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6. Planerische Maßnahmen

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6.1. Überlegungen zur Dimensionierung der Einzelhandelseinrichtungen

Eine notwendige Grundlage aller Planungsüberlegungen zum Problemkreis des Einzelhandels in der Stadt muß ein realistisches und nüchternes Bild der gegenwärtigen Situation sein. Dahinter steht in erster Linie die planerische Einsicht, daß der Trend zu großflächigen Einkaufszentren im Moment nicht aufzuhalten ist. Die Einkaufszentren sind am Markt etabliert, sie sind in ihrer Form vom Konsumenten gewünscht und sie sind durchsetzungsfähig. Allerdings ist das Konsumentenverhalten nicht in hohem Maß fixiert, vielmehr durchaus wandlungsfähig. Zum beschriebenen Trend kann sich auch ein Gegentrend entwickeln. Eine solche Bewegung würde die erforderlichen Bemühungen um eine Aktivierung der städtischen Zentren natürlich wesentlich unterstützen.

Im Rahmen der Planung sind zunächst Gedanken dazu notwendig, wieviel Einzelhandel die Stadt wirklich braucht und verträgt. Eine Möglichkeit, dieses Maß für Einzelhandelsflächen zu überschläglich zu bestimmen, ergibt sich aus der Summe, die laut Statistik jährlich pro Kopf der Bevölkerung ausgegeben wird. Über die Einwohnerzahl im potentiellen Einzugsgebiet des Einkaufszentrums läßt sich damit das zu erwartende Einzelhandelsvolumen in diesem Gebiet ermitteln. Mit einem geschätzten Jahresumsatz von 5000 DM/m2 kann annähernd die Verkaufsfläche bestimmt werden, die das betrachtete Gebiet verträgt.

Eine andere Faustregel geht bei der Ermittlung der stadtverträglichen Einzelhandelsfläche von einem Richtwert von 1 m2/Einwohner der Stadt aus. Bei allen Überlegungen sind nicht nur die jeweils neu zu errichtenden Einzelhandelseinrichtungen zu berücksichtigen, sondern auch der vorhandene Bestand. Neben der flächenmäßigen Dimensionierung des Einzelhandels sind auch planerische Vorstellungen für seine räumliche Verteilung in Stadt und Region zu formulieren.

Das Kerneinzugsgebiet eines Standortes, in dem das Einkaufszentrum eine Nahversorgungsfunktion zu erfüllen hat, kann beispielsweise durch einen Radius beschrieben werden, der einer Fahrzeitzone von 5 Minuten entspricht.

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Darüber hinaus ist das mittlere Einzugsgebiet des neuen Standortes zu untersuchen, dessen Radius einer 15-Minuten-Zeitzone entsprechen kann.

In diesem Einzugsgebiet ist vor allem darauf zu achten, ob das Einkaufszentrum auf andere Standorte ausstrahlt. Bei Überlagerung der Einzugsgebiete ist die Anzahl der potentiellen Kunden zu reduzieren. Die Untersuchung der Einzugsgebiete sollte nicht nur die vorhandenen Konkurrenzstandorte einbeziehen, eine längerfristige Betrachtung muß auch künftige Standorte berücksichtigen.

Probleme für die Stadt und den Einzelhandel entstehen nicht nur durch die Überlagerung verschiedener Einkaufszentren, sondern auch dann, wenn neue Standorte zu nah an der Innenstadt ausgewiesen werden. Einrichtungen in den Stadtteilzentren sollten ihre Funktion auf dieser Ebene ausüben und nicht zum Konkurrenzstandort für die Innenstadt entwickelt werden. Es ist vielmehr auf eine Abstimmung zwischen den Stadtteilzentren gemäß ihren Gegebenheiten bzw. ihrem besonderen Entwicklungspotential (Gewerbe, Tourismus, Forschung und Technologie etc.) zu achten. Eine Koordination bzw. Kooperation mit dem Stadtzentrum ist ebenfalls erforderlich.

Die Verkaufsfläche eines Einzelhandelsstandortes in einem Stadtteilzentrum sollte zu etwa gleichen Teilen zwischen kleinteiligem Einzelhandel und SB-Warenhäusern sowie Fachmärkten aufgeteilt werden, wobei letztere die Magnetbetriebe der Einkaufszentren darstellen. Ein höherer Anteil der großen Einzelhandelsbetriebe ist nicht zu empfehlen, da diese Verschiebung der Verhältnisse nicht im Interesse der angestrebten Angebotsvielfalt ist. Eine Orientierung des Einkaufszentrums nach außen (z.B. durch Schaufenster) erleichtert die Integration des Objektes in die Umgebung.

Es besteht die Möglichkeit, daß aufgrund von Fehleinschätzungen der für eine Stadt maximal verträglichen Verkaufsfläche Investitionsruinen entstehen. Die planerische Erfahrung zeigt jedoch, daß Standorte, die einmal mit lukrativen Baurechten ausgestattet wurden, nicht wieder zurückgestuft werden. Das Übergewicht peripherer Einzelhandelseinrichtungen kann jedoch die Aufgabe von Planungen an integrierten Standorten nach sich ziehen und damit die Umsetzung vernünftiger Vorhaben verhindern. (Abb. 7)

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Abbildung 7:

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Bereits im Rahmen der Planung ist eine Diskussion über die kommunalen Ziele zu führen, die auf die Funktion Handel in der Stadt bezogen sind. Es sind Anhaltspunkte für die Aufteilung der Einzelhandelsflächen nach unterschiedlichen Betriebsformen und unterschiedlichen Branchen notwendig.

Für die Ermittlung der beschriebenen Anhaltspunkte ist kein großer rechnerischer, planerischer oder finanzieller Aufwand nötig, aber sie sind in der Stadt politisch zu legitimieren. Als Ergebnis der Überlegungen sollte ein räumliches Entwicklungsmodell für die Funktion Handel in der Stadt entstehen, das unbedingt in Zusammenhang mit den sonstigen Vorstellungen über die Stadtentwicklung stehen muß. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, daß das entwickelte Konzept zumindest eine Weile Grundlage der weiteren Arbeit bleibt.

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6.2. Stadtplanerische Maßnahmen

Die raumordnerischen Auswirkungen des Trends zu großflächigen Handelseinrichtungen und deren Verlagerung in die Peripherie der Städte wurden bereits beschrieben. Ein Hauptplanungsziel in diesem Themenkreis muß die Vermeidung einer weiteren Zersiedlung der Städte und ein schonender Umgang mit Flächenreserven sein.

Die nachträgliche Verdichtung der Innenstädte und die Entwicklung oder Einrichtung strukturell sinnvoller Stadtteilzentren kann dazu genauso beitragen wie die Realisierung hochverdichteter Unter- und Mittelzentren im Umland der Städte. Stadt- und Raumplaner sollten bereits in einem frühen Stadium der Entscheidungsfindung herangezogen werden. Diese Einbeziehung der Planer bildet eine Grundlage dafür, daß Stadtplanung Entwicklungsplanung bleibt und nicht auf eine Form der Reaktionsplanung reduziert wird.

Sowohl für die Nachverdichtung in Stadt- und Stadtteilzentren als auch für die Planung oder Überplanung peripherer Standorte ist es notwendig, städtebauliche Wettbewerbe durchzuführen, die die Anwohner und die künftigen Nutzer anzusiedelnder Einrichtungen einbeziehen.

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Das Eingriffs- und Gestaltungspotential der Stadt ist am größten:

  • wenn sie Eigentümer von Grundstücken und Immobilien ist
  • als Träger öffentlicher Anlagen und Einrichtungen der Infrastruktur
  • bei hoheitlichen Aufgaben (z.B. Planungs- und Baurecht)

Auf die Unternehmens- und Investitionsentscheidungen von Privateigentümern hat die Stadt nur mittelbaren Einfluß. Dabei kann eine reine "Verhinderungsplanung" nicht im Interesse aller Beteiligten sein, vielmehr sollte die Entwicklung durch eine gezielte "Angebotsplanung" beeinflußt werden. Informelle Kontakte können wesentlich dazu beitragen, daß ein stadtverträglicher Konsens bei Standortfragen des Einzelhandels gefunden wird.

