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[Seite der Druckausgabe: 23]

Ingo Schmidt

3. Koordinierung der Wettbewerbspolitik in der Europäischen Union und weltweit



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3.1 Notwendigkeit einer internationalen Koordinierung der Wettbewerbspolitik

Wolfgang Kartte, der Ex-Präsident des Bundeskartellamtes, hat im Hinblick auf die Schwierigkeiten, den internationalen Mineralölkonzernen Preisabsprachen nachzuweisen, die möglicherweise in Rotterdam oder außerhalb der EU vereinbart worden sind, sich aber unmittelbar auf den deutschen Markt auswirken, davon gesprochen, daß unsere Kanonen nur bis Aachen schießen.

Angesichts einer fortschreitenden Globalisierung werden die Instrumente der nationalen Wettbewerbspolitik immer stumpfer. Die Erfassung grenzüberschreitender Wettbewerbsbeschränkungen stößt sowohl auf rechtliche als auch auf tatsächliche Schwierigkeiten. Dies beginnt mit den begrenzten Möglichkeiten zur Sachverhaltsermittlung gegenüber Unternehmen, die keine Tochtergesellschaft im Inland haben, deren Verhalten sich aber wettbewerbsbeschränkend im Inland auswirkt. Die Zustellung von kartellbehördlichen Verfügungen oder gar die Zwangsvollstreckung im Ausland sind nur im Rahmen internationaler Abkommen möglich, d.h. grenzüberschreitende Probleme können auch im Wettbewerbsrecht nur grenzüberschreitend gelöst werden. Auch wenn die sogenannte Globalisierung sowohl dazu führen kann, daß dominante Positionen entstehen, als auch daß der Wettbewerb durch das Eindringen von Newcomern belebt wird, so bedarf die Politik der Globalisierung einer staatlichen Kontrolle, um auch hier die schwarzen von den weißen Schafen zu trennen.

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3.2 Ansätze für eine internationale Wettbewerbspolitik

Im Hinblick auf eine Erfassung internationaler Wettbewerbsbeschränkungen stehen drei Ansätze zur Diskussion: [Dieter Fritz-Aßmus: Zum Ordnungsrahmen einer internationalen Wettbewerbspolitik, in: Die Ordnung des Welthandels, Hrsg. Dieter Fritz-Aßmus und Egon Tuchtfeldt, Bern u.a. 1997, S. 207 ff].

  • das sogenannte Auswirkungsprinzip mit extraterritorialer Rechtsanwendung;
  • das Kooperationsprinzip mit bilateral-vertraglichen Vereinbarungen der Nationalstaaten bzw. nationalen Kartellbehörden sowie
  • das Koordinierungsprinzip des Wettbewerbs auf einer supranationalen Ebene.

1. Das Auswirkungsprinzip (effects docthne)

Die effects doctrine, wie sie in § 98 abs. 2 GWB gF kodifiziert sind, stellt auf die Auswirkungen einer Wettbewerbsbeschränkung ab, dagegen nicht auf den Ort, wo

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die Wettbewerbsbeschränkung veranlaßt wird (Preisabsprache von zwei Astronauten im Weltall, die sich in Deutschland oder der EU auswirkt). Dabei wird die extra-territoriale Anwendung nationalen Wettbewerbsrechts beansprucht, d.h. das nationale Wettbewerbsrecht wird auch auf solche Unternehmen angewendet, die an und für sich unter den Geltungsbereich ausländischen Rechts fallen.

Im Rahmen dieser Strategie wird der Wettbewerb um die beste Wettbewerbspolitik weitgehend aufrechterhalten - daher das Argument, daß die Wettbewerbsgesetze großer Industriestaaten schon heute ausreichend seien, um internationale Wettbewerbsbeschränkungen zu erfassen. Jedoch werden gegen diese Strategie drei grundsätzliche Einwände erhoben:

  • Das Völkerrecht mit dem Nicht-Einmischungsprinzip in fremde staatliche Angelegenheiten setzt der extraterritorialen Rechtsanwendung Grenzen.
  • Grenzüberschreitende unternehmerische Aktivitäten und Verhaltensweisen werden vor dem Hintergrund zum Teil sehr unterschiedlicher nationaler Gesetze beurteilt, so daß Handelskonflikte und politische Kollisionen unvermeidlich sind (vgl. den Fall Boeing/McDonnell Douglas).

