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l. Die Kommunalwirtschaft zwischen Privatisierung und Wettbewerb

In jüngster Zeit stehen für die Städte und Gemeinden marktwirtschaftlicher Wettbewerb und öffentlicher Auftrag, Konkurrenz und Privatisierungsforderungen verstärkt zur Diskussion. Vor allem die amtierende Bundesregierung und die sie tragenden politischen Parteien sehen in der Privatisierung einen wichtigen Faktor für die Zukunftssicherung des Standortes Deutschland. Sie sind der Auffassung, daß die öffentliche Verwaltung nur dann ihre Leistungsfähigkeit erhalten bzw. wieder erlangen kann, wenn sie sich von einem Teil ihrer Aufgaben trennt. Besonders intensiv wird diese Privatisierungsdebatte in den Kommunen geführt, weil sich in deren Besitz ein Großteil der privatisierungsfähigen Einrichtungen und Betriebe befindet. Allerdings zwingen weder das europäische Gemeinschaftsrecht noch die nationalen Grundrechte oder das Gemeindewirtschaftsrecht die Kommunen zu einer Privatisierung ihrer wirtschaftlichen Unternehmen. Und fraglich ist, ob es finanzpolitisch sinnvoll ist, das „Tafelsilber" zugunsten eines Einmaleffektes zu veräußern.
Vor allem wegen der anhaltenden Finanznot werden seit relativ kurzer Zeit neue Wege mit gegenläufiger Tendenz eingeschlagen. Viele Städte und Gemeinden versuchen, sich durch die Betätigung in neuen kommunalwirtschaftlichen Geschäftsfeldern zusätzliche Finanzquellen zu erschließen. Wie kreativ die Kommunen bereits heute sind, wenn es darum geht, in vielfältigen Bereichen selbst erwerbswirtschaftlich tätig zu werden, zeigen die folgenden Beispiele, bei denen es sich bei weitem nicht um eine abschließende Aufzählung handelt: Die kommunalwirtschaftlichen Betätigungen reichen vom Betrieb von Hotels, Grünflächenpflege (z.B. „Gelsengrün") über die Abfallentsorgung (z.B. „Umweltservice Bochum"), die Öffnung von ÖPNV-Werkstätten für Dritte (z.B. Ergebnis-Center „Technische Dienstleistungen" der Wuppertaler Stadtwerke) bis hin zu Beratungsangeboten der kommunalen Energieversorgungsunternehmen (z.B. Consulting der Mannheimer Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft), kommunalen Telekommunikationsnetzen (z.B. NetCologne Telekommunikationsgesellschaft) und der „kommunalen Traumhochzeit" (standesamtliche „Ambiente"-Trauungen im städtischen Schloß). Kommunale Produzenten und Dienstleister werden in solchen Bereichen i.d.R. nur dann wettbewerbsfähig sein, wenn ihnen auch der private Markt offensteht. Viele Gemeindeordnungen enthalten aber eine Subsidiaritätsklausel, und in einigen Ländern ist ein sog. Markterkundungsverfahren vorgeschrieben. [Fn. 1: Vgl. unten S. 13fund S.53f] Zudem läßt das Gemeindewirtschaftsrecht eine rein kommerzielle Ausrichtung kommunaler Unternehmen nicht zu. Nach übereinstimmenden Vorgaben aller Gemeindeordnungen muß vielmehr ein öffentlicher Zweck die wirtschaftliche Betätigung rechtfertigen. Verboten sind dabei aber letztlich

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nur Aktivitäten, die ausschließlich erwerbswirtschaftlich motiviert, also nur auf Gewinnerzielung angelegt sind.

Dementsprechend sollen die kommunalen Unternehmen dem Wohl der Bürger unmittelbar durch ihre Leistungen und nicht nur mittelbar durch erzielte Gewinne dienen. Erlaubt sind aber eine Gewinnmitnahme und eine erwerbswirtschaftliche Nutzung sonst brachliegender Wirtschaftspotentiale im Wege sog. Randnutzung. Deshalb werden sich Städte und Gemeinden i.d.R. auch bei der Erbringung neuer wirtschaftlicher Leistungen - etwa auf dem Gebiet der Telekommunikation - nicht nur auf den Aspekt der Gewinnerzielung, sondern auf andere Zwecke berufen: so auf Versorgungszwecke oder die Absicht, den Wettbewerb im Interesse der Bürger zu beeinflussen.

Die Auffassungen darüber, ob das Vordringen der Kommunen in den Markt wünschenswert ist, sind indes geteilt. Auf der einen Seite wird gefordert, die gegenwärtigen verfassungsrechtlichen und gemeindewirtschaftsrechtlichen Grenzen ernstzunehmen und auf deren Einhaltung streng zu achten. Es wird die Ansicht vertreten, die Kommunen könnten nur dann ihre finanzielle Leistungsfähigkeit erhalten bzw. zurückgewinnen, wenn sie sich eines Teils ihrer Aufgaben entledigten. Nicht mehr, sondern weniger Staat garantiere auf Dauer ein finanzierbares Gemeinwesen. Die materielle Privatisierung von Verwaltungsaufgaben - die eine Zurückdrängung der eigenwirtschaftlichen Betätigung der Kommunen mit sich bringe - führe zu einer effizienten Wahrnehmung der betreffenden Angelegenheiten, da die Träger von Staatsgewalt, zu denen letztlich auch die Kommunen gehörten, aufgrund anderer Sachgesetzlichkeiten regelmäßig schlechter als Private wirtschaften könnten. Es sei nicht einzusehen, warum sich die Kommunen wirtschaftlich betätigen sollten, wenn die Privaten die erwünschten Leistungen ebenso gut oder besser erbringen könnten.