Eine sinnvolle und verträgliche Einordnung und Dimensionierung von großflächigen Städtebauprojekten muß auf einem planerischen Grundkonzept aufbauen, um eine Steuerung der Entwicklung in allen Teilen der Stadt zu erreichen. Die Grundlage bei der Erstellung des Standortkonzeptes ist eine planerische Gesamtsicht, die über die Einzelbeurteilung von Vorhaben hinausgeht und sich nicht allein auf spektakuläre Projekte konzentriert.

Grundidee des Standortkonzeptes ist die räumliche Strukturierung der Stadt in Funktions- und Versorgungsbereiche. Neue oder zu erweiternde Dienstleistungsstandorte sollen sinnvoll in die vorhandene Siedlungs- und Zentrenstruktur integriert werden. Die raumplanerisch gewünschten Effekte sind neben der Vermeidung einer weiteren Zersiedlung des Stadtumlandes und der Landschaft insbesondere die Sicherung von Angebotsvielfalt und Urbanität sowie eine Minimierung des Verkehrsaufkommens.

Es lassen sich jedoch nicht sämtliche Versorgungs- und Dienstleistungsfunktionen in das Zentrensystem einer Stadt einfügen. Insbesondere bei flächenintensiven Einrichtungen, beispielsweise Freizeitzentren, Standorte nicht zentrenrelevanter Einzelhandelsbranchen oder größere Bürokomplexe ohne Publikumsverkehr, ist unter Umständen ein Standort außerhalb des Zentrensystems sinnvoll, sogar städtebaulich erwünscht.

Die Ansiedlung großflächiger Einrichtungen oder großer Baukörper würde die gewachsenen kleinteiligen Strukturen der Innenstadt oder Stadtteilzentren zerstören. Dieser Erhaltungsaspekt darf andererseits nicht dazu führen, daß

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neue zentrale Funktionen außerhalb der Innenstädte oder am Stadtrand lokalisiert werden. Hier sind ggf. behutsame Umstrukturierungen oder Kompromißlösungen notwendig, um die gewachsenen Zentren nicht in ihrer Bedeutung zu schwächen.

Die Innenstadt

Einen Planungsschwerpunkt in diesen Konzepten bildet die Innenstadt. Wenn sie Zentrum des städtischen Lebens bleiben soll, so ist die Stärkung des Einzelhandels einer der Bausteine dazu. Aufbauend auf einem Stadtentwicklungskonzept werden die planerischen Vorstellungen, die sich mit der Funktion des Handels in der Innenstadt beschäftigen, vertieft und in Handelskonzepten, Innenstadtprogrammen oder Rahmenplänen festgehalten. Solche Konzepte sollten einfach nachvollziehbar sein und bei Bedarf leicht geändert werden können. Das Handlungsspektrum der Kommunen zur Umsetzung des planerischen Rahmens, der sich direkt auf den Einzelhandel bezieht, umfaßt mehrere Kategorien.

Die restriktiven Maßnahmen dienen der Verhinderung von Fehlentwicklungen, die das Standort- und Zentrensystem erheblich stören. Dazu gehören zum Beispiel das Ausschöpfen von Ermessensspielräumen bei Baugenehmigungsverfahren und die Möglichkeit zum Versagen von Genehmigungen. Wenn keine Versagensgründe für die Genehmigung gegeben sind, können Baupläne oder spezielle Satzungen aufgestellt werden, mit denen gewünschte Nutzungen festgelegt und unerwünschte Nutzungen ausgeschlossen werden. Für den Einzelhandel kann das einen generellen Ausschluß oder eine Sortimentsbegrenzung in einem Gebiet bedeuten.

In den Kreis der fördernden Maßnahmen zur Umsetzung von stadtplanerischen Konzeptionen zählen die Konzipierung, Bauleitplanung und Erschließung der angestrebten Standorte sowie die Ausweisung von Sonderstandorten. Damit ist die Erweiterung vorhandener Zentren und Zentrenansätze planerisch zu sichern.

Die Stadt kann die Ansiedlung von Leitbetrieben fördern und bereits bestehende Unternehmen bei Standortfragen beraten, um die Entwicklung gewünschter Standorte positiv zu beeinflussen. Die konkrete kommunale Unterstützung von Bauprojekten privater Investoren an den gewünschten Stand-

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orten kann die Vermittlung geeigneter Projektträger genauso umfassen wie die behördliche Hilfestellung bei Genehmigungsverfahren und reicht bis zur Überlassung städtischer Grundstücke.

Die Unterstützung von Bauvorhaben des Einzelhandels kann die Einrichtung von Fußgängerzonen oder auch die Entwidmung öffentlicher Straßen beinhalten, wenn dadurch die Standortvoraussetzungen für den Einzelhandel wesentlich verbessert oder überhaupt erst geschaffen werden. Die zuletzt genannten Planungen, z.B. in Köln bereits praktiziert, unterliegen einem vorgeschriebenen Entwidmungsverfahren. Die dabei notwendige Offenlegung der Planung kann, abhängig von der Anzahl der vorgebrachten Einwendungen durch verschiedene Interessen Vertreter oder einzelne Bürger, allerdings zu einer Verfahrensdauer von zwei bis drei Jahren führen.

Da die Straße, im Unterschied zum Fußgängerbereich, als Verkehrsfläche total entwidmet wird, ist gegebenenfalls die Erschließung einzelner Grundstücke neu zu organisieren. Das Verfahren läßt sich ausschließlich in verkehrsarmen Straßen realisieren und ist auch dort nur für kurze Abschnitte und in Absprache mit den Anwohnern möglich.

Eine Überdachung öffentlicher Straßenräume kann die Aufenthaltsqualität in einzelnen Bereichen erheblich verbessern, ist jedoch nur in schmalen Straßen denkbar. Die technische Umsetzung ist dabei nicht das Problem, wie zahlreiche Beispiele aus Japan belegen. Das Scheitern droht solchen Vorhaben eher durch die Vielzahl der Beteiligten. Jeder Grundstückseigentümer des betreffenden Abschnitts hat in der Planung ein Mitspracherecht und ist zur Finanzierung heranzuziehen.

Neben dem Maßnahmenkreis, der direkt auf die Stärkung des Einzelhandels in der Innenstadt gerichtet ist, gibt es eine Vielzahl von begleitenden und ergänzenden Maßnahmen, die die Entwicklung der Attraktivität von Standorten in der Innenstadt ebenfalls positiv beeinflussen können. Vorteile können dem innerstädtischen Einzelhandel vor allem durch die angestrebte Nutzungsvielfalt entstehen.

Stadtverwaltungen und öffentliche Einrichtungen, die mit einem erheblichen Publikumsverkehr verbunden sind, sollten ihren Standort in der Innenstadt haben. Eine Konzentration verschiedener Ziele ermöglicht die Kombination

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von Wegen für die Besucher. Damit erweitert sich auch der Kreis der potentiellen Kunden für den Einzelhandel in der Innenstadt.

Ein großes planerisches Potential bietet die Aktivierung nicht genutzter Flächen in oder nahe der Innenstadt, was durch die große Anzahl vorhandener Industrie- und Gewerbebrachen in den neuen Bundesländern eine besonders große Rolle spielt. Entsprechendes gilt für ehemalige Militärareale im Stadtgebiet sowie für nicht mehr betriebsnotwendige Flächen und Bauten der Bahn. Die Bedeutung der Brachflächen kann zum einen darin liegen, daß vorhandene Lücken im Erschließungsnetz der Stadt geschlossen werden. Wenn damit die Erreichbarkeit verbessert wird, so kann das eine erhebliche Attraktivitätssteigerung der betreffenden Standorte bedeuten.

