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[Seite der Druckausgabe: 17 / Fortsetzung]


2. Erfahrungen aus den USA und Großbritannien: Patente für Deutschland?

Wenn Ökonomen und Gesellschaftswissenschaftler sich in Deutschland nicht über einen Kurs verständigen können, riskieren sie gerne einen Fernblick über den Atlantik. Bei der Suche nach Lösungen für das Lohnspreizungs- und Beschäftigungsproblem reicht ihnen manchmal aber auch schon die Aussicht über den Ärmelkanal.

Welcher Blick auch gewagt wird, sie treffen auf Ansätze, die sich deutlich von den kontinentaleuropäischen unterscheiden. Im folgenden soll daher geprüft werden, was aus angloamerikanischen Vorstellungen und Lösungswegen gelernt werden kann, was nicht einfach übertragbar ist oder auf keinen Fall übernommen werden sollte.

2.1 Das Beispiel USA: Entzauberung des amerikanischen Modells

Die globale Wettbewerbsfähigkeit der USA ist unbestritten hoch, das ökonomische System erfolgreich. Es könnte also ein Vorbild für Deutschland abgeben.

Mindestens genauso hoch ist dort aber die soziale Ungleichheit. Mit der sozialen Ungleichheit korrespondiert eine ausgeprägte Lohndifferenzierung. Die USA profilieren sich im Vergleich zu Deutschland durch geringere Arbeitslosigkeit, aber starke Lohnspreizung. Das bleibt nicht ohne Folgen. In den USA findet man das Anschauungsmaterial für viele Geringqualifizierte, die in Arbeit stehen, sich aber zugleich als gering bezahlte Beschäftigte am untersten Ende einer relativ steilen Lohnpyramide wiederfinden. Sie bringen ihren Lebensunterhalt nur unter schwierigen Bedingungen auf.

Die OECD schlägt z.B. vor, daß diejenigen, die unter 66 v.H. des Durchschnittseinkommens verdienen, zu den Personen mit geringen Einkommen zählen. Legt man diese Meßlatte an die amerikanischen Verhältnissse an, verzeichnet z.B. die Gruppe der amerikanischen Männer mit geringen Einkommen (unter der 66% Marke) von 1974 bis 1994 einen Anstieg von 13,1 auf 22,2%. Die „working poor" haben also relativ stark zugenommen. Gleichzeitig vergrößerte sich die Gruppe der besser bezahlten Beschäftigten mit hohen beruflichen Qualifikationen. Die Mittelklasse hat infolgedessen abgenommen, d.h. Mittelklassejobs gingen verloren.

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Dieser Trend erinnert an eine vergleichbare Entwicklung in Deutschland. Hierzulande wurde festgestellt, daß die unteren Einkommensränder gestärkt, die Einkommensmitte ausgedünnt worden ist (vgl. 1.2.2). Diese Ausdünnung wird in Deutschland inzwischen als ein gesellschaftliches Armutsrisiko ernstgenommen, wenngleich Deutschland sicher noch weit von den amerikanischen Lebensverhältnissen entfernt ist.

Die Senkung der Lohn- bzw. Arbeitskosten ist im „amerikanischen Modell" konsequent verfolgt und umgesetzt worden. Der Zeitraum 1979 - 1994 veranschaulicht das Ergebnis:

Tabelle 6: Real Earnings of Production and Nonsupervisory Employees

Die Reallöhne sind in dieser Periode überwiegend gesunken. Eine Ausnahme von der Regel stellen der Finanz- und der Dienstleistungssektor dar. Was dieses Datenmaterial übrigens nicht wiedergibt, sind die sektoreninternen, ebenfalls beachtlichen Einkommensdisparitäten, z.B. zwischen den hochbezahlten Ärzten und dem nichtmedizinischen Personal im Gesundheitswesen. Auch innerhalb von Berufsgruppen sind die Lohnspreizungen in den einzelnen Sektoren ansehnlich.

Statistischen Erhebungen der OECD wiederum vermitteln im Vergleich zu Deutschland auch entlang anderer Kriterien eine detaillierte Vorstellung über das Ausmaß geringbezahlter Arbeit in den USA:

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Tabelle 7: Incidence of Low-Paid Employment

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Insgesamt liegt das geringentlohnte Arbeitskräftepotential in den USA wesentlich höher als in Deutschland. Gemeinsam ist beiden Ländern, daß besonders die jungen Arbeitnehmer dazu gehören, in den USA konsequenterweise mehr als in Deutschland. Beachtenswert ist aber vor allem auch der Unterschied in der Altersgruppe der 25-54 Jahre alten Arbeitnehmer. Diese Vollzeitarbeitnehmer stellen für eine Volkswirtschaft ein sehr wichtiges Erwerbspersonenpotential dar. Bei ihnen liegt die Quote der Geringentlohnten deutlich höher als in Deutschland. Niedriglohn ist in den USA also kein Fremdwort, sondern Arbeits- und Lebensrealität für viele.

