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5. Forschungs- und Entwicklungspolitik am Beispiel Polen:
Entwicklung, Institutionen und Finanzierung


Ein Professor des Westinstituts in Poznan berichtete, daß Polen vor 1989 seine eigene Forschungs- und Entwicklungspolitik nur in einem sehr begrenzten Ausmaß verfolgen konnte. Dies ergab sich aus der spezifischen Verteilung der Aufgaben im Rahmen des RGW (Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe). Moderne Technologien zu entwickeln, reservierte sich die Sowjetunion für sich und ihrem treuen Verbündeten DDR. Die Arbeitsteilung im RGW sah vor, daß Polen sich auf die FuE-Arbeiten für die Modernisierung der Steinkohle (Gewinnung und Verarbeitung), der Schwefelsäureproduktion sowie des Schiffbaus zu spezialisieren hatte.

Jede Abweichung von der vorgesehen Rolle wurde sofort korrigiert, wie ein Beispiel aus dem Bereich Computertechnik illustriert. In den sechziger Jahren begann man im Breslauer ELWRO-Werk, eine eigene originelle Computertechnik zu entwickeln und zu dieser Zeit als qualitativ gut eingestufte Geräte "Odra 2000" herzustellen. Polen mußte Jedoch aufgrund des politischen Drucks aus Moskau auf weitere Forschungen zugunsten der DDR und einem dort initiierten Entwicklungsprogramm der Computertechnik "Robotron" verzichten.

Die polnische FuE-Politik war stark zentralisiert und wurde vom Staat finanziert. Für jeden Wirtschaftssektor gab es ein besonderes Ministerium, das sich mit seinem eigenen FuE-lnstitut profilieren wollte. Mitte der siebziger Jahre wurden Institute und Forschungsstellen ausgegliedert und erhielten eine spezielle rechtliche Struktur als Forschungs- und Entwicklungseinheiten (JBR). Anfang der siebziger Jahre hatte es 300 solcher Einrichtungen gegeben. Die seien jedoch gemessen an den Bedürfnissen

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des Landes zu viele gewesen, erklärte der Referent vom Westinstitut Poznan. Die Koordinierungsfunktion der FuE-Arbeiten wurde der Polnischen Akademie der Wissenschaften und ihren Forschungsinstituten sowie dem Ministerium für (Hoch-) Schulwesen zugewiesen. Die Kontrolle über die Gesamtheit der Forschungen und ihre einzelnen Richtungen wurde vom Zentralen Planungsamt ausgeübt.

Die meisten Ergebnisse der Forschungs- und Entwicklungsergebnisse überstiegen trotz hoher Aufwendungen jedoch nicht das Niveau eines Prototyps oder einer Projektphase. Es stellte sich als grundsätzliches Defizit heraus, daß die Forschungsaktivitäten in kein konkretes entwicklungspolitisches Konzept eingebettet waren. In der Praxis erhielten die FuE-Einheiten, die konkrete Projekte für Industrie oder Landwirtschaft bearbeitet hatten, zwar hohe staatliche Auszeichnungen und Preise, dennoch wurden diese Projekte in der Regel nicht umgesetzt.

Wissenschaftler wurden auf diese Weise demotiviert, und viele emigrierten in westliche Länder, wo sie ihre Fähigkeiten weiterentwickeln konnten. Maschinen, Anlagen und Waren mit Aufschrift "Made in Poland" waren auf den Weltmärkten nicht konkurrenzfähig. Lediglich ein polnisches Patent (von Prof. Ruta) in bezug auf die Methode des Kaltschmiedens der Gelenkwellen für Schiffsantrieb wurde weltbekannt und u.a. von Japan und USA angekauft. Einen guten Ruf hatten auch die Maschinen für Steinkohlenbergbau, die in Gleiwitz hergestellt wurden.