Eine Bedeutung erhalten diese Flächen zum anderen durch die Möglichkeit, hier neue Standorte auszuweisen, die das planerisch angestrebte Zentrensystem sinnvoll ergänzen. Die Standorte bieten Raum, um neue Nutzungen anzusiedeln und können, wenn sie in der Nähe der Innenstadt liegen, einen ggf. vorhandenen Ansiedlungsdruck des Gewerbes auf die Innenstadt mindern. Dieser häufig bestehende Ansiedlungsdruck ist im Zusammenhang mit dem begrenzten Flächenangebot in der Innenstadt eine Ursache für die überhöhten Mieten, die zur Verdrängung des Wohnens und des angestammten Einzelhandels aus dem Stadtzentrum führen.

Eine Förderung des individuellen Einzelhandels in der Innenstadt erhöht die Vielseitigkeit des Angebots und stärkt die Innenstadt als Handelsstandort in der Konkurrenz zu bereits vorhandenen peripheren Einkaufszentren. Eine stabile oder steigende Einwohnerzahl in den Kernstädten ist ergänzend dazu eine Voraussetzung für die Belebung der Innenstadt über die Ladenöffnungszeiten hinaus. Bei Dienstleistungsunternehmen ist ein Abwandern in die Stadtteilzentren, ggf. auch in die Mittel- oder Unterzentren des Umlandes zu begrüßen, um auch dort eine Durchmischung dieser Bereiche im Sinn von Dichte und Vielfalt zu fördern.

Eine Strategie, um Kräfte im Interesse einer Attraktivitätssteigerung der Innenstadt zu bündeln und zu verstärken, können City-Marketing und oder City-Management sein. Anliegen ist dabei, die relevanten Gruppen der Stadt in planerische Überlegungen einzubinden und die Kommunikation zwischen diesen Gruppen zu fördern. Damit bietet City-Manangement die Chance, sich

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von einer sektoralen Betrachtung zu lösen und eine integrierte Sicht auf die Probleme der Innenstadt zu gewinnen.

City-Management bedeutet auch, ein starkes Gewicht auf die Umsetzung der Vorhaben zu legen. Wenn ein produktiver Dialog in Gang kommt, kann City-Management die Konsensbildung in Streitfällen fördern und damit die Akzeptanz von stadtplanerischen Entscheidungen erhöhen.

Voraussetzung für den Erfolg des City-Management ist die wirkliche Kompromißbereitschaft aller Beteiligten. Interessengegensätze, die aus gegensätzlichen Ansprüchen an die Innenstadt resultieren, lassen sich nicht ohne weiteres wegdiskutieren. Ein zu großer oder ungünstig zusammengesetzter Gesprächskreis kann auch zur Verzögerung oder Verhinderung sinnvoller Entscheidungen führen.

Eine Beeinflussung der Stadtentwicklung im Sinn der Standort- und Zentrenkonzeption läßt sich auf indirektem Weg auch durch verkehrsplanerische Maßnahmen erreichen. Standortqualitäten in der Stadt lassen sich durch verkehrslenkende Maßnahmen erheblich verändern. Eine Aufwertung kann durch den Anschluß an das öffentliche Verkehrsnetz genauso erfolgen wie durch eine verbesserte Straßenanbindung.

Nicht zu unterschätzen ist auch die Bedeutung von Imagepflege und Werbung einer Stadt. Die Innenstadt sollte ihrer Funktion entsprechend präsentiert werden. Der Schwerpunkt liegt dabei nicht auf dem Einzelhandelsstandort, sondern auf regionaler Bedeutung, kulturellen Werten und einer Nutzungsvielfalt, die attraktive Einzelhandelseinrichtungen als ein Element einschließt.

Die Nebenzentren

Das eigentliche stadtplanerische Problempotential der gegenwärtigen Entwicklung bilden die städtischen Nebenzentren (etwas genauer: Stadtteilzentren). Denn sie sind in erster Linie die Verlierer in der Auseinandersetzung zwischen Innenstadt und Peripherie. Häufig stehen überwiegend die räumlichen Pole dieser Konkurrenz im Mittelpunkt der planerischen Diskussion, während der Bereich dazwischen vernachlässigt wird. In den neuen Bundesländern nimmt dieses Problem eine besondere Dimension an, da Nebenzentren bzw. Stadtteilzentren in kleinen und mittleren Städten fehlen oder nur

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schwach ausgeprägt vorhanden sind, aber auch in den Großstädten ist die Stadt- bzw. Zentrenstruktur oft nicht voll ausgebildet.

Die Bebauung in weiten Teilen der ostdeutschen Städte wird von Großsiedlungen dominiert, die im Gegensatz zu vergleichbaren Siedlungen in den alten Bundesländern noch über eine relativ intakte, d.h. vor allem gut gemischte Sozialstruktur verfügen. Da die Großsiedlungen außerdem meist eine recht hohe Wohndichte aufweisen, werden sie nach dem Bauboom "auf der grünen Wiese" nun von Investoren des Einzelhandels als attraktive Standorte angesehen.

Voraussetzung für diese Attraktivität ist in erster Linie, daß die Anzahl und die Sozialstruktur der Bewohner in den Großsiedlungen erhalten bleibt. Mit dem Wegziehen der sozial stärkeren Gruppen verfallen die Sozialstrukturen, damit würde Investitionen in diesem Bereich die ökonomische Basis entzogen. Dann würden auch von dieser Seite Verödungs- und Verfallsprozesse gefördert.

Die Attraktivität der Plattenbausiedlungen als Wohnort wird hauptsächlich durch Mängel im Wohnumfeld sowie das Fehlen verschiedener Funktionsbereiche beeinträchtigt. In den meisten Städten fließen umfangreiche finanzielle Mittel in die Verbesserung des Wohnumfeldes der Siedlungen. Neben dem Ausgleich vorhandener Mängel ist eine Ergänzung der Infrastruktur der Wohngebiete notwendig, die neben dem Handel auch Freizeitanlagen, soziale Einrichtungen, ansprechende Grünflächen sowie Abstellmöglichkeiten für die Pkw der Anwohner einschließen.

Die peripheren Standorte

Dem vorhandenen Trend zu großflächigen Einrichtungen des Einzelhandels kommen Standorte in der Peripherie der Stadt am meisten entgegen, Eine Ursache für die expansive Entwicklung der dezentralen Standorte liegt in den Mietpreisunterschieden zwischen Innenstadt und Peripherie. (Abb. 8)

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Abbildung 8:

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Das planerische Grundproblem umfaßt in diesem Zusammenhang die Schaffung der Chancengleichheit zwischen integrierten und peripheren Standorten. Auf Bundesebene sind die geeigneten planerischen Rahmenbedingungen für eine Chancengleichheit zu entwickeln. Dazu sollte gehören, daß sowohl Investitionszulagen wie auch Sonderabschreibungen auf integrierte Standorte begrenzt werden. In diesem Sinn hat sich nun auch Bundesbauminister Töpfer geäußert (FAZ 7.10.1995, S.12). Bundespräsident Herzog hat jüngst eindringlich vor der Verödung der Städte über Einkaufszentren oder Bürostädte "auf der grünen Wiese" gewarnt (FAZ 7.11.1995, S.4).

Mittel- und langfristig wird es nicht möglich sein, das Umfeld großer Städte von neuen Wohn- und Gewerbeansiedlungen freizuhalten. Hintergrund dieser Überlegung ist auch die zu erwartende Zunahme der Bevölkerung aufgrund der Migration durch das bestehende Wohlstandsgefälle, die sich zunehmend auch auf die neuen Bundesländer auswirken wird. Die Notwendigkeit neuer Siedlungen wird auch durch den steigenden Wohnraumbedarf pro Person begründet.