Auf der anderen Seite ist der Trend, daß sich Kommunen durch die Erschließung neuer kommunalwirtschaftlicher Geschäftsfelder Finanzquellen zu eröffnen versuchen, ungebrochen. Diese Entwicklung ist offenbar - jedenfalls in Nordrhein-Westfalen - auch politisch gewollt. So heißt es in der Koalitionsvereinbarung der rot-grünen nordrhein-westfälischen Landtagsmehrheit: „Die Landespolitik wird die erreichte wirtschaftliche Betätigungsfreiheit der Kommunen sichern und im kommunalen Interesse - z.B. bei Datennetzen - erweitern." Dementsprechend sollten die Städte und Gemeinden auf ihrem Weg zur verstärkten Anwendung betriebswirtschaftlicher Grundsätze nicht mehr als nötig durch das Gemeindewirtschaftsrecht eingeschränkt werden. Die Kommunen plädieren daher für eine gemeindefreundliche Auslegung des Gemeindewirtschaftsrechts. Sie wollen den Schwerpunkt der Diskus-

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sion

von der Frage des „ob" der kommunalwirtschaftlichen Betätigung stärker auf das „wie" der Betätigung (insbesondere Schaffung vergleichbarer Rahmenbedingungen für Kommunen und Private) lenken.

Vor dem Hintergrund dieser Kontroverse stellt sich die Frage, welche rechtlichen und wirtschaftlichen Vorgaben und Grenzen der kommunalwirtschaftlichen Betätigung gesetzt sind und ob diese Grenzen von den Kommunen in jedem Fall beachtet werden. Die kommunalwirtschaftliche Betätigung steht dabei in einem Spannungsfeld zwischen privatem Wettbewerb und kommunalem Wirtschaftsrecht. Auf der einen Seite nehmen kommunale Wirtschaftsunternehmen ebenso wie rein private Anbieter am marktwirtschaftlichen Wettbewerb teil. Auf der anderen Seite sind den Kommunen durch das in den Gemeindeordnungen bzw. Kommunalselbstverwaltungsgesetzen der Bundesländer verankerte Gemeindewirtschaftsrecht, das Grundgesetz und auch das Europarecht teilweise enge Grenzen gesetzt.

Zudem ist das Verhältnis der kommunalen Unternehmen zu Privatbetrieben auch aus wirtschaftspolitischen Konkurrenzgesichtspunkten nicht unproblematisch. Während sich private Unternehmen dauerhaft rote Zahlen nicht leisten können und zur Existenzsicherung auf Gewinnerzielung angewiesen sind, können die mit ihnen in direkter Konkurrenz stehenden kommunalen Wirtschaftsunternehmen niemals in Konkurs gehen. Verluste eines kommunalen Unternehmens trägt über die Haushaltsdeckung letztlich der Steuerzahler. Notfalls haftet das Land für die Kommunen.

Umstritten ist auch, ob eine Gemeinde finanzielle Risiken ihrer kommunalen Unternehmen aus ihren Haushaltsmitteln absichern darf. Gegenwärtig ist es gängige Praxis, daß die Kreditgeber von den kommunalen Gesellschaften verlangen, daß sie eine Bürgschaft der Kommune ohne Einrede der Vorausklage vorlegen. Im Klartext:

Der Kreditgeber kann sofort auf die Kommune zurückgreifen, wenn etwas schiefgeht, und muß sich nicht erst an die kommunale Gesellschaft wenden. Es fragt sich, ob dieser Wettbewerbsvorteil kommunaler Unternehmen gegenüber der privaten Konkurrenz gerechtfertigt ist. Die Privatwirtschaft betrachtet solche die Wettbewerbsvorteile der Kommunen mit Sorge.

Für die Zukunft der Kommunalwirtschaft bedeutsam ist weiter das Schicksal von „Private-Public-Partnership", d.h. von organisierten wirtschaftlichen Kooperationen zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor. Auch in derartigen Konstellationen stellt sich die Frage nach den wirtschaftlichen und rechtlichen Möglichkeiten und Grenzen.

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Nicht zuletzt ist auch die Rolle der staatlichen Kommunalaufsicht im Rahmen der Kommunalwirtschaft zu beachten. Einerseits ist die Kommunalaufsicht der Bundesländer grundsätzlich Rechtsaufsicht, d.h. die Aufsichtsbehörden haben zu prüfen, ob die Kommunen sich „im Rahmen der Gesetze" verhalten. Andererseits unterliegt die Kommunalaufsicht nach herrschender Auffassung grundsätzlich dem Opportunitätsprinzip. Das bedeutet, daß die Aufsichtsbehörde zu ermessen hat, ob sie überhaupt einschreitet, und welcher Aufsichtsmittel sie sich gegebenenfalls bedient. Im Bereich des kommunalen Wirtschaftsrechts hat die Aufsichtsbehörde mithin zu prüfen, ob die beabsichtigte wirtschaftliche Betätigung einer Kommune mit den gesetzlichen Vorgaben in Einklang steht. Ihr verbleibt aber auch im Fall der festgestellten Rechtswidrigkeit eines Vorhabens grundsätzlich die Möglichkeit, nicht aufsichtsbehördlich einzuschreiten und die Betätigung (vorerst) zu dulden und zu beobachten.

Im folgenden soll den verschiedenen Handlungsmöglichkeiten der Kommunalwirtschaft und den sich abzeichnenden Entwicklungsperspektiven nachgegangen werden. Dabei werden zunächst die Rahmenbedingungen für wirtschaftliche Aktivitäten von Städten und Gemeinden vorgestellt.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2000

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