Gleichzeitig wurden in den USA aber Arbeitsplätze in Millionenhöhe geschaffen. Sie werden als Erfolg des amerikanischen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells gefeiert. Für viele westeuropäische Beobachter hat dort ein „Beschäftigungswunder" stattgefunden, das zu einer gewissen Verzauberung des amerikanischen Weges beigetragen hat. Daher muß geprüft werden, unter welchen Bedingungen er begangen wurde und ob die amerikanischen Niedriglöhne tatsächlich zu diesem Beschäftigungswunder beigetragen haben. Letzteres ist nicht unumstritten.

Das Wunder relativiert sich nämlich schon etwas angesichts der Größe des Landes und seiner Bevölkerung. Aber auch ein Vergleich der internationalen Beschäftigungswachstumsraten zeigt, daß die verzauberte einer mehr nüchternen Bewertung weichen sollte.

Seit 1989 beträgt der Beschäftigungszuwachs in den USA 1,1%, in Deutschland dagegen nur 0,1%. Allein aus diesen Zahlen schon ein Erfogsrezept ableiten zu wollen, widerspräche allerdings der Realität in anderen Ländern. Der Zuwachs beträgt z.B. in den Niederlanden 1,9% und der niederländische Weg ist wohl kaum mit dem amerikanischen vergleichbar.

Aber auch der Erfolg amerikanischer Niedriglohnstrategien relativiert sich ein wenig im internationalen Vergleich. Träfe nämlich ein positiver Zusammenhang von Niedriglohn und Beschäftigung zu, müßte die Beschäftigungsquote von Geringqualifizierten bzw. Niedriglöhnern in den USA deutlich höher liegen als in Deutschland, die Arbeitslosenquote von solchen Personen dagegen niedriger. Daten der OECD zeigen aber auch hier wiederum folgendes:

In Deutschland sind die Beschäftigungsquoten von Niedrigqualifizierten höher und die Arbeitslosenquote dieser Gruppe liegt trotz des insgesamt höheren Lohnniveaus niedriger.

Damit verschiebt sich das amerikanische Vorbild noch mehr und gerät angesichts der internationalen Vergleichsdaten sogar etwas in die Schieflage. Offenbar sollte der amerikanische Weg noch etwas genauer untersucht werden, um die Stolpersteine zu erkennen, die auf ihm zu liegen scheinen. Welche Rahmenbedingungen begünstigten nun die vorgestellte Entwicklung im Bereich der amerikanischen Lohnstruktur? Viele Spreizungsfaktoren unterscheiden sich eigentlich nicht viel von denjenigen anderer Industrienationen und sind hinlänglich bekannt.

Auch in den USA trägt die industrielle Restrukturierung, die Rationalisierung der Betriebe zu der Entwicklung bei. Arbeitsplätze, die zu teuer sind, stehen regelmäßig zur Disposition. Gleichzeitig findet ein Wandel zu einer mehr dienstleistungsorientierten Ökonomie mit einer stärkeren Nachfrage sowohl nach gering- als auch höherbezahlten Tätigkeiten statt. Die ehemalige Nachfrage nach den mittleren Ver-

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Tabelle 8: Zivile Beschäftigung in zehn Ländern, 1959-1996

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Tabelle 9: Beschäftigungquote von gering Qualifizierten 1989 und 1994

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dienstgruppen der qualifizierteren Fabrikarbeiter nimmt dagegen ab. Eine weitere Ursache der Lohndifferenzierung ist der internationale Handel. Der Import von billigproduzierten und der Export von hochwertigen Gütern, die auch mit hochqualifizierter Arbeit hergestellt werden müssen, hat zur Lohnspreizung beigetragen. Genauso vergrößern die technologischen Innovationsschübe die Spreizung, denn neue Technologien erfordern hochqualifizierte und damit hochbezahlte Arbeit, ersetzen aber gleichzeitig einfachere Arbeit. Hinzu kommt, daß Mehrbeschäftigung in den USA vor allem auf das Konto von Klein- und Mittelbetrieben geht. Diese zahlen in der Regel geringere Löhne, sie gelten aber als das eigentliche Rückrat der amerikanischen Wirtschaft.

All dies sind relativ konstante, nicht rückholbare Rahmenbedingungen, die als Auslöser der amerikanischen Lohnspreizung und -differenzierung benannt werden. Sie erklären daher nicht die Unterschiede zwischen US-amerikanischen und kontinentalen, besonders deutschen Lohnstrukturen. Das amerikanische Gesellschaftsmodell und damit zusammenhängend der amerikanische Politikansatz liefern hier tauglichere Erklärungsmuster.