Planerisch zu vermeiden ist in erster Linie das unkontrollierte Ausbreiten der Städte. Dem allgemeinen Siedlungswildwuchs ist Einhalt zu gebieten, da man es sich in einem der am dichtesten besiedelten Länder nicht leisten kann, mehr Bauland auszuweisen als notwendig. Weder ausufernde Vorstädte noch idyllische Gartenstädte können das planerische Ziel sein, sondern verdichtete, anspruchsvoll gestaltete Wohn- und Gewerbeflächen.

Eine flächensparende Bauweise hat dabei nicht allein ökologische Bedeutung, sondern beeinflußt auch den Charakter der Siedlungen. Die Wiederholung von Fehlern der Vergangenheit ist zu vermeiden, wie sie sich in den suburbanen Vorstädten von Paris genauso widerspiegeln wie in den amerikanischen Einfamilienhaus-Vorstädten.

Generell lassen sich zwei Grundtypen peripherer Standorte unterscheiden:

  1. Standorte, deren Weiterentwicklung erfolgen sollte
  2. Standorte, deren Weiterentwicklung nicht erfolgen kann und sollte

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In beiden Fällen ist zunächst eine Überplanung der Gebiete notwendig, um die Handlungsfähigkeit der Stadt herzustellen. Wenn die anzusiedelnden Betriebe baurechtlich unzulänglich beschrieben sind, ist auch eine unerwünschte Veränderung und Weiterentwicklung des Standortes möglich. Wenn der Entwicklungsrahmen eines Standortes zu weit gesteckt ist, kann die Entwicklung stadtplanerisch nicht mehr beherrscht werden.

Zu den peripheren Einrichtungen, die weiterentwickelt werden können, gehören Standorte, die an ein bestehendes Zentrum angegliedert werden oder solche Standorte, die sinnvoll in das bestehende Raumordnungskonzept einzufügen sind. Aufgaben der Stadtplanung an diesen Standorten sind zum Beispiel, eine bauliche Nachverdichtung und Nutzungsanreicherung des Gebiets anzustreben sowie die gestalterische Aufwertung der baulichen Anlagen und Freiräume zu erreichen.

Für die neuen Standorte sind Verkehrskonzepte zu entwickeln, die die Anbindung an die Stadt sichern. Die Planungsaufgaben können auch Wohnungsbau im Umfeld dieser Großagglomerationen umfassen. Als Träger der Umgestaltung ist eine Entwicklungsgesellschaft denkbar, in die die privaten Investoren des Standorts einbezogen sind.

Die anzustrebende Struktur der neuen Siedlungen sollte im Zentrum mehrgeschossige Wohn- und Bürobauten mit einer adäquaten Zahl von Geschäften umfassen. Zum Rand der Siedlung hin wird die Bebauung flacher und erhält ihren Abschluß durch hochverdichtete Reihen- und Attriumhäuser sowie verdichtete niedrige Gewerbeansiedlungen. Die Grundlage für die Planung einer solchen Neugründung sollte durch städtebauliche Wettbewerbe gelegt werden, um zu vermeiden, daß in den künstlichen Siedlungen anonyme Schlafstädte entstehen.

Die Akzeptanz und die weitere Entwicklung einer peripheren Neugründung hängen von der städtebaulichen Gestaltung ab. Eine Mißachtung der Ästhetik und der Einsatz austauschbarer standardisierter Bauten haben den Identitäts- und Gesichtsverlust der Siedlungen zur Folge. Das Herausarbeiten des Genius loci im Rahmen der Planung kann Ortsverbundenheit und Gemeinsinn der Bewohner der neuen Siedlungen stärken.

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Diese neuen Siedlungen dürfen nicht zu klein sein, da sich die Infrastrukturkosten sonst auf wenige Beteiligte konzentrieren. Dabei besteht die Gefahr, daß nicht lebensnotwendige Einrichtungen wie Schulen und Dienstleistungsbetriebe oder die Anbindung an das öffentliche Verkehrsnetz aus Kostengründen nicht vorgesehen werden. Diese Entwicklung hätte zwangsläufig die Zunahme des motorisierten Individualverkehrs zur Folge und wirkt sich beschleunigend auf die Suburbanisierung aus.

Zahlreiche Beispiele aus der Vergangenheit belegen aber auch die Auswirkungen zu großer Siedlungen. Die Anonymität zu großer Siedlungen kann soziale Probleme hervorrufen oder verschärfen, was nicht im planerischen Interesse liegen kann. Ausgangspunkt für eine neue Siedlung können zum einen bestehende Mittel- und Unterzentren sein, zum anderen können bereits vorhandene periphere Einkaufszentren in dieser Weise genutzt werden, wenn sie sich in eine sinnvolle Raumstruktur einfügen lassen.

Von hoher Bedeutung ist auch bei den neuen Siedlungen eine ausreichende Funktionsmischung, die neben Wohnen und Einkaufen auch das Arbeiten einschließen sollte. Das vorhandene Einkaufszentrum übernimmt die Nahversorgung der Anwohner. Wenn der periphere Standort günstig an das öffentliche Verkehrsnetz angebunden ist, kann eine eingerichtete S-Bahn-Station als Ausgangspunkt für eine Park &. Ride - Anlage dienen, die gleichzeitig Einkaufsmöglichkeiten bietet.

Wenn ein peripherer Standort aus planerischer Sicht nicht weiterzuentwickeln ist, kommen verstärkt restriktive Planungsinstrumente zum Einsatz. Der Handlungsspielraum der Stadtplanung ist dabei begrenzt. Eine sehr teure Möglichkeit zur Korrektur von Planungsfehlern ist der Rückkauf bereits bestehender Baurechte. Da eine solche Maßnahme von Kommunen in der Regel nicht finanzierbar ist, sollte in diesem Zusammenhang auch über eine öffentliche Förderung nachgedacht werden.

Aus Sicht der Stadt kann die Verlagerungsbereitschaft von Investoren erhöht werden, indem als Ausgleich lukrative, städtebaulich integrierte Standorte angeboten werden. Ein weiterer Ausweg kann die langfristige Angebotsänderung des Einkaufszentrums sein. Denkbar ist der Umstieg auf ein Sortiment, für das von den Kunden auch längere Wege in Kauf genommen werden. Abzulehnende dezentrale Handelsstandorte könnten vorübergehend für

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flächenintensive Fach- und Verbrauchermärkte wie Bau- und Gartencenter genutzt werden.

Die Attraktivität von Standorten für den Einzelhandel kann negativ beeinflußt werden, indem entstehende Probleme erst einmal in Kauf genommen werden. Kommunale Mittel müssen nicht in den nachträglichen Ausbau der Verkehrsanbindung unerwünschter Standorte fließen. Eine Genehmigung beantragter Nutzungsänderungen an nicht integrierbaren Standorten kann von der Stadt verweigert werden.

Die Möglichkeiten zur Korrektur von Planungsfehlern, besonders in der Peripherie der Städte sind begrenzt und äußerst kostenintensiv. Die gegenwärtige Tendenz zu immer vielseitigeren peripheren Einkaufszentren ist aus planerischer Sicht nicht zu begrüßen, denn diese angestrebte Nutzungsvielfalt ist in der Innenstadt besser am Platz. Eine Schadensbegrenzung ist in der gegenwärtigen Entwicklung dringend notwendig, aber sie darf nicht zur ausschließlichen Aufgabe für die Stadtplanung werden. Aus den Fehlern müssen vor allem Rückschlüsse gezogen werden, wie ähnliche Situationen in der Zukunft zu vermeiden sind.

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6.3. Verkehrliche Maßnahmen



Wirtschaftsverkehr

Die heutige Entwicklung des Handels zieht neben stadtstrukturellen Problemen auch die bereits beschriebenen Verkehrsprobleme nach sich. Die Standorte der großen peripheren Einkaufszentren sind in der Regel durch ausufernde ebenerdige Parkplätze gekennzeichnet, die den Kunden angeboten werden. Für den Wirtschaftsverkehr stehen ebenfalls ausreichende Flächen zur Verfügung. Auch die Anfahrt an das Einkaufszentrum ist, häufig im Gegensatz zur Innenstadt oder den städtischen Nebenzentren, keiner Beschränkung unterworfen.