2. Das Kooperationsprinzip

Wenngleich das Auswirkungsprinzip im Hinblick auf die Aufrechterhaltung des Wettbewerbs zwischen verschiedenen wettbewerbspolitischen Ordnungen Vorteile bietet, so hat es doch den gravierenden Nachteil, daß kein funktionsfähiges Regelwerk für die Erfassung internationaler Wettbewerbsbeschränkungen besteht. Im Rahmen des Kooperationsprinzips geht es darum, zweiseitige vertragliche Vereinbarungen zwischen den Staaten und ihren Wettbewerbsbehörden zur Erfassung grenzüberschreitender Sachverhalte zu schließen. Diese Politik ist in der Vergangenheit insbesondere von seiten der USA in Abkommen mit verschiedenen Handelspartnern verfolgt worden (u.a. 1976 und 1987 mit Deutschland sowie 1991 mit der EU). Allerdings zeigt die Erfahrung, daß auch zwischen kooperierenden Ländern angesichts unterschiedlicher wettbewerbspolitischer Leitbilder und Vorstellungen und - last but not least - unterschiedlicher ökonomischer Interessen eine einvernehmliche Beurteilung wettbewerblicher Sachverhalte nur schwer zu erreichen ist (vgl. den bereits zitierten Fall Boeing/McDonnell Douglas). Internationale Abkommen schaffen zudem nur soft law, was die Wirkung derartiger Abkommen sehr stark begrenzt.

3. Das Koordinierungsprinzip

Angesichts der Unzulänglichkeiten des Auswirkungs- und Kooperationsprinzips wird in den letzten Jahren zunehmend die supranationale Koordinierung der Wettbewerbsrechte, d.h. die Schaffung eines Welt-Wettbewerbsrechts, diskutiert. Darunter ist die Schaffung eines international verbindlichen Wettbewerbsrechts zu verstehen, womit gleichzeitig eine Einschränkung der wettbewerbspolitischen Souveränität der daran teilnehmenden Staaten verbunden ist.

Das Koordinierungsprinzip wird in zwei Varianten diskutiert:

  • Schaffung von verbindlichen Gemeinschaftsnormen, die für alle Mitgliedstaaten unmittelbar geltendes Recht sind, oder
  • Harmonisierung der Wettbewerbspolitik, wobei das nationale Recht bestehen bleibt, jedoch sogenannte Mindeststandards im Rahmen der Abkommen festge-

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    legt werden (d.h. Prozeß einer allmählichen Angleichung, wie wir es im Rahmen der OECD erlebt haben).

Das wichtigste Beispiel für eine supranationale Koordinierung des Wettbewerbsrechts sind die Europäische Union und der Vorschlag eines International Antitrust Code aus dem Jahre 1993, auf die beide unten eingegangen wird.

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3.3 Ansätze für eine internationale Kartellgesetzgebung

1. Havanna Charta 1947

Nach dem Ende des 2. Weltkrieges sollte durch die Gründung internationaler Organisationen ein Beitrag zur Schaffung einer neuen Friedensordnung geleistet werden. Neben die UNO als politische Organisation sollte auf wirtschaftlicher Seite die International Trade Organization (ITO) treten. Das auf der Havannakonferenz 1947/48 ausgearbeitete Dokument behandelte sowohl die Geld- als auch die Güterseite der internationalen Wirtschaftsbeziehungen. Von der geplanten ITO wurden im monetären Bereich das Bretton-Woods-System mit der Weltbankgruppe und dem Internationalen Währungsfond geschaffen, staatliche Beschränkungen des Güteraustausches wurden von dem General Agreement on Tariffs and Trade (GATT) realisiert. Kapitel V der sogenannten Havanna Charta, das ein internationales Kartellrecht enthielt, wurde dagegen von den Mitgliedstaaten nicht ratifiziert und damit nicht in Kraft gesetzt.