Die gesellschaftlichen Institutionen sind die Träger und Akteure der amerikanischen Lohnspreizungs- und Lohnsenkungsstrategien und bestimmen das Umfeld, unter dem sich die Lohnstruktur und damit die Lebensbedingungen der Beschäftigten (und der Arbeitslosen) verändern. Hier zeigt sich zunächst zweierlei:

  • Die US-Regierung fühlt sich im Prinzip nicht für die Förderung und Schaffung von Arbeitsplätzen zuständig. Ihre Rolle beschränkt sich im wesentlichen darauf, Mindestlöhne für geringbezahlte Tätigkeiten festzulegen, die in periodischen Abständen analog zur Inflationsrate verändert werden. [ Heute beträgt dieser Mindestlohn 5,51 Dollar pro Stunde.] Das Ziel ist, absolute Dumpinglöhne zu verhindern, jedenfalls solche, die die Regierung nach amerikanischem Verständnis darunter einordnet. Erst in jüngster Zeit tauchen Überlegungen auf, ob die amerikanische Politik ähnlich wie in Europa nicht auch darauf hinwirken sollte, das Produktivitätswachstum durch die Neugestaltung der Rahmenbedingungen anders zu verteilen. Die meisten derjenigen, die die Produkte eigentlich produzieren, sind in den USA bisher von ihrem Verkaufserfolg ziemlich ausgeschlossen worden.
  • Die amerikanischen Gewerkschaften haben im Gegensatz zu den deutschen bekanntermaßen eine schwache Verhandlungs- und Machtposition. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad ist gering und liegt je nach Wirtschaftszweig bei etwa 10 - 15%. Die amerikanischen Gewerkschaften müssen also mehr politische Abstriche machen als die deutschen. Sie konzentrierten sich daher nicht auf Lohnerhöhungen, sondern beschränkten sich auf die Verbesserung der Arbeitsplatzsicherheit. Dazu wurden Lohnkonzessionen gemacht, d.h. Arbeitsplatzsicherheit wurde im Prinzip durch die Absenkung der Löhne (und Vergünstigungen) erkauft. Darin unterscheiden sich die amerikanischen wohl am deutlichsten von den deutschen Gewerkschaften, die mit Rücksicht auf eine hohe Arbeitslosigkeit allenfalls tarifpolitische Zurückhaltung ausüben.

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Dieses lohn-, arbeitsmarkt- und gesellschaftspolitische Modell der USA hat Schattenseiten. Sie dürfen nicht unter den Tisch fallen, wenn Deutschland an den USA gemessen wird oder vielleicht sogar über die Nachahmung des amerikanischen Konzepts nachgedacht wird. Wissenschaftler des Washingtoner Forschungsinstituts sprechen in diesem Zusammenhang von den unterschätzten sozialen Kosten bzw. Folgen des amerikanischen Weges bei überbewerteten ökonomischen Vorteilen. Das ist ein Befund, der nachdenklich stimmt.

Die sozialen Folgen lassen sich schon an einem kennzeichnenden Beispiel festmachen: der Kriminalitätsrate. Geringentlohnte können in eine Armutsfalle hineintappen. Armut heißt in den USA nämlich sowohl Armut ohne Arbeit als auch in der Arbeit (bei den „working poor"). Armut ohne oder mit Arbeit und Kriminalisierung können aber eng beieinanderliegen. Statistische, kausale Beweise sind zwar schwer anzutreten, aber die Vermutung liegt doch sehr nahe, daß diese Armut die Kriminalitätsrate in den USA steigert, die deutlich höher liegt als in den westeuropäischen Ländern.

Amerikanische Wissenschaftler suchen inzwischen nach Lösungen, um die Folgewirkungen des amerikanischen Lohnstrukturmodells auszugleichen. Die ökonomischen und technologischen Rahmenbedingungen und die spezifische Ausprägung der industriellen Beziehungen sind nicht oder allenfalls mittelfristig und dann auch nur graduell veränderbar. Der Hebel muß demnach woanders angesetzt werden, um das Lohngefälle sozialverträglich zu gestalten und den gesellschaftlichen Zündstoff aus der sozialen Ungleichheit zu nehmen. Einer dieser Hebel kann die Einführung von wohlfahrtsstaatlichen Politikelementen sein. Dazu müßten beispielsweise das Arbeits- und Sozialrecht, die soziale Infrastruktur und die Transferleistungen verbessert werden. Es gibt aber noch einen weiteren Hebel.

Ein Problem des amerikanischen Arbeitsmarktes ist, daß in Zukunft immer weniger un- bzw. geringqualifizierte Arbeitnehmer gebraucht werden.

Durch den technischen Wandel erhöht sich dagegen wahrscheinlich die Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften. Eine Antwort darauf wäre die Verbesserung des Ausbildungssystems. Die USA verfügt über keine schulische wie berufliche Aus- und Fortbildungstradition, die mit der deutschen vergleichbar wäre und die den Bedarf an besser qualifizierten Arbeitnehmern kurzzeitig kompensieren könnte. Das „high-school" System produziert anscheinend nicht die benötigten Qualifikationen. Die Unternehmen mußten in der Vergangenheit erhebliche Anstrengungen unternehmen, um Arbeitnehmer selber bedarfsgerechter zu qualifizieren. In den USA wird daher eine stärkere Vernetzung von schulischer und betrieblicher Ausbildung dringend gebraucht, mit der praxisnah und praxisgerecht ausgebildet werden kann. In der Ausbildung scheint nach den Einschätzungen amerikanischer Experten darüber hinaus auch ein Schlüssel zu liegen, um die Lohnspreizung durch ein qualifizierteres Arbeitskräftepotential zu beschneiden.

