FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausgabe: 35 / Forsetzung]


3. Vernetzungskonzepte von Arbeit plus Transfer

Selbst wenn eine stärkere Spreizung der Lohnstruktur tatsächlich eine Mehrbeschäftigung auslösen würde, wenn die Sperrklinke weit heruntergedrückt ist: die sozialen Auswirkungen wären auf jeden Fall höchst problematisch. Wenn auf dem Arbeitsmarkt nur ein unzureichendes Einkommen zu erzielen und mit der Arbeit nur ein schlechter Lebensstandard zu errreichen ist, wird eine einkommenspolitische Flankierung der Haushalte über Transferleistungen notwendig. Sozialleistungen und Erwerbseinkommen müssen verzahnt werden.

Das gilt einmal mehr, wenn mit dieser Verzahnung auch neue Arbeitsanreize geschaffen werden sollen. Heute führt beispielsweise die weitgehende Anrechnung von Erwerbseinkommen auf Sozialeinkommen dazu, daß der Einkommensvorteil bei Aufnahme einer gering entlohnten Tätigkeit gegenüber Arbeitslosen oder Sozialhilfeempfängern unzureichend ist. Alternative Lösungen sind erforderlich, die mit den hierzulande akzeptierten gesellschafts- bzw. wohlfahrtsstaatlichen Vorstellungen kompatibel sein müssen. Eine intelligente Kombination aus Arbeitsmarkt- und Transferpolitik muß aufgespürt werden.

Verschiedene instrumentelle Ansätze sind dazu bereits in der Diskussion. Die konzeptionellen Vorschläge sind durchaus facettenreich. Sie unterscheiden sich in ih-

[Seite der Druckausgabe: 36]

rem Zielsystem. Öffentliche Geldleistungen können z.B. arbeitsangebotsseitig ansetzen (bei den Erwerbspersonen) oder arbeitsnachfrageseitig (bei öffentlichen und privaten Arbeitgebern). Sie können direkt ausgezahlt werden oder indirekt (also zahlungsvergünstigend). Es könnnen Subventionen an Unternehmen oder Sozialtransfers an die Personen und privaten Haushalte gezahlt werden, d.h. zwischen Lohnsatzsubventionen oder Einkommenssubventionen kann ausgewählt werden.

Die letztgenannte Wahlmöglichkeit zeigt schon, wie umstritten die Instrumente in der praktischen Anwendung sind. Der Methodenvergleich zwischen Lohnsatzsubventionen und Einkommensubventionen löst Kontroversen aus, in der auf jeder Seite zweifellos gewichtige Argumente in die Waagschale geworfen werden.

Die Alternativen weisen in verschiedene Stoßrichtungen. Bei einer Lohn(satz)subvention nimmt das Transfervolumen mit der Arbeitszeit der Subventionsempfänger zu. Bei einer Einkommenssubvention dagegen nimmt das Transfervolumen bei einem steigenden Arbeitseinkommen ab. Lohnsatzsubventionen belohnen Arbeit unmittelbar, Einkommenssubventionen dagegen stocken ein Einkommen unabhängig davon auf, wie es erwirtschaftet wird, d.h aus welcher Quelle es stammt. Lohnsatzsubventionen setzen unmittelbar am Arbeitsangebot an, stocken also jede Stunde geleistetete Arbeit um einen Betrag auf, während eine Einkommenssubvention sozusagen die zusätzliche Stunde Arbeit schon mit einem Steuersatz belegt, weil dann der Zuschußbedarf, der öffentlich geleistet werden muß, geringer wird.

Das bedeutet mehreres: Wenn das Arbeitsangebot steigt, wird eine Lohnsatzsubvention bei einem konstanten Lohnsatz teuer. Bei gleichen quantitativen Arbeitsangebotswirkungen und konstantem Lohnsatz wäre die Einkommenssubvention aus der fiskalischen Perspektive also die günstigere Alternative. Eine andere Betrachtung ergibt dagegen auch ein anderes Bild. Wenn jede hinzuverdiente Mark den Transferbezug reduziert, könnte der Anreiz, das Arbeitsangebot gegenüber der Freizeit auszudehnen, wegfallen. Dies wiederum spräche gegen das Instrument der Einkommenssubvention. Die Entscheidung für das eine oder das andere Subventionsinstrument fällt also nicht leicht. Die Wirkungen sind gegenteilig und die Resultate schwer zu bestimmen.

Trotzdem muß ein Konzept erarbeitet werden, um die starre Abgrenzung von Sozialsystem und Arbeitsmarkt aufzuheben. Dazu existieren inzwischen schon sehr pragmatische und umsetzungsfähige Vorschläge. In der öffentlichen Diskussion kursieren mittlerweile (mindestens) vier Modelle, wie ein Strategie aus „Arbeit plus Transfer" inhaltlich aussehen könnte. Die Konzepte verfolgen zum Teil verschiedene, in einigen Punkten aber auch komplementäre Zielrichtungen:

  • Das Kombi-Einkommen des BDA setzt im Sozialhilferecht an und operiert mit verminderten Anrechnungssätzen bei den Hinzuverdiensten, die einen Anreiz zur Arbeitsaufnahme abgeben sollen. [Fn.1: Arbeitsfähigen Sozialhilfeempfängern würden danach bei der Aufnahme einer niedrigentlohnten Beschäftigung je nach Höhe 10-30% der Differenz zwischen dem Hinzuverdienst und einem Anrechnungsfreibetrag nicht auf den Sozialhilfeanspruch angerechnet.]