Seit 1990 vollzogen sich infolge der allgemeinen Transformation der polnischen Gesellschaft auch Änderungen im FuE-Bereich. Die nichtkommunistischen Regierungen beabsichtigten, den Schwerpunkt der FuE-Arbeiten von der bisher ideologisch behandelten Schwerindustrie auf

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diejenigen Wirtschaftssektoren zu verlegen, die für eine Modernisierung des Landes (Telekommunikation, Straßenbau, Petrolchemie, Kläranlagen usw.) ausschlaggebend sind. Der nach 1990 eingeleitete Prozeß blieb jedoch von enormen Schwierigkeiten belastet.

Es mache aber auch wenig Sinn, die Forschungen in den Bereichen zu entwickeln, die international nicht wettbewerbsfähig sind, so der Wissenschaftler des Westinstituts Poznan. Die polnische FuE-Politik seit 1990 weise noch immer zahlreiche Defizite auf. So basiere die Industrieproduktion nach wie vor in großem Maße auf angekauften Lizenzen und wende nur selten polnische wissenschaftlich-technische Konzeptionen an. Die staatlichen Aufwendungen hinsichtlich der Finanzierung der Wissenschaft und des technischen Fortschritts sinken drastisch. Zur Zeit bleiben sie unter einem Prozent des Bruttoinlands-Produktes. Damit wachse die Gefahr, daß sich die Kluft zu den westlichen Ländern vertiefe und hochqualifiziertes Personal emigriere (der „brain drain"-Effekt, der auch aus den Ländern der „Dritten Welt" bekannt ist).

Allerdings habe es auch positive Entwicklungen im Wissenschaftssystem Polens gegeben. So wurden das Finanzsystem des Forschungsbereichs rekonstruiert und die zuständigen Forschungsinstitutionen im Hinblick auf ihre verwaltungstechnischen Aufgaben reorganisiert. Nach neuesten Daten werden ca. 40 % der Forschungen mittlerweile aus Eigenmitteln der Firmen und Konzerne finanziert. Eine ausschlaggebende Rolle in der Finanzierung der wissenschaftlich-technischen Forschungen spielt das Komitee für Wissenschaftliche Forschungen. 1991 begann man damit, die Forschungen nach dem westeuropäischen Muster in Form sogenannter „grants" zu finanzieren. Projekte werden einer strengen Prüfung unterzogen und nur bewilligt, wenn sie schnell eingeleitet werden können.

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Die Forschungsprojekte werden in immer größerem Umfang aus den Mitteln dieses Komitees, wie auch aus den Mitteln verschiedener Stiftungen (z.B. Stiftung für die Polnische Wissenschaft) finanziert. Unter den Regierungsinstitutionen und non governement-Organisationen, die die Forschungen stimulieren, sind zu nennen: das Regierungszentrum für Strategische Studien unter Leitung von Jerzy Kropiwnicki, das Institut für Wirtschaftswissenschaften der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Warschau, das Adam-Smith-Zentrum, das Institut für Forschungen über Marktwirtschaft in Danzig, die Unabhängige Stelle für Wirtschaftsforschungen (NOBE) und das Zentrum für Sozial-Ökonomische Analysen. Eine wichtige Rolle bei der Koordinierung der Forschung in Zukunft könnte das Komitee für Europäische Integration unter Leitung von Ryszard Czarnecki spielen.

Vor dem Hintergrund der fortschreitenden Vernetzung Polens mit der Europäischen Union wies der Wissenschaftler vom Westinstitut Poznan auf die noch immer gravierenden Disproportionen zwischen Polen und den EU-Ländern im Hinblick auf die Zahl der FuE-lnstitutionen sowie bei der Finanzierung und Ergebnisse der FuE-Arbeiten hin. Die EU-Länder geben für den FuE-Bereich (umgerechnet pro Einwohner) durchschnittlich mehr als Polen aus. Sie verfügen über das zwei oder drei mal größere Personal im FuE-Bereich (umgerechnet pro 10.000 Einwohner). EU-Bürger lassen weitaus mehr (12 bis 100mal mehr) Patentgesuche eintragen. Polen wird auch von EU-Ländern mit kleineren Fortschritten im FuE-Bereich wie Spanien, Portugal, Griechenland überflügelt, wobei es den größten Abstand zwischen Polen und Spanien gibt. In den Jahren 1991-1995 waren die FuE-Gesamtausgaben (pro Kopf) in Spanien 6,4 mal größer als in

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Polen. Ebenso war die Zahl der Patente (umgerechnet pro 10.000 Einwohner) 15,9 mal größer als in Polen.