Natürlich wird auch die Gefahr einer gegenläufigen Entwicklung erkannt. Falls es gelingt, über mehr qualifizierte Arbeitnehmer zu verfügen, kann nicht ausgeschlossen werden, daß ein mögliches Überangebot durch den dann einsetzenden Verdrängungswettbewerb wieder zum Nährboden für neue Lohnspreizungsstrategien

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Percent of Jobs - 'Unskilled'

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nur unter anderen Vorzeichen wird. Diese Diskussion ist in den USA noch nicht ausgestanden.

Dennoch zeichnet sich ein Konsens ab, daß eine Qualifizierungsoffensive ein weitere politischer Ansatzpunkt sein kann, um den Lohnspreizungstrend anzuhalten und das Tempo der fortschreitenden sozialen Ungleichheit zu drosseln. Die US-Regierung ist heute eher bereit als in früheren Zeiten, mehr Investitionen in Qualifizierung und Ausbildung zu tätigen. Dabei soll vor allem ein regionalspezifischer Ansatz verfolgt werden. Arbeitnehmer sollen diejenigen Qualifikationen erwerben, die in ihrer Region auch nachgefragt werden und ihnen dort Zukunftschancen bieten. Die Amerikaner wollen deshalb vom deutschen Ausbildungssystem noch etwas lernen. Das deutsche Modell soll Pate für die Vernetzung von schulischer und betrieblicher Ausbildung stehen. In einem Pilotprojekt zwischen den Städten Koblenz und Austin (Texas) wird dies bereits erstmals erprobt.

Bei allen Vorhaben, negative Folgen von Lohnspreizungen abzufedern oder diese selbst etwas zurückzuholen - durch Qualifizierung oder die Einführung wohlfahrtsstaatlicher Instrumente - können die USA allerdings nicht einfach deutsche, dänische oder niederländische Konzeptionen übernehmen. Die Amerikaner haben nicht nur ein sehr großes Land, sondern ihre Gesellschaft ist auch sehr heterogen. Eigenständige Konzepte sind demnach vonnöten - wie auch in Europa, wo das amerikanische Gesellschaftskonzept nicht einfach kopiert werden kann, zumal das „US-Vorbild" doch etwas entzaubert werden mußte.

Ob das britische Modell mehr Kopiermöglichkeiten als das amerikanische bietet, wird nunmehr untersucht werden.

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2.2 Das Beispiel Großbritannien: Lohnpolitik als europäische Inselstellung

In den siebziger Jahren war die Lohnspreizung in Großbritannien noch mit derjenigen von Deutschland oder den Niederlanden vergleichbar. Großbritannien ist heute auf dem Gebiet der Lohndifferenzierung auf dem „halben Weg" zwischen Deutschland und den USA. Wer allerdings im Falle Großbritanniens hofft, endlich einen positiven Befund zur beschäftigungsförderlichen Wirkung von Lohnspreizung zu bekommen, wird aufgrund von den Vergleichsdaten der OECD wieder einmal enttäuscht werden:

Die Daten illustrieren wiederholt, daß sowohl Länder mit geringer (wie z.B. Dänemark) als auch mit ausgeprägter (wie eben die USA) Lohnspreizung höhere Beschäftigungsraten aufzeigen. Dagegen erzielen Länder mit „dekomprimierter" Lohnstruktur, die derjenigen Großbritanniens vergleichbar ist, im Verhältnis zur britischen nur eine geringe Beschäftigungsquote. Diese Betrachtung hilft demnach nicht viel weiter, um britische Beschäftigungserfolge zu erklären.

Im Grunde liefern auch nicht die Spreizungen zwischen Un- und Hochqualifizierten das Material, um die Unterschiede zwischen Deutschland und Großbritannien zu verstehen. In beiden Ländern verdienen z.B. die Hochschulabsolventen etwa mehr als zweimal soviel wie unqualifizierte Arbeitnehmer. Hier ist die Verteilung in den beiden Ländern doch recht ähnlich. Allerdings fällt in Großbritannien die Spreizung

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Tabelle 10: Wage dispersion and employment rates in the OECD, 1996

innerhalb von Berufs- bzw. Ausbildungsgruppen höher aus als in Deutschland.

Die britische Lohndifferenzierung ist also vor allem eine, die innerhalb der Qualifikationsgruppen stattgefunden hat und zwar sowohl zwischen den besser und schlechter bezahlten Hochqualifizierten als auch zwischen den besser und schlechter bezahlten Unqualifizierten. Dies macht den Unterschied zu Deutschland aus. Anders als in den USA brauchten die Geringqualifizierten allerdings keine Einschnitte in ihrem Reallohnzuwachs hinzunehmen, sondern in den letzten zwanzig Jahren sind die unteren Einkommen kontinuierlich gestiegen.

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Tabelle 11: Wage differentials by education attainment, 1996

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Wie sind die britischen Verhältnisse erklärbar? Einmal mehr liefern die politischen Gestaltungsmuster einen Ansatz, um zu erkennen, welche Rahmenbedingungen zu welchem Ergebnis auf dem Feld von Lohn und Beschäftigung führen.