[Seite der Druckausgabe: 37]

  • Das sogenannte Einstiegsgeld für Langzeitarbeitslose, Arbeitslosenhilfe- und Sozialhilfeempfänger wurde an der Freiburger Universität entwickelt. Es sieht eine hälftige Anrechnung aller selbstverdienten Arbeitseinkommen auf den Arbeitslosen- bzw. Sozialhilfeanspruch vor.
  • Eine Initiative der CDU/CSU (aus dem Arbeitsministerium vor dem Regierungswechsel) strebt ebenfalls einen Kombilohn an, der eine Aufstockung der Arbeitslosenhilfe für Niedriglohnbezieher vorsieht. Die Arbeitslosenhilfe soll um 20 Prozentpunkte bei einem maximalen Hinzuverdienst von 620 DM aufgestockt werden.
  • Das sogenannte Mainzer Modell setzt dagegen bei den Sozialbeiträgen für geringfügige Beschäftigung an. [Fn.1: Das Konzept wurde im rheinlandpfälzischen Finanzministerium entwickelt, daher auch der Name „Mainzer Modell".] Das Konzept vernetzt im Prinzip Überlegungen zur Reform der Geringfügigkeitsregelungen mit Vorstellungen zu einem Kombinationseinkommen. Beides wurde in der Vergangenheit häufig zu separat diskutiert. Danach soll die Geringfügigkeitsregelung abgeschafft und eine Sozialversicherungspflicht ab 300 DM eingeführt werden. Rentenversicherungsbeiträge im Bereich 300-620 erstattet der Arbeitgeber, ab 620 DM setzt die volle Sozialversicherungspflicht ein, wobei der Arbeitgeber die vollen hälftigen Beiträge zahlt, die öffentliche Hand übernimmt die Sozialversicherungsbeiträge der Geringverdiener bis zu etwa 1.550 bzw. 3.100 DM (für gemeinsame Einkommen Verheirateter) in einer degressiven Staffelung.

Konzepte, wie z.B. das Kombinationseinkommen des BDA, versuchen, die Anreizkompatibilität der Transfersysteme zum Arbeitsmarkt zu verbessern und dabei aber das Risiko, neue „working poor" hervorzubringen, möglichst gering zu halten. Das Mainzer Modell versteht sich im gleichen Kontext allerdings mehr als ein Konkurrenzkonzept, das direkt an den Sozialabgaben ansetzt. Sie sollen in gestaffelter Form subventioniert werden, damit geringfügige bzw. niedrig entlohnte Beschäftigungsverhältnisse sozialrechtlich besser abgesichert sind.

Den Konzepten ist also gemeinsam, daß mit ihnen der Versuch unternommen wird, mehr Menschen in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Die Ansätze zeigen ebenfalls, wie die Arbeitslosenhilfe-, Geringfügigkeits- und Sozialhilfefalle, die alle zusammen am Scharnier zwischen Arbeitsmarkt und Transfersystem auf ihre Opfer warten, mit verschiedenen Hilfsmitteln abgebaut werden könnten. Beschäftigung im Niedriglohnsektor soll attraktiver und unter sozialen Gesichtspunkten akzeptabler gestaltet werden.

Unbeantwortet scheint in der deutschen Diskussion allerdings immer noch etwas die Frage, inwieweit hierzulande das „Zuckerbrot Transferleistung" mit der „Peitsche von Sanktionen" im Falle der Arbeitsverweigerung (z.B. Ablehnung einer Arbeitsaufnahme im Niedriglohnsektor oder Teilzeitarbeit) verkoppelt werden soll. Es ist noch nicht entschieden, ob materielle Arbeitsanreize allein ausreichen, um mehr Bezieher von Transferleistungen zur Arbeitsaufnahme zu bewegen oder ob mit der Einführung von Zwangselementen (Kürzung der Transfers) nicht zusätzlicher Druck auf die Betroffenen ausgeübt werden sollte. Darüber schweigen sich die Konzeptentwickler

[Seite der Druckausgabe: 38]

noch gerne aus, um die politische Durchsetzungsfähigkeit ihres Ansatzes nicht zu gefährden.

Wer über die unterschiedlichen Modelle, ihre Vor- und Nachteile oder gar über Sanktionen gegen Empfänger von Transferleistungen nachdenkt, sollte sich vorher rechtzeitig vergewissern, wie mehr niedrig entlohnte bzw. geringfügige Beschäftigung eigentlich erreicht werden kann. Die Konzepte selbst helfen hier noch nicht weiter.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juni 2001

Previous Page TOC Next Page