Die beschriebenen verkehrlichen Vorteile erklären die Attraktivität peripherer Einkaufszentren für Einzelhandel und Kunden gleichermaßen. An diesen Standorten sind nur geringe Möglichkeiten für eine verkehrliche Einflußnahme gegeben, die Probleme sind in erster Linie aus der Sicht der Raumordnung zu

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betrachten. Die planerische Erfahrung zeigt, daß der Anschluß eines peripheren Standortes an das öffentliche Verkehrsnetz keinen wesentlichen Einfluß auf den modal split hat. Sowohl Fußgänger- als auch Radverkehr spielen kaum eine Rolle, da die peripheren Einkaufszentren meist in einer zu großen Entfernung von Siedlungsschwerpunkten liegen und auch adäquate Wegverbindungen in der Regel nicht vorhanden sind.

Da in den Kernstädten die begrenzt zur Verfügung stehenden Verkehrsflächen häufig über die Grenzen ihrer Kapazität hinaus genutzt werden, treten verkehrliche Probleme hier verschärft auf. Gleichzeitig wird aber damit die Verkehrsplanung zu einem Instrument, mit dem die Stadtentwicklung nachhaltig zu beeinflussen ist.

Die prinzipielle Erschließung für eine Innenstadt kann so aussehen, daß Fußgängerbereiche als Achsen in das Zentrum gelegt werden. Die Erschließung der Innenstadt für den Individualverkehr erfolgt dann über Straßenschleifensysteme, die untereinander nicht verbunden sind. Wenn Fußgängerbereiche mangels Alternative für den Lieferverkehr freizugeben sind, dann unbedingt unter zeitlicher Begrenzung, um die Attraktivität des öffentlichen Raums nicht zu mindern.

Im Gegensatz zu dezentralen Standorten kann der für den Einzelhandel lebensnotwendige Wirtschaftsverkehr in der Innenstadt ein erhebliches Konfliktpotential aufbauen. Für Liefervorgänge in der Innenstadt sind mehrere Möglichkeiten denkbar. Wenn die Belieferung der Geschäfte unterirdisch oder aus einem Privatgrundstück heraus erfolgen kann, so ist ein hohes Maß an Verträglichkeit mit anderen Nutzungen des innerstädtischen Raums gegeben. Verkehrsplanerische Aufgabe ist in diesem Zusammenhang, die möglichst direkte und störungsfreie Erreichbarkeit der Standorte zu sichern.

Die notwendigen Trassen sind von Einbauten aller Art freizuhalten und nach Möglichkeit so zu führen, daß die Bereiche, in denen ein hohes Fußgängeraufkommen zu verzeichnen ist, nicht befahren werden. Die Ideallösung wäre die vollständig unterirdische Führung der Trasse für den Wirtschaftsverkehr. Aus finanziellen Gründen sind umfangreiche unterirdische Erschließungskonzepte jedoch gegenwärtig meist nicht durchführbar, sollten aber im Auge behalten werden.

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Die am wenigsten stadtverträgliche Arbeitsweise ist in den ostdeutschen Innenstädten gleichzeitig am meisten verbreitet - die Belieferung von der Straßenseite aus. Im Zusammenhang mit innerstädtischen Bauvorhaben, sollte nach Möglichkeiten gesucht werden, die Liefervorgänge in Innenhöfe oder unterirdische Bereiche zu verlagern. Damit wird nicht nur eine umfeldverträgliche Abwicklung des Wirtschaftsverkehrs ermöglicht, die Arbeitsbedingungen des Einzelhandels und damit die Standortqualität in der Innenstadt können wesentlich verbessert werden.

Wenn eine räumliche Verlagerung der Liefervorgänge nicht realisiert werden kann, muß über eine zeitliche Begrenzung nachgedacht werden, wenn der Lieferverkehr zum Störfaktor wird. In Abhängigkeit vom Ausmaß der Beeinträchtigung anderer Nutzungen kann der Lieferverkehr nur für begrenzte Zeiträume zugelassen oder in begrenzten Zeiträumen ausgeschlossen werden.

Bei diesen Überlegungen ist zu berücksichtigen, daß die Standortbedingungen für den Einzelhandel in der Innenstadt nicht zu verschlechtern sind. Betroffen wäre in erster Linie der kleinteilige angestammte Einzelhandel der Stadt, der eine wesentliche Grundlage für die planerisch angestrebte Nutzungsvielfalt der Innenstadt bildet. Um den Lieferverkehr so stadtverträglich wie möglich zu gestalten, sind in erster Linie Leerfahrten zu vermeiden. Die Größe der in der Innenstadt eingesetzten Fahrzeuge ist auf ein Mindestmaß zu begrenzen. Die Konzentration der Lieferungen auf geeignete Fahrzeuge kann mit der Einrichtung eines Güterverkehrs- oder Güterverteilzentrums unterstützt werden. Häufig fällt in diesem Zusammenhang das Stichwort Citylogistik.

Die planerischen Einflußmöglichkeiten, die sich daraus ergeben, werden häufig überschätzt. Nur ein relativ kleiner Teil der Warenströme, die auf die Innenstadt gerichtet sind, eignet sich für solche Bündelungs- und Verteilungsstrategien. Eine öffentliche Organisation des Lieferverkehrs ist nicht in jedem Fall notwendig. Die großen Kaufhäuser und Handelsketten verfügen in der Regel über eine firmeneigene Logistik, die ohne Optimierung von außen funktioniert.

Zielgruppen für Citylogistik-Planungen sind vor allem Fachgeschäfte und der angestammte Einzelhandel. Problematisch ist die heterogene Interessen-

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Struktur, die sich aus der Zusammensetzung und den unterschiedlichen Voraussetzungen des Einzelhandels in der Innenstadt ergibt. Die Einflußmöglichkeiten für Citylogistik sind im Vergleich zum Gesamtverkehr relativ gering und sinken weiter, wenn der Anteil der Filialisten am Einzelhandel in der Stadt zunimmt.

Verlagerung des Kundenverkehrs auf den Umweltverbund

Ein weiterer Verkehrsstrom, der durch den Einzelhandel verursacht wird, ist der Kundenverkehr. Er ist im wesentlichen auf die Ladenöffnungszeiten begrenzt, das größte Verkehrsaufkommen ist an Donnerstagen und an Samstagen zu verzeichnen. Der Problemumfang, den der Kundenverkehr für die Innenstadt bringt, ist abhängig von der Verkehrsmittelwahl. Hier ist eine größtmögliche Verlagerung auf die Verkehrsmittel des Umweltverbundes anzustreben. Das Verlagerungspotential ist dabei in starkem Maß von der Stadtgröße abhängig. Die Innenstadt muß auch für den MIV erreichbar bleiben, die Verkehrsangebote sollten aber so gestaltet werden, daß die gewünschte Verlagerung auf den Umweltverbund gefördert wird. (Abb. 9)

Der Fußgängeranteil der Kunden bereitet planerisch in der Regel keine Schwierigkeiten, im Gegenteil - ein hohes Fußgängeraufkommen fördert die Lebendigkeit der Innenstadt und sollte durch kulturelle und gastronomische Angebote über die Ladenöffnungszeiten hinaus erhalten werden.

Eine Förderung des Fußgängerverkehrs in der Innenstadt kann durch die Einrichtung eines barrierefreien Wegenetzes erfolgen, das neben der Innenstadt selbst auch ihre Zugänge erfaßt. Handlungsbedarf besteht in den Städten der neuen Bundesländer vor allem angesichts des desolaten Oberflächenzustands der meisten Wege. Die Gehwege sind in einer ausreichenden Breite zu erstellen, dabei muß ein Überparken dieser Flächen wirksam unterbunden werden. Um die Zahl von Pollern oder ähnlichen Einbauten im Straßenraum zu vermindern, sollten hier in erster Linie Kontrollmöglichkeiten ausgeschöpft werden.