Schon in den achtziger Jahren zielte die britische Politik explizit darauf ab, das Lohngefüge auszudifferenzieren. Zu diesen Politiken gehört etwa der Vorstoß der konservativen Regierung, die Entgelte für junge Arbeitnehmer bzw. Arbeiter zu senken sowie das Experiment, den gesetzlichen Schutz von Mindestlöhnen aufzugeben. Diese Unterfangen, die Beschäftigung durch Lohndifferenzierungen, d.h. Lohnsenkungen für bestimmte Zielgruppen zu verbessern, blieben in bezug auf die Beschäftigungsperformance weitgehend erfolglos. Die Lohnsenkungen erhöhten die Beschäftigungsrate junger Arbeitnehmer nicht und die Erosion von Mindestlöhnen führte zu keinem wesentlichen Beschäftigungserfolg bei geringqualifizierten und niedrigentlohnten Arbeitnehmern. Andere Maßnahmen der achtziger Jahre, wie die Privatisierung von Staatsunternehmen und die Abschaffung von Unternehmenssubventionen haben - mehr nichtintendiert - viel eher dazu beigetragen, die Lohnunterschiede zu vergrößern und im gleichen Atemzug das Beschäftigungsvolumen zu steigern.

Aber auch makroökonomisch bewegte sich anfang der neunziger Jahre in Großbritannien etwas. Unter den Wissenschaftlern bestand damals Konsens, daß die zu diesem Zeitpunkt hohe Arbeitslosenquote strukturell bedingt ist. Die Regierung blieb deshalb aber nicht untätig, sondern verfolgte eine expansive Geldpolitik mit dem Ergebnis, daß die Arbeitslosenquote überraschend sank. Konventionelle Ökonomen gerieten dadurch in erhebliche Erklärungsnot über ihre Schätzungen zur strukturellen bzw. natürlichen Arbeitslosigkeit. Inflationspolitik kann zwar kein Maßstab für Deutschland bzw. für Europa sein, zeigt aber am Beispiel Großbritannien, mit welchen anderen Politikansätzen Arbeitslosigkeit auch bewältigt werden kann.

In der Frage, wie Beschäftigungserfolge erreicht werden können, sind aber nicht nur politische Schachzüge oder die Lohnspreizung von Bedeutung, sondern vielmehr auch die Frage, wo sie eigentlich überhaupt erzielt werden können.

In Deutschland konnte eine Dienstleistungslücke gesichtet werden. Ein deutsch-britischer Vergleich ergibt nun folgendes:

Deutschland hält ein hohes Beschäftigungsniveau in den traditionellen Sektoren (Landwirtschaft, produzierendes Gewerbe). Im Dienstleistungsbereich ist dagegen Großbritannien stärker vertreten. Maßgeblich sind aber nicht nur das allgemeine Beschäftigungsniveau im Dienstleistungsbereich, sondern auch die Differenzierungen innerhalb dieses Sektors. Im Geschäfts- und Finanzdienstleistungsbereich liegt die Beschäftigung in Großbritannien z.B. höher als in Deutschland. Dieser Sektor zeichnet sich allerdings vor allem durch hochbezahlte Tätigkeiten und qualifizierte Jobs aus. Daran zeigt sich, daß ein allgemeines beschäftigungspolitisches Ziel, das lautet: Schaffung von Arbeitsplätzen im Dienstleistungssektor, zu kurz greifen würde, um das Potential an niedrigbezahlten, einfachen Tätigkeiten zu erhöhen und damit in Deutschland mehr Arbeitsplätze für Un- und Geringqualifizierte zu schaffen.

Um die britischen Verhältnisse noch besser verstehen zu können und daraus ggf. weitere Schlußfolgerungen für Deutschland zu ziehen, sind auch die strukturellen

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Tabelle 12: Employment relative to the working age population, 1995

Entwicklungen auf dem britischen Arbeitsmarkt in den einzelnen Berufsgruppen zu durchforschen.

Der Vergleich der Beschäftigungsanteile in höheren, mittleren und unteren Berufsgruppen ergibt, daß der Anteil im Bereich managerieller, hochprofessioneller und technischer Berufsfelder zugenommen hat. Die sogenannten mittleren Berufsfelder (handwerkliche Tätigkeiten, Büroarbeit etc) haben demgegenüber abgenommen. Im „unteren" Bereich des Arbeitsmarktes ist dagegen relativ wenig passiert. Der Verlust an einfachen Produktionsarbeitsplätzen wurde im Prinzip durch eine Zunahme an Tätigkeiten im Bereich der personenbezogenen Dienstleistungen (z.B. im Pflegebereich) ausgeglichen. Diese erfordern zwar andere Qualifikationen als geringqualifizierte Industriearbeit, aber nicht unbedingt wesentlich höhere und deshalb besser

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Tabelle 13: Changes in the occupational structure of employment, 1984-1998

bezahlte. Das heißt: legt man die britischen Entwicklungen zugrunde, ist ein regelrechter Beschäftigungsboom auch in Deutschland wahrscheinlich nicht zu erwarten. Darauf deutet der Ausgleich innerhalb der Berufsstrukturen auf dem britischen Arbeitsmarkt hin.

