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[Seite der Druckausgabe: 40 / Fortsetzung]


5. Alternative politische Rahmenbedingungen - ein Ausblick

Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften müssen die Rahmenbedingungen entwickeln, unter denen neue Beschäftigungsmöglichkeiten realisierbar sind: für die Geringqualifizierten, für die Arbeitslosen- und Sozialhilfeempfänger oder einfach nur für diejenigen, die aus unterschiedlichsten privaten Gründen einzig an einer gering-

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fügigen Beschäftigung interessiert sind. Im folgenden werden daher einige Perspektiven benannt, die durchaus brauchbar sind, mit dieser beschäftigungs- und sozialpolitischen Problemstellung anders umzugehen als bisher.

Ein Ansatzpunkt wären Neuregelungen bzw. Reformen im Sozialversicherungs-, aber auch im Steuersystem. Das läßt sich am Beispiel der Erwerbstätigkeit von Frauen demonstrieren. Geringfügige Beschäftigung ist vor allem ein Tätigkeitsfeld bzw. eine zusätzliche familiäre Einkommensquelle für verheiratete Frauen. Die Ausweitung der geringfügigen Beschäftigung ist gerade auf dem Gebiet der Frauenerwerbstätigkeit im Zusammenhang mit einem Steuer- und Sozialversicherungssystem zu sehen, das diese Art von Beschäftigung eindeutig begünstigt und eine Sogwirkung auf diese Niedriglohnbeschäftigung ausübt.

Gewerkschaftler sind aber immer weniger bereit, geringfügige Beschäftigung für weibliche Beschäftigte bedinglos zu akzeptieren. Sie definieren geringfügige Beschäftigung wie aufgezeigt als eine atypische. Deshalb wäre eine Individualisierung von Ansprüchen diskutabel. Die sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche sollten weniger bzw. nicht nur am Tatbestand der Ehe ausgerichtet werden. Solche Vorstellungen unterstützt im Prinzip auch die Zielrichtung des „Mainzer Modells", die sozialrechtlichen Grundlagen zu verbessern, auf denen diese Beschäftigungsverhältnisse stehen. Wenn schon geringfügige Beschäftigung, dann auch mit angemessenen Ansprüchen. So oder so ähnlich könnte die Devise lauten - nicht nur für weibliche, sondern auch für männliche Beschäftigte.

Wie auch immer geringfügige Beschäftigung sozialversicherungsrechtlich abgesichert wird, immer energischere Stimmen fordern gleichzeitig Reformen bei den Steuer- und Sozialabgaben ein. Sie haben zum Ziel, die Schere zwischen Brutto- und Nettoeinkommen zu verringern und geringfügige bzw. niedrig entlohnte Beschäftigung auf diese Art zu fördern. Wenn die vorgestellten Prognosen zuträfen, gäbe es eine nicht zu unterschätzende Nachfrage im Bereich haushalts- und personenbezogener Dienstleistungen. Heute erschweren Steuern und Lohnnebenkosten, d.h. der Abgabenkeil, diese Nachfrage zu befriedigen. Einfache handwerkliche Tätigkeiten werden dagegen statt durch Handwerksbetriebe in Schwarzarbeit erledigt. Der Abgabenkeil muß kleiner gehalten werden.

Die Beschlüsse der neuen Bundesregierung weisen bereits in diese Richtung: z.B. durch die Vorhaben, den Eingangssteuersatz zu senken und die Sozialabgaben mittels einer Ökosteuer umzufinanzieren. Eine konsequente, d.h. vor allem ursachengerechte Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme, entsprechend ihrer zu versichernden Risiken, sollte allerdings ebenfalls in die politische Programmatik einfließen. Sie muß gewährleisten, daß Zielvorgaben wie Beitragssenkungen, höhere Nettolöhne und Kostenentlastungen für die Wirtschaft gleichgewichtig und auch in absehbaren Zeiträumen umgesetzt werden könnten.

Stimmt man zu, daß Lohnkosten und Beschäftigung doch etwas miteinander zu tun haben, sind diese Entlastungen unverzichtbar. Nicht umsonst schlägt auch das Weißbuch der europäischen Kommission (von 1993) vor, durch Umfinanzierung die

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Lohnnebenkosten zu senken. Die Kommission rät, dies vor allem auf den unteren Lohnsektor zu konzentrieren, um dort mehr Beschäftigung zu erreichen. [Fn.1: Wenn es perspektivisch gelänge, dadurch höhere Erwerbstätigenquoten zu realisieren, könnten zudem die Renten auf einem vertretbaren Rentenniveau gehalten werden, vielleicht sogar ohne die Beitragssätze in der Rentenversicherung zu erhöhen. Zugleich ergäben sich bessere Chancen, die Beiträge zur Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung stabil zu halten.]

In diesem Zusammenhang werden die Forderungen nach grundlegenden Strukturrefomen allerdings ebenfalls lauter. Eine Strukturreform beinhaltet gegenüber Umfinanzierungen im Klartext Ausgabenkürzungen und wirft damit aber das Problem auf, ob z.B. das Sozialbudget überhaupt noch weiter beschnitten werden kann. Immerhin ist bei der Umfinanzierung von Einnahmen abzusehen, daß sie bei vorgegebener Ausgabenhöhe mehr den Charakter einer Pause haben, weniger einer nachhaltigen Lösung in bezug auf den Abgabenkeil. Es wäre aber sicher auch schon einiges erreicht, wenn wenigstens diese Pause gemacht werden kann, bevor der Abgabenkeil noch tiefer zuschlägt.

