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TEILDOKUMENT:


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1 Einleitung

Leitbilder der Stadtentwicklung haben gegenwärtig Konjunktur: die Stadt der kurzen Wege, die kompakte Stadt, nachhaltige Siedlungsentwicklung oder dezentrale Konzentration sind nur einige Synonyme für die Suche nach und die Wiederbelebung von neuen Orientierungshilfen städtischer Entwicklung.

Nachdem zunächst die Stadtentwicklungsplanung der 60er und 70er Jahre mit ihrer Annahme der umfangreichen Lenk- und Steuerbarkeit gesellschaftlicher Entwicklungen auf kommunaler Ebene scheiterte, war es selbst in den 80er Jahren noch schwerlich denkbar, eine gemeinsame, auf komplexen Zielperspektiven beruhende Grundlage von Stadtentwicklung zu diskutieren. Die Rahmenbedingungen städtischer Entwicklung - vornehmlich die zu dieser Zeit abgeschwächte wirtschaftliche Dynamik - ließen die Kommunen ausgesprochen zurückhaltend agieren. Inzwischen hat sich die Situation grundlegend geändert. Zahlreiche Städte sind wieder damit befaßt, Stadtentwicklungskonzepte zu erarbeiten. Es findet sich kaum eine Stadt, die nicht einen großen neuen Stadtteil errichtet, ausgedehnte innerstädtische Brachen bebaut oder mit städtebaulichen Großprojekten ihr Image verändern möchte. Die weltweite Debatte über die Notwendigkeit einer sustainable development hat inzwischen auch die Stadtpolitik erreicht.

Die aktuellen Gründe für dieses Wiederaufleben von Leitbildern bilden eine Mischung aus globalen Entwicklungen, die als externe Faktoren auf die Stadtplanung einwirken, und lokalen Ressourcen, die sich teils als unmittelbare Folge globaler Prozesse gebildet haben, teils nur locker damit verbunden sind, in jedem Fall aber kommunale Planungen vor neue Herausforderungen stellen und Orientierungsbedarf erzeugen. Sucht man nach Begriffen, die diese Bestimmungsgründe identifizieren, so lassen sich folgende anführen:

  • Globalisierung: Vor dem Hintergrund globaler Produktions-, Vertriebs- und Vermarktungsprozesse kann sich keine Stadtregion ihrer ökonomischen Basis mehr sicher sein. Diese Feststellung gilt mittlerweile auch für diejenigen Standorte, die vor wenigen Jahren noch hohe Wachstumsraten und Steuereinnahmen zu verzeichnen hatten. Jede Stadt sieht inzwischen offensive Stadtentwicklungs- und Wirtschaftsförderungsstrategien als unverzichtbar an, um sich in der wachsenden Konkurrenz zu behaupten.

  • Wandel der Raum-Zeit-Strukturen: Der Ausbau der Verkehrs- und Telekommunikationsinfrastruktur läßt die Städte weltweit enger zusammenrücken und die Märkte sowie ihre Einzugs- und Ausstrahlungsbereiche rasant expandieren.

  • Sozialer Wandel: Weitreichende demographische und soziale Veränderungen sowie ein gesellschaftlicher Wertewandel wirken auf die Stadtentwicklung zurück. Der

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  • Kleinfamilien- und Konsumentenhaushalt, in der Vergangenheit Adressat von Wohnungsbau und städtischer Infrastruktur, stellt insbesondere in den Großstädten nur noch eine Minderheit unter den Haushalten dar. Der Anteil der Haushalte, die von Dauerarbeitslosen und Sozialhilfeempfängern betroffen sind, wächst. Die Ausweitung und Überschneidung regionaler Wohn- und Arbeitsmärkte haben weitreichende Folgen für Alltagsvollzüge der privaten Haushalte. Pendeldistanzen werden größer, Schichtarbeit, Gelegenheitsjobs, Teilzeit- und Telearbeit und auch einzelne Formen der informellen Arbeit nehmen zu.