Weitere Beobachtungen auf dem britischen Arbeitsmarkt sind aussage- und prognosekräftig:

  • Nicht nachgewiesen werden kann, daß steigende Arbeitslosigkeit besonders die Unqualifizierten trifft, d.h. daß sich die Arbeitslosenzahlen dort eindeutig konzentrieren.
  • Vielmehr verändert der strukturelle Wandel den Arbeitsmarkt. Kohorten von besser qualifizierten, jungen Arbeitnehmern betreten den Arbeitsmarkt und ersetzen weniger qualifizierte, ältere Beschäftigte. 1970 hatten etwa die Hälfte der erwachsenen Arbeitskräfte keine Ausbildung bzw. Qualifikationen. Diese Situation ist heute anders, weniger Arbeitnehmer stehen ohne jedwede formale Qualifikationen da. Daher sind die Arbeitslosendaten von Unqualifizierten im Zeitablauf auch nur schwer vergleichbar. Unklar ist deshalb, ob steigende Arbeitslosigkeit tatsächlich etwas mit der Qualifikation zu tun hat oder einfach nur mit dem Erwerbsalter.
  • Eine hohe Arbeitslosigkeit sagt nach den britischen Erfahrungen auch noch nichts darüber aus, ob Jobs für weniger qualifizierte Arbeitnehmer tatsächlich fehlen.

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    Vielmehr kann der Verdrängungswettbewerb dazu führen, daß Höherqualifizierte aufgrund schlechter Arbeitsmarktchancen Tätigkeiten unterhalb ihres eigentlichen Qualifikationsniveaus annehmen. Ein größeres Kontingent an niedrigqualifizierten Arbeitsplätzen verbessert diese Arbeitsmarktsituation dann nicht entscheidend.

Wenn sich Großbritannien auf dem Gebiet der Lohnspreizung gewissermaßen „in der Mitte" zwischen den USA und Deutschland wiederfindet, dann ist ebenfalls genauer zu untersuchen, wie in Großbritannien mit dem sozialen Problem einkommensschwacher privater Haushalte umgegangen wird. Großbritannien gehört innerhalb der Europäischen Union zu den Ländern mit den höchsten Armutsraten. Angesichts dieser Situation, in der das Arbeitsentgelt bei bestimmten Erwerbstätigkeiten kaum zur Absicherung des Lebensunterhalts ausreicht, wurden in Großbritannien unterschiedliche Instrumente eingesetzt, um die Haushalte zu unterstützen und ihren Lebensstandard zu verbessern. [ In diesem Zusammenhang ist bekanntlich eine Unterscheidung zu treffen zwischen Lohnsubventionen, die an Arbeitgeber mit dem Ziel gezahlt werden, Arbeitsplätze zu schaffen und solchen Subventionen, die als soziale Transferleistung unmittelbar an Haushalte zur Erhöhung des Einkommens gezahlt werden. Die Erfahrungen in Großbritannien zeigen, daß Lohnsubventionen zwar teuer, aber wenig effektiv sind, um mehr Arbeitsplätze für bestimmte Kategorien von Arbeitnehmern zu schaffen.]

Breitere Erfahrungen existieren mit Haushaltssubventionen.

Sie wurden erstmals 1971 eingeführt, also noch vor der Beschäftigungskrise, die der „Ölschock" in vielen Ländern ausgelöst hat. Dieses Transfersystem wurde unter der Thatcher Regierung ausgeweitet. In Großbritannien besteht inzwischen weitgehend Einigkeit darüber, daß solche Transferleistungen in einer Marktwirtschaft unverzichtbar sind. Wieviel Jobs auch immer neu geschaffen werden; für eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Familien wird das Einkommen, das sie auf dem Arbeitsmarkt erzielen können, keinen akzeptablen Lebensstandard garantieren. Eine hohe Anzahl der Bezieher von Transferleistungen sind alleinerziehende Elternteile, die in Teilzeit arbeiten. Ein ebenfalls hoher Anteil von Männern (etwa 40%), die Leistungen beziehen, arbeiten in Berufen aus dem Sektor der personenbezogenen Dienstleistungen. Besonders die Arbeit im anwachsenden Dienstleistungssegment der Pflege bedeutet häufig Teilzeitarbeit, die schlecht bezahlt wird.

Die britische Regierung hat beschlossen, das Transfersystem auszuweiten bzw. besser auszustatten. [ Dabei wird das Wort „Umverteilung" von der britischen Regierung allerdings peinlich vermieden. Der Ansatz soll unter dem Stichwort „Verbesserung von Arbeitsanreizen" politikfähig gemacht werden.] Mit ihm soll den Arbeitnehmern auch die Entscheidung noch mehr erleichtert werden, gering entlohnte Jobs anzunehmen. Mit einigermaßen statistischer Genauigkeit ist zwar noch nicht zu prüfen, ob dadurch tatsächlich neue Arbeitsanreize geschaffen werden. Die ersten Anzeichen sprechen aber dafür, daß diese Subventionen durchaus einen Beitrag leisten können, Arbeitslosigkeit zu überwinden, wenn es sich finanziell rentiert, schlechter bezahlte Jobs oder auch Teilzeitarbeit anzunehmen.