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Abbildung 9:

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Die Gestaltung der öffentlichen Räume soll in Dimensionen erfolgen, die auf den Fußgänger zugeschnitten sind. Wenn in den attraktivsten Innenstadtbereichen Fußgängerzonen ausgewiesen werden, so erfahren diese Standorte eine qualitative Aufwertung, die sich auch günstig auf den Einzelhandel auswirken kann. Die Ausweisung von Fußgängerbereichen ist nicht von Anfang an einen hohen baulichen Aufwand gebunden, mit Einbauten und Straßenmöblierung sollte im Interesse des Stadtbildes sparsam umgegangen werden.

Ein ausgewogene Branchenstruktur des Einzelhandels ist ein Beitrag zur angestrebten Nutzungsvielfalt. Eine Flexibilisierung der Öffnungszeiten kann zur Entzerrung der vorhandenen Verkehrsspitzen beitragen. Sie ist jedoch nicht auf den Einzelhandel zu begrenzen, sondern sollte auch auf öffentliche Einrichtungen ausgedehnt werden, um den Innenstadtbesuchern eine sinnvolle Kombination von Wegen zu ermöglichen.

Die Förderung des Fußgängerverkehrs in den städtischen Nebenzentren kann ähnlich erfolgen wie in der Innenstadt. Möglichst kurze Wege wirken sich günstig aus auf die Nahversorgungsfunktion der Einzelhandelseinrichtungen. Bei einer ausreichenden Branchenvielfalt des Handels in den Nebenzentren kann der Fußgängeranteil am Kundenverkehr gesteigert werden.

Eine Verlagerung des Kundenverkehrs zugunsten des Radverkehrs kann gefördert werden, indem ein dichtes, lückenloses Radwegenetz angeboten wird, das mit geeigneten Abstellanlagen kombiniert wird. Diese Abstellanlagen sind dezentral in der Innenstadt zu verteilen und werden nur akzeptiert, wenn sie eine ausreichende Sicherheit für die abgestellten Fahrräder gewährleisten.

In Großstädten bieten die öffentlichen Verkehrsmittel ein hohes Verlagerungspotential für den Kundenverkehr. Im Gegensatz zum Individualverkehr beanspruchen öffentliche Verkehrsmittel weniger Fläche und lassen sich, wie die Innenstadt von Erfurt zeigt, gut in Fußgängerbereiche integrieren. Die Erschließung der Innenstadt für den ÖPNV sollte möglichst direkt erfolgen, um notwendige Fußwege zu verkürzen. Eine Förderung des ÖPNV für den Einkaufsverkehr ist vor allem möglich, wenn die Erschließung besser ist als die für den Individualverkehr.

Das Grundproblem der Erschließungsalternativen des Umweltverbundes ist stets das gleiche: Bisher wurden noch keine überzeugenden und vor allem auf

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Dauer bezahlbaren Angebote zur Bewältigung des Gepäcktransports entwickelt. Die Lösung dieses Problems ist aber grundlegend, wenn der Einkaufskomfort in der Innenstadt nicht hinter dem der peripheren Einkaufszentren bleiben soll. Aufbewahrungsgelegenheiten oder Anlieferungsdienste lassen sich in eigener Initiative oder über das City-Management organisieren. Geeignete Plätze für Schließfächer oder ganze Schließfachbatterien lassen sich ebenfalls finden. Gleiches gilt im übrigen für Abstellplätze von Fahrrädern.

Die Angebotsvielfalt u.a. aus Bummel, Kultur, Gastronomie und Einkauf, sowie privaten und öffentlichen Dienstleistungen die in der Innenstadt angestrebt wird, kann niemand nutzen, der mit schweren Einkaufstüten beladen ist. Die Handelsentwicklung in der Innenstadt darf aber nicht dazu führen, daß die Kaufhäuser und Geschäfte zu riesigen "Versandhauskatalogen" werden, in denen nur noch Ausstellungsstücke zu sehen sind, die bei Kauf nach Hause geliefert werden.

Ein Teil der Kunden wird weiterhin mit dem Pkw in die Innenstadt kommen. Aufgabe der Verkehrsplanung ist dabei, diesen verbleibenden Individualverkehr möglichst so abzuwickeln, daß andere Nutzungen in der Innenstadt nicht gestört oder behindert werden. Der Erfolg von Verkehrsleitsystemen, die vor allem dem Pkw-Fahrer selbst eine störungsfreie Anfahrt ermöglichen sollen, ist für die Lösung der Verkehrsprobleme in der Innenstadt fragwürdig. Die Ziele sind auf engem Raum konzentriert, ein ausreichendes Angebot von Alternativrouten für den Individualverkehr ist nicht innenstadtverträglich. Planerische Überlegungen zur Verbesserung von Nutzungsvielfalt und Aufenthaltsqualität in der Innenstadt sollten sich nicht auf Insellösungen beschränken, sondern größere, sinnvoll begrenzte Bereiche umfassen.

Der ruhende Verkehr

Ein wirksames Steuerinstrument für den Individualverkehr in der Innenstadt ist der ruhende Verkehr. Um Parksuchverkehr in der Innenstadt zu vermeiden und eine gleichmäßige Auslastung aller Parkanlagen zu gewährleisten, werden in vielen Städten Parkleitsysteme installiert, die den Pkw-Nutzer auf direktem Weg zu einem freien Stellplatz bringen sollen. In größerer Entfernung zur Innenstadt genügen statische Leiteinrichtungen, in der Nähe der Innenstadt sind flexible Anzeigen sinnvoll, die zumindest über eine "Frei / Besetzt" -Anzeige verfügen sollten.

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Die Effektivität dieser Systeme ist jedoch nicht überzubewerten, eine Einsparung an Fahrleistung ist kaum zu verzeichnen. Parkleitsysteme werden erst dann in vollem Umfang wirksam, wenn die angesteuerte Parkeinrichtung belegt ist, in anderen Anlagen noch freie Stellplätze vorhanden sind. Die Erfahrung zeigt, daß Pkw-Nutzer selbst in diesem Fall häufig auf freiwerdende Stellplätze warten, da die Umschlagzeit der meisten Parkhäuser relativ kurz ist. Dazu kommt, daß ortskundige Pkw-Nutzer meist zu einer bestimmten Parkeinrichtung fahren, ohne sich durch die Hinweise des Parkleitsystems beeinflussen zu lassen. Hier wäre ggf. auf Verhaltensänderungen hinzuwirken.

Die Erfahrungen zahlreicher Städte zeigt jedoch einen weiteren Effekt der Parkleitsysteme. Wenn an den flexiblen Anzeigen zu jeder Zeit die Anzahl der freien Stellplätze abzulesen ist, bekommt die Diskussion um die notwendige Stellplatzzahl in der Innenstadt eine neue Qualität. In vielen Städten der alten Bundesländer ist eine weitgehende Auslastung der innerstädtischen Stellplätze beschränkt auf die Schlußverkäufe des Einzelhandels und die Vorweihnachtszeit.

Der Bau von Tiefgaragen ist vor allem in den Städten der neuen Bundesländern unbestritten notwendig und dient auch der Aufwertung der Innenstadt als Einzelhandelsstandort. Es ist jedoch in jeder Stadt zu prüfen, ob eine Erhöhung der Gesamtstellplatzzahl notwendig ist. In den Innenstädten der neuen Bundesländern ist im Straßenraum eine große Anzahl von Stellplätzen vorhanden. Ein Vergleich der Anzahl öffentlicher Stellplätze in den Zentren ost- und westdeutscher Großstädte weist in der Innenstadt München 13000 Stellplätze aus. In Dresden waren im Jahr 1990 etwa 14000 Stellplätze vorhanden.

