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7. Zusammenfassung

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Vor allem die gegenwärtige Situation in den neuen Bundesländern zeigt, daß wirtschaftliche Kräfte - besonders die des Einzelhandels - stadtauflösend wirken, wenn man sie ungehindert wirken läßt. Diesen Kräften muß durch geeignete ökonomische Rahmenbedingungen etwas entgegengesetzt werden, um langfristig zu besseren Lösungen zu kommen. Die schwierige Aufgabe für die Planung ist, den wirtschaftlichen Kräften kulturelle Werte entgegenzusetzen, um einen markanten Kontrast und eine tragfähige Alternative zur glitzernden Konsumwelt zu setzen.

Grundlage aller Überlegungen, die sich mit dem Problemkreis des Einzelhandels in der Stadt beschäftigen, sollte die planerische Einsicht sein, die bereits vollzogene Entwicklung zu akzeptieren und zu gestalten, anstatt die Tatsachen weiterhin zu ignorieren. Die gegenwärtige Entwicklung des Handels wird vom Markt erzwungen und ist durch Stadtplanung nur schwer zu modifizieren. Die Stadt in ihrer gewachsenen Struktur wird damit zu einem "Produkt", das gegen wirtschaftliche Kräfte durchgesetzt werden muß, die auf Geschichte, Identifikation oder lokale und regionale Beziehungen kaum Rücksicht nehmen.

Eine Aufgabe der Stadtplaner ist es, auf die vorhandene Situation hinzuweisen und die Probleme des Einzelhandels in die Probleme der Stadtentwicklung einzuordnen. Eine Stadt besteht eben nicht nur aus der gebauten und einwandfrei arbeitenden Funktion Handel. Sie besteht auch aus Widerspruch, Öffentlichkeit und dem Zufälligen, wenn man will aus einem weitgehenden Abbild des Lebens.

Eine Innenstadt kann in der gegenwärtigen Konkurrenz zu den peripheren Standorten leichter bestehen, wenn sie ihre spezifischen Vorzüge ausspielen kann, die zum Beispiel in Nutzungsvielfalt, Aufenthaltsqualität und regionalem Bezug bestehen. Eine wirkliche Identifikation der Bewohner kann nur mit dem "historischen" Stadtzentrum sowie gewachsenen bzw. gut ausgestatteten Stadtteilzentren erfolgen, nicht aber mit spezialisierten Einkaufszentren oder gar sogenannten Bürostädten.

Die planerische Aufgabe der Stärkung der Kernstädte umfaßt aber auch die Stärkung der Nebenzentren, die in der großen Auseinandersetzung zwischen

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Innenstadt und Peripherie leicht vernachlässigt werden. Die Nebenzentren sind entsprechend ihren eigenen Aufgaben und Potentialen zu entwickeln, um nicht zu Konkurrenzstandorten zur Innenstadt zu werden.

Die Übertragbarkeit von Planungswegen und -ergebnissen der westdeutschen Städte, die seit Jahren mit den genannten Problemen konfrontiert sind, auf die ostdeutschen Städte ist nur bedingt gegeben, da die freie Entfaltung der Kräfte des Einzelhandels hier erst seit relativ kurzer Zeit, aber dafür um so heftiger möglich ist. Aus den positiven und den negativen Beispielen können aber Hinweise für zukünftige Planungen gewonnen werden.

Die Situation der Innenstädte in den neuen Bundesländern ist von vielfältigen planerischen Problemen gekennzeichnet, die meist von finanziellen Engpässen begleitet sind. Ein städtischer Neubau im großen Stil ist nicht möglich. Ein Schwerpunkt der kommunalen Aufgaben ist daher, vorhandene Strukturen zu erhalten und instandzusetzen. Bei behutsamer Umgestaltung besteht hier die Chance, den Charakter der Innenstädte zu erhalten, sie damit wieder zu einem Magneten für Besucher und zum lebendigen Mittelpunkt der Stadt werden zu lassen.

Eine Voraussetzung für die Stärkung der Innenstädte könnte durch eine stadtgrenzenübergreifende Planung geschaffen werden, mit der der kommunale Einfluß auf die Ausweisung peripherer Standorte vergrößert werden kann. Städtebauliche Planungen aller Art sind unter Beachtung regionaler Besonderheiten durchzuführen.

Die derzeitige ökonomische Schwäche des Einzelhandels darf nicht durch eine restriktive Verkehrsplanung verstärkt werden, da eine Verschlechterung der Erreichbarkeit der Innenstadt die verstärkte Abwanderung der Kunden zu peripheren Standorten zur Folge hätte. Ein restriktiver Umgang mit dem motorisierten lndividualverkehr in der Innenstadt sollte erst dann erfolgen, wenn der ÖPNV zu einer echten Alternative ausgebaut wurde. Die Voraussetzungen dazu sind in ostdeutschen Städten günstig.

Generell ist im Problemkreis ein phasiges Nachdenken der Stadtplanung notwendig, das die gegebenen Rahmenbedingungen immer wieder neu bewertet und zu einer zeitlichen Flexibilisierung der städtebaulichen Leitbilder führt. Da in den Innenstädten der neuen Bundesländer zur Zeit nur beschränkte Ent-

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wicklungsmöglichkeiten für den Handel gegeben sind, könnten die städtebaulichen Themen für die nächsten 5 bis 7 Jahre lauten:

  • Innenstadt als Ort des Wohnens
  • Innenstadt als Ort des Arbeitens
  • Innenstadt als Ort der Freizeit und Kultur

In einigen Jahren kann dann versucht werden, den Handel wieder in der Innenstadt anzusiedeln und verstärkt zu unterstützen.

Die meist sehr emotional geführte Diskussion um die Erreichbarkeit von Standorten ist häufig eine Stellvertreterdiskussion. Die Entwicklung des Handels und seiner Strukturen ist von einem harten Wettbewerb geprägt. Verdeutlicht wird das zum Beispiel durch die Tatsache, daß in den alten Bundesländern in den letzten 25 Jahren etwa zwei Drittel der Lebensmittelgeschäfte vom Markt verschwunden sind. Die Ursachen für dieses "abstrakte" Problem wird häufig in konkreten Vorgängen gesucht, was beispielsweise auch der Wegfall von Parkplätzen sein kann.

Die gegenwärtige Aufgabe der Stadt- und Verkehrsplanung im Problemkreis des Einzelhandels in der Stadt liegt ganz klar in der Schaffung einer Chancengleichheit zwischen Stadt und Umland. Dabei kommt es nicht darauf an, den Trend zu Einkaufszentren wieder und wieder in Frage zu stellen. Die kommunale Planung kann in erster Linie die räumliche Verteilung und Einordnung der Handelsstandorte beeinflussen. Die Entwicklung an planerisch sinnvollen und verträglichen Standorten ist zu fördern. Bei negativen Auswirkungen der Handelsentwicklung auf die Stadt ist vor restriktiven Maßnahmen nicht zurückzuschrecken. Bei aller planerischen Verantwortung der Politik für die Entwicklung der Stadt, ist jedoch gerade in Beziehung zum Einzelhandel auch auf die Verantwortung der Wirtschaft nachdrücklich zu verweisen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 1999

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