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1. Einführung in das Tagungsthema

Im Mittelpunkt der Tagung „Das Leitbild der multizenrischen Stadt" stand der Begriff des Leitbildes im Spannungsfeld zwischen konkreten, vergleichsweise kurzfristigen Planungsaktivitäten im baulichen Bereich und eher langfristigen Ideen im Sinne eines gesellschaftlichen Konsenses zu allgemeinen Entwicklungsfragen. Beide Ebenen sollten nach Ansicht des Moderators bei der aktuellen Leitbilddiskussion berücksichtigt werden.

Der Begriff der „multizentrischen Stadt" umfaßt die „alten" und „neuen" Bereiche der Kernstädte, also historische Stadtkerne und Cities, innenstadtnahe gründerzeitliche Stadtteile mit ihren Zentren sowie die meist im kernstädtischen Randbereich gelegenen Großwohnsiedlungen. Der Begriff des Zentrums wird allgemein zunächst als „Stadtzentrum, „Innenstadt", „City" oder „Stadtkern" verstanden, umfaßt allerdings auch die hierarchische Stellung einer Stadt innerhalb eines Zentrenkonzeptes mit seinen unterschiedlichen Funktionszuweisungen.

Als gegenwärtig größtes Problem sowohl der Innenstädte in ihrem unmittelbaren stadträumlichen Kontext als auch der städtischen Zentralität in einem größeren räumlichen Zusammenhang wurde die Abwanderung einstmals originärer City-Funktionen in Stadtrand- bzw. periphere Räume thematisiert. Die Ansiedlung von Factory Outles Centers als Konkurrenzfaktor für innerstädtischen Einzelhandel auf der „Grünen Wiese" stellt den neuesten Trend dieser Entwicklung dar.

Angesichts des Ausmaßes gegenwärtiger Suburbanisierungsprozesse - getragen von Einzelhandel und Dienstleistungen bzw. Arbeitsplätzen sowie Wohnbevölkerung - kann von einer neuen Qualität der „Standortmobilität" gesprochen werden, die nicht zuletzt aufgrund der Entwicklungen im Bereich der digitalen Vernetzung möglich geworden ist und in weit größerem Zusammenhang ein Element der Globalisierung ist.

Die neu entstehenden Räume - Zentren ohne herkömmliche Zentrumsmerkmale, die mit verschiedenen Begriffen wie „Zwischenstadt" (Sieverts) oder „edge cities" (Garreau) zu beschreiben versucht werden - werfen die Frage auf, ob es sich bei ihnen um eine neue Form des Städtischen oder eher eine Weiterentwicklung des ländlichen Raumes handelt. Angesichts dieser Unklarheit und des Problems der zunehmenden „Verödung" der Innenstädte stellt sich

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die Frage, inweit ein neues (städtebauliches) Leitbild notwendig und in der Lage ist, diese negativ bewerteten Tendenzen der Stadtentwicklung positiv zu beeinflussen.

Das Leitbild des modernen Städtebaus kann nach Ansicht des Moderators als Antithese zur Stadt des 19. Jahrhunderts bezeichnet werden, die - von einem mittelalterlichen Stadtkern ausgehend - sich konzentrisch zu ihren Rändern entwickelte. Diese Ausdehnung in „Wachstumsringen" fand ihre Grenze in der nicht mehr beherrschbaren Quantiät und den zunehmenden sozialen Problemen des Stadtwachstums. Suburbanisierung, das Verlassen der Stadt als „Stadtflucht", war eine Reaktion auf diese Entwicklungen. Sie basierte auf der Entwicklung (öffentlicher) Verkehrsmittel und setzte den Beginn einer dezentralen bzw. multizentrischen Stadtentwicklung.

Basierend auf den die europäische Stadtentwicklung dieses Jahrhunderts prägenden Leitbildern der „klassischen Moderne", der „gegliederten und aufgelockerten Stadt" (Göderitz, Rainer, Hoffmann, 1957) sowie der „Urbanität durch Dichte" differenzierten sich städtische Funktionen wie Wohnen, Arbeiten, Versorgung, Erholung zunehmend räumlich voneinander getrennt aus.

Traditionell haben Raumordnung und Landesplanung in Deutschland einen nur vergleichsweise geringen Einfluß auf die Stadtentwicklung (vgl. Art. 28 GG). Der historische Führungsanspruch der Stadt gegenüber ihren Peripherien bzw. interkommunale Konkurrenz der (Wirtschafts-) Standortentwicklung konterkarieren die raumordnungspolitischen Grundideen Christallers. Gleichzeitig scheinen die kommunalen Steuerungsmöglichkeiten unternehmerischer Interessen kontinuierlich abzunehmen, da betriebliche Standortanforderungen an den Raum zunehmend weniger von „Zentralität" bestimmt werden (vgl. das Beispiel der „Advance-Bank", deren Zentrale sich aufgrund digitaler Vernetzungsmöglichkeiten in dem strukturschwachen, peripheren Raum Wilhelmshaven mit seinen für das Unternehmen günstigen Voraussetzungen - u.a. „billiges", aber hochqualifiziertes Arbeitskräfteangebot - angesiedelt hat. Staatlich-hoheitliche Aufgaben wie die Daseinsvorsorge scheinen zunehmend (privat-) wirtschaftlichen Interessen zu weichen, die damit immer mehr zum Motor der Stadt-entwicklung werden.

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Parallel zu den umfangreichen Suburbanisierungsprozessen - wenn auch in weitaus kleinerem Ausmaß - läßt sich ein Trend zur Rückwanderung in die Innenstädte zumindest unter einkommensstarken, gut verdienenden Bevölkerungsgruppen beobachten, die besonderen Wert auf innerstädtische Kulturangebote und Kommunikationsdichte außerhalb elektronischer Netze legen („young urban professionals - YUPPIES" und „double-income-no-kids - DINKS").

Angesichts dieser neuen Rahmenbedingungen für Stadtentwicklung erscheint die Formulierung eines neuen städtebaulichen Leitbildes als äußerst schwierig, zumal es sich - wie der Moderator ausführte - bei bisherigen Leitbildern stets um retrospektive Beschreibungen von Trends nach Abklingen ihrer jeweiligen Aktualität gehandelt habe. Ein räumliches Leitbild sei heute nicht mehr festschreibbar. Statische räumliche und funktionale Ordnungsvorstellungen müßten vielmehr der genauen Beobachtung und dem Management aktueller Entwicklungen und Prozesse weichen.

Als zentrale Aufgabe der Stadtentwicklungspolitik wurde - angesichts gegenwärtig zu beobachtender Entwicklungen und trotz Hinterfragung des Wertes städtebaulicher Leitbilder - die Stabilisierung (inner-) städtischer Zentralität, insbesondere des Einzelhandels, formuliert.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | April 2001

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