Natürlich können arbeitsanreizorientierte Transfers auch kontraproduktiv wirken. Darin liegt ihr Risiko. Transferunterstützte Arbeit bietet u.U. wenig Anreiz, im betrieblichen Bedarfsfall die Arbeitsstunden zu erhöhen, da die Haushaltssubventionen

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vom höheren Arbeitsentgelt aufgezerrt werden. Scheint also ein Problem ein Lösung nähergekommen zu sein, tritt offenbar sofort das nächste auf. Davon bleiben auch die Briten nicht verschont. Ein alternatives Konzept würde auf eine universellere Unterstützung Einkommensschwacher auf einem sehr hohen Niveau hinauslaufen. Damit könnte das Arbeitsanreizproblem möglicherweise besser gelöst werden. Dies wäre allerdings auch ein sehr teurer Weg, der in Großbritannien nicht gewählt wurde. Subventionen müssen immer finanzierbar bleiben. Auch hier gibt es keinen Königsweg, weder in Großbritannien, genauso wenig in den anderen westeuropäischen Nationen. Die Fallstricke hoher Abgabenlasten sind überall gespannt.

Ein weiteres Beispiel ist in diesem Zusammenhang der Vergleich zwischen Frankreich und Dänemark. In Frankreich sind die Sozialabgaben hoch. In Dänemark liegen sie niedriger, denn die Dänen finanzieren ihren Wohlfahrtsstaat primär über die Einkommenssteuer. Das Resultat des einen Modells unterscheidet sich im Prinzip nicht viel von dem des anderen. Höhere Sozialabgaben senken die französischen Löhne, die Löhne in Dänemark werden durch hohe Einkommenssteuern relativiert. D.h.: in Ländern mit vergleichbarer ökonomischer Entwicklung bestehen im Ergebnis keine großen Wahlmöglichkeiten zwischen den verschiedenen Formen der Besteuerung bzw. Sozialabgaben.

Großbritannien versucht nun, dieses Problem auf dem Wege der Steuerprogression anzugehen. Die verschiedenen Ansätze zeigen aber, daß der Balanceakt zwischen Steuer-, Finanz-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik kein einfacher, sondern ein sehr schwieriger ist.

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2.3 Einige wichtige Lehren aus den internationalen Erfahrungen

Das britische und das amerikanische Beispiel zeigen, wie neue Wege gefunden werden müssen, um Steuerpolitik, Wohlfahrtspolitik und Beschäftigungspolitik zusammenzubringen. Sie zu finden ist allerdings schwierig. Die Bemühung, verschiedene Politikfelder zu verzahnen und im Ziel abzustimmen, Arbeitslosigkeit abzubauen und neue Erwerbschancen für Geringqualifizierte zu erschließen, stößt immer wieder auf neue Klippen. Wenn ein Problem in einem Politikbereich scheinbar gelöst ist, stellt sich offenbar rasch das nächste im anderen Politikbereich ein. Aus den internationalen Erfahrungen ist ebenfalls abzulesen, daß es jedesmal gilt, die nationalen Rahmenbedingungen, Strukturen und ihre Zusammenhänge einzukalkulieren.

In Deutschland schließt z.B. schon eine Rahmenbedingung eine simple eins-zu-eins Übertragung der vorgestellten ausländischen Modelle aus. Überlegungen zur Umgestaltung der deutschen Lohnstruktur können den Wiedervereinigungsprozeß und seine Folgen nicht ausklammern, denn sie wirken bis heute nach. Dies wird allzu leicht übersehen. Noch in den achtziger Jahren war die Abgabenbelastung in Westdeutschland relativ stabil, die Arbeitslosenquote leicht rückläufig und die Beschäftigung ansteigend. Diese Situation hat sich durch die Wiedervereinigung in den neunziger Jahren verändert. Die national-historischen, ausländischen Entwicklungen und Erfahrungen bieten daher für Deutschland nur eine sehr begrenzte Orientierungsmöglichkeit.

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Die Vergleiche zwischen den amerikanischen, britischen sowie kontinentaleuropäischen Lohnstrukturen und ihrer Rahmenbedingungen, unter denen sie entstanden sind, haben auf der Basis einer breiten und differenzierten Datenbasis bewiesen, daß Beschäftigungserfolge nicht monokausal auf Lohnhöhe und Lohnspreizungen zurückzuführen sind, sondern in einem viel größerem Ausmaß von makroökonomischen und politischen Faktoren abhängen. Das heißt für Deutschland, daß an der Lohnstruktur nicht allzu viel festgemacht werden darf und der Zuversicht, stärkere Lohnspreizung hätte ausgesprochen gute Beschäftigungseffekte, mit gebotener Vorsicht zu begegnen ist. Sie könnte überzogen sein und hinterher zu Enttäuschungen führen.