Die polnischen FuE-Gesamtausgaben (pro 10.000 Einwohner) beliefen sich auf folgende Quoten:


1991:

15,2 ECU (in Deutschland 454,3 ECU),

1992:

13,0 ECU (in Deutschland 468,9 ECU),

1993:

14,0 ECU (in Deutschland 488,1 ECU),

1994:

15,0 ECU (in Deutschland 493,1 ECU),

1995:

17,3 ECU (in Deutschland 514,4 ECU, Portugal 47,2 ECU).

Die statistis chen Angaben in bezug auf das polnische FuE-Personal pn 10.000 Einwohner zeigen, daß es im Jahre 1994 nur 20,6 Beschäftigt' gab (in Deutschland (1993) - 58,5), wobei für 1995 allerdings eine leichte Steigerung zu verzeichnen war. Die Ergebnisse im FuE-Bereich, die an häufigsten an der Zahl der ausländischen Patente in Polen gemessen werden, sind für Polen durchweg ungünstig. 1991 betrug die Quote de sog. äußeren Patentgesuche pro 10.000 Einwohner 0,1 (Deutschland 17,9; Portugal: 0,3) und sie blieb in den Jahren 1992-1993 konstant. Ob wohl diese Quote 1994 auf 0,2 (d.h. auf 760 Patentgesuche) anstieg blieb sie im Vergleich zu Deutschland (24,0) nach wie vor sehr gering.

Die Chance für Polen liege in der Teilnahme an den FuE-Programmen der EU, erklärte der polnische Wissenschaftler. Diese Partizipation reicht jedoch nicht aus, um die Disproportionen zwischen Polen und den EU Ländern hinsichtlich der wissenschaftlichen und technischen Entwicklung zu vermindern. Polen könne dagegen die mittelbaren Vorteile erreichen wenn die an diesen Programmen beteiligten Forscher aus Polen ihre Berufsqualifikationen verbesserten.

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Unter diesen Bedingungen stelle sich die Frage, in welchen Wissenschaftsbereichen Polen aufgrund der wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit mit den EU-Staaten unmittelbare Vorteile erreiche könne. Es sei nicht zu bezweifeln daß dies nur in denjenigen Wissenschaftsbereichen möglich sei, in denen polnische Wissenschaftler selbständige Forschungsaufträge erhalten werden. Eine weitere wichtige Voraussetzung wäre, daß die an den EU-Projekten beteiligten polnischen FuE-Institute nicht nur sekundäre Hilfsfunktionen ausführen. Im Hinblick auf die Besonderheiten der FuE-Politik sei damit zu rechnen, daß polnische Wissenschaftler mit Forschungsaufgaben nur in solchen Bereichen beauftragt werden, die in Polen selbst auf hohem Niveau entwickelt worden sind.

Einige hochentwickelte Bereiche haben trotz der allgemein schwachen Entwicklung der polnischen Wissenschaften eine starke Position. Dazu gehören die Nukleartechnik, die Ingenieurgeologie, die Bergbautechnik, die Petrolchemie, die Metallurgie, die Werkstoffkunde und -technik, die Agrikulturchemie und Agronomie und die angewandte Mathematik.

Die polnischen Referenten der Konferenz stimmten darin überein, daß Polen in Zukunft nur dann alle genannten Bereiche weiterentwickeln könne, wenn Polen von den EU-Staaten gefördert werde. Der polnische Wissenschaftler aus Poznan vertrat die Ansicht, daß die EU-Staaten trotz der Katastrophe in Tschernobyl nicht beabsichtigten, die Forschungsarbeiten hinsichtlich der Nutzung der Kernenergie aufzugeben. Sie würden sich vielmehr auf die Sicherheitsbedingungen der Atomreaktoren und die damit verbundenen Anlagen konzentrieren. In den EU-Staaten halte man es

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für notwendig, eine optimale Rohstoffbasis in den EU-Staaten zu schaffen als Basis für die internationale Wettbewerbsfähigkeit.