  • Kultureller Wandel: Steigendes Einkommen, erhöhte Mobilität und wachsende Freizeit verändern die kulturellen Muster in der Nutzung der Stadt. Dies manifestiert sich besonders deutlich im Funktionswandel des öffentlichen Raums. Massenkonsum und Massenkultur, kommerzialisierte Freizeit und ein „entfernungstoleranter" Lebensstil zehren schon länger an der politischen und sozialen Substanz städtischer Öffentlichkeit. Massenmedien übernehmen die Funktionen, die vormals in den öffentlichen Räumen ihren Ort hatten.

  • Ökologische Krise: Wohl nichts hat die Suche nach neuer Orientierung in der Stadtplanung so forciert wie die schmerzhafte Einsicht, daß im (Über-) lebensinteresse nachfolgender Generationen das bisherige Stadtentwicklungsmodell der westlichen Welt nicht fortgeschrieben werden kann. Die Bedrohung der natürlichen Lebensgrundlagen und die Endlichkeit der Ressourcen waren für die Leitbilder der Vergangenheit kein Thema. Mit der Agenda 21 wird an die Gemeinden weltweit ein Programm für künftige Kommunalpolitik und Stadtplanung herangetragen.

  • Politischer Umbruch in Europa: Das politische Ende der sozialistischen Staaten Mittel- und Osteuropas hat zu dramatischen Veränderungen des regionalen, nationalen und internationalen Standortgefüges geführt und die meisten Städte gezwungen, sich neu im europäischen Städtenetz zu positionieren. Umgekehrt bringt der europäische Binnenmarkt und die politische Einigung Europas die Städte enger zusammen.

  • Krise der Kommunalfinanzen: Die Anforderungen an die kommunale Planung werden immer komplexer, gleichzeitig sinkt ihr finanzieller Handlungsspielraum. Desolate öffentliche Haushalte zwingen die Gemeinden, öffentliche Dienste einzuschränken oder zu privatisieren. Um Projekte realisieren zu können, die die kommunale Leistungsfähigkeit übersteigen, gehen die Gemeinden neue Formen projektgebundener Kooperationen mit kapitalkräftigen privaten Unternehmen ein.

Die Gründe für das Wiederaufleben städtebaulicher Leitbilder sind ausgesprochen dispers, wie die vorgenannten Skizzen verdeutlicht haben. Die Notwendigkeit einer Formulierung besteht jedoch gerade deswegen mehr denn je. Dies nicht zuletzt auch

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deshalb, weil die weitgehend liberale Auffassung von Stadtentwicklungsplanung, wie sie in den 80er Jahren vielfach zu beobachten war, nicht zu den gewünschten Ergebnissen geführt hat.

Die vorliegende Broschüre folgt weitgehend der Tagungsgliederung. In einem ersten thematischen Block wird eine Bestandsaufnahme der siedlungsstrukturellen Veränderungen dargestellt. Die ersten beiden Beiträge behandeln dabei die Frage der raum- und siedlungsstrukturellen Auswirkungen gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Veränderungen. Zentrale Fragen sind dabei solche nach der Existenz neuer Standortmuster, nach der Veränderung des Zentrengefüges oder nach der Fortschreibung bisheriger Suburbanisierungstendenzen.

In einem zweiten thematischen Block werden die Potentiale angesprochen, die im Zuge von Veränderungsprozessen frei oder neu geschaffen werden. Umbrüche und Krisen bedeuten nicht nur Verlust, sie erzeugen gleichermaßen neue Chancen, auch für die Stadtentwicklung.

Der dritte Teil der Broschüre beschreibt die vorgestellten aktuellen Projekte und Strategien, die als charakteristisch für neue sachliche und räumliche Investitionsschwerpunkte in Ballungsgebieten gelten.

Resümierend wird das Thema der Tagung aus kommunalwissenschaftlicher Perspektive erörtert. Im Vordergrund stehen dabei zum einen die Betrachtung der Inhalte von Leitbildern, zum anderen jedoch auch die Verfahren, in denen die Städte zu ihren neuen Leitbildern gelangen sowie die Formen, in denen diese dargestellt und umgesetzt werden.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2001

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