchte Lohnstruktur, daß sich mehr Beschäftigung einstellt. Nicht umsonst hat das Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit die Erschließung neuer Beschäftigungsfelder auf seine Tagesordnung gesetzt. Wer also eine stärkere Lohnspreizung fordert oder sich Gedanken über die Vernetzung von Arbeitsmarktpolitik und Transfersystemen macht, muß zuvor bedenken, wie es überhaupt um die Chancen steht, neue Beschäftigungsmöglichkeiten für Geringqualifizierte und Transferbezieher zu finden, insbesondere auf dem ersten Arbeitsmarkt, denn so manche „Versorgungsarbeitsbeschaffungsmaßnahme" führt vom ersten Arbeitsmarkt manchmal weiter weg statt wie beabsichtigt dorthin.

Um die Beschäftigungschancen für Geringqualifizierte zu verbessern und neue Arbeitsmöglichkeiten für sie zu finden, müssen kurzfristige von mittel- und langfristigen Strategien unterschieden werden.

Die schnellen Innovationszyklen von Produkten und Produktionstechniken können nur noch durch die Flexibilisierung des Arbeitskräfteeinsatzes bewältigt werden. In einigen Branchen wird der Bedarf an einfachsten Arbeiten sicher noch weiter zurückgehen. Dagegen ist ein steigender Bedarf an wissenbasierten, hochtechnischen und kundenorientierten Dienstleistungen zu erwarten. Qualifizierung wird in diesen Tätigkeitsfeldern zu einer (erwerbs-)lebenslangen Herausforderung und das skizzierte integrierte Konzept zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit könnte darauf eine erste Erwiderung sein. Es wird Unqualifizierten aber unter kurzfristigeren Perspektiven noch wenig nützen. Ihnen bleiben die qualifizierten Tätigkeitsfelder trotzdem verschlossen, daher muß längfristig auch die Verbesserung der Qualität schulischer Ausbildung zur Disposition stehen. Jährlich stehen in Deutschland etliche Jugendliche ohne Schulabschluß auf der Straße. Dieser Zustand ist angesichts der Schwierigkeiten, Unqualifizierte auf dem Arbeitsmarkt unterzubringen, schlichweg unhaltbar.

Die Qualifizierungsvorhaben zur Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit und zur Verbesserung der schulischen Ausbildung sind mittel- und langfristig orientiert und können das Arbeitskräftepotential nur allmählich den neuen Bedarfen anpassen. Arbeitskräften, die keine Ausbildung haben oder den Arbeitsmarkt nur mit Einfachqualifikationen betreten, muß also anders weitergeholfen werden. Niedriglohntätigkeiten und/oder geringfügige Beschäftigung leisten hier erste Hilfe, d.h. sie sind zumindest eine kurzfristige Behelfskonstruktion, um den Betroffenen einen Ausweg aus ihrem Erwerbsdilemma aufzuzeigen.

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Wie und wo sind diese Beschäftigungsfelder aber herzubekommen? Gibt es überhaupt einen Bedarf? In diesen Fragen ist einiges zu berücksichtigen.

Der Niedriglohnbereich ist in Deutschland nicht gänzlich austarifiert worden. In Tarifverträgen sind durchaus auch Löhne z.B. zwischen 9-12 DM vorgesehen. Dies könnte Chancen für gering entlohnte Tätigkeiten eröffnen. Sie werden aber wenig genutzt, was u.a. auch auf einen fehlenden Bedarf hindeuten könnte. Darauf weisen zumindest Gewerkschaftler manchmal hin. „Feste" Normalarbeitsverhältnisse in Niedriglohn sind anscheinend nicht der zentrale Schlüssel, mit dem ein neues Beschäftigungsreservoir geöffnet werden kann.

Wenngleich die statistischen Daten meist noch stark variieren, läßt sich aber festhalten, daß die Zahl der Niedriglohnbeschäftigten vor allem durch die Ausweitung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse steigt. [Fn.1: Schätzungen bewegen sich in der weiten Spanne zwischen ca. 2-4 Millionen Beschäftigungsverhältnissen.] Unabhängig davon, ob geringfügige Beschäftigungsverhältnisse befürwortet oder abgelehnt werden, liegen dort offenbar Arbeits- und Erwerbsreserven, die zur Integration von Geringqualifizierten in den Arbeitsmarkt noch intensiver genutzt werden sollten.