Wenn in den USA die Qualifizierungsproblematik als Höherqualifizierungsziel begriffen wird, liegt hier ein weiterer Ansatzpunkt, aus internationalen Erfahrungen Lehren zu ziehen und das deutsche Modell der Qualifizierung neu zu diskutieren. Ein Qualifizierungsansatz, der amerikanische, aber z.B. auch dänische Erfahrungen auswertet, sollte danach besser auf eine Strategie zum Erhalt und zur Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit setzen. Die Höherqualifizierung von Arbeitnehmern ist zwar darin eingebettet, aber sie ist nicht der einzige strategische Baustein.

Arbeitsmärkte leben von Austauschprozessen. Das hat das britische Beispiel gezeigt. Der Austausch verändert das Beschäftigungsvolumen nur wenig. Er beinhaltet aber nicht nur die Ablösung von alten durch jüngere Arbeitnehmer. Qualifikationen veralten in Zeiten rascher technologischer Veränderungen in einem sehr rasanten Tempo. Die betroffenen Beschäftigten werden freigesetzt und Unternehmen kaufen am Arbeitsmarkt neue Qualifikationen, neue Arbeitnehmer ein. [Fn.1: Dieser Austauschprozeß findet z.B. besonders in den Wachstumsmärkten der Informationstechnik, Telekommunikation und Finanzwesen statt.]

Der Austauschprozeß erfordert daher eben nicht nur eine Höherqualifizierung zu einem bestimmten Zeitpunkt, sondern vielmehr eine Methode, mit der die Beschäftigungsfähigkeit permanent erhalten werden kann. Dänemark setzt beispielsweise nicht allein auf die Höherqualifizierung von Arbeitskräften. Die Beschäftigungsfähigkeit soll mit einem gewissermaßen Rotationsprinzip zwischen Beschäftigungs-, Qualifizierungs- und Weiterqualifizierungszeiten verbessert werden. Dieses Konzept schließt die Integration von Arbeitslosen in die Wirklichkeit des Erwerbslebens ein, um Qualifikationen arbeitsweltnah zu erwerben. Dieser integrierte Ansatz von Beschäftigung und Qualifizierung außerhalb und in der Arbeit wird im Extremfall (Verweigerung durch die Betroffenen) auch mit Sanktionen (Kürzung oder Wegfall von Sozialleistungen) verknüpft, bietet Arbeitslosen dafür aber eine Chance, mit staatlicher Förderung neues Wissen auf der betrieblichen Ebene zu erwerben.

Ein solcher, integrierter Ansatz könnte auch in Deutschland noch mehr Schule machen. Wenngleich die USA das deutsche schulische und betriebliche Ausbildungssystem manchmal mit Bewunderung registrieren, ist das deutsche Modell aber offenbar nicht ganz so erfolgreich wie seine Außenansicht vielleicht suggeriert. Wäre das System makellos und effektiv, würde das Problem der Ausgliederung bzw. Verdrängung von Geringqualifizierten aus dem Arbeitsmarkt wahrscheinlich in der heutigen Form so nicht existieren.

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Mit einer integrativen Qualifizierungsoffensive, die die Beschäftigungsfähigkeit sichert, wird der Arbeitsmarkt wahrscheinlich aber noch nicht entlastet. Ohne zusätzliche Beschäftigung, ohne neue Berufs- und Tätigkeitsfelder läuft sie möglicherweise ins Leere. Die Herausforderung ist mindestens ein zweifache.

Eine weitere kommt hinzu. Die internationalen Erfahrungen sowie die deutschen Situationsanalysen zeigen, daß noch mehr überdacht und getan werden muß.

Die soziale Integration über Erwerbsarbeit ist ein wichtiger Faktor für den sozialem Zusammenhalt einer Gesellschaft. Daher gilt es auch Anreize zu setzen und den Übergang von Sozialsystemen in den Arbeitsmarkt bzw. in reguläre Beschäftigung zu fördern. Dahinter verbergen sich aber einige Problemstellungen. Ist arbeiten um jeden Preis das richtige? Ist also jeder schlechte und gering entlohnte Job besser als überhaupt kein Job? Wollen wir Armut in der Arbeit? Von der Beantwortung dieser Fragen hängt ab, mit welchen Werkzeugen ein Übergang zwischen Sozialsystem und Arbeitsmarkt gestaltet wird. Sicher ist zunächst, daß die Wirtschaft nicht nur die am besten Qualifizierten am Markt einkaufen und die sozialen Folgen der Arbeitslosigkeit von Übriggebliebenen der Gesellschaft überlassen kann, ohne Verständigung darüber, wie sie bewältigt werden. Unklarer ist im Detail aber schon, ob es ein Gebot zur Arbeit wie in anderen Ländern geben und mehr Druck auf Empfänger von Transferleistungen ausgeübt werden soll. Letzteres wäre wiederum nur dann angezeigt, wenn genügend Arbeitsangebote verfügbar sind, die berufliche und finanzielle Perspektive für die Betroffenen bieten.

Über diese Fragen, Konzepte, Modelle und Lösungsansätze muß intensiv diskutiert werden. Dazu sind alle gesellschaftlichen Akteure aufgefordert. Daher soll diese Diskussion im folgenden eröffnet werden.


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