In westdeutschen Städten sind zahlreiche Beispiele für den störenden Charakter von Parkhäusern zu finden. Daher sollten in der Regel keine Parkhäuser zugelassen werden. Neben der klassischen Tiefgarage gibt es neuartige Bauformen. So setzen sich in Paris, nun auch in deutschen Städten, "lineare" Tiefgaragen unter Straßen durch, die sicher bald auch in mittleren Städten zu finden sein werden. Sie sind vor allem dann interessant, wenn ohnehin umfangreiche Tiefbauarbeiten anstehen, wie das jetzt in vielen Stadtkernen der Fall ist.

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Verkehrsplanerisches Ziel sollte in erster Linie sein, den ruhenden Verkehr aus dem Straßenraum in bauliche Anlagen zu verlagern. Eine Erhöhung der Gesamtstellplatzzahl ist nur in Einzelfällen notwendig und sollte sorgsam geprüft werden, um die Baukosten für Parkhäuser oder Tiefgaragen nicht durch später anfallende Umbau- oder Rückbaukosten zu erhöhen.

Die erforderliche Stellplatzzahl hängt von der Nutzung der betreffenden Gebäude sowie Grundstücke ab und ist in der jeweiligen Landesbauordnung festgelegt. Aufgrund der herausgehobenen Bedeutung der Innenstädte ist der Umgang mit dem ruhenden Verkehr hier meist ergänzend durch eine Stellplatzsatzung geregelt.

Diese Stellplatzsatzung kann die Form einer Einschränkungssatzung haben. In diesem Fall ist für ein genau abgegrenztes Gebiet festgelegt, welchen Anteil der von der Bauordnung geforderten Stellplätze ein Investor zu errichten hat. Die zweite denkbare Form der Stellplatzsatzung ist die Verzichtssatzung, bei der vom Investor keine Stellplätze einzurichten sind.

Gründe für derartige Einschränkungen ergeben sich aus den beschriebenen Nutzungskonflikten im öffentlichen Raum, bei denen in städtebaulich wertvollen Bereichen wie einer Innenstadt dem Individualverkehr nicht die oberste Priorität eingeräumt wird. Die Satzungen legen für den betreffenden Bereich auch die Höhe der Ablösebeträge fest, die für die nicht errichteten Stellplätze an die Stadt zu zahlen sind.

Der Einsatz der finanziellen Mittel aus Ablösezahlungen für Stellplätze wird von der Gemeinde festgelegt und ist neben dem Bau neuer Tiefgaragen und Stellplätze auch möglich für Park & Ride - Anlagen oder investive Maßnahmen des ÖPNV. Die Landesbauordnungen von Hessen und Sachsen gestatten die Verwendung der eingenommenen Ablösebeträge auch für Investitionen in den Fahrradverkehr.

Eine dritte Möglichkeit für den Umgang mit dem ruhenden Verkehr ergibt sich, wenn der in der Landesbauordnung vorgeschriebene Nachweis von Stellplätzen abgeschafft wird. Diese Änderung wurde in Berlin durchgesetzt, um unnötigen Stellplatzbau zu vermeiden und gilt für einen abgegrenzten Teilbereich der Stadt. Mit dem entfallenden Nachweis ist auch kein Stellplatz mehr abzulösen. Nach diesem Verfahren ist es Aufgabe des Investors, bei eigenem

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Interesse nachzuweisen, daß die Einrichtung zusätzlicher Stellplätze notwendig ist.

Einen wesentlichen Einfluß auf den Verkehrsablauf in der Innenstadt hat auch die räumliche Einordnung der Parkhäuser und Tiefgaragen. Um die wertvollsten Bereiche in erster Linie für den Umweltverbund freizuhalten, sollten Parkhäuser und die Einfahrten in Tiefgaragen am Rand der Innenstadt eingeordnet werden. Noch im Straßenraum vorhandene Stellplätze, sind perspektivisch in bauliche Anlagen zu verlegen. Eine Alternative zu herkömmlichen Parkeinrichtungen können automatisierte Kompaktparkanlagen sein. Sie sind in der Innenstadt vor allem interessant, da sie einen geringeren Raum beanspruchen und sich durch flexible Systeme selbst in schmale Baulücken einpassen lassen. Hier können die umfangreichen Wendeflächen, die Be- und Entlüftungsanlagen sowie die Ein- bzw. Ausfahrtsrampen von Parkhäusern und Tiefgaragen entfallen. Mit dieser automatisierten bzw. optimierten Lagertechnik, lassen sich auch die Baukosten von Tiefgaragen in zentralen Lagen mit hohen Grundstückspreisen günstig beeinflussen.

Die einzige Ausnahme bei der räumlichen Konzentration des ruhenden Verkehrs sollten die Stellplätze bilden, die für Behindertenfahrzeuge reserviert sind. Sie sind weiterhin dezentral in der Innenstadt zu verteilen, da den gehbehinderten Fahrzeugführern ein weiterer Fußweg in der Regel nicht zugemutet werden kann. Die Stellplätze sind in direkter Nähe relevanter Ziele einzurichten und gesondert zu kennzeichnen. Dabei werden touristische Attraktionen genauso einbezogen wie öffentliche Einrichtungen,

Die entscheidende Grundlage für eine Lösung der Probleme des ruhenden Verkehrs in den Innenstädten ist eine flächendeckende Bewirtschaftung der Stellplätze. Besondere Aufmerksamkeit ist in diesem Zusammenhang den jeweils angrenzenden Wohnbereichen zu widmen. Es ist zu gewährleisten, daß die hier für die Anwohner reservierten Stellplätze nicht durch Innenstadtbesucher blockiert werden.

Um zu vermeiden, daß die vorhandenen öffentlichen Stellplätze in den zentralen Bereichen der Stadt von Langzeitparkern genutzt werden, sollte eine zulässige Höchstparkdauer festgelegt werden. Diese Höchstparkdauer wird sinnvollerweise mit abnehmender Entfernung einer Stellplatzanlage von der Innenstadt niedriger. Auf diese Weise kann unterstützt werden, das Kurz-

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zeitparker, zu denen auch zahlreiche Kunden des Einzelhandels zählen, die öffentlichen Stellplätze in erster Linie nutzen können.

Die Gebühren für die Nutzung eines Stellplatzes sollten mit abnehmender Entfernung zur Innenstadt deutlich steigen. Dabei kann eine bessere Auslastung der baulichen Anlagen für den ruhenden Verkehr unterstützt werden, indem die Parkgebühren hier niedriger sind als im Straßenraum. Das Langzeitparken kann eingedämmt werden, in dem die Parkgebühren über die Zeit progressiv ansteigen.

Unterirdische Verkehrsanlagen

Ein Beitrag zur Entschärfung der verkehrlichen Probleme in der Stadt kann auch durch die Verlagerung von Verkehrsbauten unter die Erde geleistet werden. Die Tatsache, daß der ruhende und fließende Verkehr mit seinem enormen Flächenverbrauch den öffentlichen Verkehr und zunehmend auch sich selbst behindert, kann dafür genauso ausschlaggebend sein wie topographische Gründe. Ein Ziel dieser Verlagerung ist es, umweltbelastende Verkehrsarten durch Verkehrsträger zu ersetzen, die umweltfreundlich und leistungsfähig sind.

Allein aus Kostengründen bleiben unterirdische Verkehrsbauten in der Gegenwart auf das notwendige Maß beschränkt. Der Bestand an unterirdischen Verkehrstunneln ist für einige europäische Länder in der Tabelle aufgeführt. (Angaben in Strecken-km, Stand 1990)

U-Bahn Bahn Straße Gesamt

Österreich

15

105

210

330

Schweiz

0

360

140

500

Deutschland

550

380

70

1000

Frankreich

270

650

180

1100

England

200

220

30

450

Italien

60

1150

600

1810

Norwegen

20

260

370

650

Spanien

200

750

100

1050

Summe

1315

3875

1700

6890

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Bis zum Jahr 1995 kam in Deutschland eine Strecke von 30 km Tunnel dazu. Die Planungen für Tunnelbauten laufen weiter, bis in die Jahre 2000 bis 2002 sind für die genannten Tunnelkategorien insgesamt weitere 334 Streckenkilometer geplant oder bereits in Bau.