Dieser Faktor werde die Gemeinschaften zur verstärkten Förderung der FuE-Arbeiten im Bereich Ingenieurgeologie, Petrolchemie, Bergbautechnik und Metallurgie stimulieren. Der internationale Wettbewerb werde die Konzentration der FuE-Arbeiten auf folgenden Bereichen bewirken, in denen Polen ebenfalls über ein hohes Niveau verfüge: Werkstoffkunde (und -technik), Agrikulturchemie, Agronomie und angewandte Mathematik. Die genannten Entwicklungen wirkten sich für Polen also günstig aus.

Polen werde viel Wert auf die enge wissenschaftliche Zusammenarbeit in den Bereichen legen, die in Polen unterentwickelt sind, wie z.B. die Informatik und Telekommunikationsindustrie. Entscheidend sei, ob EU-Mitgliedsländer, die sich ebenfalls auf niedrigem Entwicklungsniveau befinden, Druck auf Brüssel ausüben werden, um die neuen FuE-Programme in die für diese Länder prioritären Bereiche einzuleiten. In Polen müßten die wenigen Forschungsinstitute in Schutz genommen werden, die imstande sind, mit den besten Forschungsstellen in der Welt zu konkurrieren, wie z.B. das Warschauer Zentrum der Polnischen Akademie der Wissenschaften, das sich auf die Forschung des Lasers spezialisiert hat.

In Polen gebe es ein stetiges Wirtschaftswachstum, führte der Vertreter von FEMIRC aus, das in den letzten Jahren dazu beigetragen habe, „daß wir auch eine Umwandlung unserer Gesellschaft betreiben können". Es gebe in Polen immer mehr Stimmen, die sich bemühten, die Einstellung zu den Wissenschaften zu verändern. Auch die Einstellung der Politik zu den einzelnen Wissenschaftlern und wissenschaftlichen Instituten unterliege

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einem positivem Wandel. „Ich denke hier an die wissenschaftlichen Parks, an die vielen Institute, die wir in der letzten Zeit errichtet haben." Man hoffe, so der Vertreter von FEMIRC, daß die Regierung weitere wissenschaftliche Transferstellen einrichtet.

In Polen könne man auf dreierlei Weise die Entwicklung fördern. „Wir müssen und können vieles in unserem Land selbst machen. Wir können bestimmte Hilfen von der EU bekommen, und wir können auch unmittelbar mit vielen Mitgliedsstaaten der EU arbeiten und von ihren Technologien lernen." In Polen sei ein Informationsnetzwerk in allen Regionen entstanden. So werden Informationen über die Förderprogramme der EU verbreitet, an denen polnische Wissenschaftler teilnehmen können. Das Zentrum für Informationsverarbeitung in Warschau und verschiedene Wissenschaftsparks in Danzig, Krakau, Posen, Lodz u.a. Städten leisten Vermittlungshilfe bei der Kontaktaufnahme zwischen Wissenschaft und Wirtschaft und publizieren wissenschaftliche Materialien, um sie der industriellen Anwendung zuzuführen. Es gibt Publikationen zu Bedarfsanalysen der polnischen Wirtschaft und eine sehr breite Dienstleistungstätigkeit auf dem Gebiet der Unternehmensberatung. Das Zentrum für Informationsverarbeitung in Warschau koordiniert diese Arbeit. Auch die Stiftung der polnischen Wissenschaft wirkt innerhalb dieser Vernetzung.

Ein Manager eines polnischen Unternehmens plädierte für die Bildung von Konsortien, die viele Institute vereinen würden, um eine stärkere Durchschlagskraft zu erhalten. In Polen gebe es derzeitig eine Regierungskommission, die sich mit der Umstrukturierung der Institute befasse. Die Institute sind aufgefordert, selbst Vorschläge auszuarbeiten, wie sie ihre Arbeit in Zukunft an den Marktbedürfnissen orientieren können.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2001

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