Die Bedarfsabschätzungen über diese Beschäftigungsverhältnisse müssen aber Betriebsgrößenordnungen berücksichtigen. In großen Unternehmen werden heute kaum geringfügig Beschäftigte eingestellt. In Klein- und Mittelbetrieben hat diese Beschäftigungsform dagegen zugenommen. Im deutschen Handwerk arbeiten z.B. etwa 680.000 geringfügig Beschäftigte. Das sind ca. 10% aller dort beschäftigten Arbeitnehmer. Geringfügige Beschäftigung garantiert insbesondere im Handwerk ein Stück unternehmerische Flexibilität, auf die in diesem Sektor nicht verzichtet werden kann. Das Handwerk wäre also ein Bereich, der potentiell noch mehr Beschäftigungsmöglichkeiten vorhalten kann. Dies setzt eins voraus: Handwerksvertreter betonen mit Nachdruck, daß diese Arbeitsplätze nur dann gehalten bzw. neu geschaffen werden können, wenn sie in der Nettolohnposition gleich bleiben. Falls z.B. der Gesamtsozialversicherungsbeitrag zu Lasten der Arbeitgeber ginge, würden sich diese Arbeitsplätze verteuern. Eine volle Beitragspflicht birgt dann das Risiko, daß sie wieder zur betrieblichen Disposition stehen. [Fn.2: Die bisherigen Erfahrungen zeigen, daß bei einsetzender Beitragspflicht die Zahl der Beschäftigungsverhältnisse im Niedriglohnsektor rasch sinkt. Zwischen (den vormals) 620 und z.B. einer Beschäftigung bis zu 1.400 DM bewegt sie sich nur noch in fünfstelligen Bereichen.] Abhilfe schaffen in diesem Zusammenhang vor allem Vorhaben wie z.B. das Mainzer-Modell, die solche Beschäftigungsverhältnisse transferpolitisch unterstützen, ohne sie wesentlich teurer zu machen.

Sucht man hierzulande nach den sogenannten Einfachjobs, fällt immer sofort der Schwarzarbeitsmarkt auf. Auch dafür ist das Handwerk ein gutes Beispiel. Zahlreiche einfachere handwerkliche Dienstleistungen werden mit steigenden Zuwachsraten in Schwarzarbeit erledigt. Das zeigt einerseits auf, daß überlegt werden müßte, wie anspruchsvolle handwerkliche Dienstleistung mit der einfachen handwerklichen Dienstleistung in regulären Handwerksbetrieben wieder zusammengeführt werden

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kann. Anderseits ist die Schwarzarbeit auch ein Beleg dafür, daß eben der Bedarf an diesen einfachen, niedrig entlohnten Arbeiten durchaus vorhanden ist.

Über eine deutsche Dienstleistungslücke ist bereits spekuliert worden. In modernen, arbeitsteiligen Gesellschaften ist offensichtlich ein Bedarf an haushalts- und personenbezogenen Dienstleistungen vorhanden, gerade auch im sogenannten einfachen Bereich. [Fn.1: Die personenbezogenen Tätigkeiten sollten aber nicht pauschal und vorschnell als einfache Tätigkeiten deklassiert werden, auch wenn sie in der Regel nur gering entlohnt werden. Es handelt sich zum Teil um sehr verantwortungsvolle Aufgaben, z.B. im Pflege- und Versorgungsbereich für ältere Menschen.] Unterstellt, dieser Bedarf wäre vorhanden, bedeutet dies allerdings heute, daß auf der Angebotsseite des Arbeitsmarktes eine nicht unbeträchtliche Zahl von Menschen stehen, die in Beschäftigung gebracht werden müssen, auf der Nachfrageseite aber die Dienstleistungslücke bei einfachen haushalts- und personenbezogenen Dienstleistungen nicht geschlossen wird. Der Grund für diese Kluft ist ein einfacher. Sie müssen erst marktfähig gemacht werden. Dies ist wieder ohne eine Kombination von Arbeitseinkommen und Transferleistung nur schwer vorstellbar. Haushalts- und personenbezogene Dienstleitungen werden nicht gut bezahlt und es wird sich wohl auch hier häufig um geringfügige Beschäftigung handeln. Die unterschiedlichen Kombinationslohnansätze könnten deshalb geeignet sein, durch höhere Preiselastizität die Arbeitsnachfrage zu stimulieren und Angebot und Nachfrage zusammenzubringen.

Die Gewerkschaften stehen hier natürlich vor einem Problem. Auch das darf nicht verschwiegen werden. Die Zahl geringfügig Beschäftigter, die keinen tarifvertraglichen Regulierungen unterliegen, stellt die Gewerkschaften vor die schwierige Wahl, daß dieses Beschäftigungsvolumen zwar begrüßt wird, aber die Bedingungen mißfallen, unter denen die Beschäftigten arbeiten. Von gewerkschaftlicher Seite wird daher eine bessere soziale Absicherung erwartet, damit die geringfügigen mehr in die Nähe der regulierten Beschäftigungsverhältnisse rücken. Gleichzeitig schwebt über dieser Intention das Damoklesschwert, daß eine zu starke Regulierung die Arbeitskosten steigert und die Arbeitsplätze in Gefahr bringt. In der Frage, wie diese Beschäftigungsform reguliert werden kann, so daß sie trotzdem noch finanzierbar bleibt, liegt also das eigentliche Grunddilemma, das immer noch erst richtig gelöst werden muß.

Ob Qualifizierung, geringfügige Beschäftigung, Abbau von Schwarzarbeit, mehr Dienstleistungstätigkeiten, in jedem Fall sind die gesellschaftlichen Akteure gefordert, neue Akzente zu setzen, um solche Beschäftigungsperspektiven Wirklichkeit werden zu lassen. Daher stehen abschließend jetzt auch noch die politischen Rahmenbedingungen auf dem Prüfstand.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juni 2001

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