Tunnelbauten haben für die schienengebundenen öffentlichen Verkehrsmittel in der Stadt unterschiedliche Bedeutung. Während die Straßenbahn nahezu ausschließlich an der Oberfläche geführt wird, liegt bei S-Bahnen etwa ein Viertel der Strecke in Tieflage. Stadtbahnen verkehren im Durchschnitt zu 50 % unter der Erde, die Strecken der
U-Bahnen liegen fast völlig in Tieflage.

Um den Nutzen von unterirdischen Verkehrsbauten einschätzen zu können, ist eine systembezogene Betrachtung notwendig. Positive Effekte ergeben sich aus der erheblichen Geschwindigkeitssteigerung für öffentliche Verkehrsmittel nach der Verlegung in einen Innenstadttunnel. Der Lärmpegel entlang der bisherigen oberirdischen Strecke wird entscheidend gemindert. Die Investition von 100 Mio. DM in ein Stadtbahnsystem sichert mehr als 2000 langfristige Arbeitsplätze. Sekundärinvestitionen, die durch den Stadtbahnbau initiiert oder beschleunigt werden, sind wahrscheinlich. Der unmittelbare oder mittelbare Zusammenhang zwischen Bautätigkeit und Investition läßt sich jedoch schwer nachweisen.

Die Verlagerung öffentlicher Verkehrsmittel kann vor allem in den hochverdichteten Innenstädten zahlreiche positive Auswirkungen für die Stadt haben. Durch die erhebliche Fahrzeitverkürzung verzeichnet der ÖPNV häufig Fahrgastgewinne, auch aus dem Kreis der Pkw-Nutzer und kann damit vor allem im Berufsverkehr zu einer Entspannung der verkehrlichen Situation beitragen. Die freiwerdenden Flächen an der Oberfläche stehen für eine städtebauliche Umgestaltung zur Verfügung und bieten umfangreiche Möglichkeiten für die Aufwertung der betreffenden Bereiche. Die Attraktivität der Verkehrsbauten und ihrer Zugänge kann durch eine Kombination mit anderen Nutzungen erheblich gesteigert werden.

Positive Erfahrungen mit solchen Nutzungskombinationen existieren zum Beispiel in Kanada. Der Bau der U-Bahn in Toronto wurde mit unterirdischen Fußgängerpassagen und direkten Zugängen zu Einkaufszentren, Hotels oder öffentlichen Einrichtungen verbunden. Nach Fertigstellung der U-Bahn wurde ein Anstieg der Fahrgastzahlen im gesamten ÖPNV festgestellt. An den Stationen konnte eine erhebliche bauliche Verdichtung ermöglicht werden. Die

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Hälfte aller neuen Wohnhäuser und 90 % der neuen Bürobauten liegen in fußläufiger Entfernung zu einer U-Bahn-Station.

Die Verlegung öffentlicher Verkehrsmittel unter die Oberfläche hat jedoch nicht nur Vorteile. Die Entwicklung eines Stadtbahnsystems kann vor allem in den Nebenzentren zu Umsatzeinbußen führen, da die Fahrgäste auf direktem Weg in die Innenstadt gebracht werden. Durch den fehlenden Sichtkontakt zur Oberfläche ist für die Fahrgäste nicht erkennbar, daß sie durch einen Einkaufsbereich fahren. Ein spontaner Einkaufsbummel im Nebenzentrum ist damit nahezu ausgeschlossen.

Das Hauptproblem bei unterirdischen Verkehrsbauten sind die Kosten. Im Vergleich der Baukosten übersteigt eine Stadtbahnstrecke im Tunnel die ebenerdige Strecke etwa um das 10-15 fache und ist 3 - 4 mal so teuer wie eine Strecke in Hochlage. Die Betriebskosten eines Tunnel hängen von der Art seiner Nutzung ab, dürften aber in jedem Fall teurer sein als bei den Vergleichsstrecken. Der größten Anteil der Wartungskosten entfällt bei Stadtbahnen auf die unterirdischen Stationen und ihrer technischen Anlagen.

Die Finanzierung unterirdischer Verkehrsbauten erfolgt in Deutschland überwiegend aus öffentlichen Mitteln. Die hohen Kosten führen u.a. in Nordrhein-Westfalen dazu, daß sich die Förderung unterirdischer Stadtbahnanlagen auf begründete Ausnahmefälle beschränkt. Die Folge dieser Entwicklung ist, daß im kommunalen Bereich praktisch kein unterirdischer Streckenbau mehr erfolgt.

In den neuen Ländern gibt es, wie schon erwähnt, ganz vorzügliche Straßenbahnnetze. Es muß natürlich durch geeignete Maßnahmen sichergestellt werden, daß die Straßenbahnen den immer wieder angesprochenen und zugesagten Vorrang im Verkehr auch tatsächlich erhalten: etwa durch eigene Gleiskörper, Markierungen auf der Fahrbahn oder Vorfahrtschaltungen an Ampeln.

Der Bau von U-Bahnen ist damit entbehrlich. Vorstellbar wäre, daß Straßen an ganz allergischen Punkten oder Strecken in Tieflage bzw. in Tunnels geführt werden. Dabei müßte allerdings den Ein- und Ausfahrtsrampen mit ihrem Einfluß auf das Stadtbild ganz besondere Aufmerksamkeit gewidmet

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werden. So wären beispielsweise kombinierte Zufahrts- bzw. Andienungsstraßen für Tiefgaragen sowie Kauf- und Warenhäuser denkbar.

Im Ausland ist die Finanzierung solcher unterirdischen Anlagen aus privaten Mitteln durchaus üblich. Dabei bietet die Vermietung eines Grundstücks über einer U-Bahn-Station die Möglichkeit, daß mit der privaten Finanzierung der Bebauung auch die Errichtung des Zugangs zur unterirdischen ÖPNV-Station verbunden wird. In Frankreich zum Beispiel erfolgt die Finanzierung des ÖPNV auch aus einem Teil der Sozialabgaben der Arbeitgeber. Allgemein gibt es zwei Modelle zur Finanzierung unterirdischer Verkehrsanlagen aus privaten Mitteln.

Zum einen gibt es das Konzessionsmodell, bei dem eine Vorfinanzierung der Bauvorhaben z. B. durch Baufirmen oder Banken erfolgt. Der Staat kauft die Verkehrsanlagen später "in Raten" zurück. Dieses Finanzierungsmodell ist nicht unkritisch zu sehen, da die Finanzierung letztendlich wieder aus öffentlichen Mitteln erfolgt. Die Probleme werden nur zeitlich verschoben, die Kosten steigen im Lauf der Zeit immer weiter an.

Die zweite Finanzierungsmöglichkeit ist das Betreibermodell, das im Ausland bereits praktiziert wird. Auch dabei wird der Bau der Anlage aus privaten Mitteln finanziert, der Investor kann jedoch die Kosten über Mautgebühren o. ä. wieder ausgleichen. Die Übertragung dieses Finanzierungsmodells auf städtische Tiefgaragen, Parkhäuser oder ergänzende Anlagen zu Einkaufszentren sollte überprüft werden.

Es sind jedoch nicht allein die Kosten und Nachteile von unterirdischen Verkehrsanlagen in den Mittelpunkt der Betrachtung zu stellen. Generell ist festzuhalten, daß die Nutzung des unterirdischen Bauraums vielfältige positive Effekte für eine Stadt haben kann. Dazu zählt nicht allein die Erhöhung der Geschwindigkeit für die entsprechenden Verkehrsmittel oder die Erhöhung von Fahrgastzahlen. Der Beitrag zur Erhöhung der Lebensqualität in der Stadt, der sich in neu gestalteten Freiflächen oder umweltverträglich in Tiefgaragen untergebrachten Fahrzeugen widerspiegelt, ist im doppelten Sinn unbezahlbar.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 1999

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