Die Bemühungen des Wettbewerbskomitees der OECD und der UNCTAD sind über bloße Empfehlungen nicht hinausgediehen (vgl. z.B. die Empfehlungen der OECD von 1967 über die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten auf dem Gebiet wettbewerbsbeschränkender internationaler Praktiken oder der Code of Good Behavior für multinationale Unternehmen von 1976 bzw. 1992 Entwurf eines kartellrechtlichen Modellgesetzes für Entwicklungsländer durch die UNCTAD).

2. Das Wettbewerbsrecht der Europäischen Union

  1. Art. 85 und 86 EGV erfassen horizontale und vertikale Absprachen mit einer Freistellungsmöglichkeit im Einzelfall und durch Gruppenfreistellungen und Verbot des Mißbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung. Abgrenzungskriterium gegenüber dem nationalen Kartellrecht ist die sogenannte Zwischenstaatlichkeitsklausel, d.h. die Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten.

  2. Durch die europäische Fusionskontrolle VO erfolgt eine klarere Abgrenzung der nationalen und supranationalen Kompetenzen mit Hilfe von absoluten Aufgreifkriterien (Art. 1 FKVO), womit Zusammenschlüsse von gemeinschaftsweiter Bedeutung i.S. dieser Verordnung erfaßt und definiert werden. Diese Abgrenzung mit Hilfe von Umsatzkriterien dient der Rechtssicherheit und führt dazu, daß nur Großfusionen unter die - im Ergebnis relativ milde - europäische Fusionskontrolle fallen, während kleinere Zusammenschlüsse der nationalen, vielfach schärferen Fusionskontrolle unterliegen.

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3. Das Wettbewerbsrecht der EFTA
Die EFTA ist 1960 errichtet worden. Ihr gehören derzeit noch vier Staaten an (Schweiz, Norwegen, Island und Liechtenstein); früher waren auch England, Dänemark, Schweden, Finnland, Portugal und Österreich EFTA-Mitglied (bis zu ihrer Mitgliedschaft in der EU). Die Wettbewerbsregeln der EFTA betreffen ein Verbot bestimmter Subventionen, das Verbot wettbewerbsbeschränkender Absprachen, Antidumping-Bestimmungen, Vorschriften hinsichtlich des öffentlichen Auftragswesens sowie Einschränkungen der Diskriminierungsmöglichkeiten im Zusammenhang mit dem Niederlassungsrecht. Es gibt keinen EFTA-Gerichtshof, vielmehr fungiert der EFTA-Rat als Streitschlichtungsinstanz.

Am 1.1.1994 ist das Abkommen über den europäischen Wirtschaftsraum (EWR) zwischen der EU und den drei EFTA-Staaten Norwegen, Liechtenstein und Island in Kraft getreten. Art. 108 Abs. 2 EWR sieht die Errichtung eines Gerichtshofes vor, der für die entsprechende Anwendung der Art. 85 und 86 EGV sowie der europäischen Fusionskontrolle zuständig ist.

4. Der International Antitrust Code (IAC, München 1993)
Der IAC ist unter Federführung des Max-Planck-lnstituts für Internationales Recht in München von einer internationalen Gruppe von Professoren des Wirtschaftsrechts erarbeitet und 1993 dem Generaldirektor des damaligen GATT vorgelegt worden. Der Entwurf beschränkt sich auf die Erfassung der traditionellen privaten Wettbewerbsbeschränkungen wie Kartelle, Fusionen und den Mißbrauch marktbeherrschender Stellungen, soweit sie grenzüberschreitend wirken. Der Entwurf wird durch fünf Grundsätze bestimmt:

  • Die nationalen Wettbewerbsgesetze sollen prinzipiell bestehen bleiben, Souveränitätsverzichte müssen nicht geleistet werden.
  • Nur grenzüberschreitende Fälle werden in der internationalen Regelung erfaßt.
  • Es gilt das Prinzip der sogenannten Inlandsbehandlung, d.h. ausländische Verstöße werden inländischen Verstößen gleichgestellt und nach Inlandsrecht behandelt (wie bei der effexts of doctrine).
  • Es werden lediglich generell verbindliche Mindeststandards festgelegt, hinter denen die nationalen Kartellrechte nicht zurückstehen sollen.
  • Eine internationale Kartellbehörde soll das Recht erhalten, vor nationalen Behörden und Gerichten ein sonst unterbliebenes Verfahren nach nationalem Recht einzuleiten. Im Konfliktfall soll ein Antitrust-Panel nach einem Streitschlichtungsverfahren entscheiden.

Interessant ist bei diesem Weltkartellrecht, daß unterschiedliche wettbewerbspolitische Konzeptionen und Leitbilder unter einen gemeinsamen institutionellen Rahmen gebracht werden sollen.

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3.4 Ordnungsrahmen für internationale Wettbewerbspolitik

Im Hinblick auf die Zuständigkeit und Durchsetzung einer internationalen Wettbewerbspolitik werden zwei konträre Vorschläge im Hinblick auf die Verteilung der Kompetenzen (d.h. Zentralisierung oder Dezentralisierung) diskutiert:[Vgl. Dieter Fritz-Aßmus, a.a.O., S. 215 ff]

  1. Schaffung einer Welt-Wettbewerbsbehörde nach dem Vorbild der Generaldirektion IV in Brüssel oder dem vorgeschlagenen International Antitrust Code. Vorteil der Rechtssicherheit für die betroffenen Unternehmen; Probleme eines einheitlichen Leitbildes, wie sich das bei der Fusionskontrolle in Brüssel bereits zeigt.
  2. Alternative: Bloße Harmonisierung der nationalen Wettbewerbspolitiken und dezentrale Verteilung der Kompetenzen, wodurch ein Wettbewerb um die beste Wettbewerbsordnung gefördert wird (sogenannter Systemwettbewerb). Dieser Ansatz läßt sich dahingehend charakterisieren, daß die Vorteile der Harmonisierung genutzt, die Kompetenzen jedoch dezentral verteilt werden.


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3.5 Realisierungschancen einer internationalen Wettbewerbsordnung

Im Hinblick auf die politische Durchsetzbarkeit sollte eine internationale Wettbewerbsordnung nur mit Mindeststandards arbeiten und nur grenzüberschreitende Sachverhalte nach dem Auswirkungsprinzip regeln. Das hätte den Vorteil, daß die nationale Souveränität der an einem Abkommen beteiligten Länder nur in einem geringen Maße eingeschränkt werden würde. Offen wäre die Frage, inwieweit auch Fusionen erfaßt werden sollten.

Die WTO in Genf wird allgemein als der geeignete institutionelle Rahmen dafür angesehen, zumal in der WTO bereits ein Schlichtungsverfahren vorgesehen ist, das mit festgelegten Fristen, einem institutionalisierten Schiedsgericht und einer Berufungsinstanz arbeitet.[Vgl Dieter Fritz-Aßmus und Egon Tuchtfeld: Die Ordnung des Welthandels, a.a.O., S. 26 f] Damit würde die traditionelle internationale Handelsordnung im Rahmen des GATT bzw. der WTO durch eine internationale Wettbewerbsordnung ergänzt, wie dies die Havanna Charta bereits 1947 vorgesehen hatte. Diese Auffassung wird auch von Karel van Miert unterstützt (Vortrag am 21. April 1998 vor der WTO).

Literaturhinweise:

Wolfgang Fikentscher und Andreas Heinemann: Der „Draft International Antitrust Code" - Initiative für ein Weltkartellrecht im Rahmen des GATT, in: WuW 1994, S. 94 ff

Henning Klodt: Internationale Regeln für den Wettbewerb, in: Wirtschaftsdienst 1995, S. 556 ff


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | August 1999

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