Alle Reformüberlegungen und Zukunftsvorschläge legen nahe, daß ein „policy mix" gebraucht wird, um diese Ziele zu erreichen und die Arbeitslosigkeit besser in den Griff zu bekommen. Ein umfassendes Paket muß geschnürt werden. Makro- und Mikroökonomen vertreten allerdings verschiedene Auffassungen über den Inhalt dieses Pakets. Die Makroökonomen setzen z.B. auf eine andere Fiskal- und Geldpolitik, die Mikroökonomen dagegen mehr auf eine stärkere Flexibilisierung und Deregulierung des Arbeitsmarktes. Kann man beides zusammenbringen? Die Antwort scheint zu lauten: im Prinzip ja, unklar ist aber die Reihenfolge.

Im Spiegel US-amerikanischer Erfahrungen ist die Überzeugung durchaus legitim, daß an erster Stelle die mikroökonomisch orientierte Deregulierung und Flexibilisierung stehen sollte, um das Problem struktureller Arbeitslosigkeit anzugehen. In einem zweiten Schritt können dann makroökonomische Maßnahmen folgen. Die amerikanische makroökonomische Politik etwa funktionierte vor allem auf der Grundlage eines deregulierten Arbeitsmarktes.

Besonders Gewerkschaftler zweifeln allerdings die Behauptung von Mikroökonomen an, daß der deutsche Arbeitsmarkt zu wenig reguliert wäre. Die Bewegungszahlen bzw. Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt sprechen eigentlich nicht die Sprache eines erstarrten Arbeitsmarktes. Im Vergleich zu Deutschland hat zwar z.Bsp. Dänemark, das als Land mit einem hochflexiblen Arbeitsmarkt gilt, ein kaum kodifiziertes Kündigungschutzrecht und befristete Arbeitsverträge sind dort fast schon beliebig verlängerbar. Dennoch sind die Anforderungen, die der dänische Staat an die Durchführung einer Entlassung stellt, im Grunde höher als in Deutschland. Die dänischen Arbeitgeber müssen gegenüber den Behörden fundiert nachweisen, ob sie tatsächlich auch alles unternommen haben, um Entlassungen zu verhindern. In Deutschland sind bei Entlassungen dagegen vor allem Interessenausgleich und Sozialplan zu berücksichtigen. Die Schranken sind demnach gar nicht so hoch wie manchmal unterstellt wird.

Auch Makroökonomen begegnen den mikroökonomischen Gestaltungsvorstellungen eher mit Pessimismus. Das deutsche Beschäftigungsproblem wird mehr als das Er-

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gebnis einer falschen makroökonomischen Weichenstellung gesehen, weniger eines zu regulierten Arbeitsmarktes. Als ein Handikap gilt danach z.B. die restriktive Geldpolitik der deutschen Bundesbank (besonders etwa von 1993-96) sowie der Aufwertungsdruck auf die deutsche Mark. Britische Ansätze auf diesem Politikfeld werden allerdings auch verworfen. Eine Inflationspolitik, wie in England Anfang der neunziger Jahre, ist ein unsoziales Vorhaben, denn sie wird eher auf dem Rücken der Arbeitnehmer ausgetragen und geht zu Lasten von deren Einkommen. Davor ist zu warnen, zumal wohl kaum zu erwarten ist, daß die deutschen Gewerkschaften dies einfach hinnehmen würden. Deutschland würde vielmehr in die Gefahr laufen, in eine Lohn-Preis-Spirale hineinzugeraten.

In Deutschland sollte daher die Suche nach alternativen Politikmustern nicht aufgegeben werden. Ein Szenario, in dem eine Deregulierung des Arbeitsmarktes stattfindet, die Regelungsmechanismen des Arbeitsrechts attackiert werden und zur gleichen Zeit die Arbeitslosenversicherung auf eine Mindestmaß zusammenschrumpft, wäre alles andere als ein vernünftiger Ausweg. Kompromißformeln sind also unabdingbar und sie müssen jetzt gefunden werden. Ein ganzheitlicher Ansatz muß auf einem umsichtigen Arrangement von Arbeitsmarktpolitik, gesetzlichen Schutzregularien und einer Arbeitslosenversicherung beruhen, die materiell gut ausgestattet ist, aber gleichzeitig von dem einzelnen Mitwirkung und Initiative abverlangt. Das Ziel könnte also lauten, ein Bündnis für mehr Arbeit zu schaffen, nicht nur eins zur Umverteilung von Arbeit und Einkommen. Dazu müssen neue Experimente gewagt werden, nichts zu tun, wäre das allerschlechteste. Die Auffächerung des Lohngitters allein hilft offenbar nicht viel weiter. Das konnte nachgewiesen werden. Neue Angebote müssen gesichtet und geschaffen, Angebot und Nachfrage zusammengefügt werden.

Vielleicht wird das Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit in diesem Sinne zu einem neuen Ansatz, das deutsche kooperatistische System wieder zu einem erfolgreichen werden zu lassen. Die Niederländer haben schon vorgeführt, wie das gehen könnte. Sie schafften mit ihrem policy mix, die Sozialpartner in einem solchen Bündnis zusammenzuführen. Auch wenn man das niederländische Resultat nicht in allen Punkten zu teilen vermag, könnte dieser Ansatz im Verfahren und Vorgehen auch in Deutschland höchstwahrscheinlich ein ganz guter Weg sein. [Fn.1: Skeptiker glauben, daß die Niederländer mit ihren Arbeitsmarkterfolgen, z.B. durch die lebenslange Teilzeitarbeit, nur etwas Zeit gekauft, aber ihre Probleme nicht wirklich gelöst haben, die irgendwann wieder vor der Tür stehen werden.]


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juni 2001

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